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Aus der Forschung

Aus der Forschung NatSpot Nr. 25

von Richard Schindler
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Gestaltung in Bildungseinrichtungen

Gibt es Tipps und Tricks, allgemeine Ratschläge, wie der Eingangsbereich einer Bildungseinrichtung optimal zu gestalten wäre? Ja, natürlich! Freundlich, hell und barrierefrei. Aber wem ist mit dieser Auskunft geholfen? Bauliche Gegebenheiten, äussere Umstände, finanzielle und personelle Bedingungen sind so unterschiedlich und zahlreich wie die Einrichtungen selbst. Wenn sich Einrichtungen optimieren wollen, ist es daher ratsam, sich einer reflektierenden Betrachtung zu stellen. Es gilt zu sehen, was zu sehen ist. Und darüber nachzudenken, was das Vorhandene eigentlich bedeutet. Was demnach allgemein zu sagen ist, sind methodische Hinweise, wie man sich der Gestaltungsaufgabe in der Einrichtung nähern kann: nämlich durch Zurücktreten, durch geduldiges, aufmerksames Hinschauen und den Versuch, gemeinsam zu erörtern, was genau bereits da ist und was dies bedeutet.

Wer Flur und Eingangsbereich von Schule oder Kita besser gestalten will, dem rät der Künstler Richard Schindler zurückzutreten und mit dem Blick eines unkundigen Besuchers zu schauen. Eine herausfordernde Aufgabe, die sich lohnt. Antworten auf diese lassen sich aus künstlerischer Erfahrung formulieren: Es geht darum, das Gelungene zu stärken. Gestaltung bestimmt, ob im Inneren von Bildungseinrichtungen ein Universum wartet oder Enge, ob Zugehörigkeit oder Verlorenheit.

Bei der Gestaltung unserer Umwelt, sei es im kleinen oder grossen Stil, schleichen sich nach und nach Verhältnisse ein, die so nicht gemeint waren: Die Kommode im Flur erweist sich als der praktischere Ablageplatz für Mäntel als die Garderobe hinter der Tür und der Bollerwagen ist besser da untergebracht, wo er gerade steht, als dort, wo es eigentlich beschlossen war. Meist sind solche Verhältnisse der Zweckmässigkeit geschuldet. Zwar war das alles nicht so gedacht, wie es jetzt ist, aber irgendwie hat es sich bewährt und in dieser Form auch durchgesetzt. Unwillkürlich stellt sich die Frage: Was für einen Gewinn bringen die so gelebten Verhältnisse, obwohl sie nicht erwünscht sind? Verallgemeinernd lässt sich sagen: Provisorien sind spontane Lösungen kleiner und kleinster Aufgaben, sind bildhafter Ausdruck der gelebten und tatsächlichen Individualität einer Einrichtung. Denn die Schule oder den Kindergarten gibt es nicht. Sie werden täglich neu erfunden: in Bildern, die uns Kinder durch ihr Tätigsein und Erwachsene in ihrer Arbeit anbieten. Gerade deshalb sind sie es wert, näher betrachtet zu werden. Erst wo Verhältnisse bewusst gesetzt sind, sich nicht allein alltagspraktischer Spontanität verdanken, sondern genau so auch gewollt sind, können sie verantwortet und letztlich auch geliebt werden.


Vor dem Eintritt kommt die Annäherung

Wie kommt man eigentlich zur Schule oder zum Kindergarten? Zu Fuss, mit dem Fahrrad oder dem Auto? Wie sieht das aus, was man sieht? Eine noble Wohngegend, ein Haus im Grünen? Was zuerst sieht man von der Einrichtung, wenn man sich nähert? Es klingt paradox, aber als bildende Künstler nähern wir uns einer Problematik, indem wir uns entfernen. Wir treten zurück, um dem fraglichen Sachverhalt näher zu kommen. Was aus der Ferne zu sehen ist, entzieht sich vielleicht dem eigenen Gestaltungsspielraum. Das Wohnumfeld kann nicht geändert, der Fussweg nicht mit Kies aufgeschüttet, der Fahrradweg nicht breiter gemacht werden. Aber es hilft, sich auf die eigene Einrichtung einzustimmen, wenn man sich mit dem geborgten Blick eines erstmalig kommenden Betrachters nähert. Manchmal entdeckt man dann auch Umstände, die sich unerwartet leicht verbessern lassen, wenn man das will. Ein Hinweisschild auf die Schule oder den Kindergarten etwa, das verdreht, nicht in die richtige Richtung weist und zudem von Gebüsch und Baum verdeckt ist, ist sichtlich seiner Funktion beraubt. Ortsunkundigen Besuchern wird es auf diese Weise nicht gerade leicht gemacht, zu finden was sie suchen. Mit geringem Aufwand wäre dem Umstand abzuhelfen. Aber wer ist zuständig? Wer nimmt sich der Sache an? Haben bisher nicht doch alle die Schule oder den Kindergarten gefunden? Bisher jedenfalls hat das noch niemanden gestört, reklamiert hat niemand. Egal, ob man dem Schild nun eine Bedeutung gibt oder nicht, es bleibt versteckt und es weist objektiv in eine falsche Richtung. Da man sich bisher nicht im Geringsten dafür interessierte, niemand es beachtete, niemand es korrigieren wollte, ist es offenbar eine akzeptierte Tatsache. Die weiter greifende Frage wäre: Wie eigentlich steht es sonst mit der Zugänglichkeit und Offenheit der Einrichtung? Weist da gar mehr noch in die falsche Richtung? Wird es nur an dieser Stelle Besuchern oder neuen Eltern und Kindern schwerer gemacht als nötig, um dorthin zu gelangen wohin sie möchten? Bei der Anmeldung etwa oder bei der Informationsbeschaffung im Internet? An dieser scheinbar simplen Beobachtung am Wegrand haben sich eine ganze Reihe von Fragen aufgeworfen, die sich lohnen weiter auszuformulieren und gegebenenfalls auch zu bearbeiten. Bei der Überprüfung der Annäherung an die Schule oder den Kindergarten können noch andere Möglichkeiten genutzt werden: die Internetplattform, auf der sich eine Einrichtung präsentiert oder der mögliche Blick aus der Vogelperspektive, wie sie Satellitenbilder im Internet liefern. Bleibt die Frage, was die beobachteten Sachverhalte bedeuten, wenn wir die gegebenen Verhältnisse wohnlicher und liebenswerter gestalten wollen.


Die Ist-Situation vergegenwärtigen

Vorerst ging es darum, plausibel zu machen, dass es lohnt, einmal weiter zurückzutreten, um zu sehen, wie sich die Annäherung an die eigene Einrichtung eigentlich gestaltet. Es sei ausdrücklich empfohlen, Verschiedenes auszuprobieren. Und zwar so wie ein Unkundiger, zu Fuss, mit dem Fahrrad, dem Auto oder im Internet. Herangehen durch Zurücktreten verschafft der Betrachtung den notwendigen Raum, um kreative Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken. Ein Portal ist keine Hintertür und einem Seiteneingang wird nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteil wie einem Haupteingang. Die Gestaltung bestimmt, ob drinnen ein Universum wartet oder Enge, ob Zugehörigkeit oder Verlorenheit. Entsprechendes gilt übrigens auch für Ein- und Ausgänge von Gruppenräumen. Vieles ist architektonisch vorgegeben. Die Herausforderung besteht darin, zuallererst Beschränkungen und Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen. Bevor es ans Umgestalten geht, gilt es wahrzunehmen, wie der Eingangsbereich der Kita aktuell aussieht. Was ist zu sehen, wenn man unmittelbar vor Tür und Tor steht? Deren Erscheinung ist von Bedeutung. Denn Tür und Tor bilden den Empfang und können unmittelbar kenntlich machen, was für eine Bildungseinrichtung betreten wird. Meist liegen bei einer Untersuchung und Vergegenwärtigung der Ist-Situation Ideen zur Problemlösung bereits nahe. Sie können verfolgt und geprüft werden. Fotos fokussieren, rücken ungeschönt, oder sichtbar geschönt, in den Fokus, was dem Alltagsblick vielfach entgeht. Sie sind Momentaufnahmen, die morgen schon ganz anders aussehen können. Das ist deshalb bedeutend, weil sie damit eine Relativierung der abgebildeten Verhältnisse erlauben. Hinzu kommt, Fotos erlauben 1. eine gemeinsame Betrachtung, sie machen 2. die Betrachtung der fraglichen Verhältnisse unabhängig vom Ort und können in jeder geeignet scheinenden Umgebung betrachtet werden. Sie ermöglichen 3. die Betrachtung des Abgebildeten für alle beteiligten Personen aus gleicher Perspektive. Die lässt sich zudem fotografisch einfach variieren, um beispielsweise eine Kinder- oder Erwachsenperspektive zu verdeutlichen. Was nichts anderes bedeutet, als die Wahrnehmungsbedingungen zu kontrollieren und nicht dem Zufall zu überlassen. Schliesslich lässt sich 4. die Bildbetrachtung zu jedem Zeitpunkt fortsetzen oder rückblickend überprüfen. All dies, zusammen mit dem empfohlenen geduldig sorgfältigen Umgang mit Bildern, verhilft der Analyse der Verhältnisse zu einem hervorragenden Start in die Entwicklung möglicher Gestaltungsalternativen.


Eintreten ist immer zugleich Austreten

Einen Kindergarten oder eine Schule betreten bedeutet, eine eigens eingerichtete Welt zu betreten. Damit verlässt man zugleich die Strasse, den öffentlichen Raum, das tägliche Einerlei. Eintreten ist immer zugleich Austreten. Das Erscheinungsbild von Ein- und Ausgängen macht erfahrbar, woher man kommt und wohin man geht. Interessanterweise kann dabei entweder das Eintreten oder das Austreten betont und besonders hervorgehoben sein. Das Beispiel (s. Foto) etwa zeigt, dass bei der Gestaltung nur der Ausgang (die Innensicht), nicht aber der Eingang (die Aussensicht) mitgedacht war. Das Hinweisschild wendet sich ausschliesslich an diejenigen, die das Gebäude verlassen. Weit bedeutender aber ist, ob der Ankommende willkommener Besucher oder unerwünschter Eindringling ist. Gleichgültig aus welcher Richtung er kommt oder geht. Weshalb es lohnt, in beide Richtungen zu sehen und natürlich auch auf Geräusche, Düfte, Lichtverhältnisse oder Materialien zu achten. Nicht selten ist der Ausblick attraktiver als der Ort, von dem aus man blickt. Manch ein Ausgang erscheint nicht wie ein Ausgang, sondern wie eine Absperrung vom vielfältigen Leben dahinter. Während paradoxerweise manch ein Eingang an eine Festung oder einen Banktresor erinnert. Im Bemühen, sich mehr Klarheit über Funktion und Bedeutung des Eingangs zu verschaffen, wird schnell deutlich, dass man es mit einer Grenze zu tun hat, deren Überschreitung Identitäten stiftet. Ist die Grenze überschritten, gelten andere Regeln. Beim Eintritt werden Enkelkinder auf zauberische Art und Weise zu Kindergartenkindern. Erwartungen und Zuschreibungen sind andere als zu Hause, andere auch als unterwegs auf der Strasse. Kinder lernen zunehmend, sich auch entsprechend zu verhalten. Männer und Frauen werden mit dem Betreten ihres Arbeitsortes augenblicklich verantwortliche, professionelle Erzieherinnen oder Erzieher. Und Eltern werden Auftraggeber, die für eine Dienstleistung bezahlen. Mit allen Rechten hinzusehen, zu prüfen und kritisch nachzufragen. Es kann nicht gleichgültig sein, in welcher Form die Verwandlung der Identität realisiert wird und was für ein Bewusstsein davon sich im Eingangsbereich zeigt.

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Foto 1: Die Sicht von aussen ist nicht mitgedacht (Foto: R. Schindler)


Räume und ihre Gestaltung bedeuten etwas

In zahlreichen Eingangsbereichen von Bildungseinrichtungen finden sich Schaukästen oder sogenannte Info-Tafeln, an denen auch Portraitfotos der Teammitglieder ausgestellt sind. Nicht unähnlich übrigens den zahlreichen Kinderportraits an persönlichen Aufbewahrungsboxen oder Umkleidehaken, gerade in unteren Klassenstufen der Primarstufe oder im Kindergarten. Die erkennbare Absicht ist leicht verständlich. Aber nur allzu oft gleichen diese Ansammlungen von Portraits Anzeigen von Vermissten und verschollenen Katastrophenopfern, wie sie das Fernsehen fast täglich zeigt. Es bedarf nicht viel, dies zu prüfen, und nur wenig ist nötig, es zu ändern, damit im Eingang nicht der Eindruck entsteht, hier seien Menschen abhandengekommen. Vergleichbares gilt für Aufbewahrungsorte von zurückgebliebenen Kleidungsstücken, Taschen oder Spielsachen, wie sie in jeder Einrichtung anfallen. Recht verstanden sind diese Dinge gerade keine Fundsachen, sie sind nicht unterwegs verloren gegangen, sondern (unbewusst) zurückgelassen worden. Sie verdienen, in Obhut genommen und sorgfältig aufbewahrt zu werden. Im angemessenen Umgang mit fremdem Eigentum artikuliert sich die achtsame und wertschätzende Haltung auch gegenüber den Eignern – ob jung oder alt. Lose Sammlungen oder Kartons im Eingangsbereich (weil da Eltern und Kinder allemal vorbeikommen) sind jedenfalls weder ein ansehnliches Bild, noch drücken sie aufmerksame Wertschätzung aus, wie sie doch in den meisten Profilbeschreibungen nachzulesen ist. Darum also sind Räume und ihre Gestaltung überaus bedeutsam: weil wir davon nicht nur gestimmt, sondern auch bestimmt sind. Gefängnisse, Schlösser, Zelte oder Baumhäuser lassen uns werden, was wir sind. Nicht nur Gefängniszellen machen Menschen unmittelbar erfahrbar, wer sie hier sind. Auch Arbeitsplätze und Gruppenräume machen Erwachsenen wie Kindern klar, wer und was sie sind.

Wenn wir akzeptieren, dass „Schule“ und „Kindergarten“ wie ein Bild betrachtet werden kann, dann stellt sich, wie bei der Betrachtung eines Bildes, auch die Frage nach den Betrachtungskriterien. Idealerweise müssen die Kriterien vom jeweiligen Gegenstand, sei der nun ein Bild oder die Ansicht einer Eingangstür, selbst vorgeschrieben werden. Dabei kann es hilfreich sein, professionelle Beratung zu holen. Nicht allerdings, um die selbstgestellte Aufgabe zu übergeben, sondern sie als fachlich versierte Begleiter eigener Anstrengungen in Anspruch zu nehmen. Anderenfalls nämlich laufen Team und Einrichtung Gefahr, zu bekommen, was vielleicht gut gedacht, aber der tatsächlichen Situation vor Ort nicht angemessen ist. In solchem Fall werden bewährte, gewachsene Verhältnisse übergangen und unter Umständen sogar zerstört. Denn ebenso wichtig wie die sich als notwendig herausgestellte Veränderung ist Kontinuität und eine Form der Verlässlichkeit, die in den gewachsenen Verhältnissen zum Ausdruck kommt. Wer also Gestaltungsfragen ernst nimmt und nicht nur andere fragt: „Was muss ich tun, damit es gut aussieht?“, der wird sich der Herausforderung stellen müssen. Er wird keine klugen Ratgeber fragen und sich mit Antworten zufriedengeben, die sich auf ästhetisches Gespür, Inspiration und Begabung berufen. Gibt es eine Alternative? Was soll man denn tun, wenn man den Flur, den Eingangsbereich der Einrichtung anders, besser gestalten will? Eine Antwort lässt sich aus künstlerischer Erfahrung formulieren: Es geht darum, das Gelungene zu stärken. Gestalteter Raum nämlich ist sinnhaft. Mehr und anders als ein Vogelnest, ein Fuchs- oder Dachsbau, die uns zum Staunen bringen. Gefängnisse waren und sind dazu gedacht, aus Menschen gute Menschen, nämlich gesetzestreue Menschen zu machen. Allein deshalb ist zu fragen: Was tun den Menschen trostlose Wohnsiedlungen an? Was lautstarke Schulen, chaotische oder überregulierte Kitas? In ihrer tatsächlichen Ausdrucksgestalt geben sie Zeugnis ab, was wirklich wichtig ist. Und zwar auch dann, wenn die Mittel beschränkt und das Vermögen zur Veränderung zu fehlen scheint. Man kann nicht nicht kommunizieren, man kann nicht nicht gestalten. Unablässig sind wir mit Gestaltung befasst. Versuchen wir also, es gemeinsam gut zu machen.


Vita und Leben

Richard Schindler ist bildender Künstler und Geschäftsführer der Freien Landesakademie Kunst GmbH in Freiburg. Der Autor lehrte als Gastprofessor u. a. an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und unterrichtete an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel sowie an der Hochschule Furtwangen. Er führt Kooperationsprojekte mit Bildungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen durch, und gibt der Kunst einen Ort im Sozialen. In Fort- und Weiterbildungsangeboten geht es darum, künstlerische Sichtweisen und Belange in Bildung, Berufsleben und Alltag zu fördern.

Wiedergabe des leicht veränderten und gekürzten Textes mit freundlicher Genehmigung von Kindergarten heute. Original ursprünglich unter dem Titel «Der Eingangsbereich. Methodische Hinweise zur Gestaltung» von Richard Schindler erschienen in kindergarten heute - Das Fachmagazin für Frühpädagogik -, 1/2014, S. 22-26. Zu lesen auch online.


NatSpot Nr. 25 Winter 2022

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