28.11.2023 | Hochschule für Technik und Umwelt
«Die Optometrie hat einen grossen Wandel erlebt»
Die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW bietet als einzige Institution in der Schweiz ein Bachelorstudium in Optometrie an. Roger Crelier, langjähriger Studiengangs- und Institutsleiter Optometrie, spielte eine entscheidende Rolle beim Aufbau dieses Studiengangs – und der Entwicklung der Optometrie in der Schweiz hin zum Gesundheitsberuf. Zu seiner Pensionierung erzählt er aus seiner spannenden Karriere.
Roger Crelier, Instituts- und Studiengangsleiter Optometrie an der FHNW.
Wie sind Sie von der Augenoptiker-Lehre zum Instituts- und Studiengangleiter Optometrie an der FHNW geworden?
Roger Crelier: Nach einer klassischen Lehre zum Augenoptiker und dem damals höchsten Abschluss als diplomierter Augenoptiker begann ich 1988 als Dozent an der Vorgängerinstitution, der SHFA in Olten. Später absolvierte ich meinen Master in Optometrie in den USA und Deutschland. Im Jahr 2003 wurde ich Direktor der höheren Fachschule für Augenoptik, die schliesslich in die Fachhochschule Nordwestschweiz überführt wurde.
Das klingt nach einem langen Weg. Wie kam es, dass das Institut für Optometrie in die Hochschule für Technik FHNW eingegliedert wurde?
Ja, es war ein Prozess. Damals waren wir eine sehr kleine Einheit mit nur 20 Studierenden, davon 6 französisch- und 14 deutschsprachig. Zur Diskussion standen verschiedene Hochschulen der FHNW, da wir als Institut thematisch in keine der bestehenden Hochschulen so ganz hineinpassten.
Der Direktor der Hochschule für Technik FHNW, Jürg Christener, hiess uns willkommen, jedoch unter der Bedingung, dass es nichts kosten dürfe (lacht). Der Schweizer Optiker Verband SOV sicherte eine Defizitgarantie von 5 Millionen Franken über 10 Jahre zu. Daraufhin übernahm ich die Doppelrolle als Instituts- und Studiengangleiter. Das Institut wuchs rasch und war bereits nach zwei Jahren selbsttragend. Und in diesem Jahr werden 88 neue Studierende ihr Studium bei uns an der FHNW aufnehmen.
Optometrie kann man in der Schweiz einzig an der FHNW studieren?
Genau. Der Studiengang ist aber nicht nur in der Schweiz einzigartig, sondern auch europaweit speziell. Er war der erste Studiengang, der dem Europäischen Diplom für Optometrie des Europäischen Rates für Optometrie und Optik (ECOO) entsprach und akkreditiert wurde. Und es ist der einzige Ort, wo in deutscher und französischer Sprache studiert werden kann.
Können Sie uns mehr über das Europäische Diplom für Optometrie erzählen?
Das Europäische Diplom für Optometrie ist eine international standardisierte Ausbildung auf hohem Niveau, die wichtige Kenntnisse und Kompetenzen vereint. Ich war selbst an der Entwicklung dieses Diploms beteiligt, da das Binokularsehen, mein Spezialgebiet, eines der neun Kernthemen des Diploms war. Im Jahr 2000 wurden dann die ersten Diplome nach dieser Struktur verliehen.
Roger Crelier (1.v.r.) mit den Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Optometrie im Jahr 2022.
Welche Veränderungen haben Sie in der Optometrie seit Ihrer Studienzeit beobachtet?
Eine bedeutende Entwicklung war der Übergang von der Optik als Verkaufshandwerk hin zur medizinischen Dienstleistung der Optometrie. Die Schweiz ist hier vielen Nachbarländern voraus. Es erfordert jedoch ein Umdenken, sowohl in der Bevölkerung als auch in der Branche selbst.
Es ist also ein neues Berufsverständnis.
Genau, das ist ein grosser Wandel, der auch unsere Studierenden vor Herausforderungen stellt. Sie sind oft in Betrieben tätig, die diese Denkweise noch nicht vollständig übernommen haben. Sie spielen daher eine wichtige Rolle als Botschafterinnen und Botschafter dieser Vision im Markt.
Wie stellen Sie sicher, dass diese Vision in die Praxis umgesetzt wird?
Die Studierenden müssen 150 klinische Fälle nachweisen, wovon sie den grössten Teil in ihren Betrieben durchführen. Die Betriebe müssen die Studierenden dabei unterstützen und lernen, mit dieser neuen Art von Berufspraxis umzugehen.
Die Praxis spielt also eine entscheidende Rolle im Studiengang?
Ja, in der Schweiz bringen die Studierenden bereits viel Praxiserfahrung mit. Voraussetzung für den Studiengang ist entweder eine abgeschlossene Augenoptiklehre oder eine Matura plus ein Jahr Berufspraxis in einem Optometrie-/Augenoptikbetrieb. Im Vergleich dazu bringen Studierende in anderen Ländern oft keine optometrische Praxiserfahrung mit.
Die Studierenden und Dozierenden bringen in der Schweiz viel Praxiserfahrung mit ins Studium.
Welche Rolle spielte die Politik in Ihrer Karriere?
Die Politik spielte eine entscheidende Rolle. Wir haben hart daran gearbeitet, den Berufsstand als Gesundheitsberuf zu etablieren. Dies war ein langer Weg. Wir waren unzählige Male in Bern beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) und beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), um die Rolle des Optometristen und der Optometristin aufzuzeigen und ihre Anerkennung als Gesundheitsberuf zu fördern. Jürg Christener hat mich dabei oft begleitet.
Mit welchem Erfolg?
Mit grossem Erfolg. Das Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe trat 2020 in Kraft und regelt die Hochschulausbildung und die fachlich eigenverantwortliche Berufsausbildung und Ausübung für sieben Gesundheitsberufe, darunter auch die Optometrie. Dies wäre ohne unser Engagement wohl nicht geschehen.
Wie haben Sie erreicht, dass die Optometrie auf dieselbe Stufe wie andere Gesundheitsberufe gestellt wurde?
Die Zusammenarbeit der beiden damaligen Berufsverbände in der Optometrie und der Hochschulen spielte eine entscheidende Rolle. Obwohl grosse Ketten nicht interessiert waren, das Berufsniveau zu erhöhen, konnten wir die Behörden davon überzeugen, dass die Gesellschaft von der Anerkennung der Optometrie als Gesundheitsberuf profitiert. Wir sind Kostensenker im Gesundheitswesen, da Augenärzte vor allem in medizinischen Fällen benötigt werden und wir die nicht medizinischen Probleme lösen.
Wenn ich zurückschaue auf meine Karriere, ist dieses Gesetz ein Meilenstein, auf den ich sehr stolz bin. Die jungen Berufsleute, die ihr Bachelorstudium bei uns abschliessen, haben dadurch eine sehr gute Perspektive für ein spannendes Berufsleben mit guten Löhnen. Sie können in verschiedenen Gebieten eingesetzt werden.
Ihr Fachgebiet war das Binokularsehen. Haben Sie auch in der Forschung gearbeitet?
Ja, ich war in verschiedene Forschungsprojekte involviert. Ein wichtiges Projekt ist die BTSO (Binocular Test Sequence Olten), ein privat finanziertes Forschungsprojekt, das bereits sieben Jahre läuft und die Option auf eine Verlängerung um zwei Jahre hat. Wir haben uns auch auf hochauflösendes Eye Tracking spezialisiert, also darauf, wohin die beiden Augen bei bestimmten Aufgaben wie dem Lesen blicken. Allerdings blieb aufgrund meiner Doppelrolle als Studiengangs- und Institutsleiter nicht viel Raum für Forschung.
Sie waren nicht nur in der FHNW in doppelter Führungsfunktion tätig, sondern auch anderweitig engagiert.
Genau, seit 1983 bin ich Mitglied im Schweizerischen Berufsverband für Augenoptik und Optometrie und war zehn Jahre im Vorstand der Internationalen Vereinigung für Binokulare Vollkorrektion (heute IVBS) sowie zwei Jahre lang Präsident der European Academy for Optometry and Optics EAOO. Aktuell bin ich noch Mitglied im European Qualifications Board und werde da noch verbleiben können. Diese Aktivitäten ermöglichten es mir, Einblicke in die Ausbildungspraktiken anderer Länder zu gewinnen und die Rolle der Optometrie als Gesundheitsberuf besser zu verstehen. Die entstandenen Netzwerke waren äusserst wertvoll.
Hat Sie das inspiriert?
Ja. Aus diesen Beobachtungen heraus entwickelten wir Ideen, wie die Optometrie in der Schweiz gestärkt werden könnte. Es ist erfreulich zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln, wie oft wir positive Rückmeldungen von Absolventen erhalten und dass bedeutende Fortschritte auf politischer Ebene erzielt wurden. Es war zwar viel Arbeit, aber ich war nie frustriert, selbst wenn es Rückschläge gab. Die Unterstützung der FHNW war immer da. Wir fühlten uns nicht als Aussenseiter, sondern als Teil eines spannenden Forschungsnetzwerks.
Optometristinnen und Optometristen nutzen leistungsfähige Medizintechnik, um das visuelle System des Menschen zu untersuchen.
Welche technologischen Fortschritte gab es seit Ihrer eigenen Ausbildung in der Optometrie?
Die Grundprinzipien der Brillenglasbestimmung und Kontaktlinsenanpassung haben sich wenig verändert. Allerdings hat die Untersuchung des gesamten visuellen Systems, einschliesslich der Neurologie, an Bedeutung gewonnen. Wir betrachten heute nicht nur die Optik, sondern auch die Gesundheit des gesamten visuellen Systems. Unglaublich leistungsfähige Medizin-Technik steht uns heute dazu zur Verfügung.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein Beispiel ist die steigende Anzahl älterer Menschen, bei denen Sehprobleme wie die Makuladegeneration, das Glaukom oder die Diabetische Retinopathie altersbedingt häufiger auftreten. In solchen Fällen ist es fahrlässig, nur eine Brille anzupassen. Die Optometrie spielt eine wichtige Rolle bei der Früherkennung, und falls nötig der Zuweisung zu den Spezialistinnen und Spezialisten. Dadurch wird das Gesundheitssystem nachhaltig entlastet. Die meisten Sehprobleme werden auch direkt durch die Optometrie erkannt und die Patienten versorgt.
Ihre Pensionierung steht bevor. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Es fällt mir schon etwas schwer, loszulassen, aber ich weiss zum Glück, dass meine Aufgaben in guten Händen sind. Die Studiengangleitung habe ich bereits vor einem Jahr an Stéphane Hinni abgegeben, und er ist wirklich die richtige Person dafür. Das Institut ist nun seit dem ersten September in den Händen von Alex Müntz, auch er ein international ausgezeichnet vernetzter Kollege. Nun kann ich mich in Ruhe auf meine vielen Hobbies konzentrieren!
Ich hoffe, dass die Optometrie weiterhin wächst und dem Berufsstand eine spannende und erfüllte Zukunft ermöglicht.
BSc Optometrie
Weitere Informationen zum Bachelorstudiengang Optometrie finden Sie hier.
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