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«Der Wunsch ist da, es mangelt nur noch an der Umsetzung» – Vereinbarkeitsbarrieren aus Sicht der Ärzteschaft

In der jüngst verabschiedeten «Charta für Ärztegesundheit FMH» wird die Förderung eines ausgeglichenen Privat- und Berufslebens als ein wichtiges Element zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Schweizer Spitälern aufgeführt. Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft legen in diesem Zusammenhang Herausforderungen offen.

Brigitte Liebig, Julia Frey & Delia Kwakye, August 2022

In Schweizer Spitälern wurden in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen ergriffen, um «flexible» bzw. «familienfreundliche» Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte zu fördern: Bis heute aber verfügen längst nicht alle Spitäler und Kliniken über hinreichende Bedingungen zur Unterstützung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Insbesondere für die Ärzteschaft lassen sich Vereinbarkeitsvorhaben nur schwer im stationären Kontext umsetzen.

Was aber erschwert die Förderung eines Ausgleichs zwischen Privat- und Berufsleben für die Ärzteschaft? Weshalb lassen sich Veränderungen für diese Profession in den Spitalbetrieben so schwer realisieren? Wir haben dazu im Jahre 2022 mit neunzehn Ärztinnen und neun Ärzten unterschiedlicher Funktionsstufen und Fachgebiete aus Schweizer Spitälern Gespräche geführt.

«Arbeit ist eigentlich alles»

In vielen Spitälern dominieren Vorstellungen und Erwartungen, welche den ärztlichen Beruf mit einem überdurchschnittlichen, «selbstlosen» Einsatz und deshalb auch mit steter Verfügbarkeit verknüpfen. Neben der Berufsethik bedingen die eigenen Ansprüche der Ärzteschaft grösstes Engagement im Dienst der Patienten und Patientinnen, wobei dieses oft über persönliche Bedürfnisse gestellt wird. Die institutionell tief verankerten Normen schmälern somit umfassend das Verständnis und die Rücksichtnahme auf ausserberufliche Belange.

«Das Privatleben wird um die ärztliche Aufgabe herum organisiert»

Die Arbeits(zeit)organisation orientiert sich im stationären Versorgungsbereich vielerorts ausschliesslich an 100% Stellen. Während Schichtarbeit, Wochenend- und Notfalldienste generell das Privatleben einschränken, generieren Personalausfälle oft nicht nur Überzeiten, sondern führen auch zu einer kaum planbaren Auszeit von der Arbeit. Die Dienstplanung – sowie die Haltung der dienstplanenden Personen zur Vereinbarkeitsfrage – gelten als Schlüssel für einen planbaren Lebensstil im Ärzteberuf (vgl. Herrmann & Jelenski 2021).

«Personen, die Teilzeit arbeiten, müssen mehr Leistung erbringen»

Anforderungen an medizinische Laufbahnen und Karrieren orientieren sich in der stationären Versorgung in der Regel an Vollzeitstellen, das heisst auch: Rekrutierung, Förderung und Beförderung in Kaderpositionen sind für ein Teilzeitpensum nicht vorgesehen. Ein Vollzeitengagement wird insbesondere für Assistenzärztinnen und -ärzte zur Verpflichtung, da sich daran die Möglichkeiten für fachliche Rotationen oder die Übernahme von Operationen als zentrale Voraussetzungen für das berufliche Fortkommen ausrichten.

«Es steht und fällt mit der Klinikleitung, ob Vereinbarkeit funktioniert»

Vereinbarkeit ist für die Klinikleitungen oft noch kein Thema und besitzt erst selten oberste Priorität auf einer Agenda, in welcher diese kaum als Investition in die Wirtschaftlichkeit der Spitäler verstanden wird. Als direkte Vorgesetzte sind auch leitende Ärztinnen und Ärzte erst wenig für den Umgang mit Vereinbarkeitsfragen geschult. Sie können zudem selten als Vorbilder dienen, da sie selbst durch «Hintergrunddienste» und zusätzliche Aufgaben in höchstem Masse gefordert sind.

«Jemand der Teilzeit arbeitet, wird normalerweise durch Kollegen ersetzt, die dafür nicht vergütet werden.»

Kolleginnen und Kollegen im medizinischen Team bewerten die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Abhängigkeit von persönlichen Lebenslagen und Laufbahnvorstellungen in unterschiedlichem Masse als relevant. Aufgrund divergenter Meinungen werden deshalb im Ärzteteam «Vereinbarkeitsanliegen» kaum offen thematisiert. Eine im Denken und Handeln verankerte Unterstützung der Vereinbarkeitswünsche scheitert auch an den zusätzlichen Belastungen, die dadurch für das Team entstehen.

Ansätze für Veränderungen

Die in den Gesprächen beschriebenen Faktoren bilden unerlässliche Aspekte einer «Work-Life-Culture» (Dikkers et al. 2007) in Spitälern. Hier beeinflussen sie nachweislich nicht nur die Leistungsfähigkeit der Ärzteschaft und deren Bindung an ihre Organisationen, sondern bilden auch eine Schlüsselkomponente für das Bewahren der Ärztegesundheit, wie in der Charta der FMH 2022 betont. Dabei bieten die Anliegen der Ärztinnen und Ärzte wichtige Anhaltspunkte, an denen eine Umgestaltung von Spitalstrukturen und Arbeitsbedingungen ansetzen kann. Einige Spitäler haben dies bereits erkannt – auf verschiedenen Ebenen finden sich hier bereits vielversprechende Beispiele für Veränderungen. In den nächsten Blogbeiträgen werden einige dieser Ansätze für eine vereinbarkeitsfreundliche Ausrichtung von Spitälern vorgestellt. 

Literatur:

Dikkers, J. S., Geurts, S. A., Dulk, L. D., Peper, B., Taris, T. W. & Kompier, M. A. (2007). Dimensions of work–home culture and their relations with the use of work-home arrangements and work-home interaction. Work & Stress, 21 (2), 155-172.

Herrmann, L. & Jelenski, J. (2021). Vereinbarkeit von Familie und Beruf – zeitgemässe Dienstplangestaltung: bedarfs- und mitarbeitergerecht zugleich, in: Naegler, H. & Garbsch, M. (Hg.). Personalmanagement im Krankenhaus, Berlin, 357-403.

Verbindung der Schweizerischen Ärztinnen und Ärzte FMH (2022): Charta Ärztegesundheit, www.fmh.ch/files/pdf27/charta-aerztegesundheit-charte-sur-la-sante-des-medecins.pdf

Aktuelles und Blogbeiträge

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