28.2.2020 | Pädagogische Hochschule
«Wir greifen oft zu schnell ein»
Für ihre Bachelorarbeit an der PH FHNW hat Clarissa Aeschlimann untersucht, wie Adressierungspraktiken der Lehrperson die kindliche Motivation beeinflussen. Die wichtigste Erkenntnis daraus beherzigt sie heute als Kindergartenlehrperson: Sie übt sich in Zurückhaltung.
Mir war früh klar, dass sich meine Bachelorarbeit mit dem Thema Motivation beschäftigen sollte. Als Studentin machte ich die Erfahrung, dass die Art, wie eine Lehrperson vermittelt, meine Arbeitshaltung und –freude stark beeinflusst. Ähnliches hatte ich in der Erziehung meiner mittlerweile erwachsenen Kinder beobachtet: Ihre Kooperationsbereitschaft und ihre Einsatzfreude variierten, je nachdem, wie ich auf sie zuging.
In meinen Praktika und Arbeitseinsätzen in Kindergarten und Schule stellte ich fest, dass die Adressierung durch die Lehrperson einen grossen Einfluss auf das Lernen der Kinder hat. Adressierung meint die Art, wie wir einander ansprechen. Sie bezieht sich nicht nur auf das Gesagte, sondern beinhaltet auch Körpersprache, Mimik und Gestik. Für meine Bachelorarbeit analysierte ich Adressierungspraktiken im Kindergarten im Hinblick auf die kindliche Motivation.
Motivierte Handlungen gehen vom Kind selbst aus, sie orientieren sich an guten Erfahrungen oder sind getrieben vom Willen, etwas Neues zu lernen. Aus der Forschung wissen wir, dass drei psychologische Faktoren für motiviertes Handeln besonders relevant sind: das Bedürfnis nach Wirksamkeit, Selbstbestimmung und sozialer Eingebundenheit. Das Ziel meiner Untersuchung war es, herauszufinden, bei welchen Gelegenheiten Adressierungspraktiken der Lehrperson eines oder mehrere dieser drei Bedürfnisse untergraben – und damit die Motivation des Kindes gefährden. Zu diesem Zweck filmte ich eine erfahrene Kindergartenlehrperson im Unterricht und wertete ihre Interaktion mit den Kindern anhand motivationstheoretischer Kriterien aus.
Meine Auswertungen zeigten, dass von den drei psychologischen Grundbedürfnissen, die sozusagen Triebfeder kindlicher Motivation sind, das nach Selbstbestimmung am häufigsten untergraben wird. Die Lehrperson gibt vor, was zu tun ist und wann, die Kinder haben relativ wenig Mitspracherecht. Das ist nicht allzu erstaunlich: Wir erwarten von einer Lehrperson, dass sie Kinder auf die Gesellschaft vorbereitet, und gesellschaftliche Anforderungen sind nicht immer deckungsgleich mit dem Bedürfnis des Kindes auf Selbstbestimmung. Ich hätte jedoch erwartet, dass dieses Bedürfnis in Sequenzen freien Spiels kaum gefährdet ist. Meine Befunde, und das überraschte mich, sprechen eine andere Sprache. Das freie Spiel birgt im Hinblick auf kindliche «Motivationskiller» für uns Lehrpersonen nicht weniger Herausforderungen als geführte Lernsettings. Die grösste besteht darin, uns zurückzunehmen und es zu ertragen, wenn ein Kind beispielsweise «nur» herumsteht und «nichts» macht.
Meine Untersuchung zeigt, dass dann oft vorschnell eingegriffen, Vorschläge gemacht oder Anweisungen ausgesprochen werden. Die wichtigste Lehre, die ich aus meiner Arbeit gezogen habe, ist, mich in Zurückhaltung zu üben. Ich möchte immer wieder Situationen schaffen, in denen Kinder selbstbestimmt denken und handeln können. Jetzt, wo ich selber Lehrperson bin, merke ich, wie anspruchsvoll das ist. Aber meine Bachelorarbeit hat mich achtsam werden lassen. So mache ich beispielsweise regelmässig Videoaufzeichnungen von meinem Unterricht und analysiere sie. Nicht immer gefällt mir, was ich sehe – doch ich bin bereit, mich an der Nase zu nehmen.
Aufgezeichnet von Virginia Nolan
Exklusiv für Mitarbeitende und Studierende der PH FHNW: Die Beschreibung der Bachelor-Arbeit inklusive Download-Link zur Vollversion ist in der Qualifikationsarbeiten-Datenbank zugänglich (nur mit Login).