Skip to main content

6.2.2023 | Hochschule für Technik und Umwelt

«Es braucht viel Motivation – und einen sturen Kopf»

Philip Colombo hat seinen Bachelorabschluss in Informatik an der FHNW geschafft. Dafür nötig waren neben der Begeisterung für schönen Code viel Kreativität, Geduld, ein gutes Gedächtnis und Improvisationstalent: Philip ist nahezu blind – doch dadurch lässt er sich nicht von seinen Träumen abhalten.

Philip Colombo an der Diplomfeier der FHNW.

Geschafft: Philip Colombo erhält sein Bachelordiplom von Studiengangleiter Prof. Dr. Christoph Denzler

Phillip ist ein selbsternannter Nerd, Optimist und Künstler und hat in diesem Sommer sein Bachelorstudium in Informatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) abgeschlossen. Ausserdem gehört er zu den rund 375'000 Personen in der Schweiz, die ihren Alltag mit Sehbehinderung bewältigen.

Ich treffe Philip an der FHNW in Brugg, wo er die Vorlesungen besucht hat. Er schreibt mir vorher: «Ich warte vor dem Gebäude 6. Du erkennst mich an meinem weissen Blindenstock.» Den leicht selbstironischen, feinen Sinn für Humor, der bereits in seinem Mail durchblitzt, zeigt sich auch in Person. Wir gehen durch das Gebäude zur Café-Bar.

Seine Begeisterung für Informatik entdeckte Philip als Kunststudent an der FHNW – damals war er noch sehend. Er interessiert sich für interaktive Kunst: «Mich faszinierte, dass im Gegensatz zu einem Bild oder Film eine Interaktion mit dem Betrachter entsteht und dass das Erlebnis für jede Person individuell ist.» Um seine Kunst umzusetzen, lernte er zu programmieren. Noch während des Studiums verschlechterte sich seine Sehkraft schnell. Eine genaue Diagnose hat er nie erhalten, der Verdacht war bei einer degenerativen Erkrankung des Sehnervs. Heute ist er beinahe ganz erblindet, nimmt nur noch hell und dunkel wahr. Doch er ist eine Kämpfernatur: «Die einzige Alternative ist, alles hinzuwerfen und nichts zu tun – das entspricht mir nicht.»

Nach dem Kunststudium versuchte sich Philip, in seiner Nische als Programmierer für Kunstprojekte zu etablieren. «Doch ich merkte, dass mir eine gewisse Professionalität in der Informatik fehlte. Deshalb entschied ich mich für das Informatikstudium an der Fachhochschule Nordwestschweiz.»

Lösungen finden gehört zum Studienalltag

Als nahezu blinder Mensch ein Studium in Angriff zu nehmen, bedeutet, sich zahlreichen Hürden zu stellen. Von der Schweizer Fachstelle für Sehbehinderte im beruflichen Umfeld (SIBU) und der IV bekam Philip technische Unterstützung – etwa einen Screenreader, der geschriebenen Text in Sprachausgabe umwandelt. Zudem hiess es, mit jedem einzelnen seiner Dozierenden an der FHNW das Gespräch zu suchen und Lösungen zu finden – etwa, dass er die Unterlagen bereits vor dem Unterricht erhielt oder die Prüfungen seinen Möglichkeiten angepasst wurden.

Ein Laptop, der mit einem Screenreader ausgerüstet ist.

Technische Hilfsmittel wie ein Screenreader helfen, den Studienalltag zu bewältigen.

«Meine Erfahrung ist, dass sich immer gute Resultate finden lassen, wenn man auf Menschen zugeht», sagt Philip. Dazu gehört aber auch die richtige Einstellung: «Ich glaube, die Dozierenden haben auch gesehen, dass ich wirklich etwas lernen wollte.»

Der Prozess war auch für die Dozierenden eine Lernerfahrung. Sie mussten sich beispielsweise angewöhnen, genau zu beschreiben, was auf den Folien stand, statt davon auszugehen, dass die Bilder selbsterklärend sind. «Das hat auch meinen Mitstudierenden geholfen», lacht Philip. «Sie haben mir oft erzählt, dass sie den Unterricht so viel besser verstehen.»

Das Nachbearbeiten der Vorlesungen nahm für Philip mehr Zeit in Anspruch als für den durchschnittlichen Studierenden – er hat daher nur halb so viele Vorlesungen pro Semester belegt. Das Studium hat daher sechs Jahre gedauert.

Unendliche Möglichkeiten

Programmieren bedeutet für Philip eine riesige Möglichkeit, seine grosse Kreativität auszuleben: «Programmieren hat für mich etwas Unendliches. Die einzige Grenze ist mein eigener Kopf – der Computer macht, was immer ich ihm sage. Code ist ausserdem ja textbasiert. Das heisst, ich kann damit auch nonvisuell endlos schöpferisch und kreativ tätig sein und immer wieder etwas neues erschaffen.»

Konkret programmiert er in einem Texteditor und lässt sich den geschriebenen Code durch den Screenreader vorlesen. «Das klappt damit tiptop», sagt Philip.

Auch in der Informatik drückt sein Sinn für Kunst durch: «Mich fasziniert die Architektur von Software und die Schönheit von Code. Meinen Code rein auf Effizienz zu trimmen, liegt mir weniger.»

Die Vorteile von Braille

In seiner Freizeit ist Philip mit seinen Freunden unterwegs, zieht sich aber auch gerne in seine Wohnung zurück, um zu programmieren oder auf seinem Braille-Reader Science-Fiction-Bücher zu lesen. «Braille zu lernen, war nicht einfach. Das Alphabet ist zwar logisch aufgebaut, aber das Sensorium in den Fingern zu entwickeln, um die Buchstaben zu lesen, dauert seine Zeit.» Als Rechtshändler musste er ausserdem erst mal auf die Idee kommen, dass seiner linken Hand das Lesen einfacher fällt. Ganz der Optimist, sieht er heute aber auch Vorteile im Braillelesen: «Im Bett zu lesen, war früher immer etwas mühsam – entweder hält man das Buch über dem Kopf, bis die Arme müde werden, oder man muss sich irgendwie unbequem auf die Seite legen. Heute kann ich gemütlich auf dem Rücken lesen mit dem Buch neben mir auf dem Bett.»

Was würde er anderen sehbehinderten oder blinden Personen raten, die ein Informatikstudium in Angriff nehmen möchten? «Einen sturen Kopf», sagt er und lacht. «Dazu eine hohe Motivation, eine Bereitschaft, auf viele Menschen zuzugehen, Risiken einzugehen, zu kämpfen, und die Bereitschaft, auch mal Hilfe in Anspruch zu nehmen».

Diese Seite teilen: