Weiterbildung
«Kinder wollen etwas begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes»
18. März 2013
Womit beschäftigt sich eine Wirtschaftsinformatikerin, ein Wirtschaftsinformatiker? Rolf Dornberger, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik IWI FHNW, über die Herausforderung, abstrakte Themenfelder Kindern zu erklären.
Rolf Dornberger, das ist keine leichte Aufgabe. Aber eigentlich sollte man Kindern (fast) alles erklären können. Oder nicht?
Rolf Dornberger: Erklärbar ist viel, ja. Die Frage ist allerdings, ob Kinder es dann auch so verstehen, wie die Erwachsenen sich das vorstellen. Bei Kindern variiert das Vorwissen viel stärker als bei Erwachsenen. Unsereins kann vielleicht bei einem Thema inhaltlich nicht mitdiskutieren; aber wir können uns in etwa vorstellen, um was es geht. Bei Kindern kann man einen Themenbereich treffen, da können sie sich gar nichts drunter vorstellen. Auch müssen sie die Fähigkeit zur Abstraktion erst erlernen. Erklären Sie einmal einem Kind, was eine Versicherung ist. Kinder werden hier vielleicht am ehesten an die Stromsicherung im Keller denken, weil sie schon einmal gesehen haben, wie Papa den Stromkasten öffnete.
Es ist bestimmt einfacher, zu erklären, was eine Sitzbank ist, als darzulegen, was eine Geldbank ist.
RD: Ja, und wenn man Kindern schon schwer erklären kann, was eine Geldbank ist, wie kann man ihnen denn erst die Wirtschaftsinformatik erklären? Da stecken gleich zwei schwierige Begriffe drin. Wirtschaft: Eine Wirtschaft ist eine Kneipe. Und die Wirtschaft – das machen irgendwie die Erwachsenen. Informatik? Ist ein Computer. Aber was macht dieser alles?
Vielleicht zunächst die grundsätzliche Frage: Gibt es Rezepte, Vermittlungstechniken, wie man solch komplexe Begriffe Kindern verständlich kann?
RD: Das Spannende an dieser Frage ist: Bei Kindern denken wir darüber nach, wie wir es ihnen am besten erklären. Bei Erwachsenen in der Regel nicht. Dabei wäre das auch bei Erwachsenen ein lohnenswerter Ansatz, wenn man bedenkt, wie häufig Leute aneinander vorbeireden. Doch zurück zu den Kindern. Kinder wollen etwas begreifen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie nehmen gerne etwas in die Hand; ganz kleine Kinder auch in den Mund. Begreifen ist eine Art «eigene Erfahrung damit machen». Kinder werden bestimmt schneller verstehen, was ein Schreiner macht, wenn sie zuhause schon mal einen Hammer haben herumliegen sehen oder wenn sie selbst schon mal gesägt haben. Schwierig wird es hingegen bei Dienstleistungs- oder wissenschaftlichen Tätigkeiten. Erklären Sie das Kindern, deren Vorstellungskontext vielleicht so aussieht: Ein Mensch sitzt am Computer und tippt etwas ein. Und anderen Leuten hilft das dann. Ist das nun aber ein Versicherungsangestellter, ein Werbetexter oder ein Wirtschaftsinformatiker?
Angenommen, Sie würden eine Einführungsvorlesung über Wirtschaftsinformatik vor acht- bis zehnjährigen Kindern halten. Was tut eine Wirtschaftsinformatikerin, ein Wirtschaftsinformatiker täglich?
RD: Man sollte immer daran anknüpfen, was Kinder in diesem Alter bereits gesehen oder von Älteren gehört haben. Z.B. den Papa, der zuhause vor dem Computer sitzt und einen Text eingibt. Oder die Mama, die vom Internet oder Web im Computer spricht, etwas bestellt und zwei Tage später bringt die Post ein Paket. Die grosse Schwester hat schon ein Handy; sie kann damit telefonieren, Musik hören, den Weg zu einem Ort finden, wo sie zuvor noch nie war. Der Cousin spielt am Computer und muss seinen Freunden ein Foto in «Fäissbuck» senden. U.s.w.
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Informations- und Kommunikationstechnologien sind in den Bildern des Alltags allgegenwärtig.
RD: Man kann dem Kind erklären: Schau mal, jetzt hat Deine Schwester vom Handy den Weg zum Kickboxclub / Nähkurs erfahren. Ihr Handy ist ein kleiner Computer, der noch viel mehr kann. Zum Beispiel sehr schwierige Rechnungen ausführen. Dafür braucht er Programme. Das sind Anweisungen; damit er weiss, was er tun soll. Die Mama hat kürzlich im Internet nach Informationen gesucht; über einen Zugang, der übers Kabel oder über Funk wie beim Handy geht. Denn die Computer sind weltweit vernetzt und ganz viele Daten können untereinander ausgetauscht werden. Die Wirtschaftsinformatikerin, der Wirtschaftsinformatiker sorgt dafür, dass das alles funktioniert.
Manche von ihnen sorgen dafür, dass die tägliche Arbeit besser und schneller gemacht werden kann. Andere kümmern sich darum, wie die ganzen Daten hereinkommen, wie sie sortiert werden müssen und wie man sie wiederfindet. Sie überlegen sich auch, welche Daten noch gebraucht werden. Dann gibt es wiederum solche, die sich fragen, wie teuer es ist, Daten hin- und herzuschicken und immer die neuesten Geräte zu kaufen. Oder solche, die das Ganze organisieren und unter anderem dafür sorgen, dass alle Mitarbeitenden die richtigen Geräte für ihre Arbeit haben.
Ein Kind wird vielleicht fragen: Wem nützt das, was eine Wirtschaftsinformatikerin, ein Wirtschaftsinformatiker tut?
RD: Dann würde ich sagen: Früher hat man verschiedene Schritte vollziehen müssen, bis zum Beispiel ein Brief verschickt war. Man schrieb ihn, steckte ihn in ein Couvert, versah ihn mit einer Briefmarke und brachte ihn zur Post. Es dauerte wenigstens zwei Tage, bis der Empfänger ihn bekam. Heute kann ich Briefe via Computer verschicken. Ich muss nicht zur Post gehen, nichts bezahlen und der Empfänger hat den Brief sogleich im Briefkasten seines Computers. Oder schauen wir uns das Geld an, das die Leute früher zur Bank bringen mussten. Heute können sie am Computer sehen, wie viel Geld sie auf der Bank haben.
Kurz: Viele Leute können viel schneller miteinander Informationen, Briefe und Texte und sogar Geld austauschen. Zudem erfährt man heute viel schneller, was am Ende der Welt passiert; das hat früher Tage, Wochen, Jahre gedauert. Über den Computer können Leute miteinander arbeiten, die einander noch nie zuvor gesehen haben. Um das möglich zu machen, braucht es die Wirtschaftsinformatik.
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass ein Kind später einmal im Arbeitsbereich der Wirtschaftsinformatik tätig wird? Was würden Sie Eltern sagen?
RD: Erstens: Neugier, zweitens: Neugier und drittens: Neugier (lacht). Kinder müssen gerne ausprobieren. Einfach einmal am Computer rumtippen und schauen, was passiert; keine Berührungsängste haben. Das bedeutet aber auch, dass Eltern ihren Kindern den Raum für Experimente lassen sollten. Nicht, dass sie sie unbegleitet ins World Wide Web «setzen»; das wäre der falsche Ansatz. Aber es gibt gute Lernsoftware, Apps, vor allem aber Webseiten mit kindgerechten Inhalten, beispielsweise von den Fernsehsendern, die Online-Bereiche für Kinder anbieten. Dort können sie kindgerecht nach Lust und Laune tüfteln.
Das Stichwort Tüftelei bringt mich zum Hype-Thema Gamification, das derzeit in aller Munde ist: Spielerisches Lernen in allen Situationen. Alltägliches wie Treppen oder Abfallkörbe werden mittels neuer Technologien um überraschende Facetten erweitert. So geben die Stufen einer Treppe plötzlich die Tonleiter wieder oder wirft ein Abfallkorb ein Echo zurück, wie es ein Bergtal nicht schöner tun könnte. Erwachsene entdecken wieder ihren Spieltrieb. Nachdem heute die Rationalisierung so weit fortgeschritten und das Arbeits- wie das Privatleben so eng getaktet ist: Ist es jetzt wieder angesagt, seine spielerische Seite zu zeigen, kindlich zu sein?
RD: Die Überfrachtung des Alltags in der Arbeit wie auch im Privatleben nimmt ständig zu. Wir werden überflutet von Eindrücken jeglicher Art: E-Mails, Telefonaten, blinkenden Bildern im Web und im Fernsehen, nicht erledigten Pendenzen, Terminen usw. Wir fühlen uns immer mehr unter Druck, etwas liefern zu müssen. Warum sollten wir nicht auch mal Spass haben, etwas spielerisch probieren dürfen? Genau das versucht der Ansatz der Gamification: Verpacken wir doch das notwendige Übel, etwas tun zu müssen, so, dass es Spass macht, es zu erledigen: Schulkinder entwickeln zum Beispiel ein Spiel, das trockenen Schulstoff erklärt. Ein Mülleimer macht fantastische Geräusche, so dass die Parkbesucher den Müll eher in ihm entsorgen als ihn im Park liegen zu lassen. Ein anderes Mal erzähle ich mehr dazu …
Gerne. Vielen Dank für das Gespräch!
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