Mit Daten gegen das Zittern
Forschende der HLS haben eine Methode entwickelt, um die Tiefenhirnstimulation bei der Parkinson-Krankheit noch präziser und damit wirkungsvoller zu machen. Die Tiefenhirnstimulation, bei der den Betroffenen eine Elektrode ins Gehirn implantiert wird, ist eine Behandlung gegen die typischen Symptome Zittern und Steifigkeit. Die Positionierung der Elektrode im Gehirn bestimmt, wie stark sich die Symptome verbessern. Mit der datengestützten, bildgebenden Methode der HLS soll sich der optimale Stimulationsort zuverlässiger identifizieren und der Eingriff besser planen lassen.
Parkinsonbetroffene leiden an unkontrollierbaren Bewegungsstörungen wie Zittern der Extremitäten und Muskelsteifigkeit. Ihre Ursache sind absterbende Nervenzellen in einem Gebiet im Mittelhirn, das die Motorik steuert: den Basalganglien. Bislang gibt es noch kein Heilmittel gegen die Krankheit. Eine Behandlungsmethode, welche die Symptome von Parkinson lindern kann, ist die Tiefenhirnstimulation. Sie funktioniert ähnlich wie eine Herzschrittmacher-Therapie und ersetzt die fehlerhafte Funktion der geschädigten Zellen. Das geschieht durch elektrische Impulse, die von einer Elektrode auf ein wenige Millimeter grosses Gebiet im Gehirn übertragen werden. Die Schwierigkeit dabei ist, die Elektrode genau an der richtigen Stelle im Gehirn zu implantieren. Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) und die Computertomografie (CT) helfen zwar schon heute bei der Lokalisierung dieser Hirnregion, aber wo genau stimuliert werden muss, zeigen die Bilder nicht. Simone Hemm-Ode vom Institut für Medizintechnik und Medizininformatik (IM2) der HLS und ihr Team haben mit den «Improvement Maps» eine Methode entwickelt, um während der Tiefenhirnstimulation die Veränderung der Krankheitssymptome zu messen und die gewonnen Daten auf CT- und MRT-Bildern zu visualisieren. «Mithilfe der Improvement Maps kann man schon im Operationssaal die Stellen im Gehirn identifizieren, an denen elektrische Stimulation die grösstmögliche Verbesserung auslöst», erklärt die Forscherin. «Man findet aber auch die Hirnareale, in denen eine Stimulation Nebenwirkungen verursacht, zum Beispiel Sprechstörungen.»
Weltweit wurden schon etwa 200 000 Menschen mit der Tiefenhirnstimulation therapiert, einige davon auch in der Schweiz. Bei dem dafür nötigen Eingriff wird ein kleines Loch in die Schädeldecke gebohrt und eine stecknadelgrosse Testelektrode bis zu den Basalganglien im Hirninneren geschoben. Dort beginnt die Messung der Neuronenaktivitäten – das sind elektrische Signale, die von den Nervenzellen ausgehen und die für jede Hirnregion typisch sind. Sie erleichtern beim Eingriff die Orientierung im Gehirn. An der richtigen Stelle angekommen, werden die betroffenen Bereiche mit verschiedenen, sehr schwachen Stromstärken stimuliert. Die operierte Person ist während des ganzen Eingriffs wach, da bei einer Vollnarkose die therapeutischen Effekte nicht beobachtet werden können. Verbesserungen durch die Stimulation sind teilweise sofort sichtbar, so Hemm-Ode: «Beispielsweise zittert die Hand der Betroffenen im Ruhezustand. Wenn die Stimulation beginnt, nimmt es ab, und optimalerweise wird das Zittern durch die schwachen Stromreize schliesslich ganz unterdrückt.» Bisher haben Ärztinnen und Ärzte die Informationen über die Stimulation während des Eingriffs im Operationssaal von Hand notiert: die Lokalisation der Elektrode im Gehirn, wie tief sie im Gewebe liegt, die Stromstärke, mit der die Hirnregion stimuliert wird, ihr jeweiliger Effekt auf die Krankheitssymptome und die Nebenwirkungen. Die Improvement Map macht all diese Informationen digital auf Einzelbildern sichtbar, Schicht für Schicht: In verschiedenen Blautönen sieht man die Hirnstrukturen wie zum Beispiel die Basalganglien. Diese Information stammt von vorgängig angefertigten MRT-Bildern. Darin sind verschiedene Felder auf einer Farbskala in Rot und in Grün zu sehen. Je dunkler das Grün, umso grösser war die Verbesserung der Symptome, zum Beispiel des Zitterns. Rot hingegen zeigt, wo Nebenwirkungen aufgetreten sind. Beide Bereiche können sich überlappen. Die Information, wie stark ausgeprägt das Zittern oder die Steifigkeit ist, liefern Beschleunigungssensoren, die während der Untersuchung am Arm befestigt sind. «Mit all diesen Informationen wollen wir den bestmöglichen Punkt finden, der für eine dauerhafte elektrische Stimulation geeignet ist», erklärt Ashesh Shah, Postdoktorand am IM2. Je kleiner das zu stimulierende Areal im Gehirn ist, desto weniger treten Nebenwirkungen auf. Hinzu kommt: Auch der benötigte elektrische Strom und damit der Stromverbrauch in der Batterie des Stimulators ist dann geringer. Diese Batterie befindet sich wie bei einem Herzschrittmacher unter der Haut und ist über ein dünnes Kabel mit der Elektrode verbunden. Je länger sie hält, desto besser, denn im Falle eines nötigen Batteriewechsels muss sich der Patient oder die Patientin einer erneuten, wenn auch kleinen, Operation unterziehen. Die Forschenden der HLS haben die Improve- ment Maps gemeinsam mit einem Team der schwedischen Universität Linköping und der französischen Universitätsklinik Clermont-Ferrand entwickelt. Dafür haben sie bereits Daten von Kranken mit Zittern oder Parkinson genutzt, die im Rahmen einer klinischen Studie erfasst wurden. Anhand dieser Daten erstellten sie nach der Operation dreidimensionale Simulationsmodelle, die für die einzelnen Patientinnen und Patienten den Ort im Gehirn zeigen, dessen Stimulation die grösste Verbesserung bewirkt. Als nächsten Schritt will das Team diese Visualisierung in Echtzeit während der Operation verfügbar machen.