Bachelor in Geomatik

Studierende berichten: Geomatik-Frühlingskolloquium vom 23. April 2024 – Die Digitalisierung verändert die Kartografie

7. Mai 2024

Die Digitalisierung ermöglicht eine beispiellos einfache Navigation durch die Welt. Satelliten bestimmen unseren Standort in Sekunden und zeigen ihn zuverlässig auf unserem Smartphone an. Egal, ob Du zu Fuss, mit dem Fahrrad oder dem Auto unterwegs bist – die kürzeste Route zum Ziel wird Dir direkt angezeigt. Doch während die Nutzung der Apps einfach ist, offenbaren sich Unterschiede in der Darstellung und Individualisierung verschiedener Kartenanbieter und nicht immer zeigt eine Karte das an, was wir brauchen.

Dr. Tumasch Reichenbacher, Group Leader & Senior Lecturer an der Universität Zürich, beschäftigt sich mit den Veränderungen in der Kartografie, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Seine Erkenntnisse teilte er am Frühlings-Kolloquium am Institut für Geomatik (IGEO) an der FHNW. In diesem Blogbeitrag zeigen wir die Erkenntnisse auf, welche wir als Besucher des Vortrages mitgenommen haben.

Individualisierung und Priorisierung

Zwei grosse mobile Kartenanbieter sind Apple und Google. Besonders Letzterer ist bekannt für seine undurchsichtige Priorisierung der angezeigten Inhalte. Denn: Eigentlich wurden diese Karten für die Autonavigation entwickelt und das merkt man. Der fein ausbalancierte Algorithmus versucht zwischen maximalen Werbeeinnahmen und intuitiver Darstellung zu jonglieren und ist dabei ziemlich erfolgreich. Einen anderen Ansatz wählen Anbieter, welche beispielsweise das öffentliche Kartenmaterial von OpenStreetMap (OSM) verwenden. Dort erhalten alle User meist dieselbe Darstellung.

Wie viel Individualisierung ist sinnvoll? Unbestritten ist, dass jede Kartografin und jeder Kartograf Einfluss darauf hat, was die Nutzerinnen und Nutzer einer Anwendung erhalten. Die Menge an Geodaten muss sortiert und gefiltert werden. Die Person, welche die Algorithmen dazu schreibt, entscheidet also, was User auf ihrem Kartenausschnitt angezeigt bekommen. Ziel kann es sein, allgemeingültige Darstellungen zu finden und auf verschiedene Anwendungsbereiche zu übertragen. Dabei sind folgende Herausforderungen zu meistern:

  • Begrenzte Aufmerksamkeit

In einer Stadt wird der Nutzer:in der Karte weniger Aufmerksamkeit schenken können als bei einer Wanderung.

  • Unterschiedliche Lichtverhältnisse

Die Darstellung muss sowohl bei Sonnenschein als auch im Schatten optimal sein.

  • Kleine Displays

Mobile Navigationsgeräte verfügen oft nur über kleine Displays.

  • Informationsflut

Die Masse an Geodaten muss gefiltert werden, um das wesentliche anzuzeigen.

  • AI – Artificial Intelligence

Künstliche Intelligenz ermöglicht eine dynamische Kartendarstellung. Richtig eingesetzt, kann sie die Kartografie besser und effizienter machen.

Methoden zur Verbesserung der Kartennavigation

Für die Umsetzung einer optimalen mobilen Karte ist es hilfreich, das User-Verhalten zu kennen. Methoden dafür sind beispielsweise Eye-Tracking, AI und MapOnTap. MapOnTab trackt die Smartphone-Verwendung mittels Taps (Tip aufs Display) und ordnet sie einer App, einem Zeitpunkt und einer Position zu. Damit können Kartograf:innen analysieren, wie, wo und wann Kartenapps genutzt werden und daraus Schlüsse für Verbesserungen ziehen.

Diese Abbildung zeigt, wie viele Taps in Verbindung zur Entfernung des Zuhausesgemacht werden. Aufzeichnung von zwei unterschiedlichen User-Typen. (Quelle: Zingaro, D. & Reichenbacher, T. (2022). Exploratory analysis of mobile app usage in relation to distance from home. Prosceedings LBS2022: 59-67; Zingaro, D., Bartling, M., Teichenbacher T. (2023) Exploring Map App Usage Behaviour Trough Touchscreen Interactions (short paper GIScience 2023))

Die Analyse dieser Gewohnheiten und mögliche Anpassungen für die Kartennavigation sind Gegenstand der aktuellen Forschung. Einige Erkenntnisse lassen sich bereits unter dem Konzept der geografischen Relevanz zusammenfassen.

Statische geografische Relevanz-Merkmale:

  • Raumzeit: Je näher sich ein Objekt bei mir befindet, desto relevanter ist es.
  • Winkel: Je weiter das Objekt hinter mir liegt, desto weniger relevant ist es.
  • Sichtbarkeit: Je besser ein Objekt sichtbar ist, desto mehr gewinnt es an Relevanz.

Aufgrund der Digitalisierung ist es möglich bzw. nötig geworden, das Konzept zu erweitern. Man möchte von statischer zu dynamischer Relevanz gelangen. Die Merkmale der dynamischen geografischen Relevanz sind:

Echtzeitdaten

  • Datenfeeds von Sensoren werden in der Karte angezeigt
  • Echtzeitdaten von Nutzern werden in der Karte angezeigt

Echtzeitanpassung des Schwierigkeitsgrads

  • Es werden mehr Inhalte auf der Karte dargestellt, wenn User unterfordert sind, und weniger bei Überforderungen

Das Konzept der dynamischen geografischen Relevanz wird derzeit noch erforscht. Interessant hätten wir gefunden, welche Ergebnisse die Forschung liefert. Welche konkreten Schlüsse und Verbesserungen lassen sich für künftige Entwicklungen und Anwendungen ableiten?

Die Kartografie bleibt dynamisch. Sie passt sich an aktuelle Technologien an und erforscht das Nutzerverhalten, um das Nutzererlebnis zu verbessern. User sollen sich bewusst sein, dass die App eine Auswahl der zur Verfügung stehenden Daten trifft und diese so beeinflussen kann. Wie sehr er selbst Einfluss auf die Darstellung nehmen kann, ist je nach App sehr unterschiedlich. Auch die künstliche Intelligenz wird die Kartografen dabei unterstützen, ihre Lösungen zu verbessern. Die Diskussion beim IGEO-Kolloquium hat gezeigt, dass die Entwicklung von digitalen Karten noch lange nicht abgeschlossen ist und es viele spannende Innovationen in der Pipeline gibt.

Der Kolloquiumsvortrag ist hier auf YouTube aufgeschaltet.

Autoren: Gian Schneider und Nathan Matzinger, Studierende Bachelor in Geomatik im 4. Semester

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