Blog-Beitrag

Kompetenzbasierte Curricula als Grundlage für eine zukunftsfähige Hochschullehre?

Monika Schlatter | 22. Juli 2024

An der diesjährigen Klausur der Hochschule für Technik FHNW durften wir (Rocco Custer und Monika Schlatter) einen Workshop zu «Kompetenzbasierten Curricula» durchführen. Angeregt durch Beispiele im In- und Ausland betrachten wir sie und ihr charakteristisches Element der übergeordneten, eher abstrakten Kompetenzprofilen als eine wichtige Grundlage für die Entwicklung neuer, vielfältiger Studienformen, die in Zukunft auch einfach weiterentwickelt werden können. In diesem Artikel stellen wir den Ansatz der kompetenzbasierten Curricula und einige Beispiele von kompetenzbasierten Studiengängen vor.

Was ist ein kompetenzbasiertes Curriculum?

Die Begriffe Kompetenz, kompetenzbasiert oder – orientiert und Curriculum werden vielfältig verstanden und interpretiert: Ein Curriculum ist oft ein “möglicher Weg durch einen Modulteppich”, und Kompetenzen werden teils mit Soft Skills gleichgesetzt. Eine vorgängige Begriffserklärung scheint uns daher wichtig.  

Curricula und Kompetenzorientierung

Ein Curriculum ist der inhaltliche und methodische Kern eines Studiengangs und umfasst unter anderem die Qualifikationsziele im Sinne der im Verlauf des gesamten Studiums zu erwerbende Kompetenzen, die Lehrinhalte, den Studienaufbau sowie Lehrangebote und Lehr- und Lernformen und die Leistungsnachweise. (Nach «Studiengänge für eine digitale Welt, Arbeitspapier Nr 76 des HFD, Feb 24)

Dies zeigt auf: ein Curriculum umfasst viel mehr als eine Liste zu unterrichtende Themen beziehungsweise einen Lehrplan. Zentraler Curriculum-Bestandteil ist das Absolvierendenprofil, dessen Charakter in hohem Masse die weiteren Elemente bestimmt, unter anderem das Leitbild und grundlegende Lehr-Lernprinzipien, aber auch wie anpassungsfähig (in Inhalten und Lehr- und Lernformen) das Curriculum sein muss und kann.  

Ältere Absolvierendenprofile basieren auf dem Prinzip, möglichst vollständiges inhaltliches Wissen zu vermitteln. Entsprechende Lehr-Lernformen setzen daher auf Informationsübertragung mit passenden Kontrollmöglichkeiten. Änderungen an Inhalten können praktisch nur nach vorgängiger Anpassung des Profils erfolgen, was das Curriulum träge macht.

Seit Bologna wird die Kompetenzorientierung angestrebt, also die Ausrichtung der Lehre (Orientierung) auf die Befähigung zum Handeln in unbekannten Situationen (Kompetenz). Die neue Ausrichtung zeigt sich in den Absolvierendenprofilen (nun Kompetenzprofilen) und den daraus abgeleiteten Lernzielen in den einzelnen Modulen durch die Verwendung von entsprechenden Verben. Die Lehr-Lernformen sind so gestaltet, dass passende Aufgaben die entsprechende Handlung üben und aufzeigen lassen können. Das gesamte Curriculum ist aber immer noch stark inhaltlich ausgerichtet und vom Modulgedanken geprägt. Schnelle Anpassungen oder neue, beispielsweise interdisziplinäre Lerngefässe, sind mühselig zu realisieren, Innovation findet daher häufig nur als Puzzlestück in einzelnen Lehrveranstaltungen statt.

Kompetenzbasierte Curricula

In einem kompetenzbasierten Curriculum sind Kompetenzprofile abstrahierter und somit zukunftsträchtig abgebildet. Losgelöst von Inhalten, Technologien und Situationen definiert es, welche Handlungsfähigkeiten eine Person aufweisen sollte, um in einer sich rasch wandelnden Welt zurecht zu finden. Basierend auf diesen Kompetenzen werden konkrete inhaltliche Beispiele ausgewählt und entsprechende Lernsituationen geschaffen. Ändern sich Inhalte, Technologien oder Studierendenbedürfnisse, können in einem solchen kompetenzbasierten Curriculum rasch neue Inhalte und zusätzliche Lernsituationen bestimmt werden, ohne Kompetenzprofile anpassen zu müssen. Studierenden können ihren Kompetenzerwerb analog in verschiedensten Lernsituationen aufweisen, unabhängig von Stunden, Modultafeln und Studienverlauf.

Der Ansatz der kompetenzbasierten Curricula ist daher ganzheitlich und agil. Durch die Festlegung hochschulweiter, übergeordneter (fachlicher und «Future») Kompetenzen ohne eineindeutige Verbindung zu Inhalten und Modulen wird ein schlanker Rahmen geschaffen, innerhalb dessen sehr viel möglich und beweglich ist. Dazu gehören:

  • schnelle Anpassungen der Lehre auf neue Trends oder Herausforderungen,
  • sehr gute Integration von Future Skills,
  • vielfältige Möglichkeiten zur Individualisierung und Flexibilisierung der Studienangebote,
  • viel Freiheit in der Gestaltung der eigenen Lerngefässe,
  • viel bessere und einfachere Vernetzung von Inhalten, Lehrenden und Studierenden,
  • bessere Sichtbarkeit des vielfältigen “Könnens” der Absolvierenden.

Zukunftsfähige, agil anpassbare Curricula basieren also auf einem Kompetenzprofil, welches auf einer höheren Abstraktionsebene definiert ist, so dass neue Entwicklungen rasch berücksichtigt werden können.  Solch eines Kompetenzprofils ist gleichzeitig ein deutliches Signal, dass die daraus abgeleitete Lehre zukunftsfähig und agil gestaltet werden soll und kann.

Beispiele kompetenzbasierter Studiengänge

Im In- und Ausland gibt es mehrere spannende Beispiele solcher übergeordneter Kompetenzprofilen und daraus abgeleiteten innovativen Lehr-Lernkonzepten. Im Rahmen dieses Blog Beitrags zeigen wir mit Kurzbeschreibungen vier mögliche Umsetzungen auf.

Fachhochschule HANZE

Dem Studiengang Creative Media and Game Technologies der Fachhochschule HANZE in Groningen, NL liegt ein Kompetenzprofil mit 4 Domänen, 7 Kompetenzfeldern und 18 Kompetenzenzugrunde. Diese sind auf einem hohen abstraktions Level, so dass sie flexibel mit Inhalten gemapped und unterschiedliche Lehr-Lernformen möglich werden.

Kompetenzprofil vom Studiengang Creative Media and Game Technologies (Quelle: Educational Training Plan CMGT 2020-2021, Hanzehogeschool Gröningen).

Im Studienverlauf werden in Modulen unterschiedliche Lernformen angeboten (Projekte, Kernkompetenzen, Bookend/Selbstkompetenz-Module, Labmodule, Minor-Projekt). Jedes Modul ist auf mehrere Kompetenzen aus mindestens zwei Domänen des Kite-Modells gemappt, womit der Kompetenzerwerb konsequent interdisziplinär ist. Im Verlauf des Studiums nimmt die Wahlfreiheit der Studierenden bezüglich der zu erwerbenden Kompetenzen stetig zu.  

Fachhochschule Fontys

Die Fachhochschule Fontys in Eindhoven, NL basiert das Curriculum des Studiengangs «Information and Communication Technology» auf einem nationalen ICT- Kompetenzraster.  Den Studierenden stehen mehrere verschiedene Lehr-Lernformen zur Verfügung (siehe Abbildung). Sie berücksichtigen das individuelle Bedürfnis nach Orientierung gegenüber Freiheit bis hin zu sehr offenem Lernen an eigenen Projekten. Der kompetenzbasierte Ansatz erlaubt hier, für das gleiche Ziel rasch und flexibel verschiedene Lernformen anzubieten.  

Die vier Teachingmethods, die den Studierenden von Fontys ICT zur Verfügung stehen (Quelle)

Team Academy HES-SO

Die Business Team Academy der HES-SO in Sion bildet seit über 7 Jahren Entrepreneurs aus, seit kurzem wurde das Team Academy Konzept auf weitere Studiengänge ausgeweitet.

Grille d’évaluation des 21 compétences visées par le programme Team Acacemy (Quelle)

Das Kompetenzprofil der Business Team Academy umfasst 21 Kompetenzen und jede Kompetenz ist in 5 Niveaus ausformuliert. Neben den typischen Business-Kompetenzen werden transversale Kompetenzen gefördert (Lernen zu lernen, Teamwork, Leadership, Eigeninitiative, Agilität und Innovation, Entrepreneurship). Das Studium entfaltet sich um ein Startup-Projekt, welches die Studierende eines Studienjahrgangs gemeinsam und über die ganze Studiendauer entwickeln. Die Studierenden sind in jedem Semester frei zu entscheiden, welche Kompetenzen sie auf welchem Niveau aneignen möchten. Ende Semester wird der gesamte Kompetenzzuwachs bewertet und anhand eines Punktesystem entscheiden, ob das Semester bestanden ist bzw. die Credits gutgeschrieben werden.  

Grille d’évaluation des 21 compétences visées par le programme Team Acacemy (Quelle)

ETH Zürich

Auch die ETH Zürich hat ein hochschulweites Kompetenzraster entwickelt, welches im Kern fachspezifische und von den Studiengängen definierte Kompetenzen und daneben Methoden-, Sozial- und Personalkompetenzen auflistet. Lehrveranstaltungen können dann ausweisen, welche dieser Kompetenzen man erwerben kann (Competence View). Es ist uns zurzeit unklar, wie das ETH-Kompetenzraster hochschulweit eingesetzt wird, aber das Potential scheint gross. Um die zukünftige Bedeutung und Weiterentwicklung zu verstehen, suchen wir mit den zuständigen Personen den Kontakt.

ETH-Kompetenzraster, eine Übersicht für Dozierende (Quelle)

Kompetenzbasierte Curricula für die HSI und HTU?

In einer rasch wandelnden Welt muss sich die Ausbildung kontinuierlich auf neue auszubildende Kompetenzen, Bedürfnisse und Lernformen einstellen können. Kompetenzbasierte Curricula bieten dafür ideale Voraussetzung, weil sie Raum für Innovation und agiler Weiterentwicklung bieten. Mittelfristig können sie der HSI und HTU gegenüber Fachhochschulen mit traditionellen Curricula zu einem entscheidenden Marktvorteil verhelfen, weil Attraktivität und Aktualität der Ausbildung jederzeit gewährleistet werden können.

Wir bleiben dran. Wenn du am Thema interessiert bist und dir vorstellen kannst, mitzuwirken, melde dich bei uns!

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