1914, Basel

1914 – Helfen wird zum Beruf

9. August 2021

Basel nahm im Bereich der Heimerziehung eine Vorreiterrolle ein: Bereits 1914 führte der Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit ein «Weibliches Dienstjahr» ein, um bei den Schülerinnen das Verständnis für die «Bedürfnisse der Zeit und die soziale Not» zu wecken. Die erste Praktikantin trat ihre Lehre kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs an.

Basel nahm im Bereich der Heimerziehung eine Vorreiterrolle ein: Bereits 1914 führte der Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit ein «Weibliches Dienstjahr» ein, um bei den Schülerinnen das Verständnis für die «Bedürfnisse der Zeit und die soziale Not» zu wecken. Die erste Praktikantin trat ihre Lehre kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs an.

Helfen als freiwillige oder karitative Tätigkeit hat eine lange Tradition. Dass soziale Hilfe in Not zu einer beruflich ausgeführten Tätigkeit wurde, ist der Verdienst engagierter Frauen der ersten Frauenbewegung. Sie bauten zwischen 1918 und 1920 die ersten drei Frauenschulen der Schweiz auf: die sozial-caritative Frauenschule Luzern, die Genfer Ecole d’études sociales pour femmes und die soziale Frauenschule in Zürich. Es folgten Schulen in Solothurn und Bern. Erst vergleichsweise spät, nämlich 1971, erhielt Basel eine Schule für Sozialarbeit. Doch Basel war in einem anderen Bereich Vorreiterin: bei der Heimerziehung. Und den Grundstein dafür legte der «Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit», Vorgängerin des heutigen Vereins familea. Der Verein führte ein «Soziales Lehrjahr», auch «Weibliches Dienstjahr» genannt, ein, mit welchem bei den Schülerinnen – es waren nur Frauen zugelassen – das Verständnis für die «Bedürfnisse der Zeit und die soziale Not» geweckt werden sollte, wie die Basler Zeitung anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums im Oktober 1989 schrieb.

Die erste Praktikantin trat ihr Lehrjahr im Mai 1914 an, nur kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Während eines Jahres absolvierte sie eine Art Schnupperlehre in verschiedenen sozialen Einrichtungen der offenen und geschlossenen Fürsorge. So praktizierte sie unter anderem bei einer Arbeitsvermittlungsstelle, in einer Kinderstation und dem Pflegekinderwesen. Im Mai 1915 erhielt sie schliesslich ihr Diplom. Die Ausbildung erfolgte zunächst ausschliesslich in der Praxis. Erst später wurden begleitend dazu theoretische Kurse angeboten.

Das «Soziale Lehrjahr» wurde 1929 in das «Lehrjahr für Anstaltsgehilfinnen» umbenannt. Und mit dem Namenswechsel ging eine Fokussierung auf die geschlossene Fürsorge einher, also auf Tätigkeiten in Heimen für Behinderte und für Kinder und Jugendliche, die nicht in einer Familie aufwachsen konnten. 1935 wurde der Kurs in eine Tagesschule umgewandelt, bei der sich Praktika und theoretischer Unterricht abwechselten. Die Tagesschule im «Blocksystem» war für ihre Zeit sehr fortschrittlich. Im Laufe der Zeit musste die Gesamtdauer der Ausbildung aufgrund stetig wachsender fachlicher Anforderungen auf drei Jahre erweitert werden.

Es folgte eine weitere Namensänderung: 1954 wurde der «Berufskurs für Anstaltsgehilfinnen» zum «Berufskurs für Heimerzieherinnen». Inzwischen hatte sich auch der Blick auf die Heimerziehung geändert; was in den durch neue Methoden aus den USA beeinflussten Schulen für Sozialarbeit bereits in den frühen 1950er Jahren Einzug gehalten hatte, gewann auch in den Schulen für Heimerziehung an Bedeutung. Heimerziehung wurde zum Beruf mit eigenen methodischen Ansätzen und wurde damit auch für Männer attraktiver. 1960 liess die Schule die ersten Männer zur Ausbildung zu – und sie übernahmen bald leitende Funktionen.

1962 erwuchs dem Berufskurs Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Vier Basler Heime beklagten einen chronischen Mangel an geschultem Personal, weshalb sie die Berufslehre für Heimerziehung ins Leben riefen. Hierbei handelte es sich um eine berufsbegleitende Ausbildung, die parallel zu einer Tätigkeit in einem Heim absolviert wurde. Als Folge dieser Neugründung nannte sich der Berufskurs von nun an «Basler Berufsschule für Heimerziehung». Von nun an gab es die Möglichkeit, zwischen einem Vollzeitstudium und einem etwas längeren Teilzeitstudium für Berufstätige zu wählen.

Informationen aus:

  • Artikel «Erziehen als Beruf – vom Dienstjahr zur Fachschule» aus der Basler Zeitung vom 31. Oktober 1989
  • Diverse Gespräche mit Gisela Hauss, Professorin, Institut Integration und Partizipation, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, und Esteban Piñeiro, Professor Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
  • «Im Fluss: Stimmungsbilder – Zeitzeichen – Übergänge», Johanna Kohn, Basel, HFS BB, 2004
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