«Melody of Noise» (CH, 2016)
Filmabend und Podiumsgespräch vom 11. April 2018 im Kino Odeon, Brugg
Rückblick auf die Veranstaltung
Wie klingt der Schnee?
Ein Abend über die Melodie der Geräusche, die Definition von
Lärm und den Klang der Stille
Teresa Leonhard
Endlich ist sie da – die Frühlingszeit und mit ihr das Wieder-Erklingen (re-sonare) der Natur. Die Vögel wecken uns am Morgen, das Lachen der Kinder schallt durch die Strassen, der Sound der Rasenmäher durchzieht die Gärten. An solch einem Frühlingsabend des 11. Aprils lud Musik und Mensch gemeinsam mit Campus Cinema ins Odeon in Brugg ein. Auf dem Programm stand Gitta Gsells Dokumentarfilm «Melody of Noise» (2016), mit dem die Filmemacherin unsere Wahrnehmung an den Schnittstellen von Auditivem und Visuellem gekonnt verrückt: Vom konventionellen Musikhören hin zur „Geste des Zuhörens“ (Vilém Flusser), zum Suchen und Experimentieren, zum Lauschen und Staunen über die akustische Vielfalt unserer Umgebung. Die Nähmaschine spielt Gitarre, der Musiker trommelt auf Gras, der Bumerang singt Obertöne, die Pfanne erhält ein zweites Leben als Bühnenstar. Für das Duo «Bubble Beatz» ist der Schrottplatz ein kleines Paradies – sofern der Müll nicht schon entsorgt worden ist. Stunden verbringen sie zwischen Altmetallteilen, brauchbare Instrumente aussortierend. Der Drummer Julian Sartorius begibt sich auf Wanderungen durch die Natur und erkundet gehend – die Sticks immer mit dabei – die Klänge seiner Umwelt. Sieben Tage, wie er später live erzählen wird, hat ihn Gsell auf der Suche nach dem verlorenen Klang begleitet. Das Urgestein Elektronischer Musik Bruno Spoerri spürt „das Schöne im (scheinbar) Hässlichen“ (Zitat Spoerri) auf, wenn er die Melodie der knarrenden Gartentür auf- und damit ernstnimmt. Stefan Heuss, eine Art „Daniel Düsentrieb“ der Klangmaschinen lässt Maiskörner nach Zufallsprinzip auf Saiten spielen – Popcorn plays guitar. Relativ spät (und kurz) wird auch der Reichtum der menschlichen Stimme hörbar: Saadet Türköz lotet quasi als Kontrast zur stillen Winterlandschaft „mal einschmeichelnd“, mal aufschreiend“ das vokale Potential aus. Die porträtierten Klangsucher repräsentieren eine Diversität im Zugang zur Welt als grosses Instrumentarium. Setzen die einen mehr auf das performative Moment, Show und Imitation, konzentrieren sich andere auf das Explorieren in der Natur und die Frage der Transformation, wieder andere haben schlichtweg Spass am Bauen und Tüfteln. Die Grundintention, die alle verbindet, die Lust an der „Melody of Noise“ bringt Gsell auch visuell zum Ausdruck. „Es ist alles da“, sagt Sartorius und meint damit, dass im Material der Klang gespeichert ist. Die Idee einer Musik in den Dingen ist alt. In der Antike war die Rede von einer musica mundana, die nicht unbedingt hörbar ist. Am Anfang war der Klang?! „Ich fühle mich, als ob ich aus einem Bad heraustrete, irgendwie trocken ist es nun…“, antwortet Teresa Leonhard auf die Frage nach den ersten Eindrücken auf den Film, mit der Thomas Gröbly, Ethiker an der FHNW die an den Film anschliessende Diskussion eröffnete. Gröbly leitete vom Klang direkt über zu dessen Konterpart, der Stille. Ohne Stille kein Geräusch – oder gibt es keine Stille? Während sich Sartorius ohne Zögern letzterem anschloss und meinte, er höre ganz im Sinne John Cages immer etwas, bezog sich Leonhard auf die philosophische Idee der „Einfaltung“: So wie die Bewegung in der Ruhe schon eingefaltet ist – Ruhe also als höchste Bewegungsspannung – so ist der Klang in der Stille schon drin, aber (fast) unhörbar. Beide Diskussionsteilnehmer stellen die Idee des suchenden Forschens, die Notwendigkeit des sich überraschen Lassens und die Berührung von Klangreizen in den Mittelpunkt in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Für Sartorius ist es wichtig, das gefundene Material musikalisch interessant weiter zu verarbeiten; Leonhard nutzt diesen Materialpool auch gerne für eigene künstlerische Arbeiten. Alle sind sich einig, wie sehr die Beschäftigung mit „freien“ Klängen das Zuhören – letztlich eine zwischenmenschliche Qualität, ja ein gesellschaftlicher Diskurs von höchster Bedeutung, fördert. Dass in dieser elementaren musikalischen Beschäftigung immer die Frage nach dem Wesen der Musik mitschwingt, wurde nicht nur in der Diskussion relevant, sondern zeigt sich auch im Schulalltag, wie Leonhard ausholt und von musikphilosophischen Sternstunden mit Schülern erzählt. Von der Ordnung zum Chaos führte Sartorius die Anwesenden in seiner abschliessenden Kurzperformance auf Stühlen und Gläsern. „Ich habe die Augen geschlossen und zum ersten Mal in diesen Klängen Musik gehört“, so eine Zuhörerin, „es hat mich richtig gepackt, mein Puls wurde schneller“. Die Melodie der Dinge ist angekommen.
Theresa Leonhard | ISEK