Zitieren als: Süess, R. (2021): Präkonzepte zur Hydrologie. PH FHNW; Windisch.
Abb. 1: Hydrologischer Kreislauf (Quelle: http://agwaterstewards.org/practices/groundwater_management/)
Einleitung
Das Thema Hydrologie, also die Wissenschaft, welche sich mit dem Wasser in der Biosphäre der Erde befasst (Wikipedia 2021), ist zwar kein zentraler Bestandteil des dritten Zyklus des Lehrplans 21. Trotzdem wird die Thematik in unterschiedlichsten Formen und Fächern (bspw. auch im Natur & Technik) aufgegriffen und thematisiert. So ist der globale Wasserkreislauf ein Bestandteil des Zyklus 2 (D-EDK 2016a), wobei dieser natürlich zentral für das Thema Hydrologie ist und dem auf diesem GeoConcept-Blog ein eigener Beitrag gewidmet ist.
Im dritten Zyklus des Lehrplans 21 und somit für die Sek I-Stufe relevant sind hingegen die Themen «Natürliche Ressourcen und deren Nutzung» und die «Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Umwelt». Im Lernziel RZG 1.4 sollen die Schüler*innen u.a. «für den Menschen wichtige natürliche Ressourcen (z.B. Gesteine, mineralische Rohstoffe, Wasser, Boden) und deren Nutzung nennen [können]» (vgl. D-EDK 2016b). Aber auch «Auswirkungen analysieren, die durch die Gewinnung, den Abbau und die Nutzung natürlicher Ressourcen auf Mensch und Umwelt entstehen» (vgl. D-EDK 2016b). Entsprechend ist das Thema Hydrologie mit den Aspekten Grundwasser und Wasserquellen trotz allem relevant und für den Unterricht auf Sek I-Stufe von Bedeutung.
Dieser Blog-Post nimmt in der Folge zwei Präkonzept-Studien zum Thema «Grundwasser» und «Wasserquellen» genauer unter die Lupe, stellt diese einander gegenüber und versucht Schlussfolgerungen für den Unterricht auf Sek I-Stufe zu ziehen.
Studie 1
Dickerson, D., & Dawkins, K. (2004): Eighth grade students› understandings of groundwater.
Die Studie von Dickerson & Dawkins aus dem Jahr 2004 zeigt das Verständnis zum Thema Grundwasser von Schüler*innen der 8. Klasse in den Vereinigten Staaten von Amerika auf.
Die Autoren halten fest, dass die nationalen Standards ein «angemessenes Verständnis des Grundwassers und seiner Rolle im hydrologischen Kreislauf» von Achtklässler*innen verlangt (Dickerson & Dawkins 2004, S. 178, übersetzt). Entsprechend versuchten sie die Schüler*innen-Vorstellungen zu erheben und Schlussfolgerungen für den Unterricht auf Sek I- bzw. Sek II-Stufe zu ziehen.
Methodik
Die Achtklässler*innen sollten anlässlich der Erhebung eine Umfrage ausfüllen, wobei diese aus einer Multiple-Choice-Aufgabe und einer Zeichenaufgabe bestanden. Die Aufgaben wurden anschliessend mithilfe einer Rubrik bzw. auf das Verständnis über die Grundwasserbildung, -bewegung und -speicherung ausgewertet. Zudem wurde eine Klassendiskussion geführt und aufgezeichnet sowie anschliessend transkribiert und codiert (Dickerson & Dawkins 2004).
Mit den insgesamt achtzehn Schüler*innen der achten Klasse hat man einen neunwöchigen Wahlkurs durchgeführt, wobei die Teilnehmenden den sozioökonomischen Status der Schule widerspiegelten sowie einen Notendurchschnitt von B oder besser hatten (Anmerkung: Die Note A+ ist in den USA die beste Note) (Dickerson & Dawkins 2004).
Ergebnisse
Aus der Stichprobe von Dickerson & Dawkins )2004) haben beim Multiple-Choice-Vortest lediglich zwei Schüler*innen die Punktzahl 1 und niemand die Punktzahl 2 erreicht. Hingegen haben beim Nachtest insgesamt fünf Schüler*innen die Punktzahl 1 und jmd. gar die Punktzahl 2 erreicht (von total 17 Teilnehmenden).
Dickerson & Dawkins (2004) halten fest, dass Schüler*innen der achten Klasse grundsätzlich «naive Vorstellungen» (Dickerson & Dawkins 2004, S. 179, übersetzt) vom Grundwasser haben. So stellen sich viele Schüler*innen Grundwasser als unterirdische Becken oder Bäche oder aber Seen oder Flüsse vor. Allerdings ist die Art der Fehlvorstellung nicht leicht zu erkennen, weil teilweise sowohl wissenschaftliches als auch umgangssprachliches Vokabular in grossen Umfang verwendet wurde. Ebenso wurden in den Zeichnungen Begriffe verwendet, welche die Schüler*innen anschliessend aber nicht (zufriedenstellend) erklären konnten.
Eine weitere Ursache für die Fehlkonzepte beim Grundwasser ist gemäss Dickerson & Dawkins (2004) auch das falsche oder schlechte räumliche Denken bei den Schüler*innen selbst.
Schlussfolgerungen
Dickerson & Dawkins (2004) sehen in einer dauerhaften und umfassenden Anweisung/Behandlung eine Möglichkeit, den Fehlvorstellungen zu begegnen und einen sogenannten Conceptual Change herbeizuführen.
So gibt es nach Dickerson & Dawkins (2004, S. 181, übersetzt) drei Schritte zur Bewältigung des Problems:
- «Die wissenschaftliche Gemeinschaft muss erkennen, dass das Verständnis des Grundwasserkonzepts ein besonders problematischer Bereich darstellt.»
- «Grundwasser eine enorm wichtige und schützenswerte Ressource darstellt und deren Erhalt und Schutz vom Verständnis der Öffentlichkeit abhängt.»
- «Das Konzept ist schwer vermittelbar und erfordert daher eine sorgfältige Aufmerksamkeit bei der Verwendung von Unterrichtsmaterialien.»
Studie 2
Reinfried, S., Aeschbacher, U., Kienzler, P., & Tempelmann, S. (2013): Mit einer didaktisch rekonstruierten Lernumgebung Lernerfolge erzielen das Beispiel Wasserquellen und Gebirgshydrologie.
In der Studie von Reinfried et al. aus dem Jahr 2013 wurde «die Wirksamkeit einer didaktisch rekonstruierten und lernpsychologisch optimierten Lernumgebung zum Thema «Wasserquellen und Gebirgshydrologie» evaluiert» (Reinfried et al. 2013, S. 259).
Die Schüler*innen sollten dabei ihre Fehlvorstellung mittels Conceptual Change beheben und wissenschaftsnahe Vorstellungen zum Thema «Wasserquellen und Gebirgshydrologie» entwickeln (Reinfried et al. 2013, S. 259).
Methodik
Reinfried et al. (2013) haben die erarbeitete und optimierte Lernumgebung mittels einer Interventionsstudie mit Lernenden im 7. Schuljahr evaluiert. Die Interventionsstudie bestand dabei aus einem Pre-, Post- und einem Follow-up-Test, wobei dieser Follow-up-Test den Wissensstand zwei Monate nach der Intervention erhob.
Die Lernumgebung thematisierte dabei die Entstehung und die Funktion von Wasserquellen. Die Fragebogen zu den genannten drei Messzeitpunkten waren dabei quantitativ ausgelegt. So haben insgesamt 143 Schüler*innen aus beiden Niveaus A und B (Anmerkung: höchstes und mittleres Niveau) sowie einer Niveau-ausbalancierten Klasse teilgenommen. Der Pre-Test erhob dabei das Vorwissen bzw. die Schüler*innen-Vorstellungen, welche für diesen Blog-Post besonders von Interesse sind (Reinfried et al. 2013).
Ergebnisse
Die Resultate der Studien konnten zeigen, dass die didaktisch-rekonstruierte Lernumgebung ein Lernen bzw. eine Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglicht hat, welche zu einem beträchtlichen Lernzuwachs geführt haben. Darüber hinaus führte die Intervention zu einer ziemlich stabilen Behaltensleistung (Reinfried et al. 2013).
Es gilt an dieser Stelle aber auch festzuhalten, dass die Studie nicht als Methodenvergleich angelegt war und nicht die Überlegenheit der Lernumgebung gegenüber anderen Lernumgebungen zeigen wollte. Vielmehr hatte die Studie zum Ziel, effizientes Unterrichtsmaterial zu einem komplexen Thema mit lernhinderlichen intuitiven Vorstellungen zu entwickeln und zu evaluieren. Dieses Ziel konnte erreicht werden (Reinfried et al. 2013). Nebst den eigentlichen Resultat beziehen sich die Autoren auch auf Schüler*innen-Vorstellungen. Hier wird festgehalten, dass Fehlvorstellungen bei «hydrogeologische[n] und hydrologische[n] Konzepte […] weit verbreitet [sind]» (Reinfried et al. 2013, S. 264). Diese Fehlvorstellungen beinhalten «nicht nur die Entstehung von Quellen, sondern beziehen sich auf sämtliche Teilbereiche des Wasserkreislaufs» (Reinfried et al. 2013, S. 264). Weiter wird erwähnt, dass u.a. das Vorkommen von Grundwasser und Quellen als solches nicht direkt sichtbar ist und daher schwer fassbar sei (Reinfried et al. 2013).
Schlussfolgerungen
Die Fehlvorstellungen der Schüler*innen im Bereich des Grundwassers aber auch im Bereich der Quellen geht oft zurück auf Alltagstheorien, welche ebendieses Verständnis beeinträchtigen: So ist nach Reinfried et al. (2013) die Vorstellung, «am weitesten verbreitet [und ein besonderes Lernhindernis] […], dass Gestein […] dicht und wasserundurchlässig und es [daher] grosser Hohlräume für unterirdische Wasservorkommen bedarf»(Reinfried et al. 2013, S. 265). Weiter fügen die Autor*innen an, dass es u.a. Fehlvorstellungen im Bereich der «Definition der Wasserquelle» selbst, aber auch im Bereich der «Herkunft des Wassers» oder den «Ursachen des Wasseraustritts» gibt, welche sich durch falsche Alltagsvorstellungen manifestieren (Reinfried et al. 2013, S. 266).
Diskussion & Schlussfolgerungen für den Unterricht auf Sek I-Stufe
Die beiden Studien, namentlich von Dickerson & Dawkins (2004) und von Reinfried et al. (2013), haben sich u.a. mit den Schüler*innen-Vorstellungen im Bereich der Hydrologie befasst und bekannte Fehlvorstellungen genannt. Dickerson & Dawkins (2004) haben sich mehrheitlich mit Fehlvorstellungen zum Thema «Grundwasser» beschäftigt. Hingegen haben Reinfried et al. (2013) sich ganz allgemein mit dem Thema «Quellen und Gebirgshydrologie» befasst und nebst den gängigsten Fehlvorstellungen auch eine Lernumgebung entwickelt und evaluiert.
Für den Unterricht auf der Sek I-Stufe sind allerdings beide Studien von Bedeutung und haben wichtige Erkenntnisse zu Präkonzepten geliefert. Beide Studien machen sichtbar, dass es im Bereich der Hydrologie durchaus Fehlvorstellungen bei Schüler*innen gibt, und wir durch entsprechenden Unterricht einen Conceptual Change herbeiführen müssen. So ist die Thematik einerseits für das Verständnis des «Globalen Wasserkreislaufs» von zentraler Bedeutung, andererseits ist das Thema «Grundwasser» auch ein gesellschaftlich relevantes Thema – sind wir doch überall auf der Erde auf sauberes und stetiges Trinkwasser angewiesen.
Die beiden Studien diskutieren nicht nur die entsprechenden Fehlvorstellungen, sie zeigen auch auf, welche Alltagstheorien bzw. -konzepte den Fehlvorstellungen zu Grunde liegen. So haben beide Studien gezeigt, dass vor allem im Bereich «Grundwasservorkommen» grosser Handlungsbedarf besteht: Die Jugendlichen wissen demnach nicht, wie und wo Grundwasser entsteht und wie dieses letztendlich in den Wasser- bzw. Trinkwasser-Kreislauf gelangt (siehe Dickerson & Dawkins (2004) & Reinfried et al. (2013).
Es lohnt sich daher durchaus, die Thematik im Unterricht auf Sek I-Stufe durchdacht und stetig zu thematisieren, um letztendlich einen Conceptual Change bei den Schüler*innen herbeizuführen. So halten Dickerson & Dawkins (2004, S. 181, übersetzt) beispielsweise fest, dass «Grundwasser eine enorm wichtige und schützenswerte Ressource darstellt und deren Erhalt und Schutz vom Verständnis der Öffentlichkeit abhängt.» Dies sollte für Lehrpersonen Grund genug sein, den Fehlvorstellungen Gegensteuer zu geben.
Konkrete Anwendungsmöglichkeit
Um nicht nur lediglich die beiden Studien zu präsentieren, soll dieser Blog-Eintrag auch eine konkrete Anwendungsmöglichkeit bieten. Wie erwähnt, ist das Thema Wasserkreislauf und Grundwasser durchaus mit dem Lehrplan 21 zu vereinbaren. Da die meisten Gemeinden in der Schweiz ihr Trinkwasser zudem aus Grundwasser-Vorkommen gewinnen, bietet es sich an, ein solches Grundwasser-Reservoir bzw. eine solche Anlage mit der Klasse vor Ort zu besuchen und dem Phänomen «Grundwasser» genauer auf den Grund zu gehen. Beim Trinkwasser ist der Gegenwartsbezug sehr stark gegeben und es macht Sinn, diesen in den Unterricht einzubauen bzw. auf diesem die Unterrichtseinheit aufzubauen. Ein Besuch eines Reservoirs macht das Thema nicht nur greifbarer, es hilft auch, das Interesse der Jugendlichen zu wecken, um nachher im Klassenzimmer der Thematik (wortwörtlich) genauer auf den Grund zu gehen. Ziel sollte es sein, dass die Jugendlichen ein Verständnis fürs Grundwasser aufbauen und allfällige Fehlvorstellungen mittels Conceptual Change zu beheben.
Literatur und Abbildungen
D-EDK (2016a): Lehrplan 21. [https://ag.lehrplan.ch/index.php?code=a|6|1|2|0|2; 19.10.2021].
D-EDK (2016b): Lehrplan 21. [https://v-fe.lehrplan.ch/index.php?code=a|6|4|1|0|4; 19.10.2021].
Dickerson, D., & Dawkins, K. (2004): Eighth grade students› understandings of groundwater. Journal of Geoscience Education, 52(2), 178-181.
Reinfried, S., Aeschbacher, U., Kienzler, P., & Tempelmann, S. (2013): Mit einer didaktisch rekonstruierten Lernumgebung Lernerfolge erzielen das Beispiel Wasserquellen und Gebirgshydrologie. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften.
Abb. 1: California Agricultural Water Stewardship Initiative. Frei und online verfügbar unter: http://agwaterstewards.org/practices/groundwater_management/ (abgerufen am: 19. Oktober 2021)