14.2.2023 | Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik
Bauphysik: Anforderungen an Planende und Ausführende
In den letzten 50 Jahren entwickelte sich die Bauphysik von einer Randdisziplin zum einem Hauptfokus in der Bauplanung. Dabei haben mit den Bedürfnissen der Raumnutzenden auch die Themenbereiche dieser Baudisziplin zugenommen.
Bis nach dem zweiten Weltkrieg dominierten Brandschutz, Mindestwärmeschutz zur Sicherstellung der Bauschadensfreiheit sowie Wohnhygiene die Bauphysik. In der Zeitspanne nach dem zweiten Weltkrieg bis hin zur grossen Energiekrise anfangs der 70er Jahre richtete sich das Augenmerk zudem auf den Schallschutz. Mit Beginn der ersten Energieeinsparmassnahmen wurde zusätzlich das Themengebiet der Bauphysik um die Thermische Energie und den Feuchteschutz (nicht mit der Bauwerksabdichtung zu verwechseln) erweitert. Damit umfasst die Bauphysik heutzutage wichtige Fragestellungen aus den Bereichen Wärme-, Feuchte-, Schall- und Brandschutz sowie des energiesparenden Bauens.
Parallel zu den Themenbereichen der Bauphysik steigerten sich auch die Bedürfnisse der Raumnutzenden. Aber auch die Verdichtung unserer Siedlungsgebiete und die gesellschaftliche Mobilität sind Randbedingungen der Bauphysik. So erstaunt es nicht, dass die Bauphysik heute einen zentralen Aspekt der Planung und Realisierung von Bauwerken einnimmt.
Gesteigerte Aufgabenbereiche für Planende und Ausführende
Im Laufe der Jahre haben sich auf die Wünsche der Raumnutzenden verändert. So wird etwa in den letzten Jahren zunehmend Wert auf viel Licht in Räumen, eine tolle Aussicht und eine moderne Architektur gelegt. Damit diese Wünsche erfüllt werden können, haben sich die Fensterflächenanteile an den Fassaden von etwa 20 % auf 70-100 % vergrössert. Teilweise werden auch Dachflächen verglast oder mit grossen Öffnungen versehen. Es muss ein Gleichgewicht zwischen Behaglichkeit und Gesundheit der Raumnutzenden gefunden werden. Denn mehr Fenster bedeuten auch im Sommer mehr Einfall von Sonnenstrahlen und infolgedessen heissere Räume bzw. im Winter durch das schlechtere Dämmverhalten das Risiko einer Schimmelbildung.
Auch Einflüsse aus dem Alltag und der Umgebung führen zu neuen Wünschen für die Raumplanung und Ausführung. Eine starke Belastung im Beruf, die bauliche Verdichtung unserer Siedlungsgebiete, der «24-Stunden Betrieb» in der Arbeits- und Freizeitwelt verstärken das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung in den eigenen vier Wänden. Der Wunsch nach dem eigenen Spa-Bereich, sowie einer schalldämmenden Abschottungen gegen den Aussenraum und gegen Nachbarn steigt. Auch hier kann man wieder grosse bzw. mehr Fensterflächen als Beispiel anführen: Sie lassen viel Licht hinein, was den Wohlfühlfaktor erhöhen kann, andererseits ist ihre Schallschutzleistung deutlich schlechter als die von opaken Aussenwänden.
Zu jeder Jahreszeit soll der Innenraum ein Wohlfühlklima ermöglichen. Dieses beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Schallschutz, sondern ebenfalls auf eine akustische, thermische, hygrische, visuelle sowie olfaktorische Behaglichkeit. Dass, was wir allgemein unter «gesundem Wohnen» verstehen.
Kommen dann noch politische Aspekte, wie etwa Energiesparmassnahmen hinzu, die eine Verminderung der Raumtemperatur empfehlen, gilt es einen Mittelweg zu finden. Denn aus Sicht der Nutzenden sollen weder die Behaglichkeit noch die Gesundheit darunter leiden.
Ansicht einer Messeinrichtung zur Bestimmung der thermischen Behaglichkeit
Normative Anforderungen vs. Realität
Laut den bekannten Behaglichkeitsmodellen und den heutigen Anforderungen der Raumnutzenden liegt bei Wohnbauten die ideale Raumtemperatur bei 21.5 °C + 1.5 bis 2.5 °C (je nach Kategorie A, B oder C der Norm SIA 180 / EN ISO 7730). Somit bei einer Raumtemperatur von 19 bis 24 °C. Erkenntnisse aus unterschiedlichen Umfragen zeigen, dass in der Realität die nutzerangewandten Raumtemperaturen aber eher im oberen Bereich der Planungswerte liegen.
Die normativen Anforderungen sind Grundlagen für die Dimensionierung des Wärmeschutzes. Das heisst, dass sich die Materialisierung und die konstruktiven Ausbildungen der Gebäudehülle grundsätzlich nach den normativen Anforderungen und nicht zwingend aus den Bedürfnissen der Nutzenden ableiten.
Wird nun die Wärmezufuhr auf eine Raumtemperatur auf < 20 °C, wie dies aktuell seitens des UVEK (Energie sparen im Haushalt? So geht’s!) empfohlen wird, gemindert, leiden sicherlich die aktuellen Behaglichkeitsbedürfnisse und gegebenenfalls ebenfalls die Bauwerke. Es leiden nicht die physikalisch korrekt geplanten und realisierten Bauwerke, sondern Bauwerke mit Schwachstellen, wie Wärmebrücken, Luftdurchlässigkeiten oder dergleichen.
Damit auch bei Raumtemperaturen im unteren Toleranzbereich die Behaglichkeit gewährleistet werden kann und Bauwerke bauschadensfrei, respektive funktionstauglich sein können, müssen sie fachgerecht geplant und gebaut werden. Neben hochwertigen und geeigneten Baumaterialien sind auch die Fachkenntnisse der Planenden und Ausführenden für eine langlebige und schadensfreie Konstruktion besonders wichtig.
Bauthermografische Innenansicht einer energetischen Schwachstelle in einer Ecksituation bei raumhohen Verglasungen
Sich verändernde Anforderungen erfordern aktuelles Know-how
Wie bereits beschrieben verändern sich nicht nur im Laufe der Jahrzehnte die Bedürfnisse an Wohnräume, auch durch politische Massnahmen und aktuelle Geschehen steigen Anforderungen an Gebäude und Gebäudehüllen. Dabei ist es wichtig, dass alle bauphysikalischen Aspekte bereits in der Planung berücksichtig werden, damit spätere Bauschäden schon vermieden werden können (und damit höhere Kosten). Damit steigen die Anforderungen an das Know-how der Planenden und Ausführenden, die über ein umfassendes Wissen über die theoretischen Grundlagen für die Dimensionierung und Nachweisführung einer fachgerechten Planung sowie über die korrekte Umsetzung der Planung in der Bauwerkserstellung verfügen müssen.
Praxisorientierte Weiterbildungen sind für Fachpersonen daher besonders wichtig. Durch Expert*innen, die selbst in der Praxis tätig sind, aktueller Forschung und der Einbindung konkreter Fallbeispiele bieten die Weiterbildungskurse der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW ein massgeschneidertes Weiterbildungsangebot für die Baubranche. Denn die Einbeziehung der Bauphysik in die Gebäudekonstruktion und Gebäudetechnik ermöglicht das Ziel nachhaltige Bauten zu entwickeln, die eine hohe Energieeffizienz unter Berücksichtigung architektonischer sowie materieller Aspekte bewirken.