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20.11.2023 | Pädagogische Hochschule

Mit anderen Augen und Ohren für die Natur

Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) und Musik vereinen: Ein Unterrichtsprojekt der PH FHNW zeigt, wie das geht.

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Die Kinder erfahren im Spiel musikalische Parameter wie Lautstärke, Rhythmus oder Tempo. Foto: Julia Niederhauser

Die beiden Kindergartenlehrpersonen Sara Barmettler und Sarah Bossert von der Schule Buochs NW wollten eigentlich im Rahmen ihres Unterrichts mit den Schülerinnen und Schülern den Schmetterling behandeln. Dazu hätte sich der Schulgarten prima geeignet. Doch als sie sich genauer mit der Unterrichtsumgebung «Hortus Sonus» und den Unterrichtsmaterialien auseinandersetzten und den verwilderten Zustand des Gartens in ihre Planung mit einbezogen, kamen sie schnell zum Schluss: «Das wird etwas Grösseres. Warum beginnen wir nicht von Grund auf neu?», erzählt Sarah Bossert. Sie nahmen sich vor, gemeinsam mit ihrer Klasse den Garten neu zu gestalten.

Im BNE-Unterrichtsprojekt erarbeiteten sie mit den Schülerinnen und Schülern spielerisch und experimentierend mit Mitteln der Musik ein Verständnis über die Zusammenhänge in dem künftigen Biotop und spielten verschiedene Zielkonflikte durch, bevor sie wirklich zur Schaufel griffen und mit Roden und Anpflanzen begannen.

Klassik und zeitgenössische Musik

BNE-Unterricht fokussiert auf gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Zusammenhänge, während in der Musik Ausdruck und Kreativität im Vordergrund stehen – die beiden Zugänge sind vordergründig eher unterschiedlich. Dass sie aber dennoch ganz gut zusammenpassen, hat sich den beiden Lehrpersonen laufend gezeigt. Die musikalischen Unterrichtseinheiten hat Zita Bucher, Musikerin (Saxofon) und Rhythmik-Dozentin an der PH FHNW, entwickelt. «Garten und Musik – das ist keine exotische Paarung. Das Thema taucht in der impressionistischen klassischen Musik immer wieder auf», berichtet sie. «Man denke etwa an ‹Jardins sous la pluie› von Debussy.» Bucher hat verschiedene solcher Gartenfragmente aus der Klassik und der zeitgenössischen Musik recherchiert und zu einer Unterrichtssequenz zusammengestellt. 

Diese musikalischen Fragmente bildeten den Auftakt bei den beiden Lehrpersonen. «Wir haben mit der Klasse die einzelnen Musikpassagen den verschiedenen Situationen im Garten zugeordnet, haben uns von den Klängen zu Bewegungen inspirieren lassen, und so den Höreindruck der Kinder intensiviert », erzählt Sara Barmettler. Später ging es selbst ans Musizieren und klangliche Experimentieren. Die Kinder legten mit Symbolkarten kleine Partituren, wobei jedem Symbol ein oder mehrere Instrumente zugeordnet sind: So ist der Rasenmäher etwa eine Rätsche, die Blumenwiese ein Glockenspiel, die Maus ein Caxixi und so weiter. 

Zielkonflikte liessen nicht lange auf sich warten: Wenn man Fussball spielen will, muss die Wiese gemäht sein, was jedoch ein Nachteil für die Bienen und die Blumenvielfalt ist. Es gilt, die Balance zu halten. Wenn der Rasenmäher zu intensiv rätscht, geht das leise Klingen der Blumenwiese unter. Neben den musikalischen Parametern, welche die Kinder hier im Spiel direkt erfahren – Lautstärke, Klangfarben, Rhythmus und Tempo –, kommt auch demokratisches Lernen auf den Plan. Zuhören, die anderen Klänge zulassen, die eigenen nicht unterschlagen. «Wenn die Kinder ihre eigene musikalische Idee verfolgen, wenn sie merken, ich habe eine eigene Stimme, die ich variieren und mit Qualitäten aufladen kann, entsteht ein Gespür für musikalischen Ausdruck», fasst Bucher zusammen «und auch für die Zusammenhänge im Garten.» Das bestätigen die Erfahrungen von Barmettler und Bossert: «Die Kinder waren mit anderen Augen und Ohren für die Natur auf dem Schulweg unterwegs. Sie haben auf einmal viel Neues entdeckt und mit uns geteilt.»

Gemeinsam Entscheidungen ausgehandelt 

In der darauffolgenden Phase ging’s in die Stiefel und an die Schaufeln. Im verwilderten Garten sollten Beete angelegt und bepflanzt werden. Die Kinder handelten gemeinsame Entscheidungen aus, übernahmen Verantwortung, informierten die anderen Klassen, dass sie nicht über die Beete trampeln sollten, oder arbeiteten mit dem Hauswartteam zusammen. 

Julia Niederhauser hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin der PH FHNW das Unterrichtsprojekt mitentwickelt. «Die teilweise abstrakten Fragen im Kontext von nachhaltiger Entwicklung mit ihren komplexen Zusammenhängen lassen sich im 1. und 2. Zyklus mit musischen Zugängen sehr gut behandeln», sagt sie. «Das Übersetzen und Abstrahieren von einzelnen Aspekten etwa in die Sprache der Musik fördert das Verständnis und eröffnet einen kreativen Zugang.» Durch die Zusammenarbeit mit den musischen Fächern versucht das Unterrichtsprojekt, Visionen und Fiktionen in den ansonsten sehr realitätsbezogenen BNE-Unterricht zu holen. «Mit den Mitteln der Kunst entstehen andere Ideen und Lösungen, die die Lernenden in ihre Meinungsbildung mit einbeziehen können. Dieses spielerische Abwägen hilft ihnen, zu urteilsfähigen Personen zu werden.» Auch dies steht wieder im Bezug zum demokratischen Lernen. «In der Mitbestimmung und Handlungsorientierung liegt viel Potenzial für Bildungsprozesse», ist Niederhauser überzeugt. Auch die beiden Lehrerinnen stimmen dem zu, «aber es braucht auch die Flexibilität der Lehrpersonen, mit dieser Offenheit und Unberechenbarkeit umzugehen.»

- Michael Hunziker - 

Dieser Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung eines Artikels im aktuellen PH-Magazin «das HEFT». Die gesamte Nummer widmet sich dem Thema «Nachhaltigkeit in Bildung»

Unterrichtsumgebungen BNE und Kunstvermittlung

Im Forschungsprojekt «Garten bildet: BNE und Kunstvermittlung im Dialog» wurden vier unterschiedliche Unterrichtsumgebungen für die Zyklen 1 und 2 entwickelt. Die Entwicklung erfolgte in transdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, Kunstschaffenden und Lehrpersonen. Die Unterrichtsumgebungen unterscheiden sich je Klassenstufe und künstlerischem Zugang (Musik, Theater und bildende Kunst) respektive kreativem Ansatz (Design Thinking). Sie wurden von den Lehrpersonen mit ihren Klassen mehrmals erprobt. Erkenntnisse wurden mit einer Begleitforschung gesichert und werden derzeit als Lehr- und Lernmaterialien aufbereitet.

weitere Informationen

BNE und Kunstvermittlung im Dialog

Um im Unterricht gegenwärtige Fragen einer Nachhaltigen Entwicklung im Hinblick auf soziokulturelle, wirtschaftliche und ökologische Aspekte integriert zu bearbeiten, sind fächerübergreifende Bildungszugänge gefragt. Diese sollen es den Schülerinnen und Schülern einerseits ermöglichen, komplexen gesellschaftlichen Sachverhalten und Zusammenhängen auf die Spur zu kommen und sich fundierte Urteile zu bilden. Andererseits sollen sie aber auch Visionen, Imaginationen und das Denken von überraschenden Lösungsansätzen zulassen, um einen kreativen Umgang mit zukünftigen Herausforderungen zu üben. Im Forschungsprojekt «Garten bildet: BNE und Kunstvermittlung im Dialog» der PH FHNW werden diesbezüglich die Potenziale eines Zusammenkommens der beiden Konzepte Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) und kritische Kunstvermittlung ausgelotet. Dabei geht es primär um den Aufbau von Kompetenzen hinsichtlich einer Nachhaltigen Entwicklung. In einer BNE, die verbindlich im Lehrplan 21 verankert ist, bauen Schülerinnen und Schüler spezifische Kompetenzen auf, um künftige gesellschaftliche Entwicklungen mitzugestalten. Sie sollen bezüglich einer Nachhaltigen Entwicklung urteilsfähig werden sowie an entsprechenden Prozessen mitwirken können. Auch im Kontext von Kunstvermittlung, die einem gesellschaftskritischen Anspruch folgt, steht die Mitgestaltung einer gemeinsamen Zukunft im Zentrum. Es geht um die Ermöglichung ästhetischer Erfahrungsprozesse und die Sichtbarmachung von gesellschaftlichen Verhältnissen mittels künstlerischer Mittel und von Kunst aus. 

Zusammenkommen im Unterricht 

BNE-Unterricht orientiert sich an gesamtgesellschaftlich relevanten Fragestellungen einer Nachhaltigen Entwicklung, die einen Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler haben: «Was ist eine ’gute’ Verpackung?», «Wie sieht Mobilität in Zukunft aus?» oder «Was soll in unserem Garten leben und wachsen?». In der Bearbeitung solcher Fragen geht es darum, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, um sich entsprechend fundiert – jedoch nicht abschliessend – positionieren zu können. Ein solches Vorgehen bedingt einerseits zusammenhängendes Wissen spezifischer Inhalte, welche mehrperspektivisch aufgebaut und vernetzt werden, sowie andererseits Denk- und Arbeitsweisen unterschiedlicher Fachbereiche. Im Sinne einer Zukunftsorientierung sollen vielfältige Visionen hinsichtlich einer gesellschaftlichen Entwicklung Richtung Nachhaltigkeit geschaffen werden. 

Von Kunstvermittlung ausgehende künstlerische Prozesse sind wenig systematisiert und standardisiert, sondern zeichnen sich im Unterricht vielmehr durch situatives, prozessorientiertes und ergebnisoffenes Vorgehen aus. Die Erfahrung im Projekt hat gezeigt, dass durch den Einbezug von Kreativität, Fantasie und Imagination sowie durch kunstorientierte Vorgehensweisen wie Verfremdung oder Irritation ein Beitrag zum mehrperspektivischen Wissensaufbau und zur Entwicklung und Reflexion solch visionärer Zukunftsentwürfe geleistet werden kann. Durch das Zusammenkommen von BNE und Kunstvermittlung wird ein innovativer Weg aufgezeigt, wie Fragen im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung mit künstlerischem Eigensinn bildhaft, tonhaft oder performativ aufgenommen und im Unterricht sowohl künstlerisch wie auch diskursiv bearbeitet werden können.

- Fachbeitrag von Corinne Vez, Andrina Jörg und Julia Niederhauser -

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