11.11.2024 | Pädagogische Hochschule
«Ich bin sicher, dass ich später im Berufsalltag davon profitieren kann»
Neu bietet die PH FHNW im Studiengang Sekundarstufe I einen Sonderpädagogik-Schwerpunkt an. Die Nachfrage ist gross – bei den Studierenden und bei den Schulen.
Das Spektrum der besonderen Förderung ist sehr breit. Es reicht von Dyskalkulie und Legasthenie über Autismus-Spektrum-Störungen bis zu anderen Verhaltensauffälligkeiten. Foto: AdobeStock
Olivia Schauli und Alfredo Giangreco gehören zu den Studierenden, die ein neues Angebot der PH FHNW nutzen. Seit dem laufenden Herbstsemester, das im September begonnen hat, ist es möglich, im Studiengang Sekundarstufe I den Schwerpunkt Sonderpädagogik zu wählen. Dieser wird von den Expertinnen und Experten des Instituts Spezielle Pädagogik und Psychologie (ISP) unterrichtet und ist speziell auf die Sekundarstufe I ausgerichtet. «Ich schliesse bald mein Studium ab und möchte im kommenden Sommer eine Real- oder Sekundarklasse im Aargau übernehmen», sagt Olivia Schauli zu ihren Beweggründen für die Schwerpunktwahl. In Praktika hat sie bereits Einblicke in diese tieferen Sek-I-Niveaus erhalten. «Der spezielle Förderbedarf ist hoch und die Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind nicht immer verfügbar, also wollte ich mir selbst Wissen in diesem Bereich aufbauen», so Schauli. Ähnlich klingt es bei Alfredo Giangreco. «Im Praktikum habe ich gemerkt, dass es schwierig ist, allen Schülerinnen und Schülern einer Klasse gerecht zu werden, und ich möchte deshalb mein Wissen im Bereich Sonderpädagogik vertiefen.»
Tatsächlich stellt die Sekundarstufe I mit leistungsdifferenzierten Modellen Weichen für die beruflichen Perspektiven und Bildungsbiografien der Jugendlichen. Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung von Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf, sondern auch um die Förderung leistungsstarker Jugendlicher sowie um die laufbahnbezogene Unterstützung aller Schülerinnen und Schüler beim Übergang in die Sekundarstufe II. Ein vermehrter Bedarf an sonderpädagogischen Kompetenzen von Sek-I-Lehrpersonen ist dabei
bildungspolitisch anerkannt. Die Umsetzung erfordert aber ein tragfähiges Profil und Funktionsdifferenzierungen von Sek-I-Lehrpersonen gegenüber Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen im Schulfeld.
Breite Palette an Bedürfnissen
Denise Gerstl, Schulleiterin der SeReal Chapf in Windisch ist seit vielen Jahren «im Geschäft», wie sie selbst sagt. «Das Spektrum der besonderen Förderung ist sehr breit», betont sie. Es reiche von Dyskalkulie und Legasthenie über Autismus-Spektrum-Störungen bis zu anderen Verhaltensauffälligkeiten, und die Zahl der betroffenen Kinder nehme zu. Das sieht auch Roman Bucher, Schulleiter Oberstufe Bünzmatt in Wohlen, so: «Die Heterogenität wird grösser.» Gerade zu Autismus-Spektrum-Störungen brauche es ein vertiefteres Wissen als früher. «Zudem ist es auch wichtig zu wissen, wie man als Lehrperson mit Eltern von betroffenen Kindern umgehen kann.»
Bereits Module besucht
Bereits vor der Einführung des Schwerpunkts Sonderpädagogik im Sek-I-Studium konnten Studierende Module aus dem Masterstudiengang Sonderpädagogik belegen. Sowohl Olivia Schauli als auch Alfredo Giangreco haben diese Möglichkeit in den vergangenen Semestern genutzt und sich unter anderem Kenntnisse über Lese-Rechtschreib-Schwäche, Hörbeeinträchtigung und über den Umgang mit Ungleichheiten angeeignet. «Damals besuchten wir die Lehrveranstaltungen gemeinsam mit den Studierenden des ISP», so Alfredo Giangreco. «Das führte zu einem interessanten Austausch und eröffnete neue Perspektiven.» Dennoch sei es sinnvoll, dass der Schwerpunkt nun komplett auf die Sek-I-Stufe ausgerichtet sei. Dies sieht auch Olivia Schauli so. «Im vergangenen Semester fand ich es manchmal schwierig, meine Rolle in den Lehrveranstaltungen zu finden, da die Studierenden
aus dem Masterstudiengang Sonderpädagogik schon viel mehr Erfahrung mitbrachten. Jetzt können wir uns in den Lehrveranstaltungen mit Mitstudierenden austauschen, die alle an einem ähnlichen Punkt in ihrem Studium stehen.» Zudem sei die konkrete Ausrichtung auf die Zielstufe Sek I sicher noch hilfreicher für den späteren Berufsalltag.
Hilfreich bei Bewerbungen
Der neue Schwerpunkt hat den Umfang eines Faches im Sek-I-Studium. Die Studierenden studieren dafür drei statt vier Schulfächer, wobei eines der Fächer Deutsch oder Mathematik sein muss. Die Nachfrage und die Anmeldezahlen für das laufende Semester sind hoch. «Ich bin sicher, dass ich davon später im Berufsalltag, aber auch bei Bewerbungen profitieren kann», ist Alfredo Giangreco überzeugt. Für ihn ist klar, dass er als Lehrer auf der Sekundarstufe I unterrichten möchte. «Ich könnte mir aber vorstellen, dass ich irgendwann auch noch den Sonderpädagogik-Master mache.» Olivia Schauli hat während ihrer Praktika und bei Stellvertretungen schon mit verschiedenen Schulleitungen über den neuen Schwerpunkt gesprochen. «Ich habe nur positive Rückmeldungen erhalten. Der Bedarf an den Schulen ist definitiv vorhanden», sagt sie. «Auf dem Arbeitsmarkt sind die erweiterten sonderpädagogischen Kenntnisse sicher ein grosser Vorteil. Ich habe sogar den Eindruck, dass die Schulleitungen vielleicht fast zu viel von uns erwarten könnten und uns als Schulische Heilpädagoginnen und -pädagogen einsetzen möchten.»
Schulleiterin Denise Gerstl bestätigt den Eindruck, den Olivia Schauli in ihren Gesprächen gewonnen hat. «Es ist eine sehr gute Entwicklung, dass die PH FHNW neu diesen Schwerpunkt anbietet», sagt sie. Lehrpersonen mit diesem Profil seien sicher gefragt. Gerade in den unteren Leistungszügen, wo Schülerinnen und Schüler oft in mehrfacher Hinsicht anspruchsvoll seien, helfe das Wissen aus dem Schwerpunkt Sonderpädagogik. Und: «Es ist auch eine Chance für das ganze Kollegium, wenn jemand solche vertieften Kenntnisse einbringen kann.»
- Marc Fischer -
Infoanlässe und Schnuppertage
Sind auch Sie interessiert, Lehrperson zu werden? Die PH FHNW bietet Studiengänge für alle Schulstufen sowie für Logopädie und Sonderpädagogik an. In den kommenden Wochen finden Infoanlässe und Schnuppertage zu den Studiengängen statt.
weitere InformationenVertiefte sonderpädagogische Kompetenzen für Lehrpersonen
Die Sekundarstufe I (Sek I) stellt mit leistungsdifferenzierten Klassen wichtige Weichen für die zukünftigen Berufsaussichten und Bildungsbiografien von Jugendlichen. Umso wichtiger ist eine Sek I, die allen Schülerinnen und Schülern Lernen, Teilhaben und einen erfolgreichen Übergang in die Sekundarstufe II (allgemeinbildend, berufsbildend) ermöglicht.
Unterschiedliche Lernausgangslagen auf der Sek I
Eine hochwertige Bildung für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist ein zentrales Ziel des schweizerischen Bildungssystems. Es geht darum, alle Schülerinnen und Schüler bei ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Ressourcen abzuholen. Auf der Sek I liegt der Fokus darauf, die Jugendlichen in ihrem fachlichen und überfachlichen Lernen zu stärken und sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation und ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen und bestmöglich zu fördern. Lehrpersonen und (sonder-)pädagogische Fachpersonen arbeiten gemeinsam an diesem Ziel. Gleichzeitig herrscht sowohl bei den Lehrpersonen als auch bei den (sonder-)pädagogischen
Fachpersonen ein Fachkräftemangel. Es ist deshalb umso wichtiger, angehenden Sek-I-Lehrpersonen in der Ausbildung vertieftes Wissen und Können mit auf den Weg zu geben, damit
sie mit den vielfältigen Anforderungen ihrer Schulstufe und den damit verbundenen Herausforderungen professionell umgehen können.
Schwerpunkt Sonderpädagogik
Seit dem Herbstsemester 2024 haben die Studierenden der Sek I an der PH FHNW die Möglichkeit, den Schwerpunkt Sonderpädagogik zu studieren – zusätzlich zu den Grundlagen für einen inklusiven Unterricht, der für alle obligatorisch ist. Mit diesem Schwerpunkt werden sonderpädagogische Kompetenzen innerhalb der Ausbildung zur Sek-I-Lehrperson umfassend verankert. Studierende, die diesen Schwerpunkt in ihrem Studium wählen, erwerben erweitertes Wissen und Können, um inklusiven Unterricht zu planen, zu gestalten und umzusetzen, die Schülerinnen und Schülern besser zu begleiten und ihre Partizipation zu stärken, die Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik zu fördern und Jugendliche
in ihrer jeweiligen Lebenssituation und beim Übergang in die Sekundarstufe II zu unterstützen. Dazu gehören auch Grundlagen zu (kollegialer) Beratung, die Fähigkeit, inklusions- und sonderpädagogisches Wissen weiterzugeben sowie eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung und dem eigenen professionellen Handeln.
Attraktive Qualifizierungswege und Stärkung der Schulen
Der Schwerpunkt stärkt die inklusions- und sonderpädagogische Expertise von Lehrpersonen auf der Sekundarstufe I. Lehrpersonen mit Schwerpunkt Sonderpädagogik unterscheiden sich jedoch von Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, die fach- und stufenübergreifend über ein erweitertes inklusions- und sonderpädagogisches Tätigkeitsprofil verfügen. Der Schwerpunkt Sonderpädagogik kann, muss aber nicht, von Sek-I-Lehrpersonen als Brücke in die Schulische Heilpädagogik genutzt werden. Sek-I-Lehrpersonen
mit Schwerpunkt Sonderpädagogik werden Studienleistungen in einem späteren Masterstudium Sonderpädagogik Vertiefungsrichtung Schulische Heilpädagogik an der PH FHNW angerechnet. Das verkürzt die Studiendauer erheblich. Dadurch werden attraktive Qualifizierungswege von Sek-I-Lehrpersonen in die Schulische Heilpädagogik eröffnet und es wird ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Sek-I-Schulen im Bildungsraum Nordwestschweiz geleistet.
- Fachbeitrag von Janine Gut -