28.9.2021 | Hochschule für Soziale Arbeit
«Mich faszinierte von Anfang an die Idee, das Studium im Trialog zu entwickeln»
In der Freiform gestalten Studierende, Fachpersonen aus der Hochschule und der Praxis das Studium gemeinsam. Seit zwei Jahren wird die neue Bachelor-Studienform erprobt, getestet und evaluiert. Ein Student, eine Dozentin und eine Praxisvertreterin erzählen im Interview, wie sie das Studieren und Arbeiten in der Freiform erleben.
Die Freiform ist im Bachelor-Studium Soziale Arbeit neben Vollzeit, Teilzeit und der studienbegleitenden Praxisausbildung die vierte Studienform. Sie zeigt, wie Bildung zukünftig aussehen kann, wenn Digitalisierung, Kooperationen zwischen Praxis und Hochschule sowie Selbstorganisation an Bedeutung gewinnen.
Zentral dafür ist, dass sich alle Beteiligten als Lernende verstehen. Die Begegnung zwischen den drei Perspektiven (Studierende, Praxis und Hochschule, der sogenannte «Trialog») findet auf Augenhöhe statt. Die für den Bachelor erforderlichen Kompetenzen und Wissensinhalte werden nicht in herkömmlichen Modulen vermittelt, sondern entlang des Kompetenzprofils der Hochschule von den Studierenden und Fachpersonen aus Praxis und Wissenschaft gemeinsam festgelegt.
Nach drei Jahren in der Pilotphase soll die Freiform im Herbst 2022 in den Regelstudienbetrieb überführt werden. Aktuell sind rund 90 Studierende in der Freiform eingeschrieben. Das Ziel ist es, jedes Jahr 30 neue Studierende aufzunehmen.
Andrea Gerber, lic. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Wieso hast du dich entschieden, in der Freiform mitzuwirken?
Mich faszinierte von Anfang an die Idee, das Studium im Trialog zu entwickeln und zu gestalten. Das bedeutet, meine Rolle als Dozentin verändert sich. Ich bin nicht mehr diejenige, die das Lernformat vorgibt, die Inhalte präsentiert und die Lernziele festlegt. In der Freiform bringen wir die drei Perspektiven der Hochschulmitarbeitenden, der Fachpersonen aus der Praxis und der Studierenden zusammen. Wir diskutieren und legen gemeinsam fest: Was sind unsere Ziele? Was möchten wir lernen? Wie gestalten wir den Lernprozess gemeinsam? Wer nimmt dabei welche Rolle ein?
Wie sieht deine Rolle als Hochschulmitarbeiterin in der Freiform aus?
Meine Rolle kann sich in jedem Bündnis* und jeder Arbeitsgruppe verändern. Einmal bin ich Coach, ein anderes Mal Diskussionsteilnehmerin oder Koordinatorin, die alle Fäden zusammenhält. Damit der Trialog funktioniert, ist es enorm wichtig, dass alle ihre Rolle immer wieder reflektieren und kommunizieren. Man muss sich klar sein darüber: Was ist meine Aufgabe? Was liegt in meiner Verantwortung und wo hört sie auf? Zentral ist dabei das lernwirksame Feedback im Hinblick auf den Kompetenzerwerb. Es ermöglicht den Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung und zeigt das Entwicklungspotenzial auf.
Als Dozentin bringe ich eine Fachexpertise in bestimmten Themenfeldern mit, gerade auch in Bezug auf das methodisch-didaktische Handeln. Gleichzeitig sehe ich mich aber auch als Lernende. Wenn ich gemeinsam mit Studierenden und Praxisfachpersonen arbeite, erhalte ich zum Beispiel durch ihre Fragestellungen und Erfahrungen eine neue Perspektive auf meinen Fachbereich. Das finde ich sehr bereichernd.
Was ist für dich die grösste Herausforderung?
In der Freiform müssen wir viel diskutieren und miteinander aushandeln. Das ist anstrengend. Man muss sich darauf einlassen und auch mal in einen Konflikt hineingehen. Gleichzeitig ist dieses «Ringen um Bedeutung» aber auch eine grosse Chance, weil wir viel über uns selbst und unser professionelles Handeln lernen können.
Samson Rentsch, Student in der Freiform
Du bist im Herbst 2019 in der Freiform gestartet. Ist das Studium so, wie du es dir vorgestellt hast?
Jein. Gewisse Sachen sind so, wie ich sie erwartet hatte. Zum Beispiel die Freiheit, die Lerninhalte selbst zu gestalten. Ich finde es sehr motivierend, abwechslungsreich und interessant, mit Dozierenden, Fachpersonen aus der Praxis und anderen Studierenden interessengesteuerte Bündnisse* (siehe Erklärung oben) aufzubauen.
Was ich aber unterschätzt hatte war der Umstand, in eine Pilotstudienform einzusteigen. Es ist auf der einen Seite super spannend, weil ich Inputs mitgeben und die Studienform weiterentwickeln kann. Auf der anderen Seite empfinde ich es auch als anstrengend, weil ich meinen eigenen Studienweg suchen muss, während die Entwicklung der neuen Studienform weitergeht.
Wie erlebst du die Zusammenarbeit mit den Dozierenden und Fachpersonen aus der Praxis?
Als enorm bereichernd, da ich bereits jetzt in die Praxis hineinschnuppern und mir so Kompetenzen aneignen kann. In der Freiform ist alles weniger hierarchisch und dadurch entstehen mit den Dozierenden neue Lernmöglichkeiten: So durfte ich zum Beispiel mit einem Dozenten der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW sowie einem Mitstudenten einen Artikel über die kritische Soziale Arbeit in der Corona-Pandemie verfassen.
In der Freiform steuerst du deine Kompetenzentwicklung selbst und die Beurteilung deiner Leistungen erfolgt im Trialog. Denkst du, dass diese Art des Studierens Auswirkungen auf deine Arbeitsmarktfähigkeit haben wird?
In der Freiform entwickeln wir die gleichen Kompetenzen wie die Studierenden in den anderen Studienformen. Nur die Art und Weise des Lernens ist anders. Da es eine neue Form der Kompetenzentwicklung ist, braucht es wohl noch einige Zeit, bis sich diese Studienform in der Praxis breiter etabliert. Aber ich denke, schlussendlich habe ich die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie andere Bachelor-Absolvent*innen.
Rahel Peter Grassi, Verein für Sozialpsychiatrie BL
Was hat dich überzeugt, bei der Freiform mitzumachen?
Unsere Geschäftsführerin war bei der Erarbeitung der Freiform in der Steuergruppe dabei. Als ich zum Verein für Sozialpsychiatrie Baselland (VSP) kam, war die Freiform bereits Teil meines Stellenbeschriebs. Was mich dann aber persönlich überzeugt hat, ist das gesamte Konzept dieser Studienform und vor allem die Studierenden. Der Rucksack, den sie mitbringen und im Studium erwerben, ist eine Bereicherung für uns als Praxisorganisation.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Praxis und Hochschule aus?
Der VSP ist ein Praxispartner, das heisst, wir haben einen Kooperationsvertrag mit der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und ich übernehme gewisse Aufgaben innerhalb der Organisation der Freiform, wie zum Beispiel Coaching und Steuerung. Als Coach begleite ich Studierende durch die gesamte Ausbildung und kann ihre Entwicklung sehr nah miterleben. Innerhalb der Steuerung geht es unter anderem um den Verantwortungsbereich Gewinnung, wo ich mit potenziellen Partnerorganisationen in Kontakt bin, um sie für die aktive Mitwirkung in der Freiform zu gewinnen.
Im VSP können Studierende in projektbezogenen Praktika verschiedene Themen und Aufgabenbereiche partizipativ mitgestalten.
Was für Vorteile bietet die Freiform für Praxisorganisationen?
Die Freiform bietet eine ganz neue Art, wie wir mit der Fachhochschule auf Augenhöhe zusammenarbeiten und uns aktiv einbringen können. Gleichzeitig können wir im Trialog das Wissen in unsere Organisation zurückspeisen.
Was sind die Herausforderungen?
Man muss eine grosse Offenheit mitbringen und sich auf etwas völlig Neues einlassen. Es braucht ein paar Monate, bis man so richtig in der Freiform angekommen ist. Was zurückkommt, wiegt meiner Meinung nach jedoch stärker als die Komplexität.