17.12.2024 | Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel, Institut Kunst Gender Natur
Martin Wöllenstein, Gewinner des NEXA Awards 2024, über seinen Atelieraufenthalt im Sitterwerk
Martin Wöllenstein, Studierender im Master-Studiengang Experimental Design an der HGK Basel berichtet als Gewinner des NEXA Award 2024 über seinen mit dieser Auszeichnung verbundenen Atelieraufenthalt im Sitterwerk in St. Gallen.
Der Next Generation Sustainability Award (NEXA) wurde initiiert, um Projekte von Studierenden und Thesis-Arbeiten von Alumnae:i der HGK Basel zum Thema Nachhaltigkeit transdisziplinär sichtbar zu machen und zu fördern.
Im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche FHNW hat die HGK Basel im März 2024 erstmals die NEXA Awards verliehen. Drei von einer Jury ausgewählte Projekte wurden ausgezeichnet und mit je einem Atelieraufenthalt in der Stiftung Sitterwerk in St. Gallen prämiert.
Die mit dem Gewinn eines NEXA Awards verbundenen Atelieraufenthalte fanden im August 2024 statt und beinhalteten die Nutzung des Projektateliers, des Werkstoffarchivs und der Kunstbibliothek der Stiftung Sitterwerk in St. Gallen sowie einen öffentlichen Anlass vor Ort.
Martin Wöllenstein, Studierender im Master-Studiengang Experimental Design am Institute Experimental Design and Media Cultures (IXDM) der HGK Basel, wurde für sein in Takoradi (Ghana) verortetes Projekt «Nnoboa Space Circular Design Education & Youth Empowerment in Ghana» mit einem der insgesamt drei NEXA Awards 2024 ausgezeichnet.
Über seinen mit dieser Auszeichnung verbundenen Atelieraufenthalt im Sitterwerk vom August 2024 berichtet Martin Wöllenstein wie folgt:
«Während der Residenz arbeitete ich an einer Intervention in der Bibliothek des Sitterwerks, die ein spezielles Ordnungskonzept aufweist. Jeden Abend scannen Roboter:innen sämtliche Bücher der Sammlung und verzeichnen so die aktuelle Position jeder einzelnen Publikation. Dadurch ist es möglich, Bücher nach dem Lesen an einen beliebigen Ort im Regal zurückzustellen. So entstehen ständig neue Ordnungen und Zusammenhänge. Dieses System wird als «dynamische Ordnung» beschrieben. Es erzeugt eine besondere Art von Freiheit bei der Nutzung der Sammlung.
Die sich daraus ergebende kontinuierliche Bewegung der Bücher inspirierten mich zu einer poetischen Auseinandersetzung mit der Bibliothek des Sitterwerks. Dazu nahm ich zunächst sämtliche Publikationen mit rötlichem Buchrücken aus den Regalen. Dann stellte ich sie so wieder zurück, dass sie über die gesamte Höhe aller fünf Regale einen Grossbuchstaben bildeten. Aus diesen «Bücherintarsien» entstanden im Verlauf mehrerer Tage allmählich alle Buchstaben des Alphabets, die ich jeweils fotografisch dokumentierte. Diese Buchstabenbilder können genutzt werden, um damit Wörter und Sätze zu schreiben. Somit habe ich mir einen semi-analogen Setzkasten erstellt, der aus Tausnenden Büchern zusammengefügt ist.
Es war ein besonderer Moment, als mir Eveline Wüthrich von der Kunstbibliothek des Sitterwerks den Schlüssel zur Sammlung übergab. Plötzlich war es möglich, zu jeder Uhrzeit dort zu sein. Geschichten von Bibliotheken bei Nacht gingen mir durch den Kopf. Es hat mich immer fasziniert, was nachts an Orten passiert, die wir nur tagsüber nutzen.
In den warmen Augusttagen meines Atelieraufenthalts im Sitterwerk widmete ich mich tagsüber anderen Projekten und ging schwimmen. Die Nächte verbrachte ich in der Bibliothek. Es waren magische Momente des Abtauchens und Herumstöberns. Letztendlich war ich selten ganz allein, weil es in der Bibliothek ein Gästezimmer gibt, das sich grosser Beliebtheit erfreut. Durch dieses aussergewöhnliche Angebot ergaben sich interessante Begegnungen. Doch irgendwann gingen auch die Gäst:innen der Bibliothek schlafen. Dann war die Bibliothek leer. Bei ausgedehnten nächtlichen Streifzügen durch die Reihen fand ich viele Bücher, die mich überraschten.
Ich begann mich zu fragen, was diese Bibliothek in ihrer Gesamtheit wohl für eine Persönlichkeit hätte? Was würde sie uns sagen, wenn sie sprechen könnte? Als eine Vielzahl von Stimmen, Materialien, sichtbaren und unsichtbaren Regeln. Sicher ist, dass ihre Vorstellungskraft durch die Auswahl der Autor:innen und Inhalte begrenzt ist. Vielleicht würde sich die Bibliothek wünschen, mit anderen Büchereien in Kontakt zu treten. Vielleicht würde sie sich Austausch mit Autor:innen anderer geografischer, sozialer und kultureller Herkunft oder sexueller Orientierung erhoffen.
Es gibt übrigens bereits eine kritische Untersuchung mit dem Titel «Teaching the Radical Catalogue» über die Zusammensetzung der Sammlung im Sitterwerk, die von feministischen Forscher:innen der HGK Basel vorgenommen wurde. Diese Studie hat ergeben, dass die Bibliothek des Sitterwerks klare Voreingenommenheiten («Biases») hat, in der Art, wie sie zu uns spricht.
Mit diesem Gedankenexperiment hörte ich in den Augustnächten im Sitterwerk den Büchern zu. Und empfing von ihnen dabei so manche Botschaft ...
Die Ausschreibung für die NEXA Awards 2025 der HGK Basel ist hier einsehbar.