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«Bei den sozialen Netzwerken wird es einen Wandel geben»

21. Januar 2013
In einem Artikel des Tagesanzeigers vom 12. Juni 2012 heisst es, Facebook habe seinen Zenit erreicht und verzeichne gemäss Wall Street Journal einen merkbaren Wachstumsrückgang. Dies sei einerseits auf eine Marktsättigung zurückzuführen, andererseits aber auch darauf, dass die Jugend nicht mehr uneingeschränkt für Facebook und andere soziale Netzwerke zu haben sei. Viele hätten Angst, sich mit der Preisgabe von zu vielen Informationen die berufliche Zukunft zu verbauen. Zugleich tauchen immer mehr Netzwerke auf, bei denen man sich nur auf Einladung von Mitgliedern registrieren kann – gleichsam virtuelle Rotary Clubs. Oder sehr geschlossene Netzwerke wie «Path», bei denen Zugehörige höchstens 150 Beziehungen haben dürfen. Wie sind diese Phänomene, die so sehr an die reale Welt erinnern, zu deuten? Wir haben Rolf Dornberger, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik der FHNW, gefragt. Rolf Dornberger, sind die oben beschriebenen neuen sozialen Netzwerke kurzfristige Reaktionen auf Giganten wie Facebook oder spiegeln sie das Bedürfnis, die Welt um sich herum übersichtlich zu halten und zu gestalten, online wie offline? Rolf Dornberger: Bei den sozialen Netzwerken wird es schon einen Wandel geben. Die verschiedenen Bevölkerungs- und Altersgruppen haben je ihre eigenen Vorstellungen davon, wie sie soziale Netzwerke nutzen wollen (sofern sie sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen). Ältere Menschen haben ein vollkommen anderes Nutzungsverhalten als jüngere. Sie haben sich bereits positioniert, weniger Profilierungsbedarf und kein Interesse daran, sich weltweit vor Leuten zu präsentieren, die sie gar nicht kennen. Also werden sie sich online vermutlich nicht gross anders vernetzen als offline. Aber auch die jungen User, die Facebook heute so exzessiv nutzen, werden in fortgeschrittenerem Alter ein anderes Nutzungsverhalten an den Tag legen (müssen), als 500 Facebook-Freunde zu haben, diese mit Spass-Bildern zu bombardieren und alle zu Partys einzuladen. Auch sie werden irgendwann eine Entscheidung treffen müssen, wie viel Zeit sie in ihren Aufenthalt in sozialen Netzwerken aufwenden und wie viel Persönliches oder Banales sie preisgeben wollen. Überschaubarkeit ist das richtige Stichwort. Der Wunsch danach steigt mit zunehmendem Alter. Viele Kinder und Jugendliche können einer Überfrachtung, der Unordnung – sagen wir dem Chaos – unter Umständen noch viel abgewinnen. Das sieht man am Beispiel des Kinderzimmers. Dass es aufgeräumt werden muss, finden immer nur die Eltern. Ich glaube, das liegt an der Menge an Lebenserfahrung und Wissen, die im Lauf der Zeit erworben werden. Junge Leute haben noch nicht viel davon und empfinden nicht so grossen Druck, einordnen und systematisieren zu müssen. Mit zunehmendem Alter bilden sich dann zwei Stereotypen heraus: Leute mit gesteigertem Ordnungswillen, bei denen Informationspreisgabe und -aufnahme oder auch Kontaktanbahnungen strukturiert erfolgen, und Leute, die sich mit ihrer eigenen Unordnung, sprich lässigen Art, arrangieren und immer noch etwas obendrauf legen. Finden wir da nicht gewisse Parallelen zu sozialen Netzwerken? Mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit einher geht offensichtlich auch jenes nach Exklusivität: Ich will zu einer Gruppe dazugehören, zu der nicht jede(r) Zugang hat. Ich werde eingeladen und ich lade wiederum ein – aber eben: nicht jede(n). Das steht in einem gewissen Widerspruch zur  immer wieder hervorgehobenen Feststellung, dass das Internet die gesellschaftlichen Schranken überwinde. Ja, wobei diese Exklusivität ja verschiedene Dimensionen hat. Es gibt Systeme, die Facebook-ähnlich sind, jedoch ist die Anzahl der Kontakte begrenzt. Dann gibt es Systeme, die insofern exklusiv sind, als man sich anmelden muss und durch eine Redaktion respektive eine Moderatorin, einen Moderator bewertet wird. Entweder wird man freigeschaltet oder zurückgewiesen. Dann gibt es drittens Communitys, die in Bezug auf ein bestimmtes Thema exklusiv sind. Gerade gestern habe ich zum Beispiel querdenker.de getestet. Dabei handelt es sich um einen deutschsprachigen Online-Club für Innovation. Er ist erst wenige Monate alt und hat bereits über 150’000 registrierte Mitglieder. Da werden sich keine Leute anmelden, die gar nicht wissen wollen, was es für (technologische) Trends gibt. Dieses Netzwerk ist wie viele ein Zwischending zwischen einem kleinen geschlossenen System und einem sehr grossen sozialen Netzwerk ohne klares Ziel. Wobei immer zu bedenken ist, dass auch Facebook kein offenes Netzwerk ist.
Paola peralta, CC by http://de.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons
Apple setzt trotz Nebelschwaden am Erfolgshimmel weiterhin auf Facebook. So soll es stärker in seine Software eingebunden werden. Hat Facebook den Zenit überschritten oder gibt es da noch Potenzial? Wie schätzen Sie die Zukunft von Facebook ein? Werfen wir einmal einen Blick auf ein anderes grosses Unternehmen, das im Bereich von Computer- und Betriebssystemen bereits seit langer Zeit dominant ist: Microsoft. Es gibt Alternativen (Linux, Unix etc.), klar, jedoch konnten sie Microsoft nie wirklich in dessen Kerngeschäft angreifen. Allerdings entwickelten sich die ganzen Technologien und ihre Anwendungsbereiche stets weiter und irgendwann kam der Übergang vom Desktop Computer zu den mobilen Geräten. Da hat sich Microsoft zu stark auf sein klassisches Geschäftsfeld gestützt, stützen müssen, um im Weltmarkt die Nummer 1 zu bleiben. Währenddessen kamen andere Anbieter und mischten den Tablet- und den Smartphone-Markt auf. Bei Facebook könnte es analog zu diesem Beispiel Google+ sein, das die Zuckerbergwelt erzittern lässt. Oder irgendein chinesisches oder indisches soziales Netzwerk, dessen Name wir nicht aussprechen können oder noch gar nicht kennen, das aber bereits mehrere hundert Millionen Mitglieder hat. Es kann aber auch sein, dass die aktuellen grossen sozialen Netzwerke einen Shift erleben, sogar an Bedeutung verlieren werden, wie es beispielsweise dem früheren Marktführer MySpace ergangen ist. Und dass der Trend tatsächlich zurück von den grossen hin zu kleineren, überschaubareren geschlossenen Netzwerken geht. Würde ein solcher Fall eintreten, stellt  sich die Frage, ob Facebook mitziehen kann oder ob in der Zwischenzeit so viele kleine Konkurrenten entstanden sind, die das grosse Netzwerk schliesslich zersetzen. Aber hier kann man wirklich nur spekulieren. Zumindest tritt an der Börse schon mal eine Ernüchterung mit den Facebook-Aktien ein.

Schlagworte: Facebook, Informationsethik, Innovation, Soziale Netzwerke, Technologiefolgenabschätzung

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