Mitschreiben war gestern
Die Software PlaynVoice überträgt mündliche Therapiegespräche in strukturierte medizinische Berichte und verarbeitet sogar Schweizerdeutsch. Die User-Zahlen haben sich in den letzten sechs Monaten verzehnfacht.
Einmal pro Jahr entsenden Schweizer Hochschulen je ein Start-up an den Talent Pitch. Am 3. März 2025 in Zürich war es wieder so weit. Die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW schickt PlaynVoice ins Rennen. Trotz härtester Konkurrenz landet PlaynVoice unter den Top 3 und ist damit das einzige Software-Unternehmen, das es ins Final schafft. Es ist nicht sein erster Preis.
Als PlaynVoice 2024 am ImpactLab, dem Start-up-Förderprogramm der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, den ersten Preis holt, gewinnt ein kleines Unternehmen mit grossem Vorhaben: Es will medizinisches Personal entlasten, indem das Berichteschreiben automatisiert wird. Emanuele Laurenzi und Dario Meyer, Co-Leiter des ImpactLabs an der Hochschule für Wirtschaft FHNW, würdigen PlaynVoice als relevant für das Gesundheitssystem von morgen. Die Technologie sei hervorragend, die Anwendungen vielfältig.
Dokumentieren und Berichteschreiben gehören nach wie vor zu den zeitaufwendigsten Aufgaben. Ärzt*innen und Therapeut*innen wenden bis zu zwei Stunden pro Tag und nicht selten ihre Freizeit am Wochenende dafür auf, hat PlaynVoice-Mitbegründer Samuel Siegfried nach über hundert Fachinterviews festgestellt. Die gängige Praxis – insbesondere im Bereich mentaler Gesundheit – sieht so aus: Therapeut*innen führen mit ihren Patient*innen ein Gespräch und halten es schriftlich fest. Sie schreiben mit oder protokollieren das Gespräch nachträglich. Der Bericht kann also lückenhaft oder ungenau ausfallen. Ein weiterer Nachteil: Das Notizenmachen wird oft als störend für das natürliche Gespräch und den Beziehungsaufbau empfunden.
So läuft das nicht, sagten sich die drei Mitbegründer Dominic Spalinger, Samuel Siegfried, und Jacky Casas. Sie entwickelten die KI-unterstützte Software PlaynVoice. Von den disruptiven Potentialen ihres Produktes überzeugt, kündigten sie ihre sicheren Jobs. «PlaynVoice ist einfach», erklärt Samuel Siegfried. Start drücken und die App transkribiert automatisch mündliche Gespräche zwischen Patient*in und Therapeut*in. Daraus erstellt die App zuverlässig einen strukturierten Bericht.
Besonders interessant für die Schweiz: Die App versteht und verarbeitet Schweizerdeutsch. Das ist ein Novum, technisch gesehen aber eine Knacknuss. PlaynVoice spannt deshalb mit dem Institut für Data Science der Hochschule für Informatik FHNW zusammen, um sich ihre Expertise auf dem Gebiet der Mundart-Spracherkennung nutzbar zu machen. Dank dieser Zusammenarbeit konnte die Qualität der Transkripte weiter gesteigert werden. Ob Wallliserdytsch oder Basler Dialäggt: Am Ende resultiert ein korrekter, strukturierter Text auf Hochdeutsch.
Rasch wurde klar: PlaynVoice deckt ein echtes Bedürfnis. Während im Juli 2024 etwas mehr als fünfzig Sitzungen von Psycholog*innen, Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen über die Plattform dokumentiert wurden, wuchs die Zahl im Januar 2025 auf 2500. Auch mehrere Institutionen wie die auf Suchtproblematik spezialisierte Klinik im Hasel im Kanton Aargau wenden die App an. Untersuchungen zeigen: Bis fünf Stunden Arbeit pro Woche können eingespart werden. Es entsteht Raum für ungestörte Therapiegespräche.
Besonderes Augenmerk legt PlaynVoice auf Datenschutz. Siegfried: «Wir sind zu hundert Prozent konform mit nationalen und europäischen Datenschutzgesetzen (DSGVO). Um die Vertraulichkeit in diesem hochsensiblen Bereich zu gewährleisten, tun wir aber mehr. Wir speichern keine Audioaufzeichnungen, anonymisieren alle Transkripte und speichern alle Daten ausschliesslich auf Servern in der Schweiz.»
PlaynVoice bezeichnet sich als «panschweizerisches Unternehmen», im Team werde «Schwyzerdütsch», Französisch und Englisch gesprochen. Kennen gelernt haben sich die drei Mitbegründer an einem Fachanlass, an dem die neuen Möglichkeiten der Large Language Models präsentiert und diskutiert werden.
Dominic Spalinger ist in Gempen SO aufgewachsen und lebt in Zürich. Master in Business Information Systems, Hochschule für Wirtschaft FHNW Olten, Abschluss 2019.
Samuel Siegfried stammt aus St. Gallen und wohnt in Zürich. Studium Materialwissenschaften an der École Polytechnique Fédérale Lausanne (EPFL), Master 2012.
Jacky Casas stammt aus dem französischsprachigen Teil des Wallis. Er hat einen PhD der Universität Fribourg in Computer Science.
