Interdisziplinärer Workshop
Ästhetische und künstlerische Praktiken als Reorganisation von Wahrnehmungsweisen
Projektbeschreibung
Am 1.-2. September 2023 veranstaltet Fatma Kargin zusammen mit Manuel Zahn einen interdisziplinären Workshop an der Universität zu Köln in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel. Der Workshop widmet sich der Diskussion und phänomenologischen Weiterführung der Thesen von Alva Noë zur reorganisierenden Funktion der Kunst aus verschiedenen empirischen und theoretischen Perspektiven, z. B. anhand von Bildern, Filmen, Installationen, Musik, Literatur, Performance oder Tanz.
Noë argumentiert in seinem Buch Strange Tools. Art and Human Nature (2015) ähnlich zu praxistheoretischen Ansätzen, dass menschliches Leben durch organisierte Aktivitäten strukturiert ist. Alle menschlichen Tätigkeiten (Wahrnehmen, Sprechen, Gehen, Essen u.a.m.) sind in komplexe Strukturen der Organisation eingelassen. Dabei ist das Entscheidende seiner Argumentation, dass diese Organisationsstrukturen nicht (oder nur zum Teil) von Menschen selbst geschaffen sind. Menschen erfinden, inszenieren oder steuern nicht die komplexen und dynamischen Muster, diese sie organisieren. Die Künste oder im weiteren Sinne ästhetische Praktiken haben nach Noë wiederum die Möglichkeit, die organisierenden Strukturen unserer alltäglichen Aktivitäten hervorzuheben, also Aspekte der Art und Weise, wie wir uns als Menschen organisieren, offenzulegen. Alle Künste sind in diesem Sinne reorganisierende Praktiken. Noë führt das in seinem Buch am Beispiel des Tanzes bzw. der Choreografie näher aus.
In The Entanglement (2023) nimmt Noë diese These erneut auf und differenziert sie aus, indem er ästhetische Praktiken bzw. eine ästhetische Haltung des Menschen nicht nur in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken situiert, sondern ihre Bedeutung auch in (scheinbar) alltäglichen Wahrnehmungs- und Kommunikationssituationen untersucht.
Vor diesem theoretischen Hintergrund interessiert uns, wie sich das Verhältnis von organisierten Aktivitäten und reorganisierenden Praktiken in anderen künstlerischen Feldern und ästhetischen Praktiken zeigt. Um hier nur einige Beispiele zu nennen:
- Mit den Netzkulturen sind neue Formen der kollektiven Bildproduktion entstanden, die sich nicht länger nur auf menschliche Subjekte zurückführen lassen, sondern deren Produktion sich auf mehrere menschliche und nicht-menschliche Akteure verteilt. Daran anschließend stellen sich die Fragen: Welche Rolle spielen die Dinge, Techniken und Technologien, eben nicht-menschliche Akteure, für reorganisierende Praktiken? Und wie lassen sich reorganisierende Praktiken als verteilte erforschen?
- Bilder, Performances, Installationen und Skulpturen in musealen Kontexten und in öffentlichen Räumen reorganisieren die Denk- und Wahrnehmungsdispositionen ihrer Betrachter:innen. Inwiefern ist diese Reorganisation zeitlich und räumlich begrenzt? Wie können die Prozesse der Kunstbetrachtung als Reorganisation erforscht und sichtbar gemacht werden? Und wo liegen die Grenzen einer solchen Sichtbarmachung?
- Auch filmische Montagepraktiken können im Sinne von Noë als Reorganisation der filmischen Wahrnehmungs- und Denkmöglichkeiten verstanden werden. Welche Rolle spielt hierbei die Medienspezifik der filmischen Montage (Film, Video, Digital Video)? In welchem Verhältnis stehen die erweiterten filmischen Darstellungs- und Inszenierungsstrategien zu veränderten Wahrnehmungsweisen? Woran zeigen sich die Veränderungen von Wahrnehmungs- und Denkdispositionen bei den Filmbetrachter:innen?
Ähnliche Fragen lassen sich auch für die Musik, das Theater oder die Literatur formulieren. Übergreifende systematische Fragen wären zudem: Gibt es klar definierbare Grenzen/Unterschiede oder fliessende Übergänge von organisierten Aktivitäten und reorganisierenden Praktiken? Was machen die Unterschiede der reorganisierenden Praktiken im Ästhetischen aus? Besonders interessiert uns die Frage danach, wie und woran sich die Reorganisation in unterschiedlichen Bereichen des Ästhetischen sichtbar macht, und auch wie sie sich empirisch untersuchen lässt.
Der Workshop richtet sich an Wissenschaftler:innen, insbesondere (Post-)Doktorand:innen aus erziehungswissenschaftlichen, philosophischen sowie kunst- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Er soll die Gelegenheit dazu geben, Noës Thesen zu reorganisierenden Praktiken mit empirischen und theoretischen Zugängen in diversen künstlerischen und ästhetischen Bereichen gemeinsam zu diskutieren, wahrnehmungstheoretisch zuzuspitzen oder auch phänomenologisch weiterzuführen. Es können in diesem Rahmen sowohl empirische Forschungsprojekte als auch theoretische Überlegungen vorgestellt werden, möglich sind auch experimentelle Zugänge zu Fragestellungen und Thesen im Kontext von Noës Theorie.
Projektteam und Organisation
Fatma Kargin (Kunstpädagogik, HGK Basel, GCSC – JLU Gießen)
Prof. Dr. Manuel Zahn (Ästhetische Bildung, Universität zu Köln)