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Warum lohnen sich Vereinbarkeitsmassnahmen für Spitäler? Eine Abwägung von Kosten und Nutzen

Eine vereinbarkeitsfreundliche Haltung bildet heute ein zunehmend wichtiges, strategisches Instrument für Gesundheitsbetriebe, sollen Ärztinnen und Ärzte angeworben werden. Dennoch wird von Schweizer Spitälern noch zu selten gezielt in Vereinbarkeit investiert.

Brigitte Liebig, Mai 2022

Warum zögern viele Spitäler bei Investitionen in Vereinbarkeit? Eine zentrale Ursache bilden die Personal-, Sachmittel-, und Infrastrukturkosten, die mit Vereinbarkeitsmassnahmen verknüpft sind – während sich der Nutzen von Vereinbarkeit für viele Organisationen oft nur intuitiv erschliesst. Besonders den kleineren Spitälern der Schweiz fehlen detaillierte Angaben und systematische Kennzahlen zu den Kosten- und Nutzenfaktoren vereinbarkeitsorientierter Aktivitäten, weshalb sie vielfach darauf verzichten.

Es lohnt sich jedoch, bei der Planung, Umsetzung, Kommunikation und Bewertung von Vereinbarkeitsmassnahmen möglichst detailliert Kosten- und Nutzenaspekte zu definieren. So lassen sich nicht nur die Aufwendungen und Effekte von Vereinbarkeit im Zeitlauf genauer bestimmen, was zur Grundlage weiterer Entwicklungen werden kann, sondern auch ein Mehr an Legitimation und Akzeptanz für Veränderungen schaffen.

Kostenaspekte von Vereinbarkeitsmassnahmen

Aktivitäten im Bereich Vereinbarkeit generieren Kosten: Bereits das Erarbeiten eines Massnahmenportfolios ist mit dem Engagement zahlreicher Personen, insbesondere Führungskräften und Personalverantwortlichen, verbunden. Auch Abklärungen zum Massnahmenbedarf mittels Erhebungen oder externe Beratungsdienstleistungen bilden bereits früh in der Auseinandersetzung mit Vereinbarkeit einen Kostenfaktor. Bei der Realisierung des Vorhabens fallen sodann durch konkrete Unterstützungsangebote wie etwa die interne/externe Kinderbetreuung, Mittagstische oder Wiedereinstiegsgesprächen direkte Kosten an. Zugleich können vereinbarkeitsfreundliche Regelungen wie Teilzeitarbeit und Jobsharing zusätzliche Personalkosten generieren, da zusätzliche Arbeitszeit für die Aufgabenübergabe bemessen werden muss. Hinzu kommen Kosten, die mit organisatorisch-administrativen Prozessen, Kommunikation, Monitoring oder Anpassungen der Vereinbarkeitsangebote entstehen.

Warum sich eine vereinbarkeitsorientierte Politik für Spitäler lohnt

Den Kosten von Vereinbarkeitsmassnahmen aber, so zeigen inzwischen eine Reihe von Studien, stehen beachtliche Nutzenaspekte gegenüber. Dabei kann der Nutzen von Vereinbarkeitsangeboten gerade mit der Langfristigkeit von Massnahmen deren Kosten deutlich überwiegen.

  • Ein Nutzen durch Vereinbarkeit entsteht für Spitäler zunächst, indem Kosten vermieden werden: Die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bildet für die Ärzteschaft immer häufiger einen Grund für den beruflichen Austritt (Heuss, 2020). Damit gehen Wissen und Qualifikationen von erheblichem Ausmass verloren. Die Kosten für die Neubesetzung von Ärztestellen werden zwischen einem Viertel bis zu drei Vierteln eines Jahresgehalts beziffert (Hölterhoff et al. 2013).

  • Vereinbarkeitsangebote fördern überdies die Arbeitszufriedenheit, was sich wiederum positiv auf krankheitsbedingte Fehlzeiten oder Fluktuationen auswirkt. Es entsteht eine positivere Bindung der Ärzteschaft an die Organisation, während die Leistungsfähigkeit steigt und einem Berufsabbruch oder zu frühem Ausscheiden aus dem Beruf entgegengewirkt werden kann (Angerer et al. 2018).

  • In Anbetracht höchster Anforderungen bildet das physisch-psychische Wohlbefinden der Ärzteschaft ein ganz besonderes Gut, das mittels Vereinbarkeitsmassnahmen gefördert werden kann (Berger, 2017). Eine gute Balance zwischen beruflicher Arbeit und Privatem, wie sie durch flexible Arbeitszeitmodelle, eine optimale Dienstplanung oder die Möglichkeit eines unbezahlten Urlaubs entstehen kann, wirkt Überbelastungen und persönlicher Verausgabung entgegen.

  • Patientinnen und Patienten sind auch im Spital auf eine geringe Fehlerquote bei ärztlichen Behandlungen angewiesen. Gesunde, ausgeruhte und konzentrierte Ärztinnen und Ärzte sind eine unverzichtbare Voraussetzung für Patientensicherheit und Qualitätssicherung im stationären Gesundheitswesen. Die positiven Effekte einer qualitativ hochstehenden Versorgung schlagen sich nicht zuletzt in der Patientenzufriedenheit und im Behandlungserfolg nieder (Hölterhoff et al. 2013).

Wie Vereinbarkeitsmassnahmen wirken

Die Komplexität der Zusammenhänge sowie die Mittel- und Langfristigkeit der Effekte erschweren das Erfassen von Kosten-Nutzen-Verhältnissen. Dennoch lassen sich aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive mindestens zwei Faktoren ausmachen, welche die Wirkungskraft von Vereinbarkeitsmassnahmen erklären.

Erstens stärken vereinbarkeitsfreundliche Massnahmen den «psychologischen Vertrag» (Rousseau, 1995) zwischen Gesundheitsbetrieben und ihrer Ärzteschaft bzw. Belegschaft insgesamt. Dabei geht es um unausgesprochene, wechselseitige Erwartungen, die jenseits des Vertragsverhältnisses zwischen Arbeitgebenden und Beschäftigten existieren: Vereinbarkeitsmassnahmen signalisieren, dass sich die Spitäler um ein zentrales Bedürfnis der Ärzteschaft kümmern und sie als Arbeitskräfte schätzen. Diese Wertschätzung wird oft mit einem hohen Mass an Loyalität und den Verbleib in der Organisation belohnt.

Zweitens investieren Gesundheitsbetriebe mittels vereinbarkeitsfreundlicher Massnahmen in einen «sozialen Vertrag» mit der Gesellschaft bzw. ihren Arbeitskräften. Heute steigt mit jeder neuen Ärzte-Generation der Anspruch, dass sich Spitäler mit angemessenen Arbeitszeiten und bestmöglichen Arbeitsbedingungen auf der Seite ihrer unverzichtbaren Arbeitnehmenden positionieren. Die Pflege dieses Vertrags mittels Vereinbarkeitsangeboten generiert Vertrauen in die Veränderungsbereitschaft und Beschäftigungsstandards der Gesundheitsorganisationen und trägt zu ihrer Reputation als attraktiver Arbeitsort bei.

Literatur:

Angerer, A., Hollenstein, E. & Liberatore, F. (2016). Das Schweizer Spitalwesen: Eine Managementperspektive, Edition 2016 - 2017. Branchenreport des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie. DOI: 10.2 DOI: 10.21256/zhaw-1186

Berger, Th. (2017). Burnout bei Ärzten: Die Balance bewahren, Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, 234 (02), 158-161. DOI: 10.1055/s-0042-122810

Heuss, S. (2020). Wie kommunizieren Ärztinnen und Ärzte untereinander? Verfügbar unter: https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/hsw/icc/healthcare/media/spitalbericht-kommunikation-fhnw.pdf

Hölterhoff, M., Kramer, K., Feuerstein, S., Edel, F. & Schuhmacher, C. (2013). Familienfreundliche Massnahmen in Spitälern. Betriebswirtschaftliche Effekte einer familienbewussten Personalpolitik für den ärztlichen Bereich. Prognos: Basel. Verfügbar unter: https://vsao.ch/wp-content/uploads/2019/11/Familienfreundliche-Massnahmen-in-Spit%C3%A4lern_DE.pdf

Rousseau, D. (1995). Psychological Contracts in Organizations. Understanding Written and Unwritten Agreements. Newbury Park: Sage.

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