Strahlenschutz durch Robotik
Minimalinvasive operative Eingriffe wie Gewebeentnahmen an inneren Organen oder die Behandlung von Tumoren werden oft unter radiologischer Bildkontrolle durchgeführt. Das führt zur Strahlenbelastung der Kranken sowie des medizinischen Personals. Forschende der HLS entwickeln deshalb in einem trinationalen Projekt einen Antriebsmotor, mit dem stattdessen ein Robotiksystem die Punktionsnadeln präzise im Körper platziert. Der Motor basiert nicht nur auf einem innovativen Funktionsprinzip, sondern trägt auch zur Weiterentwicklung dreidimensionaler Druckverfahren für Titanlegierungen bei.
Im Labor des Instituts für Medizintechnik und Medizininformatik (IM2) reiht sich ein 3D-Drucker an den anderen. Schicht für Schicht formen sie Metall oder Keramikimplantate, die heilende Knochen stützen. In einer internationalen Forschungskollaboration übertragen Michael de Wild und sein Team nun ihre Expertise im 3D-Druck auf die Robotik. «Wir entwickeln ein Roboter-Unterstützungssystem, das bei radiologisch-chirurgischen Eingriffen helfen kann», sagt der Forscher und nennt ein Beispiel: «Wenn Ärztinnen und Ärzte Gewebeproben entnehmen, müssen sie die Biopsie-Nadeln millimetergenau in das zu untersuchende Organ oder Gewebe einführen.» Unter Bildkontrolle wie etwa im Computer-Tomografen (CT) sehen sie dann, wo sich die Nadel befindet, und können deren Position, wenn nötig, korrigieren.
Mit dem geplanten Robotiksystem lässt sich die Nadel fernsteuern und am Monitor beobachten, während die Patientin oder der Patient im CT liegt.
«Mit dem geplanten Robotiksystem lässt sich die Nadel fernsteuern und am Monitor beobachten, während die Patientin oder der Patient im CT liegt», erklärt de Wild. «Das verbessert nicht nur die Präzision von Gewebeentnahmen, sondern eignet sich auch für die interventionelle Radiologie zur Behandlung von Tumoren oder zur lokalen Behandlung mit Medikamenten, zum Beispiel für die Schmerztherapie unter Bildsteuerung.»
Komplexes Design aus dem 3D-Drucker
An dem Projekt namens SPIRITS (Smart Printed Interactive Robots for Interventional Therapy and Surgery) sind die HLS sowie Firmen, Kliniken und Hochschulen aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Österreich beteiligt. Das Team an der HLS konstruiert den Motor, welcher die Nadel im Körper vorwärtsbewegen soll. Um diesen Aktuator auch im Operationssaal sicher bedienen zu können, wird er durch Druckluft angetrieben. «Das Besondere ist die Funktionsweise der Antriebsstruktur», erklärt de Wild. «Die Biopsienadel ist in der Mitte einer zylinderförmigen Gitterstruktur montiert und von vier bis fünf Kanälen umgeben. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Material dehnt sich diese Gitterstruktur quer zur Zugrichtung aus. Wenn wir also im Zylinder den Druck von innen her erhöhen, dehnt sich die Struktur in der Längsachse aus und treibt die Nadel voran.» Dies erreichen die HLS-Forschenden durch die besondere Geometrie im Gitter, die im Fachjargon «auxetisch» genannt wird. «Wir bauen den Druck innerhalb des Zylinders mit vier bis fünf kleinen Ballons auf, mit denen beispielsweise in der Herzchirurgie Stents auf ihre endgültige Grösse aufgeweitet werden, um Blutgefässe offen zu halten», so de Wild. «Weil sich die auxetische Struktur aber nur um Bruchteile von Millimetern verlängert, muss der Prozess mehrmals pro Sekunde wiederholt werden. So bewegt sich die Nadel mit einem Klemmensystem ähnlich wie eine Spannerraupe in sehr kleinen Schritten vorwärts.» Für herkömmliche Fertigungsverfahren ist diese Geometrie zu komplex und zu fragil – für ein dreidimensionales Druckverfahren dagegen nicht. Das IM2 an der HLS ist eines von wenigen Instituten weltweit, das so feine metallische Strukturen wie in dem Antriebszylinder mittels 3D-Druck herstellen kann. Als Material für den Zylinder verwenden die Forschenden Titanpulver, das sie zunächst in einer dünnen Schicht auf eine Druckplattform auftragen. Dann verschmelzen sie die Stellen, welche später die Struktur bilden. «Wir verwenden dafür einen Faserlaser, der eine Fläche von rund 100 Mikrometer Durchmesser mit bis zu 200 Watt aufschmilzt», sagt der Forscher.
Schlüsselfaktor Temperaturmanagement
Solche Energiedichten setzen besondere Massnahmen im Design voraus. De Wild erklärt: «Wenn die Schicht unter oder neben dem Zielbereich des Lasers nicht verschmolzen ist, wirkt der Zwischenraum zwischen den Pulverkörnern wie ein Isolator. Das Titan wird dann zu heiss, sodass es durch den auftreffenden Laserstrahl sogar verdampfen kann oder im hergestellten Objekt Spannungen oder Deformationen auftreten. Damit die eingebrachte Wärme gut abfliessen kann, wird das Bauteil mittels Stützstreben auf der Druckplattform verankert. Wir ergänzen daher das finale Design auch gezielt mit Stützstrukturen, die dem Konstrukt während des 3D-Drucks nicht nur mechanische Stabilität geben, sondern eben auch die Hitze ableiten.» Vor dem Fertigungsprozess haben die Forschenden umfassende Berechnungen für die lokale Anpassung der Laserenergie gemacht. Dabei haben sie das Material und die Form des Werkstücks berücksichtigt. Diese sogenannte «heat calculation» simuliert für jeden der Tausenden Punkte im Design, wie gut die Wärme aufgrund der bereits bestehenden Geometrie und Stützstruktur abfliessen kann, und berechnet, mit welcher Energie und wie lange der Laser an jedem Punkt auftreffen soll. Anhand dieses erweiterten Bau- und Prozessplans fertigt der 3D-Drucker dann über einen Zeitraum von mehreren Stunden aus Tausenden Schichten ein wenige Zentimeter grosses Werkstück.
Der letzte Schliff von Hand
Trotz dieser hochmodernen 3D-Drucktechnologie ist die finale Bearbeitung der Werkstücke derzeit noch Handarbeit. Die Forschenden lösen das Werkstück zuerst von der Druckplattform und entfernen die zierlichen Stützstrukturen. Dabei braucht es Fingerspitzengefühl, um das filigrane Werkstück nicht zu verletzen. Dann glätten sie die Oberfläche mit verschiedenen Techniken wie etwa Elektropolieren, mechanischem Polieren, chemischem Ätzen oder Sandstrahlen. Abschliessend unterziehen die Forschenden ihre Werkstücke verschiedenen Tests. In statischen mechanischen Tests ziehen sie die Struktur auseinander und messen, wie stark und wie elastisch sie ist. In dynamischen Tests untersuchen sie die Materialermüdung nach Tausenden bis Millionen von Lastwechseln. Die Verbesserungen aufgrund dieser Ergebnisse fliessen in den Prototypen des chirurgischen Roboters ein. Dieser soll nach Abschluss des Projekts 2020 durch medizintechnische Firmen im Dreiländereck weiterentwickelt und zur Marktreife gebracht werden. Auch ein Spin-Off ist für de Wild eine Option. Er und sein Team untersuchen bereits neue Materialien. So arbeiten sie mit der Nickel-Titan-Legierung Nitinol als Alternative zu reinem Titan, denn die Formgedächtnislegierung Nitinol ist bis zu fünfmal elastischer. Die ersten auxetischen Strukturen aus Nitinol sind bereits gedruckt.