Zitieren als: Bassi, A.; Schmid, M. & Welti, E. (2021): Vulkanismus. PH FHNW; Windisch.
Einleitung
Vulkane gehören zu den Naturereignissen dieser Erde und lassen sich im Lehrplan 21 als Teil der Grundlagen der Erde verorten (EDK, 2016). «Schüler:innen lernen Naturereignisse zu beschreiben und deren Entstehung als Folge endogener und exogener Prozesse zu erklären» (EDK, 2016). Zudem sollten «Schüler:innen in der Lage sein, sich über aktuelle Naturereignisse zu informieren und deren Ursachen zu erklären sowie die Auswirkungen dessen auf das Leben der Menschen und die Natur zu benennen und einzuschätzen» (EDK, 2016). Damit die vom Lehrplan 21 geforderten Kompetenzen aufgebaut werden könne, sollten sich Lehrpersonen über die Präkonzepte der Schüler:innen zum Thema Vulkanismus bewusst sein. Die drei im folgenden Blog-Post vorgestellten Studien widmen sich dieser Frage. Zuerst werden jeweils die Forschungsmethode sowie die Ergebnisse der einzelnen Studien vorgestellt. Anschliessend werden die Ergebnisse diskutiert und Schlussfolgerungen für den Unterricht gezogen.
Studien
Studie 1:
Hemmerich, Joshua A. und Wiley, Jennifer (2002): Do argumentation tasks promote conceptual change about volcanoes? In: Proceedings of the Annual Meeting of the Cognitive Science Society 24/24. [https://escholarship.org/uc/item/52z652jf; 28.9.2021].
Einführung
Es wird untersucht, welche konzeptionellen Modelle bezüglich Vulkane und Plattentektonik junge Erwachsene haben und inwiefern durch die Lektüre und das anschliessende Zusammenfassen, entweder als Essay oder als Argumentation, ein conceptual change herbeigeführt werden kann. Es wurden zwei Studien getrennt voneinander durchgeführt. Hemmerrich und Wiley (2000) fassen frühere Studien zusammen und folgern, dass Argumentationen schreiben eine Aufgabe ist, welche es erfordert, die neue Information in bestehende oder neue Modelle zu integrieren (übersetzt)(Hemmerich/Wiley 2002).
Studie A: Forschungsverfahren
Insgesamt 28 Student:innen der University of Illinois in Chicago wurden gefragt: «Was löste die Eruption des Mt. St. Helens am 18. Mai 1980 aus?»(übersetzt)(Hemmerich/Wiley, 2002, S. 3). Die Frage sollte schriftlich und mit mindestens einem Absatz beantwortet werden.
Die Antworten wurden in vier Typen unterteilt:
- Typ 0 «oberflächliche, falsche Modelle» (übersetzt) (Hemmerich/Wiley 2002)
- Typ 1 lokale Modelle, welche nur Teilaspekte miteinbeziehen, z. B. Magma + Temperatur (Typ 1A), Plattenbewegungen (Typ 1B) oder Druck (Typ 1C)
- Typ 2 gemischte Modelle, welche die Faktoren aber nicht in einen Kausalzusammenhang setzten
- Typ 3 integrierte Modelle, welche die einzelnen Faktoren in einen Kausalzusammenhang setzten
Ergebnisse
«Eine überraschende Anzahl an Studierenden nannte unvollständige oder falsche Modelle als Grund für den Ausbruch des Mt. St. Helens.» (übersetzt)(Hemmerich/Wiley, 2002, S. 4)
Studie B: Forschungsverfahren
40 Studierende der University of Illinois in Chicago wurde die Aufgabe gegeben: «Schreibe einen Essay, was den Ausbruch des Mt. St. Helens 1980 ausgelöst hat.» (übersetzt)(Hemmerich/Wiley, 2002, S. 4) 20 Studierende der Gruppe erhielten denselben Auftrag, allerdings wurde Essay durch Argumentation ersetzt. Die Antworten wurden wie bei Studie A kategorisiert.
Zusätzlich wurden diese beiden Gruppen halbiert, wobei eine Hälfte die Dokumente mit den Informationen in einem einzelnen Fenster im Browser angezeigt bekam und die andere Hälfte die Dokumente in zwei Fenstern nebeneinander betrachtete, mit der zusätzlichen Information «um Quervergleiche zwischen den Dokumenten anzustellen» (übersetzt)(Hemmerich/Wiley 2002). Es wurden also vier Gruppen mit je zehn Personen untersucht.
Ergebnisse
Diejenigen Studierenden, welche eine Argumentation schreiben mussten, zeigten ein besseres Verständnis des Sachverhalts verglichen mit der Essay-Gruppe (siehe Textfeld).
Conceptual change in den Geowissenschaften wird also durch das Verfassen von Argumentationen begünstigt. Student:innen, welche einen Essay verfassten nannten mehrheitlich Modelle des Typs 0 und 1, während die Argument-Gruppe mehr Modelle des Typs 2 und 3 nannte. Hingegen zeigte sich bei der zwei-Browserfenster-Gruppe höchstens ein leicht positiver Trend gegenüber der ein-Browserfenster-Gruppe (Hemmerich/Wiley 2002). Die Studie zeigte zudem, dass selbst Studierende auf Universitäts-Niveau Mühe haben einen Sachverhalt zu verstehen, wenn sie ihn nur durch Lesen erarbeiten. (Hemmerich/Wiley 2002).
Schlussfolgerungen für den Unterricht
Es zeigt sich, dass junge Erwachsene noch ganz ähnliche Probleme mit Konzepten in den Geowissenschaften haben, wie SuS auf der Sekundarstufe. Einerseits wird klar, dass gewisse Modelle mittels Textinformation sehr schwer zu verstehen sind, so haben sich auch die Student:innen in der Studie nur marginal verbessert. Andererseits kann daraus abgeleitet werden, dass Bilder, Animationen und Simulationen bei Modellen in dieser Grössenordnung eine markante Verbesserung herbeiführen können und durch Argumentationsaufträge die Integration neuer Information in bestehende Konzepte für SuS vereinfacht und begünstigt werden kann (Hemmerich/Wiley 2002).
Studie 2:
Caillot, Michel; Chartrain, Jean-Louis (2001): Conceptual Change and Relation to Knowledge: The Case of Volcanism at Primary School. [https://files.eric.ed.gov/fulltext/ED454034.pdf; 1.10.2021].
Inhalt, Stichproben und Messinstrumente
In ihrer Studie versuchen Caillot und Chartrain zu erklären, weshalb Schülerinnen und Schüler derselben Klasse ihre Vorstellungen nicht abändern können. Um den conceptual change zu untersuchen, wurden die Präkonzepte von 9 Schülerinnen und 19 Schülern einer 5. Klasse in Frankreich zu Vulkanismus untersucht. Die Untersuchung wurde mittels Fragebögen durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden die Präkonzepte der Schülerinnen und Schüler erhoben und die Proband:innen mussten einen Fragebogen diesbezüglich ausfüllen. Im Anschluss wurden 8 Lektionen Unterricht durchgeführt. Nach drei Wochen wurden die Postkonzepte erfasst und vier Monate später bekamen die Schülerinnen und Schüler erneut einen Fragebogen mit weiteren Lernfragen.
Untersuchungsergebnisse
Die Fallstudie von Caillot und Chartrain zeigt, dass die Vielfalt der Art und Weise, in welcher die Schülerinnen und Schüler ihre Präkonzepte abändern, nicht nur von der Qualität des Unterrichts, sondern auch von der Einstellung zur Schule abhängt. In dieser Studie wurde die Beziehung der Lernenden zum Faktor Wissen untersucht, der die verschiedenen conceptual changes erklärt, die beobachtet wurden. Es konnte gezeigt werden, dass 77.8% der Befragten ein lokales Konzept beschreiben (reine lokale Sichtweise). 18.5% beschreiben ein L+ Konzept (ausgefeiltere Sichtweise, «bei der der Vulkan in den Tiefen der Erde eine riesige Tasche mit Magma aufweist, die bei einem heftigen Ausbruch auf die Seite des Vulkans ausbrechen könnte»). 7.4% beschreiben ein C Konzept (zentrale Vorstellung) und kein:e Schüler:in ein G Konzept (Schüler:innen wissen, dass es bewegliche Platten an der Erdoberfläche gibt und kennen die Verbindungen zwischen Vulkanismus und Erdbeben). Nach dem Unterricht hatte kein:e Proband:in mehr ein L Konzept, nur 3.7% ein L+ Konzept, 51.9% ein C Konzept, 22.2% ein C+ Konzept (zentrale Vorstellung, Schüler:innen wissen, dass sich die Erdkrustenplatten bewegen, denken aber, dass der Vulkanismus nichts mit dieser Bewegung zu tun hat) und 25.9% ein G Konzept. Die Resultate zeigen, dass Conceptual Change zwar stattfindet, aber trotzdem viele Schüler:innen kein G Konzept erreichten.
Studie 3:
Otto, Karl-Heinz; Toulkeridis, Theofilos; Zach, Imme und Edler, Dennis (2019): Eine empirische Studie zum Wissen von Schülerinnen und Schülern über aktive Vulkane und Schutzmaßnahmen in Ecuador (Juni). doi:10.18452/19953. [https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/20828; 30.9.2021].
Inhalt, Stichproben und Messinstrumente
Die Studie wurde an den Deutschen Schule in Quito und Guayaquil mit zwei Testgruppen durchgeführt. Die erste Gruppe waren Schüler*innen der 5./6. Jahrgansstufe, welche noch keinen Unterricht zum Thema Vulkanismus hatten. Die zweite Testgruppe umfasst Schüler*innen der 12. Jahrgangsstufe (Otto et al., 2019).
Insgesamt nahmen an der Gesamtstudie, welche im Schuljahr 2014/15 durchgeführt wurde, 1651 Schüler*innen aus 62 Klassen in 30 Schulen teil. Die ausgewerteten Daten beziehen sich jedoch nur auf ausgewählte Ergebnisse Datenerhebung an den oben erwähnten Deutschen Schulen. Für die Erhebung wurden Schulen in Städten und Dörfern ausgewählt, die im näheren und weiteren Gefährdungsbereich von Vulkanen liegen, aber auch Schulen für Vergleichs- bzw. Kontrollzwecken, die weit ausserhalb von deren Gefährdungsbereichen liegen (Otto et al., 2019). Die Stichprobe umfasst also 60 Schüler*innen der 6. Klasse und 70 Schüler*innen der 12. Klasse in beiden Orten (Otto et al., 2019, S. 13).
Zur besseren Standardisierung und quantitativer Vergleichbarkeit wurde als Messinstrument ein Fragebogen mit geschlossenen Fragen eingesetzt. Zudem wurde für die erste Testgruppe eine einfache Ja-/Nein-Skala verwendet und für die zweite Testgruppe, eine vierteilige Likert-Skala, welche anschliessend «in eine zweiteilige Ja-/Nein-Skala übersetzte» wurde (Otto et al., 2019, S.14).
Untersuchungsergebnisse
Die Auswertung der ersten Studie konnte aufzeigen, dass das Wissen von ecuadorianischem Schüler*innen über Vulkanismus abhängig von räumlichen Gegebenheiten (Nähe bzw. Distanz zu aktiven Vulkanen) steht. Beispielsweise konnten Schüler*innen in Quito (nahe am Vulkan Cotopaxi) mehr aktive Vulkane aufzählen als die Schüler*innen der weit von einem Vulkan entfernte Schule in Guayaquil. Auch in Bezug auf die «Aktivität von Vulkanen» gibt es Signifikate Unterschiede bezüglich Schulstandort (besser in Quito), nicht aber zum Jahrgang (Otto et al., S. 15). Die Studie zeigt aber auch, dass es keinen Wissenszuwachs gibt zwischen den Schüler*innen der 5./6. und der 12. Jahrgangsstufe, obwohl das Thema im Lehrplan vorkommt (Otto et al., 2019, S. 17). Im Hinblick auf den Gefahrenschutz ist sogar festzustellen, dass die Testgruppe 1 mit den jüngeren Schüler*innen Signifikat besser abschneidet, als die zweite Testgruppe. Ebenso schneiden die Schüler*innen in Quito signifikant besser ab, als jene in Guayaquil (Otto et al., 2019, S. 16). Auffallend ist zudem, wie die Ergebnisse der Gesamtstudie zeigen, dass trotz der Nähe zu den aktiven Vulkanen «lediglich 23,8 % der Schüler*innen im Besitz eines Notfallrucksacks sind», welcher im Falle eines Vulkanausbruchs nötige «Hilfsmittel für die Erstversorgung, bzw. das Überleben beinhaltet» (Otto et al., 2019, S. 18).
Diskussion und Schlussfolgerungen für den Unterricht
Einerseits kann aus den Studien herausgelesen werden, dass Schüler*innen beim Thema Vulkanismus diverse Fehlkonzepte mitbringen und nur selten ein vollständiges Verständnis der Prozesse vorhanden ist (Hemmerich/Wiley 2002)(Caillot & Chartrain, 2001). Die Art der Präkonzepte variiert stark und auch die Verständnisebenen, auf welchen sich die Schüler*innen innerhalb der selben Jahrgangsstufe befinden, unterscheiden sich teilweise stark (Otto et al. 2019).
Als grosse Schwierigkeit beim Verständnis des Wirkungsprinzips von Vulkanen, kristallisieren sich die Trägheit der Prozesse (Plattentektonik) und die schiere Grösse des zu verstehenden Systems heraus (Hemmerich/Wiley 2002). Oftmals werden stattdessen kleinräumige oder stark vereinfachte Konzepte von den Schüler*innen genannt (Michel Caillot/Jean-Louis Chartrain 2001)dass sich beispielsweise Lava im «Kamin» des Vulkans staut oder ein Vulkanausbruch passiert, weil die Lava zu heiss wird und explodiert (Hemmerich/Wiley 2002).
Positiv wirken sich einerseits eine räumliche Nähe zu Vulkanen aus, womit wohl auch allfällige Exkursionen zu einem besseren Verständnis beitragen würden (Otto et al. 2019), andererseits könnte mit Simulationen, Animationen und Bildern ebenfalls ein wertvoller Beitrag geleistet werden (Hemmerich/Wiley 2002).
Um bei den Schüler:innen einen conceptual change herbeizuführen, scheint das Verfassen von Argumentationen eine grosse Hilfe zu sein, wobei im Gegensatz zu der ebenfalls untersuchten Form Essay einer viel klareren Struktur und Logik gefolgt werden muss, damit die Argumentationsketten auch Sinn ergeben (Hemmerich/Wiley 2002). Dieser forcierte rote Faden wirkt sich positiv auf das Verständnis aus und kann auch im eigenen Unterricht integriert werden: So könnte es den Schüler*innen leichter fallen, einen Inhalt zu verstehen, wenn die Informationen auf das wesentliche heruntergebrochen werden und in einer logischen Reihenfolge dargelegt werden und nicht im Stile eines Romans daherkommen.
Nichtsdestotrotz gibt es auch Faktoren neben der Unterrichtsqualität, welche einen conceptual change begünstigen oder eben nicht. So scheinen Schüler:innen, welche eine positive Beziehung zum Faktor Wissen aufgebaut haben, auch leichter zu einem conceptual change zu bringen sein (Otto et al. 2019). Inwiefern diese anderen Faktoren beeinflusst werden können, wird leider nicht beantwortet.
Als konkretes Anwendungsbeispiel für den Unterricht wurde der folgende Concept Cartoon erstellt. Die im Cartoon genannten Präkonzepte beziehen sich auf die Resultate der drei Studien.
Literaturverzeichnis
Caillot, Michel und Chartrain, Jean-Louis (2001): Conceptual Change and Relation to Knowledge: The Case of Volcanism at Primary School. Seattle. [https://files.eric.ed.gov/fulltext/ED454034.pdf; 27.10.2021].
EDK (2016). Lehrplan 21. Räume, Zeiten, Gesellschaften (mit Geografie, Geschichte). https://v-fe.lehrplan.ch/index.php?code=b|6|4 [Letzter Zugriff: 2021-10-22]
Hemmerich, Joshua A. und Wiley, Jennifer (2002): Do argumentation tasks promote conceptual change about volcanoes? In: Proceedings of the Annual Meeting of the Cognitive Science Society 24/24. [https://escholarship.org/uc/item/52z652jf; 28.9.2021].
Otto, Karl-Heinz; Toulkeridis, Theofilos; Zach, Imme und Edler, Dennis (2019): Un estudio empírico sobre los conocimientos del alumnado sobre volcanes activos y medidas de precaución en EcuadorAn Empirical Study on Pupils’ Knowledge on Active Volcanoes and Protective Measures in EcuadorEine empirische Studie zum Wissen von Schülerinnen und Schülern über aktive Vulkane und Schutzmaßnahmen in Ecuador (Juni). doi:10.18452/19953. [https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/20828; 28.9.2021].
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Oscar Manuel Romero (2017): Cotopaxi, Ecuador, PichinchaFotografie. pixaby. [https://pixabay.com/photos/cotopaxi-ecuador-pichincha-volcano-4621290/; 27.10.2021].