5.7.2024 | Pädagogische Hochschule
Einblicke in Schulzimmer – durch Kameralinsen und Eye-Tracking-Brillen
Videos bieten unabhängig von Zeit und Ort Einblicke in den Unterricht an Schulen. Auf dem Unterrichtsvideo-Portal der PH FHNW ist eine breite Sammlung entstanden, die in Lehrveranstaltungen genutzt wird, um gezielte Beobachtungen zu machen und diese zu diskutieren.
«Die Lehrerin wirkte auf mich distanziert und sie hielt zum Einstieg einen recht langen Monolog.» – «Stimmt, zu Beginn wurden die Schüler*innen kaum aktiviert.» – «Dennoch machten sie einen aufmerksamen Eindruck. Überhaupt war das Klassenklima ruhig.» – «Da bin ich anderer Meinung, ich fand es zu Beginn recht laut.» Nur knapp sieben Minuten dauerte die Videosequenz, die sich die Studierenden im Reflexionsseminar von Franziska Bühlmann, Co-Leiterin ad interim der Professur für pädagogisch-psychologische Lehr- und Lernforschung der PH FHNW, zum Einstieg anschauten.
Ein Teil der Gruppe konnte sich die Unterrichtssequenz aus der Lehrpersonenperspektive anschauen, die anderen Studierenden beobachteten den gleichen Ausschnitt aus der Schüler*innen-Perspektive. Aus den sieben Video-Minuten wurde schliesslich eine deutlich längere Diskussion, in der neben der Wirkung der Lehrperson auch die Gestaltung ihres Unterrichtseinstiegs, dessen Inhalt und ganz allgemein das Klima in der Klasse und die Gestaltung des Schulzimmers ebenso thematisiert und diskutiert wurden, wie die Lernprozesse der Schüler*innen.
Die eingesetzten Videos stammen vom Unterrichtsvideo-Portal der PH FHNW, auf dem sich neben Videos aus der Lehrpersonen- und Schüler*innen-Perspektive auch Videos finden, die mit Eye-Tracking-Brille aufgenommen wurden. Diese zeigen genau die Blickbewegungen von Lehrpersonen während des Unterrichtens. So kann der Unterricht durch die Brille der Lehrperson betrachtet werden, was zusätzliche Möglichkeiten für die Unterrichtsanalyse und -reflexion ermöglicht.
Mit Aufgaben Fokus setzen
Aufgebaut haben das Portal Kerstin Bäuerlein und Sara Mahler mit ihrem Team an der Professur für Berufspraktische Studien und Professionalisierung, Sekundarstufe I der PH FHNW. «Ziel war es, unseren Studierenden, aber auch Lehrenden und Forschenden aktuelle Videos aus der Nordwestschweiz zur Verfügung stellen zu können. Gerade auf Sek-I- und Sek-II-Stufe gab es diese vorher kaum», so die beiden Initiantinnen.
Die Idee stiess auf Anklang: Die Entwicklung des Portals und die Erstellung der Videos wurden finanziell unterstützt durch den Innovationspool des Instituts Sekundarstufe I und II, den Lehrfonds FHNW und die Stiftung FHNW – und auch bei den Lehrpersonen stiessen Bäuerlein und Mahler auf offene Ohren und Türen. Einzig die Corona-Pandemie bremste die Umsetzung.
Mittlerweile sind aber aus allen Fächern der Sekundarstufe I und den Hauptfächern der Sekundarstufe II Videos online. «Zu allen Videos gibt es Begleitmaterial wie Planungsdokumente, Arbeitsblätter oder Lösungen von Schüler*innen, die einen vertiefteren Einblick in den Kontext der Unterrichtssequenz geben», sagt Kerstin Bäuerlein. Darüber hinaus stehen inzwischen zahlreiche videobasierte Aufgaben zur Verfügung, die in Lehrveranstaltungen sowie für das Selbststudium eingesetzt werden können. Diese nutzen nicht zuletzt das Potenzial, das die verschiedenen Videoperspektiven bieten. «Diese Aufgaben sind wichtig, um beim Beobachten einen Fokus zu setzen», so Sara Mahler.
Einblick in die Praxis – unabhängig von Zeit und Ort
Bäuerlein und Mahler, die Videos aus dem Portal selbstverständlich auch in ihren Lehrveranstaltungen einsetzen, heben insbesondere hervor, dass dank der Sequenzen unabhängig von Zeit und Ort Einblicke in die Praxis im Schulzimmer vermittelt werden können. «Die Studierenden haben aber dennoch eine gute Distanz und keinen Handlungsdruck und sie können sich die Sequenzen wiederholt anschauen und dabei beispielsweise auf verschiedene Aspekte achten», so Sara Mahler. Zudem können mittels Deep-Links gezielt bestimmte Sequenzen angesteuert werden, die zum Fokus der Lehrveranstaltung oder der Forschung passen. «So sehen die Studierenden die Herangehensweisen von verschiedenen Lehrpersonen und können diese analysieren», ergänzt Kerstin Bäuerlein.
Kameras gingen im Unterricht rasch vergessen
Im Reflexionsseminar nutzt Franziska Bühlmann die Videos zum Einstieg. «Die Studierenden werden in diesem Semester selbst noch kurze Videos von sich machen, aus denen sich dann konkrete Fallbesprechungen entwickeln», sagt sie. Diskutiert wird deshalb auch nicht ausschliesslich über die inhaltlichen Aspekte der Videosequenzen. Es geht auch darum, wann der Einsatz von Videos sinnvoll ist. Die Studierenden sehen viele Nutzungsmöglichkeiten: Sich selbst in Aussenperspektive zu sehen und analysieren zu können, erachten sie als gewinnbringend. Bei den Videos auf dem Portal sehen sie die Positionierung der Lehrperson im Raum und die Horizonterweiterung durch unterschiedliche Perspektiven als sehr sinnvoll an. Ein Student merkt aber auch an, dass Videos immer nur einen Ausschnitt zeigten: «Wir müssen also vorsichtig sein mit (Über-)Interpretationen.»
Zudem stellten sich die Studierenden die Frage, wie stark wohl die Präsenz der Kameras das Verhalten der Schüler*innen beeinflusst haben könnte. «Die Schüler*innen haben die Kameras im Schulzimmer erstaunlich schnell vergessen», ergänzt Kerstin Bäuerlein.
Und: «Auch die Lehrpersonen haben uns im Anschluss bestätigt, dass sich die Klassen wie immer verhalten haben.»
Bild und Text: Marc Fischer