Redaktioneller Beitrag, Technologie & Kultur

Man nennt mich Content

3. Februar 2014
Hi. Darf ich mich Ihnen kurz vorstellen? Ich habe meinen Namen gewechselt. Früher hiess man mich „Text“, „Artikel“ oder „Geschichte“, heute heisse ich „Content“. Nun werden Sie vielleicht sagen, mit der Sprache gehe es ohnehin stets bergab, auf mich käme es auch nicht mehr an.  Aber ich sage Ihnen, dass es so schlimm nicht ist. Vielleicht mögen Sie mich sogar, wenn ich Ihnen meine Geschichte erzählt habe. Für viele war ich etwas, was mit Herz, Leidenschaft und Schweiss zu Papier gebracht wurde. Von Hand, mit der Schreibmaschine, auf der Computertastatur. Danach wurde ich redigiert, lektoriert, gesetzt, überprüft, gedruckt und vom Boten verteilt. So gelangte ich an die Öffentlichkeit. Ich beschäftigte viele Menschen. Und viele Menschen beschäftigten sich mit mir. Seither hat sich vieles verändert, nicht nur mein Name. Ich bin flexibler geworden. Attraktiver und handlicher für Leute, die an und mit mir arbeiten. Ich kann einfach kopiert, verschoben, eingeschoben, nach Belieben in andere Medien-Kanäle abgefüllt werden. Das geht leicht von der Hand und fast automatisch. Besonders beliebt ist meine Verdichtung auf 140 Zeichen. Nichts, was man nicht kurz und bündig schreiben kann. Apropos kurz und bündig:  Der Weg von der Content-Produktion bis zum Content-Publishing ist jetzt kürzer als Ihr Wimpernschlag. Ich kann sogar auf dem Smartphone geschrieben und gleich veröffentlicht werden. Ja, nicht einmal geschrieben muss ich werden. Auch ein Bild kann ich sein. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Viele sagen, ich sei ein typischer Vertreter meiner Zeit. Zusammen mit meinen Gefährten Wording und Hashtag. Allerdings habe ich diesen etwas voraus: Ich stehe bereits im Duden. Wohingegen Kumpel Hashtag noch damit leben muss, dass der Duden fragt: «Meinten Sie Waschtag?» Ich hoffe, Sie verstehen mich und meine Vorzüge jetzt besser. Vielleicht habe ich Ihnen sogar gefallen. Sie können mich kommentieren, weiterposten oder einfach nur liken.

Schlagworte: Blog, Content, Informationsgesellschaft, Social Media, Sprache, Text

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