Zitieren als: Wyss, H., Tharepadickel, R., Eichenberger, S., Bonetti, S. (2019): Präkonzepte und Missbeliefs von Schülerinnen und Schülern im Bereich Plattentektonik. PH FHNW, Windisch.
Dieser Blogeintrag widmet sich den Prä- und Misskonzepten von Schüler_innen im Bereich der Plattentektonik. Die Thematik umfasst zentrale Elemente für das Verständnis der Erde und ihren Veränderungen und bietet daher einigen Raum für Misskonzepte. Als Grundlage dienen vier Studien.Während sich Studie 1 von SYBLEY (2018) mit Misskonzepten von Studierenden bei der Skizzierung von Erdplatten und deren Bewegungen befasst, legen die Studien 2 DENK (2019) und 3 MARQUEZ/THOMPSON (1997) den Schwerpunkt auf die Bedingungen, um einen Conceptual Change herbeizuführen. Studie 4 CONRAD (2014) wiederum, hat Präkonzepte in den Bereichen Plattentektonik und Aufbau der Erde mit dem Ziel erforscht, geeignete Leitlinien für den Unterricht zu entwickeln, um Misskonzepten entgegenzuwirken.
Schülerinnen und Schüler haben unterschiedliche Vorstellungen zur Plattentektonik. Meist handelt es sich von Fehlvorstellungen aufgrund falscher Annahmen und Interpretationen. Die Plattentektonik ist ein relativ abstraktes physiogeographisches Thema mit einem geringen lebensweltlichen Bezug. Nicht selten haben auch Fachlehrpersonen Misskonzepte, welche an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben werden. Somit bleiben diese Fehlvorstellungen zur Plattentektonik über die Zeit starr und können nur langsam geändert werden. Um einen Conceptual Change herbeizuführen, müssen diese Fehlvorstellungen identifiziert und fachlich korrekt verändert werden. Dies beginnt bereits beim richtigen Verstehen des Aufbaus der Erde und endet schliesslich im korrekten Erkennen und Beschreiben der verschiedenen Vorgänge an den Plattengrenzen.
Studie: Erfahrungsbasiertes Verstehen geowissenschaftlicher Phänomene. Eine didaktische Rekonstruktion des Systems Plattentektonik (Conrad 2014)
Die Studie von Dominik Sebastian Conrad wurde im Zeitraum von Februar 2011 bis Juni 2014 durchgeführt und als Dissertation an der Universität Bayreuth, Professur Didaktik der Geographie, angenommen.
Durch problemzentrierte Einzelinterviews mit 15 Schüler_innen aus bayerischen Gymnasien wurden deren Fehlvorstellungen erfasst und beschrieben. Aus den Ergebnissen leitete Conrad (2014) didaktische Leitlinien für den Geographieunterricht, Thema Plattentektonik, ab.
Ergebnisse
Es gibt verschiedene Schüler_innen-Vorstellungen zum Thema Plattentektonik. Die Ergebnisse der Studie wurden in vier Kategorien (Tabelle 1) unterteilt: Schülervorstellungen zu den Lithosphärenplatten, zum Aufbau der Erde, zu den Plattenbewegungen und Antrieb der Plattenbewegungen.
Schüler_innen-Vorstellungen zum Thema Plattentektonik. Gegliedert nach Kategorien:
Schlussfolgerungen für den Unterricht
Aufgrund der oben genannten Schüler_innen-Vorstellungen hat Conrad (2014) sechs didaktische Leitlinien für die Vermittlung der Themas Plattentektonik erarbeitet (Conrad 2014):
- «Behandlung der Plattenbewegung als Teil eines Kreislaufs
- Einführung der Antriebsmechanismen Plattenzug, Rückendruck und Asthenosphärenantrieb nach der Behandlung der Platten-Mantel-Bewegung
- Einbettung in einen wissenschaftshistorischen Kontext
- Strukturierung der Platten als Doppelkörper
- Einbettung der Lithosphäre in den Aufbau der Erde
- Vernetzung mit Wissen aus dem Physikunterricht, insbesondere dem physikalischen Verständnis des Schwimmens (Conrad 2014, S. 164)
Studie: Visual Abilities and Misconceptions About Plate Tectonics (Sibley 2018)
Die Studie von Sibley (2018) fand an der Michigan State University statt und untersuchte die Fehlvorstellungen bei einer Gesamtzahl von 600 Student_innen anhand von Zeichnungen zu konvergierenden Plattengrenzen. Diese 600 Student_innen wurden in verschiedenen Gruppen eingeteilt und mussten verschiedene Aufgaben lösen (entweder ein Quiz, Test oder Zeichnungen als Hausaufgabe). Die Student_innen der Hausaufgabengruppe wurden instruiert, eine Skizze von konvergierenden Platten zu zeichnen. Die Skizzen wurden mit einem Partner diskutiert und bewertet. Anschliessend wurden die Skizzen in verschiedene Kategorien eingeteilt. In einem zweiten Teil mussten zwölf Student_innen aus dieser Gruppe erneut Plattengrenzen zeichnen. Mit ihnen wurden ausserdem Interviews durchgeführt und die Ergebnisse mit den früheren Skizzen verglichen. In den anderen Gruppen wurde ein Quiz oder einen Test durchgeführt, in denen Plattengrenzen gezeichnet oder angeschrieben werden mussten.
Ziel der Studie von Sibley (2018) war es, die verschiedenen Vorstellungen von Studierenden über konvergierende, kontinentale Plattengrenzen anhand von selbstangefertigten Bildern und Skizzen zu untersuchen und festzustellen, worin ihre Fehlvorstellungen lagen.
Ergebnisse
- Es wurden zwei Fehlvorstellungen erkannt.
- 1/3 der Student_innen zeichneten die Kontinent-Kontinent konvergierende Plattengrenze mit gewölbten Scheiben, als würden 2 Scheiben Gummi aneinander auf einem starren Untergrund kollidieren.
- 300 von 600 Student_innen zeichneten Berge, die aussahen als wären sie invertierte Eiswaffeln auf einem starren Untergrund.
- 180 Student_innen zeichneten die zweite Skizze Zeichnung ähnlich wie sie bei Fehlvorstellung 1 beschrieben wurde. 49% von diesen 180 Studierenden wussten nicht, dass es sich um eine Fehlvorstellung handelte.
- Student_innen mit dem Fach Geologie als Nebenfach, hatten genau die gleichen Fehlvorstellungen wie Student_innen, welche das Fach Geologie als Hauptfach studierten.
Schlussfolgerungen für den Unterricht
Die Verwendung von analogen Modellen ist teilweise sinnvoll, wenn diese Modelle auch eine akkurate Repräsentation des Gegenstands oder des zu vermittelnden Wissens darstellen. Es wäre also im Unterricht sehr wichtig, das Zeichnen von Konzepten zu üben, damit die Schüler_innen ihre Ideen auch bildlich und akkurat darstellen können, sodass die Skizzen auch einfacher zu interpretieren sind.
Studie: Lernförderliche Methoden für einen Conceptual Change von Schülervorstellungen zum Aufbau der Erde (Denk 2019)
Die Studie von Denk wurde 2019 als Dissertation an der Universität Bayreuth verfasst und von der Professur Didaktik Geographie angenommen. Denk (2019) führte 20 qualitative Leitfadeninterviews an bayerischen Realschulen und Gymnasien durch.
Ziel der Studie war, zu untersuchen, ob und inwieweit ein erfolgreicher Conceptual Change zum Thema Aufbau der Erde durchgeführt werden kann. Die Methodik der Studie ist in folgenden Teilen gegliedert:
- Präkonzept: Die bereits vorhandenen Wissenszustände der ProbandInnen werden durch Interviews erfasst.
- Intervention: Die ProbandInnen erarbeiten eine Lernumgebung aus verschiedenen Modellen, Arbeitsblättern und Filmmaterialien.
- Postkonzept: Als Erhebungsmethode müssen die ProbandInnen erneut ihre Vorstellungen zum Thema Aufbau der Erde zeichnen sowie Fragebogen ausfüllen (Multiple Choice Test und Interessenskala bewerten).
Ergebnisse
Proband_innen fügten folgende Fachbegriffe in ihre Zeichnungen ein: Kern, Mantel, Kruste und Lithosphäre. 11 Proband_innen haben den Fachbegriff Erdkern angeordnet, jeweils 6 Proband_innen die Begriffe Mantel und Kruste. Nur bei einem Probanden bzw. einer Probandin ist das Fachwort Lithosphäre vorgekommen. Neben den Fachbegriffen wurden Schülervorstellungskonzepte untersucht.
Von 12 Proband_innen wurde das Magmahüllmodell vertreten. Die Interviewaussagen tragen einen Anteil für die zur Klassifizierung der ProbandInnen in die Konzeptklassen ein. Ein Probandin sagte zu ihrer Zeichnung: “Okay, in der Mitte ist die ganz heisse Lava […] dann kommt […] Lava, die vielleicht nicht mehr so warm ist, bis zu einer Lava, die schon abgekühlt ist” (Denk 2019, S. 110). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Proband_innen das Magmahüllenmodell als Sichtweise hatten und die Vorstellung, dass sich Magma, bzw. Lava im Erdinnern befindet.
Das Gesteinsschichtmodell lässt sich durch ihre Farben in der Zeichnung und vor allem durch die Interviewaussagen erkennen: “Ich habe nicht viel auf Papier. Na ja, ich gehe davon aus, dass man es schon als Kind gelernt hat, dass es einen Erdkern gibt. Dass man es noch so nennt. […] Verschiedene Gesteinsschichten. […] Ich habe die Farben verwendet, um die Temperatur […] wie soll ich sagen? Bildlich darzustellen?” (Denk 2019, S.110) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass fünf von 20 Proband_innen das Gesteinsschichtmodell benutzen.
In Bezug auf die Schülerzeichnung der Begriffsklassen (Fachbegriffe) ist zu erkennen, dass der Begriff Erdkern von allen Proband_innen repräsentiert sind. 17 von 20 Proband_innen haben den Begriff Erdmantel und Erdkruste in ihrer Zeichnung erwähnt. 17 Proband_innen zeigen im Postkonzept eine nahe fachwissenschaftliche Vorstellung zum Aufbau der Erde.
Veränderungen vom Prä- zu Postkonzept: Durch das selbstgesteuerte Lernen in der Lernumgebung haben die Lernenden eine Veränderung des Konzepts zum Aufbau der Erde erreicht. Mithilfe der verständlichen Materialien und veranschaulichen Modellen konnten 17 von 20 Proband_innen über fünf adäquate fachwissenschaftliche Begriffe anführen. In der Studie hat sich gezeigt, dass Proband_innen, die ein hohes Interesse mitbringen, einen deutlichen Conceptual Change erreichen. Proband_innen, bei jenen kein Conceptual Change festgestellt werden konnte, war die Phase der Unzufriedenheit nach POSNER et al. (1982) nicht ausreichend vorhanden. Es war bei ihnen Demotivation, mangelndes Interesse und geringe Leistungsbereitschaft zu sehen. Um einen erfolgreichen Conceptual Change zu erreichen, müssen die Phasen Unzufriedenheit, Verständlichkeit, Plausibilität und Fruchtbarkeit nacheinander geschehen.
Schlussfolgerungen für den Unterricht
Abstrakte Fachbegriffe führen zu Lernhindernissen, da die Schüler_innen mit solchen Fachbegriffen nicht umgehen können, vor allem wenn sie keinen Alltagsbezug haben. Für den Geographieunterricht sollte die Lernumgebung konstruktivistisch durchgeführt werden, so dass ein Conceptual Change gelingt.
Studie: Misconceptions and Conceptual Changes concerning Continental Drift and Plate Tectonics among Portuguese Students Aged 16‐17 (Marquez / Thompson 1997)
Die Studie von Marquez/Thompson (1997) ist in drei Phasen eingeteilt. Die Pilotstudie umfasst eine Teilnehmerzahl von 10 Schüler_innen im Alter von 16/17. In einem Interview mussten Fragen zum Thema Plattentektonik beantworten werden. Bei der Befragung wurden 4 Präkonzepte in den Bereichen Erdabkühlung, Kontinentalentwicklung, Gebirgsbildung und Erdkruste geprüft.
In der Pre-development Phase wurde mittels Fragebogen ermittelt, welche Misskonzepte sich bei Schüler_innen nach dem Unterricht über Plattentektonik gebildet haben und ob sich Misskonzepte, die vor dem Unterricht bestanden hatten, gehalten haben.
Im Teaching-learning model geht es darum, ein Lehr-Lern Modell zu testen, welches auf ein Set von Lehrer_innen- und Schüler_innenaktivität aufgebaut ist und das Ziel verfolgt, conceptual change zu ermöglichen.
Das verfolgte Ziel der Studie von Marquez/Thompson (1997) war es, die Unterrichtsplanung auf Basis dieser Misskonzepte zu verbessern und Lehrmaterial so zu gestalten, dass es die Schüler_innen beim Überwinden ihrer Misskonzepte unterstützt.
Ergebnisse
- Wissenschaftliche Halbwahrheiten von früher halten sich bei den Schüler_innen sehr hartnäckig. Für die Lehrperson wird es schwierig sein, diese aufzubrechen.
- Lehrpersonen untermauern Misskonzepte durch eigene Missbeliefs.
- Normaler Erdkundeunterricht hilft den Schüler_innen in der Regel nicht beim Überwinden ihrer Präkonzepte.
- Erfahrungen im lokalen Raum können zu Misskonzepten führen, da diese von den Schüler_innen generalisiert werden.
- Schüler_innen müssen in der Lage sein, wissenschaftliche Probleme zu erkennen. Die Lehrperson hat die Aufgabe, die geeigneten Methoden zur Erkennung und Lösung dieser Probleme bereitzustellen.
- Wenn wissenschaftliche Themen aus dem historischen Blickwinkel betrachten werden, kann dies die Schüler_innen dabei unterstützen, mehr Verständnis für das Thema zu erlangen.
Diskussion und Studienvergleich
Methodisch setzen alle Studien auf Interviews, wobei die Analyse jeweils andere Schwerpunkte festlegt. Diese beziehen sich auf die inhaltliche Qualität des Unterrichts und der Antworten der Schüler_innen, das Vorgehen und die Verarbeitung der Sprache. Dabei liegt der Fokus in erster Linie auf der Bedeutung von Wissenslücken. Während sich die Studien 1 und 2 mit der Frage beschäftigen, warum Misskonzepte entstehen, widmen sich Studie 3 und 4 der Frage der Effektivität des Geografieunterrichts. Dazu kann als Ergebnis festgehalten werden, dass Studie 3 und 4 zum Schluss kommen, dass die Thematik für Schüler_innen oft nicht fassbar ist und Missbeliefs durch die Lehrperson, welche oft eigene Fehlvorstellungen in den Unterricht trägt, noch verstärkt werden. Die Studien 1 und 2 schlagen daher vielseitige Modelle zur Visualisierung der Thematik vor. Geografische Modelle, sofern sie einen konkreten Sachverhalt aufzeigen, so wie das Zeichnen geografischer Konzepte, werden dabei als besonders zielführend angesehen.
Schlussfolgerungen und Auswirkungen für den Unterricht
Alle vier Studien zeigen mithilfe der Zeichnungen und Interviews, dass die Schülerinnen und Schüler Fehlvorstellungen zur Plattentektonik haben. Trotz der unterschiedlichen Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler zum Thema Plattentektonik, ist es möglich durch eine effektive didaktische Aufbereitung einen Conceptual Change herbeizuführen. Die Lehrpersonen müssen daher von der alten Perspektive der «normalen Geographieunterricht» wegdenken und versuchen das Wissen beispielsweise der Auftriebskräfte von Physikunterricht in diesem Thema einzubetten. Dies bedeutet, dass Lehrpersonen im Lehr-Lern Prozess lernförderliche Lernumgebung schaffen müssen, damit die Schülerinnen und Schüler ihre Präkonzepten überwinden können. Dies geschieht beispielsweise durch hohe Selbsttätigkeit, aufeinander aufbauende Lernmaterialen, Verwendung von Farben für schnelleres Begreifen, selbstgesteuertes Lernen, hohe Veranschaulichung und vielseitige Modelle zum Ausprobieren (Denk 2019, S.134).
Literatur und Abbildung
Studie 1: Conrad, Dominik Sebastian (2014): Erfahrungsbasiertes Verstehen geowissenschaftlicher Phänomene. Eine didaktischeRekonstruktion des Systems Plattentektonik. Bayreuth: Universität Bayreuth.
Studie 2: Duncan F. Sibley (2005): Visual Abilities and Misconceptions About Plate Tectonics. Journal of Geoscience Education, 53:4, 471-477, DOI: 10.5408/Sibley_v53p471
Studie 3: Anna Denk, Catharina (2019): Lernförderliche Methoden für einen Conceptual Change von Schülervorstellungen zum Aufbau der Erde. ProfessurDidaktik der Geographie. Bayreuth: Universität Bayreuth.
Studie 4: Marquez, Luis; Thompson, David (1997): Misconceptions and Conceptual Changes concerning Continental Drift and Plate Tectonics among Portuguese Students Aged 16‐17. Research in Science & Technological Education, Vol15, No.2
Abb. 1: Schematische Darstellung der Dynamik von Lithosphärenplatten. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Lithosph%C3%A4re#/media/Datei:Plattengrenzen.png [Stand: 25.11.2019]