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Das Privileg der Freiheit

23. Januar 2021

Als Schreiberin findet man sich rasch in einer Sonderrolle wieder. Man meint, man sei Beobachterin, aber man wird zugleich auch beobachtet. Ein Abschiedstext nach vier Jahren als Bloggerin.

Am 30. November 2016 um 11:57 Uhr habe ich meinen ersten Post auf dem EUT-Blog abgesetzt. Das Layout war damals spartanisch: WordPress Minimaltemplate. Seither habe ich 127 weitere Posts auf diesen Blog geladen, der zwischenzeitlich sein Gesicht grün färbte und seit letztem Jahr nun die Corporate-Farben der Hochschule trägt. Gezeichnet habe ich die Beiträge nur dann, wenn ich sie nicht selbst geschrieben hatte. Mein Name war nur beim ersten Blog-Post zu lesen. Und bei diesem. Dem letzten.

Weil ich früher mal als Tagesjournalistin trainiert habe, liebe ich es, im Eiltempo Text, Bild und Film zu produzieren. Von 2014 bis 2019 war ich an der Hochschule für Technik der FHNW als Teilzeit-Dozentin für Kultur und Kommunikation angestellt, arbeitete ab 2015 auch in Studierendenprojekten des Studiengangs Energie- und Umwelttechnik (EUT) mit. Mein Flair fürs rasche Schreiben war bald mitgeteilt, ich sodann als Bloggerin engagiert. Nachdem ich von der Dozentinnenaufgabe abgelassen hatte, blieb ich anderthalb Jahre EUT-Bloggerin. Bis heute.

Zurück zum Dezember 2016. Mein zweiter Blog-Post handelte von der Poster-Ausstellung in der Projektwoche und zeigte das Gewinnerteam des Studi-Wettbewerbs. Der Kollege von der MarKom-Abteilung der Hochschule war erfreut: Auf dem Facebook-Profil (2016 war Facebook noch angesagt) habe der Beitrag «getrendet». Also war klar: Weiterhin soll über Studierende und ihre Projekte geschrieben werden. Die Studiengangleitung, meine Auftraggeberin, begrüsste es, wenn aus dem reinen Mitteilungsblog ein «Community Blog» würde. Auch MarKom wendete sich nicht dagegen und hat netterweise oft die Inhalte von diesem Blog als Social-Media-Futter verwendet.

Weil spätestens ab Januar 2017 in der Studierenden- und Dozierendenschaft bekannt war, dass mein Name fortan nicht nur bedeutete, dass ich Noten für Leistungen der Projektkommunikation verteile, sondern auch, dass wo immer ich auftauche, womöglich fotografiert und auch potenziell ein Blog-Artikel publiziert wird, hatte ich eine Sonderrolle: Beobachterinnen- und Beobachtet-Status.

Trotz all dieser Linserei öffneten sich mir zahlreiche EUTlerinnen und EUTler und gaben mir Zugang zu ihren Wissens- und Lebensbereichen. So erfuhr ich, wie man in Äthiopien Trinkwasser aus 157 Metern Tiefe zu durstigen Kehlen befördern kann. Ich lernte, wie man im trockenen Himalaya im Winter in sogenannten Ice Stupas Wasser speichert. Meine Kolleginnen und Kollegen erklärten mir, wie sie ihre Module gestalteten und was typische Problemstellungen des Fachs waren. Erst ging es um Ökologie, dann um Erneuerbare Energien, später um Physik, dann um Gebäudesimulationen oder um nachhaltige Lieferketten. – Dass mir als promovierte Mediävistin, als Mittelalterwissenschaftlerin, die Ehre zuteilwürde, je über all dies so viel zu lernen, hätte ich mir vor Ende 2016 nicht im Traum gedacht.

Die grösste Freude bereiteten mir die Berichte über Studis: In Projekten, bei denen ich als Dozentin mitarbeitete, haben sie über die Jahre den ganzen Campus Brugg-Windisch vermessen und – das ist ja das Wichtigste – pragmatisch Lösungen für Probleme und Ungemach vorgeschlagen. Gut, dass die Campus-Verwaltung offen dafür war! Wie könnte man diese grosse Anlage energiesparend beleuchten? Wie könnte man die vielen Bierflaschen nach einem Sommerabend auf der Freitreppe aus den Abfalleimern holen? Wie liesse sich die Grasfläche ohne Rasenmäher bewirtschaften? Die Schafe für das Rasenmäher-Experiment durfte ich einfädeln, aber dann haben die Studis gerechnet, geschrieben und sich fürsorglich um die Tiere gekümmert. Bei der Lektüre der Lokalzeitungen war ich immer wach: Wo wird über EUT oder über Ehemalige geschrieben – auch in unerwarteten Zusammenhängen?

Immer wieder neu euphorisiert war ich nach Thesis-Ausstellungen, Interviews und Anlässen mit aktuellen Studis und Ehemaligen. Nach drei Jahren Studium lässt sich in so vielen Bereichen arbeiten. Und immer ein Problem oder zumindest ein Teilproblem lösen. Fachlich bin ich anders sozialisiert: Ich stelle ununterbrochen Fragen und finde statt Antworten und Lösungen immer nur noch mehr Fragen. Obwohl ich gerne eine Problemlöserin wäre.

Mit jeder der Begegnungen mochte ich die Energie- und Umwelttechnik lieber, fand sie unendlich sinnvoll, sah mich als Kleinteil des Studiengangteams. Ich liess kaum einen Apéro aus, war an praktisch jeder Konferenz, an jedem EUT-Anlass. Meine Werkzeuge waren das Handy und der Computer, später kamen ein Stativ und ein Mik dazu. Damit habe ich rasch produziert, häufig war der Beitrag am Ende der Veranstaltung online. Als Corona alle Menschen in die eigenen vier Wände trieb, gab’s halt eine «EUT-Studium @ home»-Serie.

So kam es, dass in den letzten vier Jahren 128 Posts auf dem EUT-Blog erschienen. Das ist einer pro Semesterwoche. Vereinbart war mal einer pro Monat. Getadelt für die grobe Missachtung des Auftrags wurde ich nie. Das ist ein grosses Privileg. Wer so viele Freiheiten geniesst, kann nur dankbar sein. Merci, Christoph, Peter und Concetta, merci, Klaus und Yvonne, merci, Sandro, merci, ihr beobachteten Ingenieurinnen und Ingenieure, die ihr noch studiert oder schon waltet!

Ruth Wiederkehr

p.s. Dieser Text ist gemäss automatischer Analyse mittelschwer lesbar. Der Flesch-Index ist 53. Der Beitrag enthält zudem keine Zwischentitel, was die automatische Analyse, die bei WordPress-Blogs sinnigerweise eingebaut ist, bemängelt. Entschuldigt, liebe Leserinnen und Leser!

Kaum je bin ich auf einem Foto bei beruflicher Aktivität abgebildet. Das eine Mal am 30. November 2018 hat Kollegin Yvonne Zickermann mich in Aktion fotografiert. Hier half ich Kollege Sandro Nydegger bei einer Aufnahme für Studiengangswerbung und stellte der Absolventin einige Fragen. Im Hintergrund sieht man die Bilder von Jürg Nänni. Er war Bauphysiker und Künstler und dozierte jahrelang an der Hochschule in der Architektur-Abteilung. Heute wäre er wohl EUTler.
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