Edelmetall an den WorldSkills
Es war eine lange Achterbahnfahrt über Absagen, Verschiebungen, Pandemie-bedingten Lockdowns und Planänderungen. Doch nach zwei Jahren der Vorbereitungen belegten zwei Schweizer Automatiker den dritten Platz an den WorldSkills – den «Weltmeisterschaften der Berufe».
von Adrian Matthys
2016 begann ich eine Lehre als Automatiker bei der Actemium Schweiz AG. 2020 motivierte mich mein Berufsbildner für die Berufsmeisterschaften und diese begleiten mich bis heute. Zwei Jahre arbeitete ich nach der Lehre als Automatiker und trat 2022 endlich das Studium Elektro- und Infomationstechnik an der FHNW an. |
Samstagabend, ich sitze neben meinem Teampartner Dario Flükiger in der Filderhalle in der Nähe von Stuttgart. Draussen feiern tausende Leute das Cannstatter Volksfest, wir sitzen drinnen, ohne grosse Hoffnungen und sind dennoch etwas nervös. Plötzlich erscheint die Schweizerflagge auf dem Bildschirm und um uns jubeln Kollegen, Familien und Freunde.
Es war ein unglaubliches Gefühl der Erleichterung und Freude. Die Last von zwei Jahren Training, vier Tagen intensivem Wettkampf und die «erdrückenden» Erwartungen fielen von uns ab. Wir hatten uns gegen 22 Konkurrent:innen aus 25 Nationen durchgesetzt und belegten am Ende den dritten Platz (siehe Abbildung 1) in der Disziplin «Mechatronics». Mehr noch, wir sind mit Abstand das beste Team aus Europa; nur die Teams aus Japan und «Chinese Taipei» waren leicht besser als wir.
Die Konkurrenz an den «WorldSkills 2022 Special Edition» war hart. Denn die Teams aus Japan, Korea oder Singapur hatten sich ebenfalls über zwei Jahre auf den Wettkampf vorbereitet, jedoch an fünf Tagen die Woche. Obwohl den Schweizer Teilnehmenden nie so viele Trainingsstunden zur Verfügung stehen, befinden sie sich dennoch sehr oft in den Top 3. So auch an dieser dezentral stattfindenden «Special Edition» (siehe Infobox unten) der WorldSkills 2022 in Stuttgart.
Die 2022-Ausgabe der WorldSkills war Corona-bedingt der offizielle Ersatz für die WorldSkills Shanghai 2022, die im Mai aufgrund der Pandemie abgesagt wurden. Dank des Engagements unserer Partner und Mitglieder wurden von September bis November 62 Berufswettbewerbe in 15 Ländern und Regionen durchgeführt.»
Der Weg an die WorldSkills
Dario und ich trainierten im Jahr 2021 ein- bis zweimal in der Woche alleine oder mit unserem Experten. 2022 erhöhten wir das Pensum auf drei- bis viermal pro Woche und in den zwei Monaten vor dem Wettkampf auf vier bis fünf Tage. Doch wie sieht ein Training für die Weltmeisterschaft der Berufe aus?
In der Schweiz legt man Wert auf ein ganzheitliches Training. Das bedeutet, dass wir Bekanntes in Routinetrainings allein trainierten und z. B. Förderbänder immer und immer wieder zusammenbauten. Wir erhielten aber auch neue und unerwartete Aufgaben von unseren Experten, allesamt Ex-Teilnehmende.
Ausserdem wurden wir mental von einer Sport-Psychologin und den Team-Leadern vom SwissSkills National Team gecoacht. Z. B gewöhnten wir uns an die Wettkampfsituation, indem wir an öffentlichen Trainings in Einkaufshallen oder Vergleichswettkämpfen an Technik-Messen – unter Zeitdruck und vor Publikum – teilnahmen. Danach wurde jeweils unsere Performance ausgewertet, neue Ziele gesteckt und weitertrainiert. Die Gold-Medaille immer als oberstes Ziel.
Während fast zwei Jahren (inkl. Jahr für die SwissSkills fast drei) Vorbereitung verfeinerte Dario die Abläufe für den mechanischen Aufbau von kleinen Produktionslinien. Ich als «Softi» verfeinerte Techniken im Programmieren (Abbildung 2) und erstellte eine eigene Software sowie eine Programmier-Bibliothek. Zu tief ins Detail dürfen wir aber hier nicht gehen, denn die Konkurrenz versucht, unsere erfolgreichen Techniken zu kopieren.
Vier Tage volle Konzentration
Wir reisten zwei Tage vor dem Wettkampf an, um uns einerseits «einzuleben» und andererseits zum Einrichten und Vorbereiten. Das bedeutete, dass wir versuchten, uns vollkommen auf den Wettkampf zu konzentrieren. Ich verzichtete sogar auf den Kontakt zu Familie und Freunden. Alles rückte in den Hintergrund. Natürlich stieg die Spannung, bis es endlich losging.
Am ersten Wettkampftag mussten wir eine Station mit einem langen Förderband und drei Magazinen aufbauen, die zur Steuerung erforderliche Software programmieren und das Ganze in Betrieb nehmen. Danach entwickelten wir das Modell weiter und bauten im Laufe der folgenden Wettkampftage eine komplette Produktionslinie nach den Vorgaben auf. In Abbildung 3 ist ein Auszug aus der Aufgabe C zu sehen.
Am Ende ging die Anlage in Betrieb und verarbeitete verschiedene Bestellungen. Ausserdem prüfte das System die eingegangenen Bestellungen bzgl. passender Farbe, Material, Deckel usw. Dies geschah mit verschiedenen Messmethoden, wie Reflexionslichttastern oder einer Waage.
Als Erweiterung der Produktionslinie erhielten wir einen mobilen Roboter. Dem «Robotino» von Festo konnten fixe Wegpunkte gelehrt werden. Dadurch war er in der Lage, selbstständig Teile von A nach B zu transportieren. Schliesslich transportierte er Teile zwischen einzelnen Stationen oder wartete am Ende der Linie auf fertige Produkte.
Herausforderungen en masse
Zu den grössten Schwierigkeiten sind die schwierigen Lichtverhältnisse zu zählen. Das diffuse Licht in der Halle wirkte sich auf die Sensorik aus, die dadurch nicht immer zuverlässig messen konnte? Oder der Roboter agierte «eigenwillig» und machte, was nicht so gefordert war. Anscheinend entwickelte er seinen eigenen Willen. Ausserdem war es zum Teil sehr herausfordernd, mit verschiedenen Sensoren und Aktoren zu arbeiten und deren Schnittstellen effizient und zuverlässig miteinander zu verknüpfen. Das Zusammenspiel zwischen dem Roboter und der Produktionslinie (Abbildung 4) bereitete uns einige Kopfschmerzen, da man lediglich zwei Lichtsignale zur Kommunikation mit dem Roboter zur Verfügung hatte.
Andererseits könnte der Sensor just während des Vorführens nicht korrekt messen und somit gäbe es Fehler in der Bewertung. Ich glaube, gerade in solchen Momenten zeigte sich eine unserer Stärken. Uns gelang es oft schnell, die richtigen Entscheidungen zu treffen und somit den Expert:innen eine gut funktionierende Anlage zu präsentieren. In Abbildung 4 sieht man die Bewertung durch Experten aus verschiedenen Ländern.
Ein unvergessliches Erlebnis
Wenn ich jetzt zurückblicke auf meine Reise durch die Welt der SwissSkills und der WorldSkills, bin ich unglaublich froh, dass ich sie angetreten habe. Natürlich ahnte ich zu Beginn nicht, was alles auf mich zukommen würde. Dennoch hätte ich mir nicht ausdenken können, was ich während der Vorbereitung und den Wettkämpfen erleben und lernen würde. Dies alles, da bin ich sicher, wird meine Weiterentwickelung befeuern.
Klar führt allein die Teilnahme an den Wettkämpfen zu einem grossen beruflichen Vorteil. Denn die SwissSkills sowie WorldSkills geniessen in Industriekreisen ein sehr hohes Ansehen. Möglich war meine Teilnahme aber nur, weil ich tatkräftig unterstützt wurde. Ohne meine Arbeitgeberin, die Actemium, dem Berufsverband SwissMEM, dem SwissSkills-Team und dem Experten, Nicolas Godel (Abbildung 5), unseren Sponsoren sowie meine Familie, Freunde und die Hochschule für Technik der FHNW wäre dies alles nicht möglich gewesen. Gerade Letztere unterstützte mich so, dass ich Wettkampf und Studium vereinbaren konnte. Ihnen allen bin ich sehr dankbar, dass die Reise möglich war.
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