18.3.2024 | Hochschule für Soziale Arbeit
Lernen mit allen Sinnen
Jeder Mensch lernt anders. Doch wie lernt man mit Freude und so, dass der Lernstoff dauerhaft im Gedächtnis bleibt? Das «Kreative Lernlabor» – ein Bündnis aus der Bachelor-Studienform Freiform der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW – wagt sich an neue Wege des Lernens: Mit Theaterspiel, Bewegung oder Musik nehmen Studierende Wissen nicht nur kognitiv auf, sondern durch eigene, körperliche Erfahrungen. Damit vertiefen sie die Lerninhalte und erwerben Kompetenzen, die ihnen im Studium und in der Praxis helfen.
Komplizierte Fachtexte zu verstehen, fällt nicht allen Studierenden leicht. «Wir haben beobachtet, dass viele Studierende grosse Hürden haben, sich überhaupt an Fachtexte zu setzen», sagt die Sozialarbeiterin und Schauspielerin Kathrin Iten. «Wir möchten ihnen diese Angst, diese Hürden nehmen. Die Studierenden sollen nicht nach dem ersten schwierigen Begriff aufgeben, sondern an einem Thema dranbleiben und versuchen, einen Text zu verstehen, auch ohne jedes Fachwort bereits zu kennen.» Kathrin Iten hat gemeinsam mit ihrer Kollegin und Sozialarbeiterin Jacqueline Zimmermann, beide von der Kreationsplattform DAS.VENTIL, ein Konzept entwickelt, das den Studierenden mittels kreativer Methoden neue Zugänge zu Fachtexten verschaffen soll: das «Kreative Lernlabor». Als sogenanntes Bündnis gehört es zur Studienform Freiform des Bachelor-Studiums in Sozialer Arbeit an der FHNW.
Freiform-Studierende im «Kreativen Lernlabor» mit Jacqueline Zimmermann (o.l.) und Kathrin Iten (u.r.), Bündnis-Praxispartner DAS.VENTIL (Fotos: Sabine Goldhahn)
Kreativität passt zur Freiform
«Bündnisse sind eine besondere Form von Projektarbeit im Rahmen der Freiform», erklärt Raphael Calzaferri von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, «sie werden von Fachpersonen aus der Praxis und von Dozierenden der Fachhochschule mit ihrer wissenschaftlichen Perspektive begleitet.» Das Bündnis «Kreatives Lernlabor» gibt es seit 2023 und es findet dreimal im Semester unter der Leitung von Iten und Zimmermann statt. Jedes «Kreative Lernlabor» beginnt mit einer Achtsamkeitsübung – dies hilft den Studierenden, körperlich und gedanklich im Raum anzukommen. Im zweiten Teil machen sie eine Improvisation zu den Fachtexten, die sie vorbereitet haben. Dies hilft ihnen zu erkennen, welche Passagen sie noch nicht verstanden haben. Erst dann können sie dieses fehlende Verständnis und Wissen mit Leichtigkeit angehen und einen spielerischen Umgang damit finden.
Wir wurden dazu angeleitet, aus dem Theaterspiel heraus über unsere Erkenntnisse nachzudenken. Durch die Reflexion meiner Erfahrungen habe ich nicht nur mehr über das Thema gelernt, sondern auch über mich selbst.
Nach drei Stunden endet jedes Lernlabor mit einer Reflexionsrunde. «In dieser Phase entstehen die tiefgründigen Überlegungen», sagt die Freiform-Studentin Jurate Fruman. «Wir wurden dazu angeleitet, aus dem Theaterspiel heraus über unsere Erkenntnisse nachzudenken. Durch die Reflexion meiner Erfahrungen habe ich nicht nur mehr über das Thema gelernt, sondern auch über mich selbst.» In solchen Momenten verarbeiten die Studierenden kognitiv das, was kreativ passiert ist. Dies sei essenziell, um die Brücken zu den fachlichen Inhalten herzustellen, wie Iten erklärt. Zudem können die Studierenden auch persönliches Feedback geben und einholen, indem sie ihre Gedanken und Erkenntnisse schriftlich in Form einer Selbstreflexion einreichen. So erhalten sie von Iten und Zimmermann Rückmeldungen zu ihrer Kompetenzentwicklung. Die zwei Leiterinnen wiederum bekommen einen Einblick, wo die Studierenden stehen und wie sich ihr kritisches Denken entwickelt.
Wir haben beobachtet, dass viele Studierende grosse Hürden haben, sich überhaupt an Fachtexte zu setzen. Wir möchten ihnen diese Angst, diese Hürden nehmen. Die Studierenden sollen nicht nach dem ersten schwierigen Begriff aufgeben, sondern an einem Thema dranbleiben und versuchen, einen Text zu verstehen, auch ohne jedes Fachwort bereits zu kennen.
Fachtexte erlebbar machen
Doch wie läuft so ein «Kreatives Lernlabor» praktisch ab? Durch Requisiten in einem vorbereiteten Raum, mit Kostümen und Musik erschaffen Kathrin Iten und Jacqueline Zimmermann eine andere Welt. In einem «Kreativen Lernlabor» zu den Fachtexten der Sozialen Arbeit spielt Zimmermann beispielsweise auf einer Handorgel griechische Musik und Iten leitet den Abend ein mit den Worten: «Herzlich willkommen auf der Agora – dem zentralen Markt- und Festplatz im antiken Griechenland.» In der Mitte des Raumes ist ein überdimensionaler Holzrahmen auf einem kleinen Podest aufgebaut. Geschmückt mit einer Lichterkette. Die vierzehn Studierenden steigen durch den Holzrahmen wie durch ein Portal und kommen damit im heutigen «Kreativen Lernlabor» an. Zwei Studierende lassen sich in der Mitte des Raumes nieder und beginnen imaginär Wein zu trinken und Trauben zu geniessen. Sie verkörpern die freien Bürger*innen des alten Griechenlands, also die gehobene Gesellschaft. Um sie herum versammeln sich Gruppen von weiteren Studierenden. Die Idee ist, dass die Studierenden in dieser theatralen Szene in die Rolle der alten Griech*innen schlüpfen und sich als Philosoph*innen auf der Agora austauschen. Dabei argumentieren sie aus den von ihnen vorbereiteten Fachtexten. Schnell entsteht eine lebendige Diskussion, in der sie sich spielerisch, jedoch intensiv mit den Argumenten der Texte auseinandersetzen. Iten oder Zimmermann unterbrechen die Szene nur selten, um zum Analysieren der gespielten Szene einzuladen. Bewegung, Tanz und Musizieren gehören ebenso dazu wie die Kopfarbeit.
Ich war beeindruckt, wie fundiert die Studierenden argumentieren. Dabei standen einige von ihnen erst am Anfang ihrer Ausbildung.
Offen für alle dank intensiver Begleitung
Das «Kreative Lernlabor» steht Studierenden aus allen Semestern der Freiform offen: Erfahreneren wie Erstsemestrigen. Diese Vielfalt bedarf einer guten Planung durch die Leiterinnen. «Wir wählen die Fachtexte aus und überlegen, wie wir den Kursraum so in eine Bühne verwandeln können, dass die Texte durch die Studierenden lebendig werden», erklärt Zimmermann. Mindestens ebenso wichtig sei die professionelle Begleitung der Studierenden, denn «kreative Methoden können unter Umständen sehr rasch emotional werden», wie Iten ergänzt. Die beiden investieren viel Zeit in die Vorbereitung – und doch ist der Ablauf nie gleich, sondern immer abhängig von der Gruppendynamik. Im Fokus steht, dass die Studierenden mit Freude und Leichtigkeit die Fachtexte erkunden und sich wohlfühlen und authentisch sein dürfen. Das erfordert eine hohe Fachkompetenz und ein eingespieltes Team, wobei Zimmerman und Iten zugutekommt, dass sie bereits seit mehr als einem Jahrzehnt zusammenarbeiten. «Wir lassen uns gemeinsam mit den Studierenden auf den Lernprozess ein», erklärt Iten. «Wir entwickeln für jedes «Kreative Lernlabor» ein Konzept, welches wir dann mit den Studierenden ausprobieren und evaluieren.» Diese Herangehensweise ist ganz im Sinne der Freiform, die viele Wege des Lernens ermöglicht. Und das Feedback zum «Kreativen Lernlabor» ist durchweg positiv, wie auch Raphael Calzaferri bezeugt: «Ich war beeindruckt, wie fundiert die Studierenden argumentieren. Dabei standen einige von ihnen erst am Anfang ihrer Ausbildung.» Auch die im 5. Semester studierende Lena Bösch fühlt sich derart inspiriert vom «Kreativen Lernlabor», dass sie künftig ihre erlernten, kreativen Lernmethoden in andere Bündnisse der Freiform einbringen will.