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Superresistenz von Bakterien entschlüsselt

Wissenschaft und Politik sind sich einig: Antibiotikaresistente Bakterien stellen eine grosse Herausforderung für die zukünftige Medizin dar. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass bis zum Jahr 2050 mehr Menschen infolge einer Infektion durch multiresistente Bakterien sterben als an Krebs. Ein Team von Forschenden an der HLS hat nun einen besonders bedenklichen Mechanismus aufgeklärt, durch den Bakterien weit verbreitete Antibiotika nicht nur überleben, sondern sie sogar für ihre Ernährung nutzen.

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Sulfonamide gehören zu den ältesten synthetischen Antibiotika und werden bereits seit über siebzig Jahren angewendet. Sie greifen in den Folsäure-Stoffwechsel der Bakterien ein, indem sie die Bildung von Tetrahydrofolsäure blockieren. Diese benötigen die Bakterien für ihre DNA-Synthese. Da Menschen hingegen Folsäure als Vitamin über die Nahrung aufnehmen, schaden Sulfonamide  den menschlichen Zellen nicht. Bis heute sind verschiedene Sulfonamide im Einsatz: In der Humanmedizin verwenden sie Ärzte unter anderem gegen Harnwegsinfektionen, und in der Veterinärmedizin werden die Wirkstoffe gegen Parasitenbefall eingesetzt. «Jährlich gelangen etwa 20 000 Tonnen Sulfonamide in die Umwelt», berichtet Philippe Corvini vom Institut für Ecopreneurship der HLS. Er erforscht federführend in mehreren Projekten Bakterien, die gegen Sulfonamide Resistenzen gebildet haben. Der Biotechnologe erklärt: «Der Weg in die Umwelt führt zuerst in die Kläranlage. Der dortige Klärschlamm besteht zu einem grossen Teil aus Bakterien, die den organischen Schadstoffeintrag, also Kohlenwasserstoff, abbauen. Sulfonamide gelangen in Konzentrationen in die Kläranlage, in denen sie nicht wirksam, wohl aber vorhanden sind. Damit können sich Bakterien ideal auf diese Stoffe einstellen.» Das Forschungsteam um Corvini hat dies gezeigt, indem sie Bakterien aus Kläranlagen in einem Nährmedium kultiviert und mit verschiedenen Sulfonamiden versetzt haben. Bereits vor einigen Jahren konnten die Forschenden so Bakterienkulturen nachweisen, die gegen Sulfonamide resistent waren. Und mehr noch: Die Bakterien werden nicht nur widerstandfähig, sondern können sich von den Sulfonamiden sogar ernähren und diese vollständig zu Kohlendioxid verstoffwechseln. «Die Bakterien sind also gegen das Antibiotikum doppelt bewaffnet», bringt es Corvini auf den Punkt. «Wir sprechen in so einem Fall von Superresistenz.» Bei klassischen Antibiotikaresistenzen, mit denen sich Wissenschaftler bisher hauptsächlich beschäftigt haben, führen Enzyme resistenter Bakterien entweder zu geringen strukturellen Änderungen von Antibiotika oder sind selbst nicht mehr antibiotikaempfindlich. Zusammen mit Forschenden aus der Schweiz, Portugal und Deutschland hat Corvinis Arbeitsgruppe nun aufgeklärt, wie Bakterien das Sulfonamid Sulfamethoxazol – ein Wirkstoff gegen Harnwegsinfekte und Lungenentzündungen – in den Kläranlagen abbauen.

Dazu mussten Corvini und sein Team zunächst Belebtschlamm aus den Kläranlagen sammeln. Aus den daraus gewonnen resistenten Bakterien übertrugen die Forscher dann Gene, die abbauende Enzyme kodieren, in Kolibakterien und fütterten diese  wiederum mit Sulfamethoxazol. «Wir konnten so nicht nur die Zwischenprodukte des Abbaus charakterisieren, sondern auch drei Gene und die von ihnen kodierten Enzyme identifizieren», schildert Corvini. Die ersten beiden Enzyme – eine Flavin-Reduktase und eine Monooxygenase – bilden ein Enzymsystem. Die Flavin-Reduktase übernimmt für  ihre nächste Reaktion ein Elektronenpaar von einem im Körper sehr häufig vorkommenden Energielieferanten. Die dabei gewonnenen Elektronen  überträgt sie auf ein weiteres Enzym, die Monooxygenase, die Sulfamethoxazol mit Sauerstoff hydroxyliert und damit aufbricht. Nach einer sogenannten abiotischen Reduktion entsteht der Ausgangsstoff für das dritte Enzym, wiederum eine Monooxygenase. Diese setzt das Zwischenprodukt zu einem sogenannten Trihydroxybenzol um, das die Bakterien dann als Nahrung verwenden und zu CO2 umwandeln. «Das Aussergewöhnliche an dem Prozess ist, dass die Bakterien durch ihre Abwehr gegen das Antibiotikum Energie und kleine Moleküle für den Aufbau ihrer Biomasse gewinnen. Normalerweise ist es umgekehrt und Resistenzen kosten die Bakterien Energie. Es könnte sich bei dem Prozess um einen vollkommen neuen Resistenzmechanismus handeln», analysiert Corvini. Das Verständnis des Abbaumechanismus ist auch das Fundament für eine industrielle Anwendung. Corvini dazu: «Indem wir diese Abbaumechanismen auf molekularer Ebene besser verstehen, können wir auch neue Sulfonamide aus einem anderen Blickwinkel betrachten. So könnte man künftig vorhersagen, ob sich diese neuen Sulfonamide leichter abbauen lassen oder eher beständig sind.»

Der neu aufgeklärte Abbaumechanismus hat Corvini zufolge eine grosse Tragweite: «Wir machen uns Sorgen, weil unsere Experimente dafür sprechen, dass dieser Prozess nicht auf das Antibiotikum Sulfamethoxazol allein beschränkt ist. Untersuchungen anderer Sulfonamide zeigen ein identisches Spektrum an Abbauprodukten. Zudem ist die molekulare Struktur anderer Sulfonamide ebenfalls anfällig für die erste Reaktion im Abbauprozess.» Diese erste Reaktion – eine Hydroxylierung – ist ein Schlüsselschritt für den Abbau der Sulfonamide, wie die Forschenden zeigen konnten.

Das Aussergewöhnliche ist, dass die Bakterien durch ihre Abwehr gegen das Antibiotikum Energie gewinnen.

Philippe Corvini

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Aus diesem Grund untersuchen Corvini und seine Arbeitsgruppe nun, ob Bakterien gegen weitere Antibiotika resistent sind und diese abbauen können. Dazu nehmen sie Proben aus den Zuläufen und Abläufen von Abwasserreinigungsanlagen, versetzen sie mit den Antibiotika und messen die Restkonzentrationen der Wirkstoffe in den Abwasser-Bakterienkulturen. Mit diesen sogenannten Monitoring-Studien ist Corvinis Team bereits den Bakterien auf die Spur gekommen, die gegen Sulfamethoxazol superresistent sind. Von den neuen Daten erwarten die Wissenschaftler auch Informationen über Zusammenhänge von Abbauraten und der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen mit Klärverfahren, Saisonalität und Geografie, wie Corvini erklärt: «Wir arbeiten an fünf verschiedenen Kläranlagen, die an verschiedenen Orten sind und vor allem unterschiedliche Abwasserreinigungsprozesse haben. Damit wollen wir herausfinden, ob einige Prozesse mehr zu empfehlen sind, um die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zu verhindern, als andere.» Neben den Untersuchungen an den Kläranlagen nehmen die Forschenden auch Bodenproben, anhand derer sie feststellen wollen, ob solche Superresistenzen auch in der Umwelt vorkommen. Zwei Fragen zum Zusammenhang zwischen Resistenz  und Abbaufähigkeit der Antibiotika bewegen den Biotechnologen besonders: «Zum einen wollen wir wissen, ob die Bakterien Sulfonamide nur dann abbauen können, wenn sie bereits eine vorhandene Resistenz dagegen haben. Dies gäbe den Bakterien die Chance zu evolvieren, sodass sie nach mehreren Generationen genau die Enzyme produzieren können, die diese Antibiotika abbauen. Die zweite Frage ist: Wenn sich ein Bakterium von einem Antibiotikum ernähren kann und gleichzeitig noch ein Resistenzgen zu diesem Antibiotikum besitzt – führt dann die Fähigkeit des Bakteriums, dieses Antibiotikum im eigenen Stoffwechsel zu verwerten, zu einer schnelleren Verbreitung der Antibiotikaresistenz-Gene?» Erste Hinweise auf einen Zusammenhang von Resistenz und Abbaufähigkeit haben die Forschenden schon gefunden, wie Corvini berichtet.

Dass superresistente Bakterien Antibiotika abbauen, könnte in Zukunft auch zu etwas nutze sein: Das genaue Wissen über den molekularen Aufbau der Enzyme ermöglicht auch deren biotechnologische Herstellung und damit potenzielle Verwendung zum Abbau der Antibiotika. Auf diese Weise würde man vermeiden, dass Resistenzen auf krankheitserregende Bakterien übertragen werden. Für die konventionelle Reinigung kommunaler Abwässer wäre ein solches enzymbasiertes Verfahren vermutlich zu kostenintensiv, aber einen zielgerichteten Einsatz hält Corvini durchaus für denkbar: «Es stellt sich die Frage des Gewinns: für die Gesellschaft, für die Industrie und die Umwelt. Wenn es bei industriellem Abwasser starke Belastungen gibt, dann könnte man gezielt mit solcher Technologie reinigen.»

Kontakt

Prof. Dr. Philippe Corvini
Prof. Dr. Philippe Corvini

Arbeitsgruppenleiter und Dozent, Umweltbiotechnologie

Telefon +41 61 228 54 85 (Direkt)

Hochschule für Life Sciences FHNW

Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Hochschule für Life Sciences Hofackerstrasse 30 4132 Muttenz
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