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Schülervorstellungen zu Migration

Dieser Beitrag wurde ursprünglich im HS 2018/2019 auf der alten Blog-Seite des GeoConcept Projektes veröffentlicht (Benutzer: SchuelervorstellungenMigration).

zitieren als SchuelervorstellungenMigration (2018/2019): Schülervorstellungen zu Migration. original: http://geoconcepts.geographyteachereducator.com/de/2018/10/schulervorstellungen-zur-migration/ , republished under http://www.fhnw.ch/plattformen/geoconcepts, 2019.

Einleitung

In der Schweiz haben rund 37.2% der Gesamtbevölkerung einen Migrationshintergrund (vgl. BFS, 2017). Dies betrifft laut Statistik die ständige Bevölkerung ab 15 Jahren. Zudem beinhalten diese 37.2% die Personen mit Migrationshintergrund bis zur 2. Generation sowie auch eingebürgerte Personen (vgl. BFS, 2017).
Diese knapp 40% Einwohner der Schweiz mit Migrationshintergrund sind einerseits durch die wirtschaftliche Situation, welche schon Ende des 19. Jahrhunderts zu einer ersten Einwanderungswelle führte, bedingt und andererseits ist die Immigration in die Schweiz kein abgeschlossenes Phänomen (vgl. Nguyen, 2017).

«[D]ie Einwanderung steht heute mehr denn je im Zentrum der politischen Debatte» (Nguyen, 2017). Durch die Aktualität und Präsenz dieser Thematik kann eine hohe Relevanz für den Geographieunterricht abgeleitet werden. Laut Lehrplan 21 können die Schülerinnen und Schüler…

«[…] Bevölkerungsverteilungen und -entwicklungen in ausgewählten Regionen der Welt beschreiben und anhand von Bevölkerungsdiagrammen vergleichen.
[…] aktuelle Bevölkerungsbewegungen erkennen, diese räumlich und zeitlich strukturieren sowie Gründe für Migration erklären. Migration in die Schweiz; wirtschaftliche, soziale, ökologische und politische Migrationsgründe.
[…] diskutieren, welche Auswirkungen Migration auf die betroffenen Personen und die Aufnahmegesellschaft hat.
» (vgl. Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016)

Um diese Kompetenzen aufzubauen und diese Thematik mit den Schülerinnen und Schüler zu erarbeiten, muss die Lehrperson die Schülervorstellungen zur Migration kennen.
Es werden im Folgenden drei Studien zu Schülervorstellungen aus dem Bereich Migration vorgestellt.

Abbildung 1: IOM and Japan continue to help Syrian refugees. © IOM 2014 CC BY-NC-ND 2.0

Hoogen

In der Arbeit von Andreas Hoogen (2016) werden einerseits die fachliche Klärung zum Begriff illegale Migration und andererseits die Schülervorstellungen zu diesem Thema vorgestellt.

Forschungsverfahren
Hoogen beginnt in seiner Arbeit mit der fachlichen Klärung, bei welcher er verschiedene Texte mit Hilfe von qualitativen Inhaltsanalysen auswertet (vgl. Hoogen, 2016, S. 387). Hoogen erläutert anschliessend kurz den umfangreichen Überblick, den er dadurch über diese Thematik erhalten hat.

Anhand dieser Ergebnisse hat er in Interviews mit Schülerinnen und Schüler deren Vorstellungen zum Thema illegale Migration erörtert. Auf den Seiten 194 ff. dokumentiert Hoogen die Ergebnisse, welche sich aus den Interviews ergaben.

Als Beispiel dient hier der erste Schwerpunkt, Der Begriff illegale Migration. Der Begriff wird in der Literatur oft negativ dargestellt. Nur in wenigen Texten ist Hoogen auf eine eher kritische und reflektierte Darstellung gestossen (vgl. Hoogen, 2016, S. 387). Hoogen bettet somit die Wirkung dieses Begriffs auf Schülerinnen und Schüler in seine Befragungen ein. Neben dem Themenschwerpunkt Der Begriff illegale Migration werden auch weitere Schwerpunkte wie Gründe der Migration, Boatpeople und Grenzen, Lebensumstände und Marktpositionen illegaler Migranten und Migrantinnen, Auswirkungen von illegaler Migration und Bewertung illegaler Migration in die fachliche Klärung mit einbezogen und es es werden anschliessend die zu behandelnden und zu berücksichtigten Punkte betreffend Schülervorstellungen ausgearbeitet (vgl. Hoogen, 2016, S. 393 ff.).

Ergebnisse
Es folgen hier noch ein weiteres Beispiel aus den Ergebnissen: Hoogen erwähnt in seinen Ergebnissen, dass der Begriff den meisten Schülerinnen und Schüler bekannt sei, jedoch wie vermutet der Begriff Illegalität oft mit Kriminalität in Verbindung gebracht wird (vgl. Hoogen, 2016, S. 197).  Als Gründe für eine illegale Migration wurden von den Schülerinnen und Schüler bspw. folgende Dinge genannt: «Wetter, Krieg, Verfolgung, … Armut im Herkunftsland,  Religionsfreiheit, …» (Hoogen, 2016, S. 200).

Lutter

Die Studie von Andreas Lutter (Lutter 2011) zeigt verschiedene Schülerperspektiven zum Thema Migration und Integration auf: Immer wieder wird «Integration als Veränderung der Migrantengruppen und ethnischen Minderheiten im Sinne von Anpassung gedacht und bisweilen negativ konnotiert oder ablehnend zurückgewiesen» (Lutter 2011, S. 190). Auch die sozial-kulturelle Perspektivierung taucht in den Schülervorstellungen immer wieder auf. Der Autor fasst die SuS-Vorstellungen folgendermassen zusammen: «Die Vorstellungen der Schüler/Innen bedienen sich eher der Gewissheit von Konzepten des Deutsch-Seins oder Nicht-Deutsch-Seins und linear-kausalen Erklärungsmustern des Integriert-Seins oder Nicht-Integriert-Seins» (Lutter 2011, S. 191).

Anhand der Schülerperspektiven soll aufgezeigt werden, welche «fachlich geklärten Erklärungskonzepte und didaktischen Strategien zu Differenzierung und Förderung des Migrationsbewusstseins im sozialwissenschaftlichen Unterricht von entscheidender Bedeutung sind […]» (Lutter 2011, S.14). Die Studie soll zudem die Ideen zur didaktischen Strukturierung der migrationspolitischen Bildung geben.

Die Fragestellung
Welche Vorstellungen haben Schülerinnen und Schüler zu Integration in Bezug auf Zuwanderung und Migration. Die Studie beschäftigt sich mit der Frage, was bedeutet «gelungene Integration» (Lutter 2011, S.61)?
«Die Fragestellung kann in folgende Leitfragen überführt werden:

  • Welche Vorstellungen werden mit dem Wort Integration assoziiert?
  • Welche subjektiven Integrationsmodelle treten hervor und auf welchen Grundannahmen beruhen diese?
  • Welche Gemeinsamkeiten im Denken lassen sich in der Auseinandersetzung mit dem Sachthema herausarbeiten?
  • Welche Lernmöglichkeiten eröffnen sich dadurch im Lernfeld?» (Lutter 2011: S.88)

Forschungsverfahren
Lutter (2011) verspricht sich von der qualitativen Interviewtechnik ein besonders ertragreiches Resultat.

Folgende Punkte berücksichtigt Lutter (2011) bei seinen Interviews:

  • Gesamtschule: da soziale Herkunft sehr ausgeprägt
  • leistungsstark vs. weniger leistungsstark
  • unterschiedliche Altersstufen (zwischen 17 und 19): 11. Oder 12. Jahrgangsstufe
  • Migrationshintergrund ja/nein
  • politisch interessiert vs. politisch desinteressiert

Da Lutter (2011) als Forschungsinstrument die qualitative Interviewtechnik wählte, werden als Ergebnis verschiedene Vorstellungen von Schülern und Schülerinnen mit Bezug auf die oben genannten Punkte (Herkunft, Leistungsstärke, Alter, Migrationshintergrund, politisches Interesse) vorgestellt.

Ergebnisse

Lutter (2011) zeigt auf, dass die rekonstruierte Vorstellungen und Lebenswirklichkeit verknüpft sind: «Die Analyse der Schülervorstellungen macht ersichtlich, dass Pluralität und Migration alltägliche Bestandteile der Lebenspraxis in Schule, Freundeskreis und Familie darstellen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die rekonstruierten Vorstellungen der interviewten Schüler/Innen eng mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit verknüpft sind[…]» (Lutter 2011, S.190).

Der Studie kann ebenfalls entnommen werden, dass Erklärungskonzepte sowie Schülervorstellungen eine wichtige Rolle im migrationspolitischen Unterricht spielen: «Die herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Schülerperspektiven implizieren notwendigerweise Konsequenzen für den Unterricht, wenn die Schülervorstellungen für die Gestaltung der eigenen Lebenspraxis und der Bewältigung von durch Migration geprägter Lebenssituationen in ihrer Bedeutung ernst genommen werden. Die Ergebnisse der Fachlichen Klärung sollen der weiteren Ausdeutung der subjektiven Vorstellungen behilflich sein und innovative Hinweise für die konstruktive Aufgabe der Entwicklung von Lehr- und Lerndesigns aufzeigen. Weiterhin erlauben Fachkonzepte die Einschätzung lernförderlicher und lernhinderlicher Vorstellungen in der Auseinandersetzung mit Zuwanderung und Integration und stellen eine legitimierbare Basis für die Differenzierung der Schülerkonzepte im Rahmen der migrationsdidaktischen Strukturierung zur Verfügung» (Lutter, 2011, S. 191).

Im Fazit seiner Studie stellt Lutter (2011) klar: «Die am Beispiel der Integration von Migranten und Minderheiten explizierten Ergebnisse der wechselseitigen Betrachtung lebensweltlicher und fachlicher Vorstellungen machen deutlich, dass ein gelingender Fachunterricht zur migrationspolitischen Bildung auf beide Perspektiven angewiesen ist. Die fachlich basierte Legitimation sachstruktureller Erklärungskonzepte und die lebensweltliche Authentizität von Schülervorstellungen stiften beide einen gleich wichtigen Beitrag für den migrationspolitischen Unterricht. Durch die vorgenommene Betrachtung verschiedener Vorstellungsbereiche konnten innerhalb dieser Untersuchung beide Perspektiven bereichert und im Hinblick auf die Vermittlungsaufgabe vervollständigt werden.» (Lutter, 2011, S. 201)

Belling

Die Studie von Dorothee Belling (2017) untersucht neben dem demographischen Wandel und den theoretischen Grundlagen unter anderem die Frage, was bei der Thematisierung des demographischen Wandels im Unterricht auf Sekundarstufe I beachtet werden muss? Weiter untersucht Belling (2017) wie die Unterrichtsqualität zu diesem anthropogeographischen Thema gesteigert werden kann.

Forschungsverfahren
Belling (2017) entschied sich mit dem problemzentrierten Interview mit Concept Maps für ein qualitatives Verfahren. Die Concept Map ist ein Differenzierungsinstrument für visuelle Lerntypen.
Als Forschungsklasse wurde eine 10. Realschule in Deutschland (die Schülerinnen und Schüler sind zwischen 15 und 17 Jahre alt) im ersten Halbjahr ausgewählt, da das Thema komplex ist und ein gewissen Vorwissen vorhanden sein muss.
Das Bundesland Niedersachsen wurde gezielt ausgewählt. Der Landkreis Diepholz gilt noch als ländlich aber befindet sich nahe der Stadt Bremen.

Ergebnisse

In den Medien behandelte Themen wie die Flüchtlingskrise und andere aktuelle, verwandte Brennpunkte haben ohne Zweifel einen Einfluss auf die Schülervorstellungen zum Thema Migration. Einige der Befragten haben zum Beispiel die Meinung, dass ganz allgmein «[…]im Moment mehr Menschen nach Deutschland» ziehen. Auch hat die Mehrheit der Befragten die Vorstellung, dass die Menschen die nach Deutschland kommen aus Kriegsgebieten stammen (z.B. Syrien, Afghanistan). Zudem sind alle Befragten der Meinung, dass der Ausländeranteil wegen den Flüchtlingen «steil nach oben gegangen» ist (Belling 2017, S. 164-167).

Belling (2017) konnte in den Interviews beobachtet werden, dass Schülerinnen und Schüler Mühe haben zwischen «Ausländer» und «Flüchtling» zu unterscheiden. Weiter führt ein Grossteil der Befragten die variable Migration nicht auf eine sinkende Kindersterblichkeit oder das steigende Durchschnittsalter zurück, sondern setzen diese in Beziehung mit den Flüchtlingswellen. Es gibt als zahlreiche Schülervorstellungen für den demographischen Wandel. Allerdings neigen Schülerinnen und Schüler oft zu «einfachen Kausalketten und eindimensionalen Schlüssfolgerungen» (Belling 2017).

Konsequenzen für den Unterricht

Für den Unterricht spielen, aufgrund der grossen Aktualität und Medienpräsenz, Schülervorstellungen zur Migration eine zentrale Rolle. Eine Auseinandersetzung mit den Schülervorstellungen zum Thema Migration ist ohne Zweifel für Lehrpersonen aller Niveaus hilfreich. Dabei sollten sich die Lehrpersonen auch über den Migrationshintergrund der Schülerinnen und Schüler informieren.

Um die Vorstellung der Schülerinnen und Schüler, dass die Migrantinnen und Migranten im Moment der Grenzüberschreitung illegal werden, zu steuern, muss im Unterricht eine Auseinandersetzung mit Daten und Statistiken stattfinden. Auch die Unterschiedung von einem Flüchtling und einem Migranten ist vielen Lernenden unklar (Belling 2017, S. 166). Sie vermischen diese beiden Begriffe und erhalten, beispielsweise über die Meiden, ein falsches Bild von Migranten und der damit verbunden Migration. Daher ist es wichtig Medien im Unterricht gezielt einzusetzen. Weiter ist auch die Schülervorstellung vom «Integriert-Sein[s]» (Lutter 2011, S. 191) oft zu einfach gestrickt und sollte im Unterricht aufgegriffen und diskutiert werden.

Für eine Bewertung der illegalen Migration müssen vor allem die politischen Aspekte herausgearbeitet werden. Zu zeigen wäre beispielsweise, dass Migration nur durch Politik illegal gemacht wird, jedoch für gewisse Menschen unumgänglich ist, auch wenn es als Straftat dargelegt wird. Um die Bewertung von Migration und Integration im Unterricht einzubetten, sollten sich die Schülerinnen und Schüler ausserdem mit verschiedenen Perspektiven, wie bspw. Angehörige, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Migranten, etc. beschäftigen. (vgl. Hoogen, 2016, S. 393 ff.).

Die Schülervorstellungen unterscheiden sich aber beispielsweise im Hinblick auf die Arbeitsplätze. Einerseits ist ein oft genanntes Vorurteil, dass die Migrantinnen Einheimischen die Arbeit wegnähmen oder Probleme verursachen und andererseits sehen einige Lernende die Zuwanderung als Gewinn für die Wirtschaft an (Belling 2017, S. 166.167). Das Konzept der Bevölkerungsverlagerung soll daher bewusstgemacht werden, indem die Auswirkungen in den Herkunftsländern ebenfalls ins Gewicht fallen. So kann auch hier eine reflektierte Haltung der Schülerinnen und Schüler gegenüber der Auswirkungen gefördert werden kann.

Es ist zudem interessant, dass sich aus dem Kantonsvergleich mit den Populationsdaten aus dem Schuljahr 07/08 ergab, dass «je höher die Leistungsanforderungen eines Schulniveaus waren, desto geringer der Migrantenanteil war» (Bergmann, 2012, S. 184). Diese Erkentnisse sind einerseits für Unterricht selber hilfreich, sowie auch für die Arbeit als Klassenlehrperson (z. B Schüler- und Elterngespräche) und wären für eine weitere Arbeit ein interessantes Thema.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: UN Migration Agency (IOM): IOM and Japan continue to help Syrian refugees.[https://www.flickr.com/photos/iom-migration/12165699863; 27.10.18]

Literaturverzeichnis

Belling, Dorothee (2017): Demographischer Wandel und Schülervorstellungen: ein Beitrag zur geographiedidaktischen Rekonstruktion. Serie: Geographiedidaktische Forschungen; Band 66.

Bergman M., Hupka-Brunner S., Meyer Th., Samuel R. (2012): Bildung – Arbeit – Erwachsenwerden: Ein interdisziplinärer Blick auf die Transition im Jugend und jungen Erwachsenenalter. Wiesbaden: Springer VS.

BFS (2017): Bevölkerung nach Migrationsstatus. [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/migration-integration/nach-migrationsstatuts.html; 30.9.2018]

Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (Hrsg.) (2016): Lehrplan 21. Räume, Zeiten, Gesellschaften. Lehrplan 21 – von der D-EDK Plenarversammlung am 31.10.2014 zur Einführung in den Kantonen freigegebene Vorlage. Bereinigte Fassung vom 29.02.2016.

Hoogen, Andreas (2016): Didaktische Rekonstruktion des Themas illegale Migration : Argumentationsanalytische Untersuchungen von SchülerInnenvorstellungen im Fach Geographie (Vol. Band 59, Geographiedidaktische Forschungen). Münster: Monsenstein und Vannerdat.

Lutter, Andreas. (2011). Integration im Bürgerbewusstsein von SchülerInnen (Vol. Band 5, Bürgerbewusstsein). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Nguyen, Duc-Quang (2017): Einwanderungsland Schweiz. Artikel vom 19.12.2017. In: SWI swissinfo.ch. [https://www.swissinfo.ch/ger/politik/bevoelkerungsentwicklung_einwanderungsland-schweiz/42941804; 30.9.2018]

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