27.10.2022 | Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik
How to: Wie mache ich mir einen digitalen Zwilling?
Im Rahmen ihrer Zertifikatsarbeit beschäftigten sich unsere Absolvent*innen Anika Müller Barkhausen und Luzian Caduff mit dem Thema «Digitaler Zwilling». Sie haben nicht nur eine Definition für den Begriff vorgenommen, sondern auch ein Konzept für die Entwicklung eines digitalen Zwillings für die Nutzungsphase von Gebäuden und Infrastrukturen erstellt.
Digitale Zwillinge werden derzeit im Bau- und Immobiliensektor (noch) eher selten eingesetzt, obwohl der Digitalisierungstrend auch hier aktueller ist, denn je. Dies stellt die Branche zum einen vor Herausforderungen, auf der anderen Seite steckt grosses Potenzial in der Anwendung von digitalen Zwillingen. Im folgenden Beitrag stellen die Autor*innen spannende Inhalte aus ihrer Arbeit vor.
Digitaler Zwilling – eine Definition
Ein digitaler Zwilling besteht immer aus drei Teilen: dem realen Objekt, seinem virtuellen Abbild und den interaktiven und beidseitigen Verbindungen zwischen diesen Objekten. Dabei muss das reale Objekt nicht zwingend bereits existieren. Der digitale Zwilling kann für ein bestehendes Objekt genauso erstellt werden, wie für eines, dass sich erst in Planung befindet. Auch ergeben Zweck und Zieldefinition, welche und wie viele Details das Modell enthalten soll. Nicht immer ist es notwendig, dass alle Einzelheiten abgebildet werden.
Anforderungen an Schnittstellen zwischen realem und digitalem Objekt
Ein digitaler Zwilling ist mittels Sensoren mit seinem realen Gegenstück verbunden und erhält Daten in Echtzeit. Wobei Echtzeit nicht zwingend «jederzeit» bedeuten muss. Für diese Schnittstellen können verschiedenste Technologien eingesetzt werden. Die Wahl einer geeigneten Technologie hängt vom jeweiligen Anwendungsfall und den Zielen ab. Bei der Auswahl ist das notwendige Intervall des Datenaustauschs, die notwendige Datenmenge pro Transfer, die Energiequelle (Batterie, Netzanschluss, etc.) sowie allfällig notwendige Daten-Auswertungen und Umwandlungen auf dem Sensor zu beachten. Für den Datentransfer zwischen dem Sensor und dem digitalen Zwilling können verschiedenste Technologien zum Einsatz kommen (WLAN, Mobilfunkt, Bluetooth, Ultra-Wide-Band, Long range wide area network (loraWAN) und andere).
Für Schnittstellen zwischen Elementen eines digitalen Zwillings kann zukünftig auch die Linked Data-Technologie eingesetzt werden. Mit Hilfe der ifcOWL-Ontologie können Bauwerksdaten (IFC-Modell) mit den Linked-Data-Technologien modelliert werden. Die IFC-Daten werden so in Form von Graphen verfügbar. Dieses Graphenmodell eines Objektes und die zugrundeliegende Webtechnologie ermöglichen die Verknüpfung von Gebäudedaten mit Materialdaten, GIS-Daten, Daten von Produktherstellern, Sensordaten, Klassifizierungsschemata, sozialen Daten und vielen mehr.
So viel wie nötig, so wenig wie möglich
Es gibt nicht DEN digitalen Zwilling, der für alle und alles funktioniert. Ziel, Sinn und Zweck und Mehrwert unterscheiden sich je Lebenszyklusphase und definierten Anwendungsfällen . Daher muss die konzeptionelle Ausrichtung, die Zusammenstellung der Elemente und die Prüfung und Auswahl der technischen Möglichkeiten darauf abgestimmt werden.
Der Weg zum digitalen Zwilling
Mit den Grundlagen aus einer internationalen Literaturrecherche wurde ein Konzept erarbeitet, um einen digitalen Zwilling für die Nutzungsphase eines Gebäudes zu entwickeln. Dieses ist für Gebäude als auch für Infrastrukturbauten anwendbar.
Zur Initialisierung eines digitalen Zwillings müssen verschiedene Schritte durchlaufen werden (vgl. nachfolgende Abbildung). Zunächst wird das Konzept entwickelt (Schritte 1 und 2). Anschliessend ist ein Umsetzungskonzept zu erstellen mit den detaillierteren Spezifikationen, bevor schlussendlich die Umsetzung erfolgen kann (Schritte 3 und 4).
Procedere zur Initialisierung eines digitalen Zwillings. Quelle: Caduff/Müller-Barkhausen (2022)
Die Elemente eines digitalen Zwillings
Zu den Bestandteilen eines digitalen Zwillings gehören reale als auch digitale Elemente. Zu den realen Elementen zählen auch die Nutzer*innen, da diese durch ihre direkte oder indirekte Interaktion und Nutzung mit dem Objekt verbunden sind. Des Weiteren sind die im realen Objekt verbauten Sensoren, die Schnittstellen für den Datenaustausch sowie das digitale Bauwerksmodell zentrale Bestandteile. Die verschiedenen Akteur*innen greifen auf die Informationen des digitalen Zwillings anhand dieser Schnittstellen zu. Dabei werden diese Informationen auch grafisch anhand eines digitalen Bauwerksmodells dargestellt.
Gesamtsystem digitaler Zwilling. Quelle: Caduff/Müller-Barkhausen (2022)
Herausforderungen im Kreieren und Arbeiten mit digitalen Zwillingen
Aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten und Fragestellungen, die ein digitaler Zwilling theoretisch eröffnet, erreicht das System rasch eine hohe Komplexität. Für die Initialisierung, Konzeption, Realisation und den Betrieb von solchen komplexen Informatik-Systemen sind die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen der Projektmitglieder sowie eine geeignete Projektmanagementmethode von entscheidender Bedeutung. Für den initialen Aufbau eines digitalen Zwillings wird empfohlen, sukzessiv vorzugehen und die Maturität des digitalen Zwillings schrittweise zu erhöhen.
Zukünftige Möglichkeiten und Chancen
Digitale Zwillinge sorgen dafür, dass sich die reale und die virtuelle Welt vernetzen. Das volle Potenzial werden sie jedoch erst entwickeln können, wenn die bisher isolierten Lösungen und Anwendungsfälle wiederum miteinander vernetzt werden und Erkenntnisse im Rahmen von «Open Data» und «Knowledge Sharing» geteilt werden. Auch durch die Nutzung von Metadaten anderer digitaler Zwillinge ergibt sich weiteres Potenzial zur Optimierung und Entwicklung von Zustandsprognosen im Lebenszyklusmanagement.
Zu den Autor*innen
Luzian Caduff hat an der ETH Zürich im Bachelor «Geomatik und Planung» und im Master «Raumentwicklung und Infrastruktursysteme» studiert. Nach dem Studium hat er sechs Jahre im Bereich der strategischen Verkehrsplanung mit einem starken Geo-Kontext gearbeitet. Seit bald drei Jahren ist er beim Amt für Geoinformation des Kantons Thurgau als Projektleiter angestellt. Im Frühling 2022 hat er den «CAS GeoBIM» an der FHNW absolviert. Für öffentliche Verwaltungen werden digitale Zwillinge zukünftig immer wichtiger, um die bereits bestehenden Daten im Tief- und Hochbau miteinander zu verknüpfen. Durch die optimale Nutzung der BIM- und GIS-Systeme kann daraus ein Mehrwert generiert werden.
Anika Müller-Barkhausen hat an der TU Berlin Architektur studiert. Ihr Weg führte Sie danach allerdings in die Schweiz und in die Facility Management Welt. Nach bald 10 Jahren in verschiedenen Positionen bei einem internationalen Facility Services Konzern, ist sie seit kurzem in der Unternehmensberatung bei der pom+ consulting AG tätig. Anika hat sich für den «CAS GeoBIM» an der FHNW entschieden, um herauszufinden wie BIM- und GIS-Daten einen Mehrwert für die Betriebsphase von Immobilien und Infrastrukturen bilden können.
CAS Geoinformationen und BIM
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