17.12.2024 | Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Technik und Umwelt
Kunststofftechnik aus der FHNW für mehr Lebensqualität in der Mongolei
Mit Hightech Gutes tun: Zwei Maschinenbau-Studierende der Hochschule für Technik und Umwelt FHNW entwickeln hochwertige Kunststoff-Lagerungsschalen für die Mongolei. Diese kommen bei Babys in Ultraschall-Untersuchungen der Hüfte zum Einsatz. Beide Studierenden sagen: Diese Arbeit war eine besondere Erfahrung.
Hundert neue und ergonomisch optimal geformte Baby-Lagerungsschalen aus hochwertigem Kunststoff treten in diesen Tagen einen wichtigen kindermedizinischen Dienst in der Mongolei an: Sie werden bei Babys in der Ultraschall-Diagnostik der Hüfte eingesetzt.
Eine Babyschale aus der Entwicklung der FHNW, Bild: FHNW
Die Entwicklung dieser Schalen verlief in zwei Etappen und wurde von zwei Maschinenbau-Studierenden der Hochschule für Technik und Umwelt FHNW betreut. Isabelle Cadaroski aus Wettingen AG entwickelte im Rahmen ihrer Bachelor-Thesis die Schale von null auf. «Mir gefiel der Praxisbezug dieser Aufgabe und die Idee, etwas Nützliches zu erschaffen, das dringend gebraucht wird. Auch für mich persönlich war diese Erfahrung wichtig. Danach wusste ich genau, was ich beruflich machen möchte.»
«Auch für mich war dies eine sehr schöne Arbeit», sagt Pascal Fürst aus Langenthal BE. Er hat die Schale nach fünf Jahren Einsatz im Rahmen einer studentischen Arbeit technisch überarbeitet. «Kunststofftechnik ist komplex und faszinierend zugleich. Ich habe viel in diesem Projekt gelernt», sagt Pascal. «Es war auch eine gute Zusammenarbeit mit dem auftraggebenden Kinderarzt. Ich habe von allen Seiten viel Goodwill erlebt.»
Pascal Fürst und Isabelle Cadaroski mit ihrer Babyschale, Bild: Pascal Fürst
Ein Land kämpft gegen Hüftprobleme
Darum geht es: Kinderarzt Dr. Raoul Schmid aus Baar ZG ist ein Kenner der Mongolei. Das weitläufige Land mit Grenzen zu Russland und China, vierzigmal grösser als die Schweiz, ist mit knapp 3.5 Millionen Menschen das am dünnsten besiedelte Land der Welt. 2014 beschloss die mongolische Regierung, ein schwerwiegendes kindermedizinisches Problem anzugehen: Hüftdysplasien. Sie sind die häufigste angeborene Störung des Bewegungsapparates. Die Mongolei weist mit einer Quote von 1.2 Prozent überdurchschnittlich viele entwicklungsbedingte Hüftdysplasien auf (zum Vergleich: in der Schweiz sind es 0.5 Prozent).
In der Schweiz werden zur Prävention und Heilung standardmässig Ultraschall-Screenings durchgeführt. So können im Bedarfsfall frühzeitig geeignete Massnahmen zur vollständigen Ausreifung der Hüftgelenke ergriffen werden. Ein Screening ist eine unkomplizierte Massnahme mit langfristigen Vorteilen, denn so lässt sich verhindern, dass es im Erwachsenenalter zu Problemen beim Stehen und Gehen kommt. Die Mongolei kannte bis vor kurzem kein solches Früherkennungssystem. Mit gravierenden Folgen: Hüftdysplasien blieben unerkannt und unbehandelt.
Mission impossible: Beschaffung von Lagerungsschalen
Ein Kernteam von acht Kinderärzt*innen um Schmid, das in der Mongolei Sensibilisierungsarbeit leistete und dies weiterhin tut, wurde mit dem Auftrag betraut, mit einem Mini-Budget eine möglichst flächendeckende Ultraschall-Infrastruktur mit 35 Geräten in Kliniken und Praxen der Mongolei aufzubauen. «Die Beschaffung der Lagerungsschalen geriet schier zur ‹Mission impossible›», erinnert sich Schmid.
Für ein präzises Screening muss das Baby in einer anatomisch geformten Lagerungsschale in eine bestimmte Position gebracht werden. Hüfte, Arme, Schultern und Kopf müssen richtig und auch bequem liegen. «In der Schweiz sind solche Lagerungsschalen zertifizierte medizinische Geräte und kosten je rund 2 500 Franken. Ein Import aus der Schweiz oder einem anderen Land war viel zu teuer und deshalb ausgeschlossen. Ebenso unmöglich war eine Produktion in der Mongolei. Es gibt dafür keine Industrie.»
FHNW-Studierende entwickeln Lösung: «Das war Präzisionsarbeit»
Auf der Suche nach einer praktikablen Lösung wandte sich Kinderarzt Schmid 2016 an Prof. Dr. Christian Rytka, Dozent und Experte für Kunststofftechnik an der Hochschule für Technik und Umwelt FHNW. Dieser machte aus der Anfrage eine Bachelor-Aufgabe. Die Herausforderung bringt Isabelle Cadaroski so auf den Punkt: «Eine Schale aus Kunststoff – das ist klar machbar, technisch erfordert dies Präzisionsarbeit.» Die Schalen sollten günstig, leicht, stapelbar, robust sowie resistent gegenüber Desinfektionsmitteln sein. Das heisst: Material, Geometrie und Herstellungsverfahren mussten festgelegt werden. 600 Stunden Arbeit nahm dies in Anspruch. Isabelle: «Ein ganzes Jahr war ich dran. Danach war mir aber auch klar, dass ich nach dem Studium Produktentwicklerin werden will.» Genau das tut die Alumna heute bei Agro AG in Hunzenschwil AG. Sie ist für Kabelverschraubungen und Elektro-Installationsmaterial verantwortlich.
Optimierte Neuauflage 2024
2024 wurden die Schalen nach Tausenden von Untersuchungen von der Hochschule für Technik und Umwelt FHNW, wiederum auf Auftrag von Raoul Schmid. einer Überprüfung unterzogen. «Das gab uns die Möglichkeit, die Schalen zu optimieren. Denn», erklärt Christian Rytka, «es ist immer schwierig vorauszusagen, wie sich ein Bauteil im täglichen Gebrauch, unter realer Belastung und durch den Gebrauch von Reinigungsmitteln bewährt.»
Maschinenbau-Student Pascal Fürst übernahm im Rahmen einer studentischen Aufgabe die Task, die Schalen gründlich zu überprüfen und die neuen Anforderungen umzusetzen. Pascal arbeitete insbesondere an einer verbesserten Stabilität der Schalen und an der Ergonomie. Er evaluierte zudem den dafür geeigneten Kunststoff. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden. «Die Schalen sind jetzt robuster und die Babys liegen künftig noch stabiler in der Seitenlage, was die Ultraschall-Untersuchung erleichtert», meint Pascal. Zudem gibt es neu einen verbesserten Kantenschutz. «Ich glaube, darin liegt es sich auch ziemlich bequem.»
Ein zufriedenes Baby beim Hüftscan in der Babyschale, Bild: zVg
Kunststofftechnik
Nachhaltige Produkt- und Verfahrensinnovationen in der Kunststofftechnik mit besonderem Fokus auf Hochleistungspolymere und Verbundwerkstoffe. Das Institut für Kunststofftechnik der Hochschule für Technik und Umwelt FHNW bietet eine ganzheitliche Lösung für die Produktentwicklung im Kunststoffbereich.
Institut für Kunststofftechnik