Publikationen
War früher alles besser? Eine Kritik der Technologiekritik
10. Juli 2013
«What the hell is it good for?» Mit diesen Worten reagierte der IBM-Ingenieur Robert Lloyd 1968 auf die Präsentation des Mikroprozessors. Das Zitat stammt aus einem Sammelbändchen der deutschen Journalistin und Schriftstellerin Kathrin Passig, das dieser Tage unter dem Titel «Standardsituationen der Technologiekritik» im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. In ihren Essays analysiert Passig Phänomene wie die «Neophobie». Der Begriff wird hier zwischen Anführungsstriche gesetzt, weil er (noch) nicht im Duden steht. Als «Neophobie» beschreibt Passig eine Abwehrhaltung gegen alles Neue unter Zuhilfenahme eines Bündels von Argumenten, die durch die Geschichte hindurch dieselben sind: «Wer braucht das?» «Wer kann sich das leisten?» «Macht das nicht unser Denken kaputt?» Ihre Essays sind spannend zu lesen, auch wenn sie mit unverbesserlichen Nostalgikern manchmal recht hart ins Gericht geht, z.B. wenn sie sie als «überschaubare Zielgruppe» schildert, «die Notstromgeneratoren kauft und ihr Geld nicht zur Bank bringt». Gegen sie schreibt sie an sowie gegen Selbstgerechtigkeit, Moralinsäure und die Hartnäckigkeit, mit der behauptet wird, alles wende sich unaufhaltsam dem Untergang zu: Das Denken, die Sprache, die Empathie.
Mit seiner skeptischen Reaktion auf eine technische Innovation, die Geschichte schreiben würde, ist Robert Lloyd übrigens in guter Gesellschaft. Hier eine weitere «Fehleinschätzung»:
„Who the hell wants to hear actors talk?“ (Harry M. Warner, Warner Bros, 1927, in Bezug auf den Tonfilm).
Und schliesslich Johannes B. Kerner 2009 über Twitter: «Wen interessiert denn das [Tweets]? Ich kann mir nicht vorstellen, dass davon ein Wahlkampf beeinflusst wird.» Manchmal kommt es anders.
Bild: Die deutsche Stummfilmschauspielerin Henny Porten (1890-1960), um 1910.
Quelle: http://www.kmrz.de/kuenstler_im_kreis/porten/images/gross/porten_abb_01_gross.jpg
zurück zu allen Beiträgen