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Studierende berichten: Geomatik Frühlings- Kolloquium – «Bauherrenvermessung Kerenzerbergtunnel – Wie die Realität die Konzepte und Modelle herausfordert»

20. April 2022

Im zweiten Frühlings-Kolloquium des Institut Geomatik, über die Königsklasse in der Vermessung, stellte Stefan Conzett von der terra vermessungen AG die Vermessungsarbeiten am Kerenzerbergtunnel vor. Mithilfe von Anekdoten zwischen Realität und Theorie, wurde die Bauherrenvermessung vom Sicherheitsstollen, den Zuhörerinnen nähergebracht.

Im Projekt von ASTRA wird ein neuer Sicherheitsstollen im Kerenzerbergtunnel am Walensee gebaut. Dieser verläuft parallel zur bestehenden Röhre in Fahrtrichtung Zürich-Chur. Neben der Realisierung des neuen Sicherheitsstollens bis Ende 2024, wird die Hauptröhre bis 2026 instandgesetzt. Der Sicherheits-stollen mit einem Innendurchmesser von 6.3 m hat eine Länge von 5.6 km. Eine Eigenheit bei diesem Projekt ist, das es etwa in der Hälfte schon einen bestehenden Stollen hat, der zum See hinunterführt.

Die Firma terra vermessungen AG hat in diesem Projekt das Mandat der Bauherrenvermessung erhalten. Dazu gehören verschiedene Aufgaben wie zum Beispiel Grundlagenetz und Tunnelnetz, Ausführungskon-trolle, geodätische Überwachungsmessungen.

Grundlagenetz

Das Grundlagenetz stellt die Grundlage des ganzen Projektes dar. Die geforderten Toleranzen für den Durchschlag betragen ± 80 mm quer, ± 100 mm längs und ± 30 mm in der Höhe bezüglich der Sollachse. Da die Vortriebssteuerung ohne Vermessungskreisel durchgeführt wird, ist es ausfordernd die ge-wünschten Toleranzen des Bauherrn einzuhalten. Aufgrund der Tatsache, dass es in der Mitte des Tun-nels ein bestehender Stollen ins Freie gibt, konnte eine Durchschlagsgenauigkeit von 25 mm in Querrichtung und 22mm in Längsrichtung errechnet werden. Um die gewünschten Toleranzen zu erreichen, musste ein gutes Grundlagenetz erstellt werden. Obschon ein Grundlagenetz von vorherigen Arbeiten vorhanden war, entschied sich die Firma terra vermessungen AG ein komplett neues Netz zu erstellen. Die Entscheidung fiel auf ein Kombinetz, das heisst eine Kombination aus GNSS und terrestrischen Messungen. Das gesamte Netz erstreckt sich über eine Länge von 10 km und einer Breite von 2.5 km. Das Netz besteht aus 15 Punkten. Diese wurden zuerst mit statischen GNSS-Messungen in 2 Sessionen à 24 Stunden gemessen. Dabei wurde eine Genauigkeit von 3 mm in der Lage und 4 mm in der Höhe angestrebt. Die tachymetrischen Messungen wahren mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Aufgrund der langen Visuren (3-5 km), den grossen Höhenunterschieden und des unberechenbaren Nebels, konnte nicht immer wie gewünscht gemessen werden. Hinzu kamen die teilweise grossen Temperaturunterschiede bei den Messungen über den See. Diese stellten die Vermesserinnen vor einer grossen Heraus-forderung und zwar die Modellierung der atmosphärischen Parameter entlang der Visuren. Weitere und nicht vernachlässigbare Parameter sind die unterschiedlichen Lotabweichungen in der Region, wegen den Bergen und Tälern. Die Auswertungen der GNSS und tachymetrischen Messungen wurden in LTOP ausgeführt. Dank diesem Netz konnte an beiden Portalen Konfidenzellipsen von 1.6 bzw. 1.4 mm erzielt werden, was eine gute Ausgangslage für den Beginn des Vortriebs geboten hat.

Vortriebskontrollen

An einem Tag treiben 10 – 20 Bergleute die Tunnelbohrmaschine ca. 25 m durch den Berg. Dabei gilt es sicherzustellen, dass der Tunnel in die richtige Richtung gebohrt wird. Diese Arbeit muss alle 300 – 400 m gemacht werden und wird Vortriebskontrolle genannt. Hierfür wird ca. alle 4 Wochen ein Polygon-netz bis kurz hinter der Tunnelbohrmaschine gemessen. Dabei misst man nicht bei jeder Vortriebskon-trolle von vorne, also vom Tunnelportal aus, sondern man schliesst mit einer gewissen Überlappung beim schon bestehenden Netz an.


Wie üblich in der Vermessung weicht die Realität vor Ort vielmals vom Konzept ab. Kleinere Baustellen auf der ganzen Länge des Tunnels erschweren die Visuren für das Polygonnetz und in den ersten 100 m vom Tunnel steht nur die Hälfte von der Tunnelbreite zur Verfügung, da dort der Bandspeicher der Bohrmaschine gelagert ist. Solche Situationen verlangsamen die Vermessungsarbeiten, sind aber nicht zu vermeiden. Wie schon zu Beginn erwähnt, gibt es einen bestehenden Stollen in der Mitte des Tunnels, welcher ins Freie führt. Das Vorteilhafte daran: Es ermöglicht eine unabhängige Kontrolle des Polygonnetzes. So lässt sich der aufbauenden Fehler vom bisher einseitig angeschlossenen Polygonnetz reduzieren. Diese Arbeit konnte zum Zeitpunkt vom Kolloquium noch nicht gemacht werden, da der Durchbruch in den Stollen am 23. März 2022 stattgefunden hat. Das Vermessungsteam kann erst in den Stollen messen, wenn die gesamte 220 m lange Maschine ganz durch die Kreuzung durch ist.

Was wird sonst noch benötigt?

Neben der Messung des Grundlagenetzes und der Vortriebskontrolle wird noch eine Setzungsmessung vor dem Portal Gäsi durchgeführt. Im Verlauf von der Setzungsmessung ist festgestellt worden, dass sich der ganze Escherkanaldamm gleichmässig setzt. Neben der Überwachungsmessung des Escherka-nals werden auch Qualitätskontrollen mittels Laserscanning vom Sicherheitsstollen durchgeführt. An-hand der Scanaufnahmen kann eine Beurteilung der “Ovalisierung” der vorgefertigten Betonelemente an der Tunnelwand erfolgen. Damit der bestehende Sicherheitsstollen für den Tunnelbau verwendet werden konnte, mussten einige bauliche Massnahmen erfolgen. Dafür musste ein 3D-Modell des Stol-lens erstellt werden.

Komplex und spannend

Insgesamt war das Kolloquium sehr interessant. Stefan Conzett ermöglichte einen spannenden Einblick in die Tunnelvermessung. Der Vortrag zeigte gut auf, wie komplex so ein Vermessungsprojekt sein kann und auf was alles geachtet werden muss. Dank den Vergleichen mit den Abweichungen zwischen Planung und Praxis konnten zuhörende Geomatiker*innen einen guten Bezug zu den einzelnen Problemen herstellen. Auf Empfehlung der Autoren können Interessent*innen, die sich mit diesem Thema weiter befassen möchten, die ganze Präsentation auf dem YouTube Kanal des Instituts Geomatik hier ansehen.


Autoren: A. Bricalli und F. Lennström, Studenten Bachelor Geomatik im 2. Semester
Abbildungen: Präsentation Stefan Conzett, terra vermessungen AG

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