Ein spontanes Auslandssemester
Increíble – unglaublich – betitelt Bastian Quillet seine Auslandssemesterzeit im Herbstsemester 2020 in Spanien. Trotz der Einschränkungen durch die Corona-Situation gelang es ihm, sein Vorhaben durchzuziehen und sein 5. Semester als Auslandssemester in Spanien zu absolvieren. Einen kleinen Einblick in diese Zeit gibt er in seinem Erfahrungsbericht.
Fünf Monate war ich in Spanien, genauer gesagt im Baskenland an der Mondragon Unibertsitatea in Donostia (San Sebastian). Viel wusste ich nicht über die Stadt am Meer, viel konnte ich nicht wissen. Ein Auslandssemester während Corona hat vor mir kaum jemand gemacht. Noch vor der Pandemie waren die sozialen Medien voll mit Gruppen von Erasmusstudierenden, die sich rege austauschten. Seit 2020 lagen diese mehrheitlich brach. «Egal», dachte ich mir. Dank der Rückendeckung durch eine flexible Studiengangleitung konnte ich entspannt dem Auslandssemesterbeginn entgegensehen. Im Falle einer kurzfristigen Absage aus Spanien hätte ich mein Studium an der FHNW regulär weiterführen können.
Ankunft, Cuadrilla und Calimocho
Die Anreise mit dem Zug habe ich eine Woche vor Vorlesungsbeginn gebucht, eine Bleibe für die ersten drei Wochen übers Internet gesichert und ein Auto, dass ich mir in den Sommerferien davor für einen Surftrip an der spanischen Atlantikküste gekauft hatte, stand etwas ausserhalb der Stadt und wartete auf mich. Über meine Gastuniversität hatte ich mich überhaupt nicht informiert. Ein Fehler? Na ja, erst einmal lagen meine Priorität nicht beim Studium, sondern bei der Sprache, dem Surfen und der EUT-gerechten Anreisen mit dem Zug. Da blieb in der Liste der Partneruniversitäten nur Mondragon. Also angemeldet, ein paar Formulare ausgefüllt, meine Sachen gepackt und los. Das Leben in den ersten zwei sommerlichen Monaten waren fantastisch. Am zweiten Abend, an der Abschiedsfeier meiner Vormieterin, lernte ich einige Doktorand*innen kennen, die während des Semesters und darüber hinaus meine Freunde wurden. Mit meiner Cuadrilla (Freundeskreis) unternahm ich alles und sie öffneten mir das Tor in die baskische Kultur. Neben einigen umstrittenen Dingen, wie Calimocho (Rotwein und Coca- Cola) bei einem langweiligen Fussballspiel am Sonntagnachmittag, lernte ich auch die traditionellen Sociedads (halböffentliche Gemeinschaftsküchen) und Sidrerias (Gasthaus mit einem Menu und Apfelwein à discrétion) mit ihnen kennen.
Freizeitprogramm im Corona-Modus
Im Baskenland herrschte permanente Maskenpflicht. Damit hatte ich keine Probleme und, dass die Bars beschränkt geöffnet hatten, störte mich nicht. Nach morgendlichem Studium (täglich 5 Stunden, drei Tage vor Ort, zwei Tage online) und anschliessend drei Stunden im Wasser, hätte ich sowieso keine Puste gehabt, mich noch an nächtlichen Aktivitäten zu beteiligen. An den Wochenenden bin ich oft mit meinem zum Camping tauglichen Lieferwagen (Furgonetta) an einen Strand oder in die Berge gefahren, um mich an Felsen und Wellen auszutoben.
Das Studium
Der Studiengang an dieser privaten Universität ist ziemlich ähnlich aufgebaut wie das EUT-Studium. Die technischen Module stehen etwas stärker im Fokus und das Semesterprojekt wird komplett in den letzten zwei Monaten, ohne Vorlesungen, durchgeführt. Um regulär mitstudieren zu können, musste ich alle Semestermodule (31 ECTs) absolvieren bei einer 100 % Anwesenheitspflicht. «Ouch…» Dazu kam, dass die Evaluierung unendlich kompliziert ist und die einzelnen Module nicht unabhängig voneinander bestanden werden können. Es erinnerte stark an meine Zeit im Gymnasium mit striktem Stundenplan, als die schlechte Note im Franzi noch mit Sport kompensiert werden konnten.
Gutes Wetter, gute Stimmung…
Nach den beschriebenen fantastischen ersten zwei Monaten wurde das Wetter zunehmend schlechter. Dazu kam, dass eine Ausgangssperre ab 22:00 Uhr Ausflüge und gemeinsame Abendessen verunmöglichte (die Bask*innen denken vor 21:00 Uhr noch nicht an Essen). Als die ersten Prüfungsresultate zurückkamen und meine Noten eher mässig ausfielen, wurde mein Aufenthalt zeitweise zu einer Geduldsprobe. Die geltenden Coronamassnahmen läuteten meine letzten drei Monate in Donostia ein. Neben Lichtblicken wie einem sonnigen Tag mit guten Wellen und geselligen Abenden, nach denen ich auf dem Fussboden in der WG meiner Cuadrilla übernachtete, war ich oft zu Hause und lernte – alleine und sehr ineffizient – oder schaute spanische Serien. Nach einem Schlussspurt mit einem erfolgreichen Projekt, konnte ich das Semester auf der akademischen Ebene versöhnlich beenden. Alles ist bestanden, ich habe sehr viel gelernt und tonnenweise ECTS im Gepäck. Als ich an meinem letzten Abend, bei Wind und Regen, mit einem lauwarmen Bier in der Hand am Stadtstrand sass und ein Freund mich fragte, wie es war, musste ich sagen, «increíble, tío». Am nächsten Morgen fuhr ich mit einem mulmigen Gefühl im Magen los. Die Menschen, mit denen ich alles unternahm und die mich einfach so in ihre Kreise aufgenommen haben, sind mir sehr ans Herzen gewachsen.
Empfehlung an die Studierenden
Im Nachhinein würde ich kaum etwas an meinem Aufenthalt ändern. Ich weiss nicht, ob eine andere Universität mit einem kleineren Pensum meiner Zeit besser getan hätte. Durch die hohen Anforderungen und den strikten Stundenplan hatte ich eine Tagesstruktur, die sehr effektiv den Pantoffelmodus verhinderte. Was ich ändern würde, wäre meine Einstellung gegenüber den Prüfungen. Ich dachte immer, ich müsste alles bestehen und habe zu oft Freunden abgesagt oder etwas nicht gemacht, weil ich unbedingt lernen musste. Was für ein Quatsch. Falscher Ort, falsche Zeit für solche Aussagen.
Ich glaube ich hatte Glück, dass ich in Zeiten von Corona so schnell und einfach Freunde gefunden habe, bei denen ich mich bedingungslos wohlfühlte. Aber wisst ihr was? Um Glück zu haben, muss man erst etwas riskieren, also los! Egal ob die Welt auf dem Kopf oder schief steht, Auslandssemester allez!
Bastian Quillet
Herr Quillet: ein toller Blog-Beitrag, herzlichen Dank! Es freut mich sehr, dass Ihr Aufenthalt trotz Corona gut geklappt hat. Spannend, was Sie alles erzählen!
Beste Grüsse Peter Stuber
Vielen Dank! Wäre der Eintrag zwei Monate vor Semesterende entstanden, wäre der Tonfall wohl etwas anders ausgefallen. Ein schöner Effekt des Gedächtnisses, dass sich lieber an die guten Dinge erinnert :)