Brugg-Windisch: Besuch aus Berlin I
Vorbereitung ist alles. Marieke Hennigs verstand durch das Hören von Dialektmusik und -Videos Schweizerdeutsch von Beginn an.
Name: Marieke Henning
Studium: Sekundarstufe 1 Bachelor Arbeitslehre und Geografie
Heimatuniversität: Technische Universität Berlin, Deutschland
Hoi Zäme!
Meine große Reise fing offiziell am 12.08.2021 an. Bevor ich über diese ereignisreichen Monate berichte, erst einmal ein paar Worte über mich und die Vorbereitungszeit. Ich bin 22 Jahre alt und studiere Arbeitslehre an der TU Berlin und Geographie an der HU Berlin, für die SEK I. Den Wunsch außerhalb der eigenen Komfortzone zu leben hatte ich schon lange, aber mich nie ernsthafter damit befasst. Im Sommersemester 2020 ändert sich das jedoch. Zu diesem Zeitpunkt erhielt ich eine E-Mail mit der Erinnerung an einem Auslandssemester teilnehmen zu können. Diese Mail veränderte so einiges bei mir, ich fing an mich über meine Möglichkeiten zu informieren und bin recht schnell zu dem Angebot für Studierende des Fachs Arbeitslehre gelangt. Momentan gibt es für diesen Studiengang zwei Möglichkeiten, um ins Ausland zu gehen. Es stehen die NTNU in Trondheim, Norwegen, zur Auswahl und die FHNW in Muttenz, Schweiz. Es gibt keine wirkliche Erklärung dafür, warum mich die Schweiz sofort angesprochen hat, ich nenne es mal Bauchgefühl. Also informierte ich mich intensiv über die FHNW und war schnell begeistert von ihrem Lehrangebot. Ich bemerkte schnell den Unterschied zwischen einer Fachhochschule nur für Pädagogik und unserem Modell, in welchem der Bachelor eher weniger mit dem Lehramt zu tun hat, es sei denn man hat sich speziell für Arbeitslehre oder Sonderpädagogik entschieden. Auf diesen Teil werde ich jedoch später nochmal zu sprechen kommen. Neben den Lehrangeboten fand ich ebenfalls heraus, dass die FHNW unterschiedliche Standorte hat, nicht nur den in Muttenz (Basel), sondern auch in Brugg-Windisch und Solothurn. Da mich Basel nicht so recht ansprach, schaute ich nach, wo genau denn die anderen Standorte liegen. So fand ich heraus, dass Brugg nur 30 Minuten von Zürich entfernt liegt und da mich Zürich begeisterte, entschied ich mich schlussendlich für diesen Standort.
Mein eigentlicher Plan war dann nämlich, ein WG-Zimmer in Zürich zu finden. Leider sieht der Wohnungsmarkt in Zürich jedoch genauso aus wie in Berlin, also nicht gerade rosig. Ich entschied mich deshalb dazu, ein Gesuch in Zürich und Umgebung aufzugeben. Recht früh meldeten sich einige Leute bei mir, welche in der Umgebung von Zürich wohnen. Ich bin sehr froh, dass ich nicht gleich eines der erstbesten Angebote angenommen habe und auch hier wieder meinem Gefühl vertraut habe. Letztendlich entschied ich mich für ein Zimmer in einem Haus mit Garten in Neuenhof. Es ist ein kleines Dorf, welches direkt zwischen Brugg und Zürich liegt. Somit hatte ich also einen guten Kompromiss gefunden. Das Zimmer war voll möbliert und ich hatte mein eigenes Badezimmer, in einem schönen hellen Haus. Dort wohnten während meines Aufenthaltes außer der Vermieterin (mittlerweile eine Person, die ich zu meinen Freunden zählen darf) eine süße kleine Hündin und seit kurzem zwei kleine Katzen. Meine Zeit dort haben sie mir auf jeden Fall verschönert. Bevor ich meine Reise wirklich antreten konnte, lag einige Zeit zwischen dem Bewerbungsverfahren, der Zusage und den anderen administrativen Dingen, weshalb ich genügend Zeit hatte mich intensiv über die Schweiz zu informieren. Ich fing an Musik und Videos auf Schwiizerdütsch zu hören bzw. zu schauen. Dies hatte den Vorteil, dass ich vor Ort gar keine Probleme hatte, Schweizer zu verstehen und meine Vorfreude immer weiter stieg, da ich es kaum abwarten konnte, das Land endlich zu entdecken, über welches ich nun so viele Videos gesehen hatte.
Kommen wir jetzt zu meiner Anreise, wer sich noch erinnert, zu dieser Zeit war in Deutschland der große Bahnstreik. Welcher mich meine Anreise in die Schweiz als sehr turbulent in Erinnerung behalten lässt. Glücklicherweise hatte ich eine Freundin als Reisebegleitung dabei und hatte somit Hilfe beim Tragen des Gepäcks. Die lange und nervenaufreibende Fahrt, die wir hauptsächlich stehend verbracht haben, hat sich dennoch als schöne und aufregende Erinnerung, an den Anfang meiner unglaublichen und unvergesslichen Reise in die Schweiz, herausgestellt. Nachdem wir also endlich in Zürich ankamen, war Sabine, bei der ich wohnte, so nett uns mit dem Auto abzuholen. Sie empfing mich und meine Begleitung sehr herzlich und lud uns abends zum Grillen auf der Terrasse ein. Mein erster Abend in der Schweiz bleibt mir somit ebenfalls in schöner Erinnerung. Am nächsten Tag hatten mein Besuch und ich geplant, nach Zürich zu fahren und dort die Stadt zu erkunden. Das war der Moment, in welchem ich aus meiner Euphorie gezogen wurde, denn die kurze Fahrt nach Zürich stellte sich als recht teuer heraus. Ich fühlte mich in diesem Moment enorm unmobil, weil ich sofort merkte, dass man sich das auf Dauer nicht leisten kann. Doch auch diese Hürde habe ich schnell überwunden, denn ich entschied mich dafür ein General Abo bei der SBB abzuschließen, mit welchem ich dann durch die ganze Schweiz fahren konnte. Das war rückblickend auch eine meiner besten Entscheidungen, wie auch die, schon am Mitte August in die Schweiz zu fahren. Der offizielle Semesterbeginn an der FHNW wäre nämlich erst am 20.09.2021 gewesen, ich wollte aber meinen Urlaub in der Schweiz verbringen und diese in Ruhe erkunden und genießen.
Da die Schweiz sehr vielfältig ist und ich das Abo nutzte, verging die Zeit wie im Flug. Viel zu schnell und es war schon der 03.09.2021. An diesem Tag fing die vom ESN organisierte Welcome Week an. Nach gut 1 1/2 Jahren Corona (zu diesem Zeitpunkt) fühlte sich diese Woche sehr belebend an, denn endlich konnte man neue Leute kennenlernen und treffen. Leute, die aus denselben Gründen wie ich in die Schweiz gekommen waren, um etwas zu erleben, Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln. So hatte ich ebenfalls das große Glück großartige neue Freunde kennenzulernen, durch sie hat sich die Zeit in der Schweiz noch unvergesslicher gestaltet. Der ESN organisierte neben der Welcome Week, wirkliche viele wertvolle Veranstaltungen. Es gab aufregende Wanderungen und Ausflüge, einige Barabende, eine Halloween-Party und sogar eine Skifahrt. Neben den Veranstaltungen haben wir auch vieles privat zusammen gemacht, wir waren bei Poetry Slams, Konzerten, im Theater, im Kino, in Museen und in einer Rollschuhdisco. Natürlich bestand das Auslandssemester nicht nur aus Wanderungen und privatem Vergnügen. Diese Dinge habe ich hauptsächlich außerhalb der Vorlesungszeit erlebt, denn ich bin nicht nur einen Monat früher angereist, sondern auch über einen Monat länger geblieben. Woran man auch gut erkennen kann, wie sehr es mir in der Schweiz gefallen hat und wird, denn sie wird fortan nicht mehr aus meinen Reisezielen verschwinden. Wie schon geschrieben, gab es noch eine Zeit neben den Erfahrungen und Abenteuern, nämlich das Studium. Die Zeit der Vorlesungszeit war recht anstrengend, denn genau zu dieser Zeit blühte das Angebot des ESN auf, man musste gut planen, um alles unter einen Hut zu bekommen, aber es war möglich. Die Kurse, die ich besuchte, machten mir nämlich alle große Freude und waren sehr spannend. Manche Kurse waren sehr anspruchsvoll, da es Didaktik Kurse waren und ich im Bachelor bisher noch gar keinen Kurs in dieser Richtung hatte. Dadurch war der Einstieg für mich doppelt schwer, aber ich habe ihn geschafft und sehr viel Neues für mich persönlich und für mich als spätere Lehrkraft mitnehmen können. Am besten gefielen mir die Kurse, in denen man reflektiert auf bestimmtes Verhalten schaute. Des Weiteren möchte ich erwähnen, dass das Verhältnis zwischen Studenten und Dozent in der Schweiz auf einer anderen Ebene stattfindet als bei uns. In der Schweiz ist es nämlich üblich, dass man sich duzt. Das besondere Verhältnis kann jedoch auch daran gelegen haben, dass die FHNW eine Fachhochschule ist. Insgesamt kann ich einen Kursbesuch an der FHNW nur empfehlen. Die gesamte Atmosphäre auf dem Campus ist anerkennenswert. Wie zu Anfang erwähnt, war ich am Standort Brugg und muss sagen, dass es für mich die beste Entscheidung war diesen Standort zu wählen. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt. Die Fachhochschule liegt direkt am Bahnhof und im Vergleich zu Muttenz, welches aus einem großen imposanten Haus besteht, gibt es in Brugg mehrere Häuser. Mein Unterricht fand vor allem im Haus 4 statt. Unten sind die Holz- und Metallwerkstatt, und im vierten Stock sind die Räume zum Bereich Textiles Gestalten mit einem Nähatelier, welches ich, wie die Werkstätten, rund um die Uhr zur freien Verfügung stehen hatte. Ganz oben im sechsten Stock befindet sich die Küche, aus welcher man einen wunderschönen Blick hat. Leider ist es dort den Studierenden, ohne vorheriger Anmeldung, nicht möglich diese einfach zu benutzen. Die Vorgehensweise ist aber auch verständlich ist, da dort hochwertige Küchengeräte zu finden sind.
So viel erstmal zu Haus 4. Schräggegenüber liegt das Haus 5, in deren unterer Etage hinten rechts vom Flur abgehend ein kleines Café ist. Dieses gehört zur Fachhochschule und man kann dort mit dem Studierendenausweis bezahlen. Im Café lief immer das Radio, dieses verbreitete eine sehr angenehme Stimmung. Im Sommer hat man die Möglichkeit draußen zu sitzen, sowohl mit nur einem kleinen Kaffee als auch mit seinem Mittagessen aus der Mensa. Diese befindet auf gleicher Ebene, links vom Café. Das Essensangebot in der Mensa wechselte tagesweise und war, wie ich während meines Aufenthalts mitbekommen habe, immer vielfältig, natürlich frisch und gut kalkuliert, sodass es zu wenig Abfällen gekommen ist. In den anderen Stockwerken von Haus 5 befinden sich viele Vorlesungsräume, in denen ich jedoch nur selten Unterricht hatte. Vom Haus 5 ist es möglich, über die erste Etage, zum Haus 6 zu laufen, ohne die Gebäude zu verlassen. Dort befindet sich dann über drei Etagen verteilt die Bibliothek, welche in der ersten Etage eine Abteilung nur für Pädagogik aufweist. Dort findet man Unterrichtsmaterialien, Fachbücher und Fachzeitschriften, vor allem für WAH (Wirtschaft, Arbeit, Haushalt) und TTG (Textiles und Technisches Gestalten). Diese entsprechen unserem Fach WAT. Ich war, bzw. bin, sogar so sehr von diesen Büchern begeistert, dass ich mir welche für TTG gekauft habe. Außerhalb der Bibliothek gibt es zahlreiche Gruppentische, an denen man sich zum Lernen setzen kann. Es besteht die Möglichkeit sich Raume zu reservieren. Sehr interessant fand ich die Lernboxen, die in der dritten Etage auf dem Flur zu finden sind, sie sind ca. 2 m² groß und bieten zwei Leuten die Möglichkeit, durch eine Wand getrennt voneinander in Ruhe zu lernen. Vor allem zur Prüfungszeit wurden diese genutzt und es war schon recht interessant diese Art zu Lernen zu beobachten. Zwei weitere große Highlights des Campus sind, dass es im Haus 6 unten ein Coop (Schweizer Supermarkt) gibt und ab ungefähr Ende Oktober eine Schlittschuhbahn mit Glühweinhütte mitten auf dem Campus. Des Weiteren hat die FHNW ein überwiegend kostenloses Sportangebot, hier kann man die meisten Kursen ohne Voranmeldung nutzen. Ich habe dort den Kurs „Rückenstark“ besucht, eine Mischung aus Yoga und Pilates, und kann diesen empfehlen. Neben diesem Kurs gab es in diesem Semester noch zahlreiche weitere Kurse.
Nachdem ich nun viel über meine Ankunft, Freizeit und dem Unileben erzählt habe, komme ich nun zu wirklich wichtigen Dingen, nämlich der Finanzierung. Wie man aus meinen Freizeitaktivitäten entnehmen kann, habe ich viel erlebt und unternommen, dass kostet natürlich viel Geld, vor allem in der Schweiz. Allein meine Fahrkarte kostete monatlich 245 CHF, sie rentierte sich aber für mich. Mein Zimmer hat 500 CHF im Monat gekostet und war für die Größe recht günstig. Den von mir abgeschlossenen Handyvertrag kann ich nicht empfehlen, da dieser 50 CHF Anschlussgebühr gekostet hat nochmal 25 CHF im monatlich. Somit hatte ich pro Monat für Miete, Fahrkarte und Telefon 795 CHF Fixkosten. Dazu kommt dann noch Verpflegung und Freizeit, dafür habe ich im Schnitt pro Monat ungefähr 355 CHF benötigt, wodurch auf eine durchschnittliche Gesamtsumme von 1150 CHF pro Monat komme. Für einen Studenten hört sich das nach sehr viel Geld, was es natürlich auch ist, aber glücklicherweise konnte ich während meines Aufenthaltes ein sorgloses Leben führen, was die Finanzierung anbelangt, da ich von der TU ein monatliches Stipendium in Höhe von 1175 € erhalten habe und von der FHNW eine Einmalzahlung von 2200CHF. Zusätzlich erhielt ich noch Kindergeld und Unterhalt, diese Zahlungen benötigte ich jedoch für meine Miete in Berlin.
Rückblickend bin ich sehr froh diesen Schritt gegangen zu sein, denn all meine Gründe und Wünsche, warum ich dieses Auslandssemester machen wollte, wurden vollkommen erfüllt und teilweise sogar übertroffen. Ich bin mit jeder Menge neuer Erfahrungen, über mich und meine Umwelt, neuem Wissen, neuen Freunden, neuen Erinnerungen und vor allem Selbstbewusster zurückgekommen. Ich habe in der Schweiz sehr viel Akzeptanz und Freundlichkeit erfahren, welche man in Berlin leider öfter mal vergeblich sucht. Ich habe diesen Bericht angefangen zu schreiben, während meiner Rückfahrt und beende diesen fast eine Woche nach meiner Rückkehr. In dieser Zeit bin schon wieder viel in Berlin unterwegs gewesen und kann bestätigen, der Unterschied ist groß. Berlin ist und bleibt meine Heimat, doch die Schweiz wird mich nicht mehr loslassen. Ich kann es also nur jedem empfehlen.
Adé Marieke