«Wenn ich Patientinnen und Patienten meine Teilzeit-Situation schildere, habe ich bisher immer positive Rückmeldungen erhalten.»
Ein Portrait über Dr. med. Franz Martig, Allgemein- und Viszeralchirurg am Stadtspital Tiefenau.
Julia Frey, November 2022
Dr. med. Franz Martig ist Allgemein- und Viszeralchirurg am Stadtspital Tiefenau/Bern. Er arbeitet als Leitender Arzt in einem Pensum von 60%, was insbesondere in der Chirurgie noch Seltenheitswert hat.
Als Verantwortlicher für das interne Weiterbildungsprogramm besteht die Tätigkeit von Franz Martig aus einer guten Mischung aus direkter Patientenbetreuung, administrativen Tätigkeiten und der Lehre. Um dies alles im Teilzeitpensum unter einen Hut zu kriegen, benötigt es einiges an Vorarbeit. Zentral ist die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten: «Sie gehen davon aus, dass ein Arzt 24/7 verfügbar ist. Wenn ich ihnen aber meine Situation schildere, habe ich bisher immer positive Rückmeldungen erhalten.»
Der Grund für sein reduziertes Pensum: Dr. Martig ist aktiver Familienvater dreier Kinder. «Ehemalige Vorgesetzte aus der früheren Chirurgen-Generation sagten mir folgendes: Wenn sie in ihrem Leben etwas anders machen könnten, wäre es, ihre Kinder aufwachsen zu sehen.» So ist es Dr. Martig wichtig, als Vater präsent zu sein, während die Kinder noch zu Hause sind.
Erfüllte Tätigkeit im Teilzeitpensum
Die aktuelle Situation im Teilzeitpensum bewertet Dr. Martig sehr positiv. Dies war nicht immer der Fall. Als er vor seiner Stelle im Spital Tiefenau in der stationären Versorgung als Oberarzt tätig war, arbeitete er in einem 80%-Pensum, hörte jedoch regelmässig von Arbeitskolleg*innen er sei nie da – obwohl er meist mehr als 40 Stunden pro Woche vor Ort war. Zugleich erlebte ihn seine Familie als ständig abwesend. Eine klassische Zwickmühle, in der mit viel Anstrengung versucht wird, den Anforderungen von Familie und Beruf gleichzeitig gerecht zu werden.
Dass er die Situation nun bedeutend besser erlebt, liegt an verschiedenen Faktoren: Einerseits ist das 60%-Pensum ein klares Statement, dass er nicht immer verfügbar ist – und das ist nun für alle sichtbar und allen bewusst. Andererseits ist auch die Kultur der Zusammenarbeit in seinem Team positiv: Seine Teilzeitarbeit ist in der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Stadtspitals Tiefenau akzeptiert. So ist für Dr. Martig, nebst einer ausgeglichenen Work-Life Balance, das positive Arbeitsklima auch seine wichtigste Energiequelle.
Teilzeit gelingt, wenn…
Allmählich beginnen auch Kolleginnen und Kollegen in der Chirurgie Teilzeit zu arbeiten. Dies unterstützt Dr. Martig: «Ich habe für die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten gekämpft und repräsentiere dies mit meinem aktuellen Pensum als einziger Mann in leitender Funktion (soviel ich weiss).» Dabei ist für ihn sehr wichtig, sicherzustellen, dass ein Teilzeitpensum nicht auf Kosten von Arbeitskolleg*innen geht und Behandlungsqualität und Effizienz gewährleistet bleiben. «Ich muss wissen, was bis zur Übergabe noch erledigt werden soll, was ich persönlich abschliessen muss und was ich an Kolleginnen und Kollegen weitergeben kann». Dazu braucht es die Fähigkeit zu delegieren und Verantwortung zu übernehmen. Unterstützt durch eine gute Arbeitsatmosphäre und Kollegialität ist somit auch in der Chirurgie Teilzeitarbeit möglich.
Der kulturelle Wandel als Schlüssel zu einer vereinbarkeitsfreundlichen Zukunft
Dass Teilzeitarbeit insbesondere in der Chirurgie gefördert werden muss, ist für Dr. Martig nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine absolute Notwendigkeit: «Ärztinnen und Ärzte am Anfang ihrer Laufbahn signalisieren deutlich, dass ein Wertewandel hinsichtlich einer ausgewogeneren Work-Life-Balance stattfindet. Wenn wir dem nicht nachkommen, haben wir bald ein ernstzunehmendes Nachwuchsproblem.»
Aus eigener Erfahrung sieht Dr. Martig als wichtigsten nächsten Schritt das Anpacken der kulturellen Grundhaltung gegenüber Teilzeitarbeit. In den vergangenen Jahren hat sich bereits einiges getan, doch es gibt noch Luft nach oben. «Es braucht Vorbilder, die zeigen: Teilzeitarbeit in der Chirurgie geht und funktioniert».
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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