Franziska Zaugg
«Die lange Dauer»: Gewalt und Erinnerung am Beispiel Mitrovicas im 20. und 21. Jahrhundert
Theoretischer Hintergrund und Ausgangslage
Franziska Zaugg untersuchte in ihrer Dissertation die italienische
und deutsche Besatzung in Albanien, Kosovo und angrenzenden Gebieten
während des Zweiten Weltkriegs. Dabei lag ein Schwerpunkt auf den
interethnischen Konflikten in dieser Region und ihrer
Instrumentalisierung durch die Achsenmächte und lokale Eliten. In ihrem
aktuellen Postdoc Projekt am University College Dublin widmet sie sich
verschiedenen Aspekten von Zwang und Motivation, die den Entschluss von
Südosteuropäern beeinflussten, sich für den Dienst in deutschen
Waffen-SS-Verbänden zu melden.
Fragestellung und Methoden
In ihrem vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten
Habilitationsprojekt wird Zaugg der Frage «Eine ‹longue durée› der
Gewalt? – Kriegsversehrte Gesellschaften in Südosteuropa» nachgehen.
Dabei wird sie sich, gestützt auf das von Fernand Braudel entwickelte
Konzept der «langen Dauer», der Untersuchung kriegsversehrter
Gesellschaften Südosteuropas von den Balkankriegen 1912/1913, im Ersten
und Zweiten Weltkrieg bis zu den Balkankonflikten in den 1990er Jahren
und der Frage nach Zusammenhängen von Epizentren der (Massen-)gewalt und
der Art des Erinnerns widmen. Dabei soll einerseits auf herkömmliche
historische Methoden zurückgegriffen werden – so etwa auf intensive
Archivrecherchen. Andererseits werden auf Basis der Oral History
Interviews mit mindestens 60 Akteurinnen und Akteuren aus dem
betreffenden Untersuchungsraum geführt.
Aus diesem sehr umfangreichen Projekt wird Zaugg an der Tagung vom
27. Januar 2018 am konkreten Beispiel Mitrovicas Zusammenhänge von
«Hotspots» der Gewalt im 20. Jahrhundert und der Art des Erinnerns
aufzeigen. Mitrovica stellte und stellt durch seine geopolitische Lage
einen Brennpunkt wiederkehrender bzw. sich überschneidender Konflikte
dar und taucht in den Quellen zu den Balkankriegen 1912/13, zum Ersten
und Zweiten Weltkrieg, in den Nachkriegsjahren sowie in den 1990er
Jahren bis in die heutige Zeit als Ort auf, wo es immer wieder zu
Gewalteskalationen kommt. Es ist daher als Beispiel geeignet, die oben
genannte «longue durée» von Gewalt anhand einer städtischen Gesellschaft
aufzuzeigen, die seit über hundert Jahren in lokale, zwischenstaatliche
wie auch internationale Konflikte verwickelt ist. Wie wurden und werden
in Mitrovica Erinnerungen weitergeben? Wie schrieben und schreiben
beispielsweise Medien darüber? Wie verhielten und verhalten sich die
Menschen in Mitrovica aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen?
Auf der einen Seite kann aufgrund zahlreicher Quellen wie auch
bereits geführter Gespräche vor Ort festgestellt werden, dass viele die
jeweils andere Bevölkerungsgruppe meiden bzw. ihr abneigend gegenüber
stehen. Auf der anderen Seite soll im Vortrag auch gezeigt werden, wie
Menschen versuchen, diesen Gewaltkreislauf zu durchbrechen, etwa indem
sie für Jugendliche beider ethnischer Gruppen (Albaner und Serben)
gemeinsame Kurse an der «Mitrovica Rockschool» anbieten. Ihr Ziel ist
es, auf diese Weise Vorurteilen und Pauschalisierungen entgegenzuwirken
und gemeinsame positive Erinnerungen zu schaffen. Die Jugendlichen
nehmen allerdings mit Überschreiten der innerstädtischen Grenze
(serbischer/albanischer Teil) die Gefahr auf sich, selbst Opfer von
Gewalt zu werden.
Erste Befunde
Da für das 2018 startende Projekt auch auf Ergebnisse aus
Dissertation und Postdoc zurückgegriffen werden kann, lässt sich bereits
einiges über solche Epizentren der Gewalt während der Konflikte des 20.
Jahrhunderts in Südosteuropa aussagen. Es handelt sich dabei um Orte,
die als besonders von Gewalt betroffen in den Quellen auftauchen. Auch
zur Tradierung im familiären bzw. öffentlichen Kontext (Stichwort
«Silencing») können bereits Angaben gemacht werden.
Autorin
Dr. Franziska Anna Zaugg
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