6. Internationale Tagung Soziale Arbeit und Stadtentwicklung, online
09.30 – 10.00 | Begrüssung und Einführung |
10.00 – 10.30 | Keynote: Von «vagen Visionen» und konkreten Veränderungen: Motive und Methoden für eine andere Entwicklung der Stadt Prof.in Dr.in Sabine Stövesand, Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW, Hamburg |
10.30 – 11.00 | Keynote: Zugehörigkeit in der offenen Stadt Prof. Dr. Simon Güntner, Technische Universität TU, Wien |
11.00 – 11.30 | Pause |
11.30 – 12.00 | Keynote: Lagos/Nigeria: Stadtplanung im Un(be)planbaren Prof.in Dipl.-Arch. Fabienne Hoelzel, Staatliche Akademie der Bildenden Künste ABK, Stuttgart |
12.00 – 12.30 | Podiumsdiskussion mit den drei Keynote-Speakers moderiert durch Prof. Dr. Matthias Drilling, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Muttenz |
12.30 – 14.00 | Pause |
14.00 – 16.30 | Virtuelle Exkursionen |
08.45 – 09.00 | Begrüssung |
09.00 – 10.30 | Workshop / Panel |
10.30 – 11.00 | Pause |
11.00 – 12.30 | Workshop / Panel |
12.30 – 14.00 | Pause |
14.00 – 14.40 | Wrap-up mit den Impronauten. Teil 1 |
14.40 – 15.15 | Reflexion und Synthese |
15.15 – 15.45 | Wrap-up mit den Impronauten. Teil 2 |
Prof.in Dr.in Sabine Stövesand, Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW, Hamburg
Visionen gelten in diesem Vortrag als Katalysator für ein transformatorisches Handeln im Kontext der Aneignung und demokratischen Gestaltung von Stadt. Sie stehen für Vorstellungen, welche den Status Quo in Richtung des Entwurfs einer ersehnten Zukunft aufheben. Die Einschränkung «Vagheit» verweist dabei auf die Offenheit, die es für kollektive, erfinderische Prozesse unter Beteiligung diverser Subjekte braucht. Der Vision wohnt ein utopischer Überschuss inne, der nicht in Plänen und «smarten » Zielformulierungen aufgeht, vielmehr handelt es sich um visualisierte Wünsche, um Orientierung und Inspiration für die Veränderung des Vorgefundenen. Der Begriff des Wunsches ist hierbei zentral und nicht als infantil-regressiv verstanden, sondern als produktive Kraft, gespeist aus dem Unbewussten, einer Zone der Unverfügbarkeit, des Begehrens. Übertragen auf eine Konzeptionierung des Städtischen sieht Henri Lefebvre den Wohnraum, in Analogie zur Psychoanalyse, als das Unbewusste der Stadt. Hier, auf Ebene «P» wie er sie nennt, der Ebene des Privaten, Alltäglichen zeigen bzw. verbergen sich die Wünsche seiner Bewohner*innen. Das unstillbare Verlangen nach Überschreitung des Alltags ist dort noch in der kitschigsten Raumdekoration, in Blumen und Nippes verkapselt zu finden. Die «Revolution der Städte» geht für Lefebvre deshalb nicht von der globalen Ebene (G) der Macht, der staatlichen Gewalt und Kapitalbeziehungen aus, auch nicht von der mittleren Ebene (M), der Stadt der Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude, sondern von Ebene P! Wie diese «Wünsche die Wohnungen verlassen» und unter der Idee «Stadt selber machen» kollektive Wirkmächtigkeit entfalten können, wie die Ebene des Privaten als politisch artikuliert werden kann, darum soll es gehen. Gesprochen wird aus der Perspektive Sozialer Arbeit über konkrete Visionen einer Stadt, die von unten in kollektiven Prozessen begehrt, erkämpft und gestaltet wird. Als Beispiele dienen Auseinandersetzungen um die Gestaltung von öffentlichem Raum (Park Fiction), das Wohnen (Initiative «Esso-Häuser») als auch die Intervention in Geschlechterverhältnisse auf lokaler Ebene («StoP»-Projekte). In allen drei Fällen spielen Community Organizing, utopische Elemente und Visionen von einem anderen, besseren Leben eine Rolle.
Prof. Dr. Simon Güntner, Technische Universität TU, Wien
In den vergangenen Jahren wurde die Stadt als Ebene der Vergemeinschaftung wiederentdeckt – als Hoffnungsträgerin pragmatischer, kosmopolitischer und inklusiver Zugehörigkeitspolitiken, die sich gegen exkludierende nationale Bürgerschaftskonstruktionen wenden. Die Bewegung des neuen Munizipalismus verspricht eine Konzeption von Politik, die nicht die (umgrenzte) Burg der Bürger:innen erschafft, sondern die (offene) Kommune der Gemeinen. «Urban Citizenship» Initiativen streben nach offener Solidarität jenseits national-staatlicher Zugehörigkeit. Hier setzt auch das Leitbild der «gerechten Stadt» an, das sich um eine Übersetzung der politischen Ziele in die Stadtentwicklung bemüht. Die drei beispielhaft genannten Ansätze für emanzipatorische und progressive Stadtpolitik bieten viele Anknüpfungspunkte für die Soziale Arbeit und werden oftmals auch aus ihr heraus formuliert und erkämpft. Sie sind jedoch nicht frei von Widersprüchen und Spannungen, die sich aus dem Lokalismus selbst ergeben wie auch aus der konkreten Aushandlung des Rechts auf Stadt und des Zugangs zu ihren Gemeingütern.
Prof.in Dipl.-Arch. Fabienne Hoelzel, Staatliche Akademie der Bildenden Künste ABK, Stuttgart
Lagos, Wirtschaftszentrum und grösste Stadt Nigerias, mag zwar chaotisch erscheinen, ist aber auf keinen Fall dysfunktional. Im Gegensatz zur westlichen Welt, wo es zumeist einen zentralen Planungswillen und zentralisierte städtische Versorgungssysteme gibt, wird in Lagos nicht nur die Stadtproduktion von den Bewohnerinnen und Bewohnern übernommen, sondern darüber hinaus werden auch die kommunalen Dienste wie Wasserversorgung, Müllabfuhr und öffentlicher Verkehr mehrheitlich von diesen in Kooperation mit dem informellen Sektor bereitgestellt. Die Regierung wiederum orientiert sich mit ihren Entwürfen für die Weiterentwicklung der Stadt an asiatischen oder westlichen Stadtplanungsvisionen. Der Konflikt zwischen diesen eher oberflächlichen und unreflektierten Ideen von Stadt und Stadtgesellschaft und den tatsächlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner von Lagos könnte grösser nicht sein. Wie plant man aber eine eigentlich nicht planbare Stadt, die unaufhörlich weiterwächst und der eine Bevölkerung von bis 80 Millionen in wenigen Jahrzehnten vorausgesagt wird? Könnte die alltägliche Praxis der Bewohnerinnen zum Ausgangspunkt für eine andere Idee von Stadtplanung und Städtebautheorie werden und wenn ja, wie könnte das geschehen?
Freiburg im Breisgau wächst. Zwischen 2025 und 2040 wird auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen im Westen der Stadt Wohnraum für ca. 16.000 Menschen gebaut – die größte Stadterweiterung in der Geschichte Freiburgs. Geplant sind „vor allem bezahlbare Wohnungen“ und „ein klimaneutraler und bunter Stadtteil […] mit kurzen Wegen, Freiflächen, Schulen, Sportangeboten, Kitas und Einkaufsmöglichkeiten“ (vgl. URL).
Doch Dietenbach war und ist ein höchst umstrittenes Vorhaben mit vielfältigen thematischen Konfliktlinien. Die Transformation von Ackerflächen in urbanen Raum stellt eine Bruchstelle dar, an der sich die Debatten um die Stadt von morgen in besonderer Art und Weise entzünden. Hierin liegt die Chance, anhand eines lokalen Beispiels nicht nur zu untersuchen, wie überregional relevante, große Zukunftsfragen verhandelt werden, son-dern auch deren Materialisierungen zu dokumentieren – Was wird bleiben von den Visionen der Stadt von morgen? Wie formen Ideen, Konflikte und verschiedene Akteurinnen einen im Entstehen begriffenen Stadtraum? Diesen Fragen widmet sich ein Kooperationsverband der Universitäten Freiburg und Tübingen mit den Landesmuseen in Karlsruhe und Stuttgart. In einem partizipativen Sammlungsprojekt werden materielle Objekte und immaterielle Bestände zu den Debatten und Aushandlungen, die von Beginn an die Planungen begleitet haben, gesammelt und historisch reflektiert. Die virtuelle Exkursion führt zunächst auf den umstrittenen Baugrund und die Geschichte von Freiburgs Stadterweiterung. Die zweite Station bilden Themenfelder und Konflikte der Auseinandersetzungen um den neuen Stadtteil und die beteiligten Akteurinnen. Anschließend stellen wir Zeugnisse aus der partizipativen Sammlungstätigkeit mit (sichtbaren und unsichtbaren) Akteur*innen der Dietenbach-Auseinandersetzungen vor. Wir verstehen diese Sammlung als Beitrag einer machtsensiblen und gegenwartsbezogenen Social Museology für die Stadt von morgen. Diesen möchten wir abschließend zur Diskussion stellen.
Leitung: Sarah Wirschke, Badisches Landesmuseum, Matthias Möller, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Debates on the shrinking public space in Istanbul are not new. Since the last two decades, they have been crystalized in relation to the topics such as the regeneration of old neighborhoods, protecting heritage, the right for the waterfronts and green spaces, as well as the public but unused spaces, revived with old or new ways of usages. Since the 2010s, increasingly, neighborhood scale community action, contribute to co-imagining new forms of public culture. In an active discussion on the urban, they intervene towards more complex discussions of public/private space. Various cases initiated by the communities contribute to make up public space in subtle ways, claiming the place in the form of artistic and neighborhood interventions, with activities such as walking, urban gardening, festivals taking place in threatened public buildings, food markets and collective sports in parks, with a backdrop to produce the commons in the public spaces. This, at times, is also a consequence of the fast-developing projects in the real estate sector, as well as rising concerns for the threats against the ecosystem and decline of green spaces in a highly populated metropolis.
Within this wider context, Roma Gardens, an urban gardening project, showcases a movement, which is out of a desire to process based and participatory practice. It is located at the center of the city and initiated as a neighborhood practice. Its location and the history of the specific site becomes a justification for its protection, destabilizing the forms of representation that attempt to rationalize the initiation of a building complex in the same site and expands the discussion on contemporary urban policy and its strategies. Generating questions on heritage and memory activism and exposing the visions of the citizens on the current policy on the public space, this movement cultivates a decentralized and spontaneous movement. This virtual excursion explores this site that triggers action in the city, thereby connecting the issues beyond the neighborhood scale. We will visit the site and relevant locations in the form of a pre-recorded video, including interviews, historical material, and recordings of the events at the site.
Leitung: Ayse Erek, Kadir Has University, Istanbul
Das Thema unserer Sozialroute ist die Geschichte der Sozialen Arbeit in Luxemburg. Wir wollen aufzeigen, wo und wie Hilfen früher und heute stattgefunden haben, wie Hilfe organisiert wird und welche Herausforderungen es gab und gibt. Es geht um die Entwicklung von Stadt, Sozialraum und Sozialarbeit und wie diese Entwicklungsprozesse miteinander verbunden sind. Damit auch, um die Visionen und Idealvorstellung von organisierter Hilfe im Sozialraum.
Soziale Arbeit findet in der Praxis an konkreten Orten statt. Diese räumliche Verortung ist eng verbunden mit den Bedürfnissen und Notlagen von Menschen, die in diesen Stadtteilen oder Regionen leben. Im gesamten Land sind im Laufe der Zeit, vor allem mit dem Einsetzen der Industrialisierung, soziale Einrichtungen entstanden.
Unsere Sozialroute führt uns in die Vergangenheit der Kinder- und Jugendhilfe. Wir zeigen, wie Hilfen für Kinder und Jugendlich am Anfang organisiert wurden, wo sie stattgefunden haben und wie sie sich mit der Zeit gewandelt haben. Die Sozialroute gibt Einblicke in den Alltag und die Lebenswelt der damaligen Kinderheime, der Gerichte und der Betreuungsdienste. Ergänzt wird dies durch Daten und Fakten der Sozialgeschichte des Landes. Die Sozialroute soll die Vielfältigkeit und die Spannungsverhältnisse in der luxemburgischen Kinder- und Jugendhilfe aufzeigen. Die historische Entwicklung darzustellen hilft, die Rahmenbedingungen besser zu verstehen, in denen Hilfe heute stattfindet, die Veränderungen besser nachvollziehbar zu machen und die daran geknüpften Idealvorstellungen von Kinder- und Jugendhilfe sichtbar zu machen.
Die Sozialroute als Exkursion als Video abgespielt, wobei die unterschiedlichen Stationen präsentiert und erklärt werden. Im Anschluss daran, wird die Sozialroute diskutiert.
Leitung: Magali de Rocco, Luxembourg; Susanne Wahl, Luxembourg
Obdachlosigkeit ist eine besonders prekäre Lebenslage, die von extremer Armut und sozialer Ausgrenzung geprägt ist. Strassenobdachlosigkeit hat in europäischen Grossstädten in der letzten Zeit deutlich zugenommen, was von den Stadtführungen neue Strategien und Konzepte erfordert. Nicht nur die Anzahl, sondern auch das Profil von Obdachlosigkeit hat sich erheblich verändert, und immer mehr diverse und vulnerable Risikogruppen wie LGBTQI+ Menschen, Jugendliche und ethnische Minderheiten erscheinen unter den Obdachlosen (FEANTSA 2021).
In Budapest leben heutzutage ungefähr 4000 Menschen in Obdachlosigkeit, in unterschiedlichen Obdachloseneinrichtungen oder auf der Strasse. Gemäss neuster Datenerhebungen steigt nicht nur die Anzahl der Ob-dachlosen dauerhaft, sondern auch ihre sozialdemographischen Merkmale verändern sich deutlich. Es gibt immer mehr randständige Roma und junge Frauen unter den Obdachlosen, die hauptsächlich vom Land, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, in die Hauptstadt ziehen. Die städtischen Obdachloseneinrichtungen können ohne Kapazitätserweiterung die zugenommene Anzahl von Klienten und Klientinnen nicht bewältigen, weshalb viele vulnerable Menschen auch im Winter im Freien übernachten müssen. Darüber hinaus finden Strassenobdachlose immer weniger Orte, wo sich aufhalten können. Exzessive Privatisierung und Gentrifizierung des Stadtzentrums beschränken die öffentlichen Räume, die vorher auch für die Obdachlosen erreichbar waren.
In der virtuellen Exkursion wird Videomaterial von «Brennpunkten» (Unterführungen, Brücke, U-Bahn-Stationen, Parks) in Budapest, wo sich die von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen häufig aufhalten, vorgeführt. Die Exkursion fokussiert sich auf ihre Lebenswelt und Bewältigungsstrategien als auch die städtischen Massnahmen, welche die Überlebensstrategien der Obdachlosen betreffen. Die Brennpunkte und andere Orte werden mithilfe ungarischer Sozialarbeitenden aufgesucht, die ihre Erfahrungen in Bezug auf die Zielgruppe über das Video den Workshopteilnehmenden mitteilen werden. Die Exkursion wird sich besonders auf Veränderungen im öffentlichen Raum konzentrieren.
Leitung: Zsolt Temesvary, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Christiana gilt als eine der ältesten Stadtbesetzungen und zivilgesellschaftlich-autonomen Orte Europas. 2021 hat das selbsternannte „Freetown“ sein 50 jähriges Jubiläum gefeiert, nachdem 1971 junge Aktivistinnen und Aktivisten ein ungenutztes Militärareal in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen besetzen, um dort gemein-sam eine soziale und räumliche Utopie aufzubauen. Christiania lehnt seit Beginn an Privatbesitz und Wohnei-gentum ab, ist autonom organisiert und strebt nach gemeinschaftlichen Wohn- und Lebensformen. Dazu ge-hörte und gehört eine selbst aufgebaute Infrastruktur wie Kinderbetreuungseinrichtungen, gemeinschaftliche Wohnküchen ebenso wie ein ressourcenschonender baulicher Zugang und ein sorgsamer Umgang mit der umgebenden urbanen Natur.
Christiania als utopisches Lebens- und Wohnmodell war jahrzehntelang von Räumungen bedroht und spaltete Stadtpolitik sowie Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen. Heute gilt es als institutionalisiert und politisch akzeptiert, die Beziehung zur Stadtpolitik als zunehmend partnerschaftlich und auf Augenhöhe agierenden. Die Exkursion erläutert, wie es dazu kam, führt mit Bildern, Videos und Erzählungen durch das Areal und sei-ne Geschichte und bettet es in den Kontext der Stadtpolitik von Kopenhagen ein um zu fragen: was wurde aus der städtischen Utopie? Welche Konflikte und Widersprüche markieren Christiania heute, 50 Jahre nach der Gründung? Aber auch: was können wir von Christiania hinsichtlich einer gerechteren und sorgsameren Stadtentwicklung lernen? Diese Fragen sollen im Rahmen der virtuellen Exkursion gemeinsam diskutiert werden.
Leitung: Nicola Thomas, Kopenhagen
Der Rückbau der Kehrrichtverbrennungsanlage liess im Berner Quartier Holligen eine Brache zurück. Das städtische Areal soll dereinst durch 6 Bauträger überbaut sein und in rund 300 Wohnungen Wohnraum für Menschen bieten. 2016 wurde die Brachfläche zur Zwischennutzung freigegeben. Bis 2020 eröffneten sich dadurch diverse Frei- und Möglichkeitsräume:
Raum schaffen –- Graffiti – Feuer – Parties – Konzerte – Grillabend – Gespräche – Spielplatz – Aus dem Quar-tier für das Quartier – Steinwüste – Verlängern – Steuergruppe – Sprayen – Gebrauchsleihvertrag – Bauge-such – Holzschnitzsymposium – Entsorgen – Aufschüttung – Halfpipe – Pingpongturnier – Sozialpreis – Ab-räumen – Aufräumen – Platz machen
Mittlerweile gehört die Zwischennutzung auf der Brachefläche der Vegangenheit an. Sie war ein wandelbarer Ort: lieblich, chaotisch, bunt, voll, leer, schmutzig, laut, kreativ, schön. Viele Ideen wurden von vielen Men-schen angepackt. Unterschiedliche Visionen zur Gestaltung und Nutzung der Brachfläche als Frei- und Mög-lichkeitsraum sind zusammengekommen. Vieles wurde umgesetzt, vieles nicht.
Was konnte umgesetzt werden? Was bleibt von der Zwischennutzung? Wie hat die Zwischennutzung ein Areal, ein Quartier, einen Stadtteil geprägt?
Virtuelle Exkursion: Involvierte Menschen rund um die Brache Warmbächli blicken auf die Zwischennutzung und die Transformation des Areals zurück.
Leitung: Claudia Baumann, Bern, Mario Bernhard, Verein Warmbächlibrache, Christian Walti, Warmbächlibrache
Development of the city of Sarajevo started in the 15th century, but the area was populated long before, going back to the neolithic times. From then until now different visions have influenced the way the city is built and expanded, from Romans, Goths, Slavs, Ottomans, Austro Hungarians, Germans, old and new Yu-goslavs, Bosnians and internationals, depending on the periods in city history.
In Sarajevo all these visions came together in a city that amazingly, thanks to its positioning in a valley, can be fully grasped from the mountain tops. What can we see? If we walk from Baščaršija on the East to the West, we see traditional oriental architecture that amazed architects such as Le Courbusier himself, Austro-Hungarian buildings in its full glory, Moorish Revival architecture, Vienna Secession architecture, Art Nouveau architecture, Bosnian style architecture, royalist Yugoslav architecture, Socials Yugoslav architecture, Modernist architecture, Brutalist architecture and post war transitional and amateur architecture visible in private housing. But the city is not just its buildings, it’s the roads that connect, infrastructure, resources, public spaces, parks and its people.
We will explore different visions for the city and travel through time via tailor-made walk lectures that will be led by two walk enthusiasts and city dwellers from CRVENA, Danijela Dugandžić and Boriša Mraović.
During the walk we will critically look at some of these visions and expose how and why some failed and some succeeded in exercising a collective power to reshape the processes of urbanization (Harvey, The right to the City). Following this line of thought we will look deeply into the idea of The freedom to make and remake our cities and ourselves as a right to partake in these visions, not as bystanders but as agents with rights to decide what will be the future of our city.
Leitung: Danijela Dugandžić, Boriša Mraović. Association for Culture and Art Crvena, Bosnia and Herzegovina
Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2022 ESAF findet in Pratteln statt und zelebriert Lebendigkeit und Lebensfreude, Respekt und Gemeinschaft. Dieses Motto tragen die dafür entwickelten kommunalen Projekte weiter und schaffen Nutzen für die Bevölkerung auch nach dem Fest. Eines dieser Projekte betritt den öffentlichen Raum: ESAF-Gäste sollen sich bei uns wohlfühlen. Ausgewählte Orte werden dazu «aufge-hübscht» oder die Möblierung erneuert und ergänzt. Neben dem visuellen Effekt für die Gäste des national beachteten Anlasses soll die Aufenthaltsqualität dieser Orte für die Prattler Bevölkerung nachhaltig verbessert werden.
Das Rankackerplätzli ist einer dieser ausgewählten Orte und liegt in einem der drei Fokusgebiete, in welchen Pratteln im strategischen Rahmen der integralen Quartierentwicklung – hervorgehend aus dem Bundesprogramm «Projet Urbain» – schwerpunktmässig tätig ist. Seit 2014 betreibt die Gemeinde dort einen Quartierraum, in welchem soziokulturelle Aktivitäten für die Quartierbevölkerung stattfinden. Weiter wurde das Wohnumfeld in einem partizipativen Prozess umgestaltet.
Sich um das soziale Miteinander kümmern ist ein ständiger Prozess. Gerade die Corona-Pandemie hat auch viele nachbarschaftliche Aktivitäten gehemmt. Die Umgestaltung des Rankackerplätzli kann daher auch als Chance für die Aktivierung angeschaut werden.
Die Quartierbevölkerung und das anliegende Gewerbe sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Bedürfnisse und Ansprüche an die Nutzung und Gestaltung des Rankackerplätzli mitzuteilen. So kann dieses Wissen in die Planung einfliessen.
Bei der Exkursion werden anhand eines kleinen Quartierprojekts die Rolle und Handlungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit in Quartierentwicklungsprozessen aufgezeigt, dargelegt wie die Verankerung der Quartierentwicklung/Quartierarbeit in der Gemeinde Pratteln integrale Prozesse fördert und wie kooperativen Prozesse mit anderen Akteurinnen entwickelt werden können. Das Fallbeispiel zeigt exemplarisch die daraus entstehenden Voraussetzungen auf, um dem Partizipationsanspruch der Adressatinnen gerecht zu werden.
Leitung: Andrea Sulzer, Gemeinde Pratteln, Benjamin van Vulpen, Gemeinde Pratteln
Mitreden, mitentscheiden, mitmachen! Bewohner:innen des Quartiers „In der Wiesen Süd“, im 23. Wiener Gemeindebezirk gelegen, hatten die Möglichkeit sich im Rahmen des Nachbarschaftsbildungsprozesses „Wiesen-Dialog“ bereits vor Bezug in ihr neues Wohnumfeld einzubringen.
Das Besondere: Die vielfältigen Gemeinschaftsflächen können von den Bewohner:innen bauplatzübergreifend genutzt werden. Beteiligt sind ca. 700 Wohnungen in fünf Wohnhausanlagen. Fünf Bauträger haben in einem dialogorientierten Wettbewerbsverfahren im geförderten Wohnbau dieses Projekt gemeinsam entwickelt und errichtet. Dabei sind neben geförderten Mietwohnungen auch geförderte Eigentumswohnungen ein Teil des bauplatzübergreifenden Experiments.
Das Ziel: Der Wiesen-Dialog hatte das Ziel, dass Nachbar:innen sich frühzeitig kennenlernen und gemeinsam ihr eigenes Lebensumfeld gestalten, und so die Lebensqualität steigt. Gemeinsam wird der Alltag einfacher und es entstehen zusätzliche Möglichkeiten, z.B. für die Freizeitgestaltung. Wer sich in seiner Wohnumgebung wohlfühlt wird mit den Nachbar:innen, aber auch mit den Einrichtungen im Haus und im Freiraum respektvoller und wertschätzender umgehen. Somit entsteht eine Nachbarschaftskultur von der alle profitieren können.
Die virtuelle Exkursion: In Form eines Rundgangs per Smartphone wird Ihnen das Quartier „In der Wiesen Süd“ vorgestellt. Im Anschluss daran zeigen mehrere Kurzfilme die Sicht der Bewohner:innen und Projektentwick-ler:innen, wie das Projekt entstanden ist, wie der Alltag in der Nachbarschaft aussieht, wo es konflikthaft wird und was aus dem Prozess gelernt wurde. Die Kurzfilme verhandeln die Spannung zwischen gemeinsamer Vision und gelebter Wirklichkeit. Über die Kurzfilme treten wir in einen Diskurs rund um das Thema Nachbarschaft und regen das quartiersübergreifende voneinander Lernen an.
Die Kurzfilme sind im Rahmen der IBA_Wien entstanden und werden in der Schlusspräsentation (23.06.-18.11.2022) gezeigt.
Weitere Informationen erhalten Sie hier:
– www.wiesendialog.at
– Gemeinschaffen in der Wiesen Süd
– IBA Wien
Leitung: Julia Jesella, Petra Hendrich, Reality Lab, Wien
Die Diskussion um städtische Visionen setzt einen Einheitsmenschen voraus. Dem ist in unseren pluralistischen Gesellschaften aber keineswegs so und das will dieser Workshop aufgreifen. In einem ersten Teil möchten wir erste Ergebnisse unseres Forschungsprojektes «Die Bedeutung von Nachbarschaften und Quartieren bei der Integration junger geflüchteter Erwachsenen aus Eritrea und Äthiopien» vorstellen. Dort machen wir deutlich, wie unterschiedlich die Erwartungen an das Wohnumfeld in Schweizer Gemeinden sind. Von den jungen Erwachsenen werden zudem Erfahrungen über ein Zusammenleben im Nahraum aus den Fluchtländern in die Schweiz mitgenommen und hier auf die Ebene von Visionen gehoben. Im Workshop möchten wir sehr stark mit den eigenen Erfahrungen in der Thematik arbeiten – sei es als Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung oder als Person ohne diese Erfahrung. Wir wollen darüber austauschen, was diese Befunde für eine professionelle Soziale Arbeit (Migrationssozialarbeit / Soziale Arbeit mit Geflüchteten / Quartiersarbeit / etc.) heissen; wir möchten über angemessene Konzepte diskutieren und versuchen, eine Vision «Die Stadt der Geflüchteten» zu entwerfen. Zudem haben wir mit professionellen Filmemacher*innen einen 20’ Film über das Ankommen in Schweizer Gemeinden am Beispiel von 3 Protagonist*innen aus Eritrea und Afghanistan gedreht, der bis zur Tagung fertig sein sollte. Dieser Film ist als Möglichkeit gedacht, ihn an Quartierevents einzusetzen und anschliessend «Ankommensworkshops» mit der Bevölkerung durchzuführen.
Semhar Negash, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Berihun Wagaw, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Die Dienststelle Städtebau & Architektur des Bau- und Verkehrsdepartementes des Kantons Basel-Stadt ist für die baukulturelle Weiterentwicklung Basels verantwortlich. Mit dem Forum Städtebau «Basel 2050» hat sie eine permanente Verhandlung über den gemeinsamen Lebensraum lanciert. Eine erste öffentliche Auslegeordnung im Herbst 2020 in Kooperation mit dem S AM Schweizerisches Architekturmuseum beleuchtete schlaglichtartig die städtebauliche Entwicklung Basels von gestern, heute, morgen und übermorgen in einer Übersichtsschau. Im Rahmen dieses diskursiven und partizipativen Baukultur-Festivals wurden Podien und weiterführende Veranstaltungen zu Themen wie Planungsprozesse, öffentlicher Raum, Ökologie, Grenzen, Heimat, Zusammenleben, und Klima durchgeführt und die Materialien und Erkenntnisse der letzten zwei Jahre zu einer sogenannten « Position 2022 » verdichtet. Darin wird exemplarisch vorgeschlagen, dass Basel sich hin zu einer Wasserstadt entwickelt, den City-Ring zu einem Freiraum umwandelt, sich als Metropole, welche Beteiligung als Wissensbeschaffung begreift, etabliert, dass jegliches Bauen nur Weiterbauen bedeuten kann und dass die Entwicklungsgebiete Labore sind. Diese Positionen sollen immer wieder neu justiert, überdacht, diskutiert und mit neuen Pilotprojekten angereichert werden. Dabei gehen wir davon aus, dass Zukunft nicht mehr weiterhin ein «wünschbares Bild» sein kann, sondern ein Prozess hin zu Kreisläufen und ressourcen-schonenden Bedürfnisbefriedigungen. Im Workshop werden der bisherige Dialogprozess und die damit gemachten Erfahrungen vorgestellt. Gemeinsam soll darüber diskutiert werden, was der Unterschied zwischen wünschbarer und machbarer Zukunft der Stadt ist und wie diese zusammenhängen, was es braucht, damit ein Dialogprozess sichtbare Resultate in der Stadt generiert und was mögliche Alternativen dazu sind, und welche Rolle die Verwaltung in einem Dialogprozess einnehmen kann oder soll.
Walter Reinhard, Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt
Im Workshop wird unter der Perspektive einer aktivierenden kommunalen Sozialpolitik am Beispiel der Stadt Karlsruhe nicht nur das Konzept eines sozialen Wohnungsmarktes diskutiert, sondern auch das Zusammenspiel der Akteure auf der lokalen Ebene reflektiert. Welches Problem wollen wir lösen? Strukturell bedingte Ungleichheit, die auch von Wohnungsmarktmechanismen bestimmt sind, Segregation begünstigen und sich auf das Individuum auswirken mithilfe kommunaler Steuerung abmildern. Welchen Nutzen wollen wir generieren? Soziale Durchmischung im Stadtgebiet fördern sowie Teihabechancen von am Wohnungsmarkt benachteiligter Personen (-gruppen) erhöhen. Wie ist Integration von Ausgegrenzten möglich, wenn Marktgeschehen das bestimmende Instrument ist?
Sozialer Wohnungsmarkt: Zwei kommunale Handlungsstrategien:
Fazit: Über die dezentrale Verteilung von erschwinglichem Wohnraum für von am Wohnungsmarkt ausgegrenzte Personen (-gruppen) über das gesamte Stadtgebiet wird das damit einhergehende Ziel sozialer Stadtteilentwicklung, Soziale Durchmischung, gefördert bzw. über die sozial gerechte Steuerung im Bestand Segregation vermieden. Ein kommunal gesteuerter Sozialer Wohnungsmarkt kann ein Baustein zur Lösung der drängenden Wohnungsfrage darstellen. Für einen sozialen Wohnungsmarkt ist eine grundsätzlich strategisch angelegte kommunale Sozialpolitik, die agenda setting betreibt, notwendig.
Regina Heibrock, Stadt Karlsruhe, Martin Lenz, Stadt Karlsruhe
Im Workshop werden die Potentiale der Methode Design Thinking für Stadtentwicklung und Soziale Arbeit untersucht. In adaptierter Form wurde die Methode des Design Thinging bereits in zwei Lehrforschungsprojekten in Stadtteilen durchgeführt. In den Lehrforschungsprojekten arbeiten Studierende, Lehrende, Vertreter*innen der zuständigen städtischen Ämter sowie Partner*innen aus der Praxis zusammen, um ausgehend von einer Stadtteilanalyse die konkreten Bedarfe einzelner Gruppierungen im Stadtteil mit der Methode des Design Thinkings zu erschließen. Dazu wird zunächst eine Analyse des Stadtteils gemeinsam erarbeitet, auf deren Grundlage dann Bedarfsgruppen identifiziert werden. Mit Mitgliedern dieser Bedarfsgruppen führen die Studierenden Interviews, die ausgewertet und dann in Form von Videos den Bedarf der Gruppe anschaulich darstellen.
Die Visualisierung in Form von kurzen Videos ermöglicht die Weiterarbeit mit Vertreter:innen aus dem Stadtteil sowie hochschulinternen und externen Kooperationspartner*innen, um in einem ko-kreativen Prozess erste Lösungsideen für die Bedarfe der Bewohner*innengruppen des Stadtteils zu entwickeln. Aus den Lösungsideen werden Prototypen entworfen, die wiederum mit der Bedarfsgruppe erprobt werden, um deren Akzeptanz zu testen und die Ideen ggf. weiterentwickeln zu können. Das Ergebnis sind somit getestete Modelllösungen, die auf die Bedarfe von Bewohner*innengruppen abgestimmt sind und in der Gesamtschau zu einer bedarfsorientierten Stadtteilentwicklung beitragen. Als Beispiele dienen im Workshop zwei bereits durchgeführte Projekte sowie ein laufendes Projekt, das mit der oben skizzierten Methode einen Beitrag zum Vorhaben der Landeshauptstadt Saarbrücken leisten möchte, ein Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) für einen Stadtteil Saarbrückens zu entwickeln.
Christian Schröder, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Dr. Thomas Wendt, Universität Trier, Frank Schmitz, Stadt Saarbrücken
Beteiligung bei räumlichen Entwicklungsprojekten steht in Gemeinden und Städten hoch im Kurs. Die Art und Weise wie Beteiligungsprozesse gestaltet werden, widerspricht häufig der verfolgten Vision, gesellschaftliche Teilhabe als überdauernden Prozess für Alle zu ermöglichen. Der gute Wille entgleist zu oft in Mittelschichtorientierung, Entkopplung von Lebenswelten vieler Anspruchsgruppen wie Kinder und Jugendliche oder in lineare, an baulichen Ergebnissen orientierte Planungsprozesse. Bei genauer Betrachtung zeigt sich: Die Vorstellungen und Ideen verschiedener Anspruchsgruppen der Bevölkerung treffen auf konfligierende Beteiligungsverständnisse in Politik, Planung, Verwaltung, Soziale Arbeit etc. Damit verbundene – gleichzeitig unverbundene – Praktiken, disziplinäre Rollenverständnisse und -erwartungen gleichen komplexen Herausforderungen, die nach einfachen Lösungen verlangten. Als Folge bleibt bei Beteiligenden, Beteiligten und Nicht-Beteiligten Frustration – ist Beteiligung nur eine Illusion?
«Bespielbare Gemeinden und Städte» steht für ein sozialräumliches und dynamisches Beteiligungsverständnis. Räume werden durch soziales Handeln hergestellt, so wie sich Kinder die Welt handelnd erschliessen. In dieser Denkart ist Bespielbarkeit partizipative Methodik und Ergebnis einer bespielbaren Gestaltung, um transdisziplinär und ko-kreativ den urbanen Raum zu entwickeln, anzupassen und zu verändern. Bespielbare Städte und Gemeinden sind Möglichkeitsräume gesellschaftlicher Teilhabe, verstanden als die eigenmotivierte Beteiligung an politischen Prozessen, am öffentlichen Leben wie an der Aneignung und Weiterentwicklung konkreter Orte. Soziale Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle zur Eröffnung der Möglichkeitsräume über Ermächtigung, Sichtbarmachen von Bedürfnissen und Nutzungsformen und Vernetzung. In diesem Workshop werden anknüpfend an eigene Forschungs- und Praxisprojekte die Herausforderungen und ihre Ursachen, Chancen und Potenziale der Sozialen Arbeit in der Vision bespielbarer Gemeinden und Städte für Alle diskutiert, um schlussendlich eine «Illusionsfrustrationsbewältigungsvision» gemeinsam zu entwickeln.
Raimund Kemper, OST Ostschweizer Fachhochschule, Sabina Ruff, Stadt Frauenfeld
Der Fokus auf das Lokale ist Inbegriff der Gemeinwesenarbeit, wie sie von Krauss, Boule und Oehlschlägel 1980 theoretisiert wurde. Dabei ging es nicht einfach nur um Projekte im Nahraum, die Bespielung von einzelnen Gruppen in Quartier oder das Anbahnen von nachbarschaftlichen Kontakten. «Small» war auch Ausdruck einer sozialpolitischen Haltung: mit den Menschen vor Ort, oder besser durch die Menschen vor Ort sollten Prozesse möglich werden, die sich auf die konkrete Verbesserung der Lebensverhältnisse auswirken und gleichzeitig sollten diese Prozesse auch Veränderungen auf der stadtpolitischen Ebene auslösen (z.B. eine andere Sicht der Gemeindepolitik auf die «benachteiligten Quartiere»). Der Workshop will diesen umspannenden Anspruch am Beispiel des der «Quartierentwicklung» in der Gemeinde Suhr. Die Workshopleitenden haben dies erst als Pilotprojekt im Auftrag der Gemeinde umgesetzt (bis 2020) und dann an der Gemeindeversammlung zur Abstimmung gebracht und dank erfolgter Zustimmung in die Regelstruktur der Gemeinde überführt. Seit 2021 gibt es die Fachstelle Quartierentwicklung.
Wir möchten Konzepte, die wir entwickelt haben wie «Nachbarschaftshäuser», «gemeinwohlorientierte Zwischennutzung» oder «teilhabeorientierte Mitwirkung an Bauprojekten» zur Diskussion stellen und herausarbeiten, wie solche Ansätze konkrete Erwartungen unterschiedlichster Anspruchsgruppen (Politik, Bevölkerung, Verwaltung) und sozialpolitische Ziele zugleich erfüllen können. Zudem sind wir daran interessiert, welche Erfahrungen die Teilnehmenden des Workshops selbst haben in Bezug auf die Verflechtung von professioneller Haltung, lebensweltlichen Realitäten und politischen Tatsachen.
Anna Greub, Quartierentwicklung Suhr, Nadja Herren, Quartierentwicklung Suhr, Carolina Esteves, Quartierentwicklung Suhr
Welche Formen der Zusammenarbeit sind zwischen Wohngesellschaften und örtlichen Institutionen Sozialer Arbeit möglich? Dient diese Zusammenarbeit allen Beteiligten in gleichem Maße? Wie können durch Kooperationen von verschiedenen Akteuren sowohl die Wohn- und Lebensqualität einzelner Mieter*innen gesteigert als auch der nachbarschaftliche Zusammenhalt gefördert werden? Diesen Fragen werden die Teilnehmer*innen des Workshops gemeinsam nachgehen.
Als Grundlage für den Austausch gibt die Workshopleitung einen kurzen Einblick in Ergebnisse des Projekts Postmigrantische Familienkulturen (POMIKU), das in einer Hamburger Großwohnsiedlung über vier Jahre das Familienleben und den nachbarschaftlichen Zusammenhalt der Bewohner*innen erforscht hat. Im Verlauf der Forschung zeigte sich, dass Thematiken rund um die zuständigen Wohngesellschaften von besonderer Brisanz waren. Dies zeigte sich sowohl in Gesprächen und Interviews mit Bewohner*innen als auch in Beobachtungssituationen während der Begleitung zahlreicher Veranstaltungen vor Ort. Die Bedeutung des Themas für die Lebensqualität und das Zusammenleben in der Siedlung ist schon seit langem auch von der Gemeinwesenarbeit vor Ort erkannt worden. Insbesondere der POMIKU-Verbundpartner Lenzsiedlung e.V., der vor Ort in diversen Bereichen (Familientreff, Beratung, offene Kinder- und Jugendarbeit, Seniorenarbeit) sozialarbeiterisch tätig ist, unterhält bereits seit langem eine Kooperation mit den zuständigen Wohngesellschaften. Die Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit werden ebenfalls in den Impulsvortrag einfließen. Im Anschluss werden die Workshopteilnehmer*innen zentrale Ergebnisse des Projekts diskutieren. Anhand eigener Erfahrungen der Teilnehmenden wollen wir gemeinsam erörtern, was erfolgreiche Kooperationen zwischen Wohngesellschaften und Institutionen sozialer Arbeit ausmachen könnte und wie diese zu befördern sind.
Diana Lölsdorf, HAW Hamburg
Akteur*innen der Sozialen Arbeit und Gemeinwesenarbeit setzen sich zum Ziel, einen Beitrag zu einer gerechteren, inklusiveren Gesellschaft zu leisten. Damit adressieren sie auch die Gestaltung unseres Zusammenlebens sowie die Gestaltung von Quartieren, Städten und Nachbarschaften. Dabei werden insbesondere jene Menschen in den Fokus gestellt, die mit sozialen Benachteiligungen konfrontiert sind und in etablierten Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen meist kaum Mitsprachemöglichkeiten haben. Sie sollen ermächtigt werden und gleichzeitig insgesamt mehr Teilhabechancen für alle in unserer Gesellschaft ermöglicht werden.
Im Leitbild der Caritas Wien liest sich dieser gesellschaftspolitische Anspruch bspw. folgendermaßen: «Gerechte Chancen für alle, solidarisches Handeln und die Bereitschaft zum Teilen – das sind für uns wesentliche, unverzichtbare Bausteine der Gesellschaft. […] Es ist uns wichtig, dass die Schwachen in der Bevölkerung eine starke Stimme erhalten. […] Wir wollen aber auch nach den Wurzeln von Unrecht, Not und Leid fragen. Wir sehen solche Wurzeln […] in ungerechten gesellschaftlichen Strukturen».
Doch wie können ungerechte gesellschaftliche Strukturen verändert werden? Wie können aus Visionen für Stadt und Gesellschaft tatsächlich Praktiken der Veränderung werden? Welche Handlungsstrategien sind wirkungsvoll, um gesellschaftlich produzierte Ungleichheiten abzubauen und Teilhabechancen zu fördern, um Menschen dabei zu unterstützen, Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln? Warum bietet gerade die Arbeit in Stadtteilen und Nachbarschaften ein demokratiepolitisches Potenzial, Partizipation zu stärken sowie zivilgesellschaftliches Engagement und Selbstorganisation zu fördern? In welchen Spannungsfeldern agieren die Akteur*innen der Sozialen Arbeit und Gemeinwesenarbeit dabei und mit welchen konkurrierenden Leitbildern der Stadtplanung und Stadtentwicklung sind sie konfrontiert?
In diesem Workshop soll es Gelegenheit geben, ausgehend von einem kurzen Einstiegsinput, gemeinsam Erfahrungen auszutauschen und Perspektiven für wirkungsvolle Strategien der Gemeinwesenarbeit hin zu konkreten Praktiken für gesellschaftliche Veränderung zu entwickeln.
Katharina Kirsch-Soriano da Silva, Caritas der Erzdiözese Wien – Hilfe in Not
Innovationsprojekte im Bereich E-Partizipation führen zu grundlegenden Veränderungen der bisherigen Partizipationsstrukturen in Stadtentwicklungsprozessen. Immer häufiger kommt es dabei zu einem Einsatz von digitalen Technologien, welche hybride und multisensorische Ansätze verfolgen; neue Formen der Kommunikation, Verhandlungen und Interventionen sind so das Resultat laufender Digitalisierungsprozesse. Die Entwicklung und Anwendung der dabei eingesetzten digitalen Tools werden häufig durch eine übergreifende Vision angetrieben: digitale Technologien, mit dem Ziel der Mensch und dessen Bedürfnisse ins Zentrum der Digitalisierung zu stellen, ermöglichen eine chancengleiche Teilhabe aller und führen zu demokratischeren, inklusiveren und gleichzeitig ressourcenschonenden Prozessen in urbanen Gemeinschaften. Von solchen zukünftigen Idealen sowie aktuellen Digitalisierungsprozessen ist die quartiersbezogene Soziale Arbeit, in ihrer Arbeit als Schlüsselakteurin der partizipativen Stadtentwicklung, direkt betroffen.
Der Workshop fördert deshalb einen Erfahrungsaustausch an der Schnittstelle der partizipativen Stadtentwicklung und Digitalisierung. Als Auftakt für die Diskussion dient ein Input der Workshop-Leitung, worin erste Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt zu digitaler Stadtentwicklung in der Schweiz präsentiert werden. In einem zweiten Schritt möchten wir gemeinsam eine Vision für eine sozialverträgliche Digitalisierung in der partizipativen Stadtentwicklung entwickeln.
Aline Suter, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW Simone Tappert, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Die räumliche Segregation von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in einer Stadt wird häufig als Gefahr gesehen, sei es, weil sie die Kohäsion der Stadtgesellschaft in Frage stellt oder weil sie soziale Ungleichheit räumlich manifestiert und dadurch die Frage von sozialer Gerechtigkeit aufwirft. Im Gegenzug schwingt das Konzept der sozialen Durchmischung häufig als Ideal bei Fragen der Stadtentwicklung mit. Segregationsprozesse sind ins städtischen Räumen nicht zuletzt in Grosswohnsiedlungen der 60/70er Jahre des 20. Jahrhunderts zu finden, die sich – einst gebaut für die Breite der Bevölkerung – im Laufe der Zeit entmischten und vielen nicht mehr als attraktiver Wohnort erschienen. Seit einigen Jahren werden nun wieder vor allem gegenteilige Entwicklungen diskutiert, sei es als gezielte Versuche der Durchmischung z.B. über Vorgaben hinsichtlich Sozialwohnungsquoten in Neubauquartieren oder als aus Entwicklungen des Wohnungsmarktes resultierende Prozesse der Gentrifizierung von in der Regel innenstadtnahen Quartieren mit einer potentiell attraktiven Bausubstanz.
Neben der Frage der Beurteilung dieser Entwicklungen stellen sich auch Fragen, was unter sozialer Durchmischung genau zu verstehen ist und ob mit der räumlichen Mischung auch eine tatsächliche Begegnung verschiedener sozialer Gruppen einhergeht.
Das Panel diskutiert diese Fragen anhand von Beiträgen aus verschiedenen Städten.
Moderation: Jutta Guhl, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Beiträge:
Der Beitrag skizziert die Entwicklung der Großwohnsiedlung «Lenzsiedlung» in Hamburg Eimsbüttel von einem «sozialen Problemviertel» in den 1980er und 90er Jahren hin zu einem Quartier, das als Beispiel für eine insgesamt gelungene Umsetzung einer Vision von Aufwertung und Regenerierung angesehen werden kann. Dabei wird ein Schwerpunkt auf Faktoren liegen, die diesen Entwicklungserfolg ermöglicht und befördert haben, und ein Ausblick auf aktuelle Entwicklungen und zukünftige Pläne für weitere Verbesserungen gegeben. In der zwischen 1974 und 1984 errichteten Lenzsiedlung leben heute ca. 3.000 Menschen aus über 60 Ländern. In den 1980er und 90er Jahren kam es zu einer Reihe von Entwicklungen, die die Siedlung zum «Problemviertel» machten. Zu dieser Zeit war die Siedlung u.a. geprägt von hoher Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, hohen Kriminalitätsraten und Jugendgangs; auch Häuser und Innenhöfe boten ein Bild der Verwahrlosung. Durch eine von 2000 bis 2014 durchgeführte Quartiersentwicklung, in deren Rahmen sowohl die Wohnblöcke und Innenhöfe saniert und neugestaltet wurden sowie eine soziale Infrastruktur aufgebaut werden konnte, gelang es, die Problemlagen in vielen Punkten zu entschärfen. Dadurch verbesserten sich die Lebensqualität der Bewohner*innen und das Außenbild der Lenzsiedlung, die auch aufgrund ihrer beliebten Lage in Hamburg Eimsbüttel nicht mehr nur von Menschen aus sozial schwachen Milieus als Wohnort bewusst gewählt wird. Insbesondere das während der Quartiersentwicklung entstandene Bürgerhaus mit verschiedenen Angebotsbereichen (OKJA, GWA usw.) trug und trägt bis heute zur Verstetigung der positiven Entwicklungen bei. Auch wenn ein Teil der von Stadtplanung, Quartiersentwicklung, sozialer Arbeit und Anwohner*innen angestrebten Visionen der 2000er Jahre umgesetzt werden konnte, gibt es nach wie vor eine Reihe von Herausforderungen für die Zukunft. Der Beitrag stellt auch diesbezügliche aktuelle Pläne und Visionen für eine weitere Aufwertung des Quartiers dar.
Diana Lölsdorf, HAW Hamburg
Die Stadt Leipzig erlebt aktuell eine urbane Renaissance und hat sich zu einer der am stärksten wachsenden deutschen Großstädte entwickelt. Infolgedessen wird der Wohnungsmarkt zunehmend angespannter und der bezahlbare Wohnraum knapper. Diese Entwicklungen machen auch vor der Nachbarschaft Leipzig-Connewitz keinen Halt, welche überregional als Hochburg der linken und alternativen Szene bekannt ist. Connewitz gilt als Insel für Andersdenkende, gemeinhin auch als Symbolort des Widerstandes gegen das System. Die Nachbarschaft ist geprägt von linksalternativen und subkulturellen Strukturen, welche zunehmend von der – wie Aktivist*innen es nennen – voranschreitenden Gentrifizierung der Nachbarschaft gefähr-det bzw. räumlich eingeschränkt sind. Hochpreisige Neubauprojekte und Luxussanierungen finden statt, welche sich weder optisch in Connewitz› Charakter eingliedern noch soziodemografisch an der Bevölkerungsstruktur ausgerichtet sind. Vielmehr wird der «Mythos Connewitz» von Politik und Privatwirtschaft genutzt, um weiter finanzstarke Mittelschichtshaushalte anzulocken. Seit mittlerweile zehn Jahren setzten sich Aktivist*innen meist friedlich gegen die vermeintliche Gentrifizierung ihrer Nachbarschaft ein. 2019 machte Connewitz bundesweite Schlagzeilen durch militante Protestaktionen, wodurch eine lautstarke und medial getragene Diskussion über Linksextremismus und Gewalt im Zusammenhang mit Gentrifizierung entstand. Auf Basis einer kritischen Diskursanalyse mit Dokumenten der letzten zehn Jahre werde ich im Rahmen dieses Vortrages die kontrahierenden städtischen Visionen der beteiligten Akteure und ihre verwendeten Strategien zur Durchsetzung dieser nachzeichnen und gegenüberstellen. Es zeigt sich ein Bild konfliktreicher Visionen, welches sich zwischen Idealisierung, dem Wunsch nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität, der unternehmerischen Stadtentwicklung, dem Kapitalismus und dem Kampf gegen rechtsfreie Räume aufbaut. Angewandt werden Strategien, welche von Militanz zu solidarischen Stadtteilfesten reichen und durch stark kontrahierende Rhetoriken und Story-Lines voneinander abweichen.
Annika Guhl, TU Dortmund
Als Vision für eine ausgleichende Stadt- und Quartiersentwicklung und zur Entschärfung von Segregation erfährt die sog. soziale Durchmischung eine große Bedeutung in deutschen Städten. Gemeinsam haben Debatten über eine „gute“ soziale Durchmischung, dass sich soziale Gruppen möglichst „adäquat“ über städtische Teilräume verteilen sollten und die Heterogenität der Sozialräume zu fördern ist. Dieses auf den ersten Blick plausibel wirkende Desiderat entpuppt sich bei näherer Betrachtung häufig als eine Art «Pseudoziel» kommunaler Handlungsstränge, da es selten mit konkreten, umsetzbaren Zielen belegt und nur selten reflektiert wird, wie eine soziale Durchmischung tatsächlich aussehen kann und wem sie konkret und auf welche Weise nützt. Die Diskurse um soziale Durchmischung bewegen sich nicht selten zwischen einer Art Sozialromantik (es wird davon ausgegangen, dass alle sozialen Gruppen zusammenleben wollen) und einer Art «Brettspiellogik» (es besteht die Annahme, es bestünden in sich homogene soziale Gruppen und diese könnten über die Stadt verteilt werden). Insbesondere bei der Verteilung des sozialen Wohnungsbaus und bei städtebaulicher Aufwertungsprozessen werden Durchmischungsstrategien postuliert. Dabei wird zu wenig auf nachbarschaftliche Prozesse und die Förderung von Gemeinwesen eingegangen. Vielmehr entsteht nicht selten ein Nebeneinander verschiedener Wohnangebote und die Gefahr von Verdrängungsprozessen verunsichert die lokale Bevölkerung. Insgesamt wird zu wenig über Lebenslagen und -stile und über die Perspektiven der aktuellen und potentiellen Bewohner*innen diskutiert, sondern vorschnell «ideale» Quartierszusammensetzungen ( «idealer» Durchschnitt in Bezug auf Sozialdaten) präsentiert. Der Beitrag diskutiert die politische und planerische Vision der sozialen Durchmischung am Beispiel der Stadt Aachen. Es geht um die konkreten Umsetzungsmöglichkeiten dieser Vision und die Frage, welche Implikationen soziale Durchmischung als planerische Strategie gesamtstädtisch und lokal mit sich bringt. Neben den politischen und planerischen Dimensionen wird im Beitrag auch die Rolle von Gemeinwesen- und Quartiersarbeit in Durchmischungsprozessen erörtert.
Marius Otto, Stadt Aachen
Die Qualität des Wohnens zeigt sich nicht nur im Baulichen, in der Bezahlbarkeit von Wohnraum oder allenfalls im Genügen von ökologischen Ansprüchen. Das Bestreben, gesellschaftliche Standards im Wohnen neu zu definieren, die Vision des «guten Lebens» und des nachhaltigen Wohnens zielt insbesondere auch auf die Idee des Gemeinschaftlichen. In den drei Beiträgen des Panels werden der individuelle, aber auch gesellschaftliche Mehrwert von tragenden Beziehungen und der Mitgestaltung, sei dies in lebendigen Nachbarschaften, in intergenerationellen Wohnprojekten, in Wohngemeinschaften, in solidarischen Hausgemeinschaften und einer «geschlechtergerechten Sorgekultur», bis hin zur Vision der Stadt als einer «Caring Community», diskutiert. Erkenntnisse aus der Umsetzung verweisen aber auch auf das Spannungsfeld von Idealvorstellungen und Herausforderungen und gar Grenzen der Machbarkeit von «visionären» Wohnkonzepten.
Moderation: Barbara Schürch, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Beiträge:
Bei der Entwicklung städtischer Räume machen in den letzten Jahren immer mehr (Areal-)Überbauungen und Wohnprojekte mit einem umfassenden Nachhaltigkeitsanspruch von sich reden, die nicht nur bezahlbaren und ökologisch verantwortbaren Wohnraum schaffen wollen, sondern sich auch zum Ziel setzen, lebendige Nachbarschaften und tragende soziale Relationen zu fördern. Im dreijährigen praxisorientierten Forschungs-projekt «Generationenwohnen in langfristiger Perspektive – von der Intention zur Umsetzung» (2020 – 2023) untersuchen wir bestehende gemeinschaftliche und intergenerationelle Wohnprojekte – und setzen ihre oftmals innovativen Visionen in Bezug zu den Entwicklungen und gelebten Alltagserfahrungen über die Zeit. In Auseinandersetzung mit dem Tagungsthema legt der Beitrag den Fokus auf die städtischen Bezüge ausgewählter Generationen-Wohnprojekte mit umfassendem Nachhaltigkeitsanspruch: Wie sind die Projekte in ihrer weiteren Umgebung eingebettet? Welche Vernetzungspotenziale und Spannungsfelder eröffnen sich zwischen welchen Akteurinnen? Welche «Ausstrahlung» entfalten die Wohnprojekte – im Hinblick auf die Umsetzung städtisch-wohnpolitischer Visionen und das Quartierleben? Wie werden Generationenbeziehungen gelebt und wie viel Raum gibt es für Diversität? Wo liegen die Herausforderungen und Grenzen im Aushandlungsprozess zwischen Anspruch (bzw. diversen Ansprüchen) und realisierter Umsetzung? Im Tagungsbeitrag diskutieren wir erste Werkstatt-Erkenntnisse zu diesen Fragen aus zwei laufenden Fallstudien und reflektieren, was sich daraus für die Entwicklung künftiger Wohnprojekte und städtische (Areal-)Überbauungen sowie einer raumbezogenen Sozialen Arbeit lernen lässt. Das Forschungsprojekt entsteht am ETH Wohnforum (Eveline Althaus, Leonie Pock) in Kooperation mit Ulrich Otto (age-research.net) sowie Heidi Kaspar und Marie-Hélène Greusing (BFH Bern, Kompetenzzentrum für partizipative Gesundheitsversorgung).
Evelyne Althaus, ETH Zürich, Leonie Pock, ETH Zürich
Alternative, gemeinschaftliche Wohnformen eröffnen einen Möglichkeitsraum für zivilgesellschaftliche Initiativen, um Visionen guten Lebens in Gemeinschaft und einer Kollektivierung von Care in der städtischen Entwicklung umzusetzen. Unter diesem Blickwinkel können Debatten um eine geschlechtergerechte Sorgekultur mit Visionen gemeinschaftlichen Wohnens nicht (nur) als Ausdruck individueller Wohnwünsche, sondern als Baustein in der Vision der Stadt als einer „Caring Community“ verknüpft werden. Dabei stehen solche Wohninitiativen in einem Spannungsfeld zwischen eigenen Idealvorstellungen gemeinschaftlichen Lebens und realer Machbarkeit, die sich in Aushandlungsprozessen mit kommunalen Akteuren und einer Verankerung in Stadtentwicklungsprozesse manifestieren. Das vom BMBF geförderte Verbundprojekt der OTH Regensburg und der Frauenakademie München «WellCare: Gutes Leben – Gutes Care: Innovative Sorgestrukturen und konkrete Praxis sozialräumlich verankern» verknüpft Perspektiven der feministischen Care-Debatten, der Sozialraumorientierung und der kommunalen Politikfeldforschung. Mit im Fokus steht die Frage, wie eine geschlechtergerechte Aufteilung von Sorge erreicht werden kann und welche Rolle alternative Wohnkonzepte hierbei spielen könnten. Im Einzelbeitrag möchten wir hierzu empirische Erkenntnisse aus qualitativen Expert*innen-Interviews und Gruppendiskussionen mit Akteuren sowohl aus Politik, Verwaltung als auch aus Wohnungsbaugesellschaften, -genossenschaften, Wohlfahrtsverbänden sowie Wohnprojekte (-initiativen) in ausgewählten Fallkommunen im städtischen Raum vorstellen. Kommunalpolitische Steuerungs- und Aushandlungsprozesse sollen hierbei ebenso nachgezeichnet werden wie das Verhältnis von Zivilgesellschaft zu Politik und Verwaltung und deren Interaktionen in sektorübergreifenden Strukturen und Netzwerken. Ob und wie in der Auseinandersetzung mit gemeinschaftlichen Wohnformen auf kommunaler Ebene auch eine Verhandlung von Geschlechterverhältnissen und der Organisation von Care stattfindet, soll dabei beleuchtet werden.
Kyra Schneider, OTH Regensburg, Nina Vischer, OTH Regensburg
Gemeinschaftliche Wohnprojekte einen sich im Anspruch, Raum für Visionen und Ideale in Hinblick auf die Wohnpraxis zu schaffen. Ausgehend davon werden Themen sichtbar gemacht, die zum einen auf soziale Missstände aufmerksam machen und zum anderen mögliche Lösungsvorschläge erproben. Der Beitrag «Das Wohnmodell Steilshoop: Eine Vision und ihre Geschichte» widmet sich einem Wohnprojekt mit experimentellem Charakter, das, inspiriert durch die politische Vision Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“, in den 1970er Jahren versuchte, gesellschaftliche Standards im Wohnen neu zu definieren. Mit der Grundidee möglichst unterschiedliche Bevölkerungsschichten einziehen zu lassen, wurde das Wohnmodell Steilshoop innerhalb des sozialen Wohnungsbaus realisiert. Nach den Vorstellungen des planenden Architekten sollte es in der Umsetzung den Bewohner*innen das größtmögliche Maß an Mitbestimmung ermöglichen. Hierbei wurde darauf Wert gelegt, die Vorgaben des sozialen Wohnungsbaus zu verändern und damit Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen Zugang zur experimentellen Gestaltung ihrer Wohnwelt im Rahmen eines Wohnprojekts zuzugestehen. Das zugrundeliegende Ideal der solidarischen Hausgemeinschaft wurde kurz nach dem Einzug mit dem unerwarteten Ausmaß an Herausforderungen im Zusammenleben der einzelnen Bewohner*innen konfrontiert, sodass diese Vision letztlich unerfüllt blieb und das Experiment Steilshoop als gescheitert erklärt wurde: Nach zehn Jahren zogen die letzten Bewohner*innen aus und das Gebäude wurde für die konventionelle Wohnnutzung umgebaut, wofür es bis heute in Nutzung ist. Aus dem Scheitern des Projekts ließen sich Erkenntnisse für die soziale Arbeit und Stadtentwicklung ableiten, die noch während der aktiven Zeit des Projekts durch mehrere Forschungsteams erarbeitet wurden. Die Umsetzung des Wohnmodells zeigt auf, mit welchen Stra-tegien und Rollenverständnis die Akteure der Zeit ihre Visionen vom Zusammenleben realisierten und welche Konflikte daraus entstanden. Der Beitrag geht weiterführend der Frage nach, inwiefern die visionären sowie ideellen Positionen der 1970er Jahre nachwirken und die gemeinschaftliche Wohnpraxis bis heute prägen.
Annika Wismer, Technische Hochschule Dortmund
Ausgehend von theoretischen Annahmen der sozialwissenschaftlichen Alltagsforschung werden die Beiträge des Panels der Frage nachgehen, inwiefern sich Visionen des Städtischen «ex negativo» aus einer gesellschaftstheoretisch informierten Interpretation von Alltagserfahrungen bestimmen lassen. Hierbei stehen empirische Forschungsprojekte im Mittelpunkt, deren Gegenstand die Bearbeitung von Ausschluss- und Teilhabebedingungen im Feld des Wohnens (im Stadtteil) und der Stadtentwicklung durch die Stadtbewohner*innen ist. Der Ausschluss von oder die Teilhabe an Ressourcen zur Bearbeitung des Wohnens und der Stadtentwicklung im weitesten Sinne verweisen auf gesellschaftliche Ungleichheitsbedingungen, die sich auch im städtischen Raum materialisieren. Im Panel sind Vorträge versammelt, die unter der theoretischen Perspektive der «Arbeit an Partizipation» (Bareis 2012) auf Alltagsverhältnisse und -praktiken von Stadtbewohner*innen blicken. Damit wird ihre tägliche Arbeit der Partizipation an Wohnen und Stadtentwicklung respektive auch die verhinderten Teilhabemöglichkeiten daran, zum Gegenstand gemacht.
Moderation: Ellen Bareis, Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen
Beiträge:
Die Verknappung von günstigem Wohnraum schreitet voran, die Marktbedingungen lassen sich derzeit vor allem als Finanzialisierung und Responsibilisierung des «Gutes Wohnraum» fassen. Das bedeutet vor allem Mietpreissteigerungen, den Wegfall von sozial gebundenem Wohnraum und damit erschwertem Zugang zu Wohnraum v. a. für geringverdienende Wohnungssuchende. Der Beitrag widmet sich besonders der subjektiv-biografischen Prozesse des städtischen Wohnens und Ankommens. Auf der Grundlage von narrativen Interviews mit (geringverdienenden) Personen, für die sich die Wohnraumversorgung als problematisch erweist, fragt die Analyse zum einen danach, welche Bewältigungsweisen (vgl. Böhnisch & Schröer 2013) in den Erzählungen der Alltagsakteur*innen deutlich werden, wie sie zur Reproduktion der bestehenden Wohnverhältnisse beitragen, diese aber auch durch Widersprüchliches und Widerständiges infrage stellen. Aus dem Material vorgestellt werden herausgearbeitete „Ökonomien der Wohnungssuche“ eines kapitalistisch organisierten Wohnens, mit ihren Ein- und Ausschließungen, Differenzen und Ungleichheiten, die sich in den Alltag der Stadtbewohner*innen einschreiben und ex negativo Hinweise für die Diskussion von Partizipation und Teilhabe in der Stadt geben können. Damit knüpft der Beitrag an eine Verdrängungsforschung aus Subjektperspektive an.
Judith Knabe, Technische Hochschule Köln
Zunehmende Finanzialisierung von Wohnraum und damit verbundene Prozesse von Aufwertung und Verdrängung, prägen die Rahmenbedingungen unter denen Alltagsakteur*innen ihr Wohnen organisieren. In der Gentrifizierungsforschung wird dies primär als Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Prozesse und mit dem Fokus auf Wohnraumversorgung und die Verdrängung von marginalisierten Bevölkerungsgruppen aus innerstädtischen Quartieren analysiert. Der Beitrag nimmt aus der Perspektive von Alltagsakteure*innen oben genannte Prozesse in Blick. Eine wesentliche Rolle hierfür spielen Strategien der Bewohner*innen Partizipation im Stadtteil für sich und andere herzustellen. Ausgehend von einem weiten Verständnis des Wohnens wird nach Bedeutung und Ressourcen der Nachbarschaft, des Stadtteils, der Stadt – kurz des Städtischen – für Partizipation an Gesellschaft ge-fragt. Entlang von empirischem Material aus einer Studie zur (Nicht-)Nutzung von Quartiersmanagement zur Bearbeitung des Wohnens im Stadtteil werden oben genannte Strategien nachgezeichnet. In der Studie wurden episodische Interviews mit freiwillig Engagierten im Umfeld des Quartiersmanagement und zur Kontrastierung mit einer aktivistischen Gruppe geführt. Im Mittelpunkt stehen – neben oben genannten expliziten Strategien zur Teilhabe – «Empörungen» (Moore 1984) über die Bedingungen des Wohnens im Stadtteil. So lassen sich Visionen des Städtischen aus dem Alltag der Bewohner*innen ableiten. Hierfür greift der Beitrag auf die Figur des «Rechts auf Stadt» (Lefebvre 1968, 1970) zurück, die gleichfalls die Empirie des Alltags mit kritischer Gesellschaftstheorie vermittelt.
Felix Walter, Universität Kassel
Partizipation der Bewohner*innen an Stadtentwicklung wird seit Jahrzehnten politisch gefordert und gefördert. Dabei liegt der Fokus in der Regel auf institutionellen Akteuren, die Partizipation als ein «von oben» gesteuertes, formalisiertes und strukturiertes Instrument verstehen und «anwenden». Gleichzeitig gibt es aber auch alltägliche, nicht formal organisierte, niedrigschwellige, widerständige Praktiken, die Partizipation hervorbringen und die Stadt mit entwickeln. Diese beiden Partizipationslogiken werden im Vortrag auf Basis theoretischer Perspektiven der Alltagsforschung vom Standpunkt der Bürger*innen aus betrachtet. Damit gerät «die Arbeit an Partizipation» (Bareis 2012) von Stadtbewohner*innen ins Zentrum der Betrachtung. Ziel des Vortrages ist es, konzeptionelle Überlegungen zu einer subjektorientierten Partizipationsforschung zu präsentieren.
Miriam Meuth, Universität Zürich
Die Digitalisierung des Alltags und der exponentielle Fortschritt der Technologien führen derzeit zu einem Innovationsschub in der partizipativen Stadtentwicklung. Sie eröffnen neue hybride und multisensorische Ansätze der Partizipation, aber auch neue Formen der Kommunikation, Verhandlung und Intervention. Diese Entwicklung ist geprägt von der Vision, Stadtentwicklung und städtisches Zusammenleben durch digitale Technologien demokratischer, intelligenter und nachhaltiger zu gestalten. Die Digitalisierung bietet dabei vielfältige Chancen: Sie kann dazu beitragen, Informations- und Kommunikationsflüsse zwischen verschiedenen Akteuren zu verbessern, neue oder schwer erreichbare Zielgruppen zu aktivieren, lokales Wissen sichtbar und nutzbar zu machen, die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt zu fördern, oder Entscheidungsprozesse demokratischer zu gestalten. Entsprechend gross ist derzeit die Bandbreite an digitalen Tools: Vom online Mapping und online Voting, über AR-Technologien zur Visualisierung städtischer Zukünfte, und webbasierten ortsbezogenen Apps zur kollaborativen Gestaltung städtischer Räume, bis hin zur Nutzung von Sozialen Medien und digitalen Plattformen. Die Digitalisierung partizipativer Stadtentwicklungsprozesse wirft aber auch Fragen auf. Denn zum einen sind digitale Werkzeuge nicht unvoreingenommen oder neutral, sondern werden von Menschen mit ihren jeweiligen Normen, Werten und Vorstellungen programmiert und entwickelt. Sie stellen gewissermassen einen neuen Akteur in der Stadtentwicklung dar. Zum anderen stellen sich Fragen der Datensicherheit, der Transparenz und der Repräsentativität der digitalen Wissensproduktion als neue Form der partizipativen Stadtentwicklung. Zentral in der Debatte ist auch die Frage nach dem «digital divide», also ob und wie durch Prozesse der Digitalisierung neue gesellschaftliche Ungleichheiten entstehen oder bestehende Ungleichheiten verstärkt werden. Das Panel setzt sich mit diesen Fragen auseinander und zielt darauf ab, Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für eine demokratische Stadtentwicklung auszuloten.
Moderation: Aline Suter, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Simone Tappert, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Beiträge:
Nachbarschaftsbezogene Online-Tools für die lokale Interaktion und die Entwicklung der Gemeinschaft werden weltweit immer beliebter, während sie in der Schweiz noch als neues Phänomen gelten. Von informellen WhatsApp- oder Facebook-Gruppen unter Nachbar*innen bis hin zu formellen Online-Plattformen und Apps, die ganze Nachbarschaften abdecken, eröffnen die digitalen Tools einen neuen virtuellen Raum, der sich zunehmend auf die Beziehungen im alltäglichen nachbarschaftlichen Leben auswirkt. Frühere Studien haben gezeigt, dass lokale Online-Tools das Potenzial haben, soziale Netzwerke zu intensi-vieren und Gemeinschaften zu stärken, gleichzeitig aber auch die Gefahr bergen, bestehende Spannungen und soziale Grenzen zu verstärken. Angesichts der Annahme, dass die nachbarschaftlichen Offline- und Online-Räume in Zukunft immer stärker miteinander verwoben sein werden, ist es wichtig, die Auswirkungen lokaler Online-Netzwerke auf Prozesse der sozialen Inklusion und Exklusion im Schweizer Kontext zu verstehen. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines Anforderungskatalogs, der lokalen Akteur*innen, politischen Entscheidungsträger*innen und Online-Entwickler*innen dabei hilft, einem breiten Spektrum von sozialen Gruppen die Teilnahme an Online-Communities zu ermöglichen. Die Forschungsfrage, die das Projekt leitet, lautet: Welches ist das aktuelle und zukünftige Potenzial lokaler Online-Räume, um sozial inklusive Nachbarschaften zu ermöglichen? Das Projekt verfolgt einen interdisziplinären und innovativen Ansatz an der Schnittstelle von Architektur, Sozialwissenschaften und (digitalem) Co-Creation Design. Empirische Forschung wird durch die Anwendung eines multilokalen Fallstudienansatzes in zwei städtischen Quartieren in Zürich durchgeführt, in denen die Bewohner*innen Zugang zu formalen Online-Plattformen haben. Zudem wurden in beiden der untersuchten Quartiere experimentelle Co-Creation-Workshops mit digital unterrepräsentierten Gruppen von Bewohner*innen durchgeführt. Ziel der Workshops war es, die Schwachstellen und Nutzungsbarrieren für schlecht integrierte Gruppen zu ermitteln, um die soziale Inklusion in den Stadtteilen zu verbessern.
Leandra Choffat, ETH Wohnforum – ETH CASE Zsófia Glatz, ETH Wohnforum – ETH CASE
In den letzten 10 Jahren sind im deutschsprachigen Raum verschiedene digitale Plattformen von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen initiiert worden, die auf das Entwickeln und/oder Finanzieren von Bürger*innen-Projekten in der Stadtentwicklung zielen und sich dabei die Prinzipien des Crowdsourcings oder Crowdfundings zunutze machen (u.a. Stadtmacher, Hannover Voids, Raumpioniere, openBerlin). In der Debatte um eine neue Kultur des Stadtmachens haben solche Plattformen viel Euphorie ausgelöst, eröffneten sie doch neue Wege und Zugänge zur „User-generated City“: Erwartet wurde nichts weniger als ein neuer Partizipationsmodus, der eine offenere, kollaborativere und demokratischere Gestaltung von Stadt ermöglicht und Bürger*innen zu aktiven Mitgestalter*innen und Produzent:innen ihrer Lebensräume macht. Nach nunmehr 10 Jahren Praxiserfahrung stellen wir in unserem Vortrag die Plattformen auf den Prüfstand und fragen, inwiefern sie ein Treiber für eine bürger*innengetragene Stadtentwicklung sind. Dazu beleuchten wir: 1) wie sich die Landschaft an Plattformen entwickelt hat, welche Akteur*innen hintern den Plattformen stehen und mit welchen Motiven diese betrieben werden, 2) inwiefern es den Plattformen gelingt, Bürger*innen zu befähigen eigene Projekte zu realisieren (z.B. hinsichtlich der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten, dem Aufbau von Netzwerken oder kollaborativer Selbstorganisation), 3) und wo die Probleme und Grenzen solcher Plattformen liegen (z.B. Governance-Strukturen, soziale Selektivitäten, Ressourcen). Der Beitrag basiert auf Ergebnissen des vhw-Forschungsprojekts «Entwickeln. Finanzieren. Umsetzen. Stadtmachen auf digitalen Plattformen», in dem mittels verschiedener Methoden Crowdsourcing- wie auch Crowdfunding-Plattformen untersucht wurden.
Nina Böcker, vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Lars Wiesemann, vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V.
Durch den Einsatz digitaler Technologien in der partizipativen Stadtentwicklung wird von manchen Seiten eine breitere und qualitativ bessere Beteiligung von Bürger*innen erwartet. Tatsächlich stellen diese Technologien lediglich eine Erweiterung von methodischen Zugängen dar. Die Qualität von Beteiligungsprozessen wird aber weniger durch Methoden an sich definiert, sondern durch Konzepte für die Prozesse (vgl. dazu Galuske 2013). Konzepte definieren Ziele von Prozessen (z.B. in Bezug auf den Gegenstand der Beteiligung und Rahmen für Entscheidungen) sowie berücksichtigen Kontexte (wie Möglichkeiten und Ausschlüsse von diver-sen Zielgruppen). Methoden sind diesen Konzepten unterzuordnen – sie müssen je nach Zielen und Kontexten ausgewählt und adaptiert werden. Digitale tools müssen also geprüft werden in Bezeug darauf, auf welches Ziel sie ausgerichtet sind, was sie können, wen sie erreichen wollen und wen sie ausschließen. Im Rahmen des Projekts «ways2gether»1 wurde 2011 bis 2013 der Einsatz von Augmented Reality in der Bürger*innen-Beteiligung bei Verkehrsplanungs- und Gestaltungsprozessen beforscht. Durch einen experimentellen qualitativen Forschungszugang konnten die Potenzale und Grenzen bei der Anwendung von Augmented Reality herausgearbeitet werden. Im Panel werden die zentralen Ergebnisse wie folgt vorgestellt.
1. Festgestellt wurde das Potenzial einer realitätsnäheren Darstellung von Veränderungen und weniger manipulative Möglichkeiten im Vergleich zu Renderings.
2. Deutlich wurden die Wechselwirkungen zwischen Technologie und Kommunikation bei Begehungen.
3. Ein Einfluss auf die Qualität der Kommunikation wird eher durch die Prozessbegleiter*innen und weniger aufgrund der angewendeten Technologie ausgeübt.
4. Es konnten einige Hinweise erarbeitet werden, welche Zielgruppen durch die Technologie stärker angesprochen werden könnten.
Christoph Stoik, FH, Campus Wien
Mixed-Reality-Technologien bieten vielfältige Chancen für Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse in Teams und Organisationen. Insbesondere dann, wenn Akteure mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenkommen und einen gemeinsamen Entscheid treffen. Konsensbildung ist zum Beispiel in der partizipativen Stadtplanung oder bei Jurierungen von Architekturwettbewerben relevant. Dieser Beitrag von Debora Draxl mit einem Hintergrund in Design und Psychologie gibt Einblicke in das Innosuisse Projekt «Digital Collaboration Hubs für Planungs- und Designteams» an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Zusammen mit dem Institut für Interaktive Technologien werden neue Kommunikations- und Interaktionsparadigmen erforscht sowie nutzerzentrierte Ansätze in Mixed-Reality angewandt. Ziel ist es, das Verständnis und die Integration der Akteure mit ihren unterschiedlichen Perspektiven zu verbessern: u.a. wird das räumliche Vorstellungsvermögen mit 3D-Darstellungen (Hologrammen) erhöht und das gemeinsame Verständnis mit geteilter Ansicht (Shared perspective) gestärkt, wodurch eine fairere Diskursbeteiligung ermöglicht und eine demokratische Entscheidungsfindung gefördert wird. Die Aufmerksamkeit bei der Bewertung der Modelle kann mit Awareness cues gelenkt und mit Hand- und Eyetracking gemessen werden. Darüber hinaus wird die Interaktion mit digitalen Repräsentationen (Avataren) sowie die Wahrnehmung von (un)angenehmen Erfahrungen in Bezug auf den Blickkontakt an der Schnittstelle von physischer und virtueller Welt untersucht. Auf diese Weise trägt das Projekt dazu bei, die wahrscheinlich unausweichlichen Entwicklungen durch digitalisierte Prozesse und hybride Arbeitsformen für die nahe Zukunft aus Sicht der Nutzergruppen mitzugestalten. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt entwickelt und evaluiert Mixed-Reality-Settings zur Unterstützung von multidisziplinären Teams im Bereich der Raumplanung, Büroraumberatung und Produktentwicklung. Das Projekt ist eine Kooperation mit den Praxispartnern Vitra, afca. und Stadt Zürich sowie den Forschungspartnern Institut für Interaktive Technologien (IIT) und Institut Experimentelles Design und Medienkulturen (IXDM).
Debora Draxl, Hochschule für Angewandte Psychologie, FHNW
Mögliche Wege hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft und die nachhaltige Gestaltung urbaner Lebensräume zum Erhalt oder der Steigerung von Lebensqualität gehören zu den drängendsten Aufgaben der Gegenwart. Längst ist ersichtlich, dass Nachhaltigkeit nicht ausschliesslich mit quantitativen Strategien, innovativer Technik und globalen Denkansätzen zu erreichen ist, sondern dass wir auf eine «grosse Transformation» (Schneidewind (2018) in Anlehnung an Polanyi (1944)), also einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel hinarbeiten müssen. Da nach derzeitigen Schätzungen im Jahr 2050 zwei Drittel der Menschheit in Städten leben werden, müssen und werden sich die Transformationen zu nachhaltigen Gesellschaften vor allem in Stadtentwicklungsprozessen und im Zusammenspiel globaler Initiativen und lokaler Strukturen und Projekte vollziehen.
Die Beiträge des Panels beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven Ansätze einer nachhaltigen Entwicklung urbaner Lebensräume und fragen nach dem Potenzial von Stadtentwicklungsprozessen, um zu räumlichen und sozialen Innovationen und einem grundlegenden Wertewandel der Gesellschaft beizutragen. Während der Beitrag von Axel Schubert die Entwicklungslinien der Wertevorstellungen und Potenzialer zweier gegensätzlicher Projekte zwischen Weltformel (Konzept der 2000-Watt-Areale) und planetarem Anspruch (Neustart Schweiz) nachzeichnet und die Potenziale beider Ansätze für Neuerung und Transformation auslotet, fokussiert der Beitrag von Stummbaum auf die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Labor Nachhaltigkeit und diskutiert die Perspektiven einer Sozialen Arbeit in einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Der dritte Beitrag von Lehmann wiederum stellt sich die Frage, wie wir mit Community Building als Ideengeber und Methode für eine kleinräumliche Entwicklung mit einer langen Tradition Nachhaltigkeit und eine zukunftsfähigere Wirtschaft erreichen können und zeigt am Beispiel des Ernährungsforums Zürich und weiteren Projekten, welche Methoden der Sozialen Arbeit und welche Projekte und Initiativen einen Wandel in kleinräumigen Einheiten anstossen können.
Moderation: Jolanthe Kugler, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Beiträge
Die in den 1980er Jahren wieder erstarkte Leitbilddiskussion trug u.a. ökologischen Krisenmomenten Rechnung. Für den Einzelbeitrag fokussiere ich auf zwei Leitvorstellungen, deren ideellen Wurzeln in diese Zeit reichen und die ab den späten Nullerjahren zu baulichen Konkretisierungen führten. Zum einen auf 2000-Watt-Areale, mit denen Überlegungen ökologischer Endlichkeit vom Konzept der in den frühen 1990ern formulierten «2000-Watt-Gesellschaft» auf Arealentwicklung übertragen wurden. Das Konzept beansprucht nichts weniger, als «Weltformel» bezüglich Fragen des Umgangs mit Energie zu sein (www). Ende 2021 gibt es gut 40 zertifizierte 2000-Watt-Areale in der Schweiz. Andererseits fokussiere ich auf «Neustart-Schweiz», einen Ansatz, der auf die Gesellschaftsutopie «bolo’ bolo» (p.m., 1983) zurückgeht. Mit bolo’ bolo wurde ein subversiver Gegenentwurf vorgelegt, als Versuch, ein «planetares Projekt» zu formulieren, das verschiedene Bewegungen zu einem «zusammenhängenden Bild» vereint (a.a.O., 61). bolo’ bolo mündete sowohl in den Verein Neustart-Schweiz, als auch in verschiedene und vielbeachtete Genossenschaftsprojekte, wie Kraftwerk, Kalkbreite, «mehr-als-wohnen» (alle Zürich), mit Konkretisierungen auch in Basel («LeNa»), Tübingen («solidarisch wohnen und leben eG Neustart») etc. Im Beitrag werden die Entwicklungslinien der beiden Ansätze mit ihren eingebetteten Wertvorstellungen dargelegt. Es wird ihr Potenzial befragt, zu räumlicher sozialer Innovation beizutragen, d.h. zu einem grundlegenden Wandel in und von Gesellschaft beitragen zu können. Während Neustart-Schweiz quantitative Aspekte (Endlichkeit, personenbezogener Flächenverbrauch etc.) in ein primär qualitatives Entwicklungsprogramm einer auf Solidarität und nachbarschaftlichem Zusammenleben basierenden Gesellschaft einbettet, geht der Ansatz der 2000-Watt-Areale den umgekehrten Weg: quantitative Rechennachweise werden um qualitative, dabei aber primär prozessbezogene Kriterien ergänzt, die insgesamt eine grosse Breite an Entwicklungsrichtungen für Investor*innen offen hält. Das Potenzial für gesellschaftliche Neuerung und Transformation beider Ansätze wird ausgelotet und gegenübergestellt.
Axel Schubert, Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (2018) werden 2030 rund 60 % der Weltbevölkerung in Städten leben. In Europa liegt der Urbanisierungsgrad laut Statista (2021) bereits bei über 77 %. Die Transformationen zu nachhaltig(er)en Gesellschaften müssen und werden sich vor allem in Stadtentwicklungsprozessen realisieren. Städte eröffnen nach Schneidewind & Scheck (2013) als Living Labs eine besondere Perspektive, Nachhaltigkeit in der Komplexität und Dynamik ihrer unterschiedlichen Dimensionen und damit nachhaltig zu entwickeln. Stadtentwicklung in der nachhaltigen Perspektivität von Living Labs erschließt, initiiert, begleitet, fördert, implementiert, vernetzt, ……. Möglichkeitsräume urbaner Nachhaltigkeit (Kagan et al 2019). Eine so verstandene nachhaltige Stadtentwicklung impliziert veränderte Anforderungen und neue Bedarfe an eine sozialraumorientierte Soziale Arbeit. Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Labor Nachhaltigkeit – einem sozialraumorientierten Dialog-, Forschungs- und Lehrsetting im Studiengang der Sozialen Arbeit an der Hochschule Augsburg – zeigen, dass Soziale Arbeit in nachhaltigen Stadtentwicklungsprozessen nicht nur sehr wenig involviert und mitgedacht ist, sondern dass Soziale Arbeit sich ihrer veränderten und neuen Perspektiven in einer nachhaltigen Stadtentwicklung selbst noch zu wenig bewusst ist. Im Vortrag werden die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Labor Nachhaltigkeit referiert sowie Perspektiven einer nachhaltigen Sozialen Arbeit in einer nachhaltigen Stadtentwicklung diskutiert.
Martin Stummbaum, Hochschule Augsburg, Margit Stein, Universität Vechta, Kirsten Rusert, Universität Vechta
Ein grosser Handlungsbedarf ist aufgrund des Klimawandels, zunehmender Umweltbelastung sowie sozialen und wirtschaftlichen Fragestellungen auf politischer Ebene, wie auch zunehmend in Wirtschaftskreisen, weitgehend unbestritten. Der Thinkpact Zukunft hat Organisationen wie Transition Zürich und das Ernährungsforum Zürich angestossen, die heute mit der Stadt Zürich zusammenarbeiten. Erstere drucken Stadtteilkarten mit einer Übersicht zu den nachhaltigen Projekten und Konsummöglichkeiten. Das Ernährungsforum vernetzt die Akteure im Bereich nachhaltige Ernährung und plant Runde Tische zusammen mit der Stadt zu bestimmten Themen. Methoden aus der Sozialen Arbeit können einen Beitrag leisten zum Wandel und der Vernetzung der Akteure. Susanne Elsen stellt als Urheberin des Sammelwerkes «Ökosoziale Transformation. Solidarische Ökonomie und die Gestaltung des Gemeinwesens» fest, dass eine Methodologie um den Wandel in kleinräumigen Einheiten anzustossen und zu begleiten, nicht neu erfunden werden müsse. In einer Phase tiefgreifender, gesellschaftlicher Veränderung im Übergang zum 20. Jahrhundert sei von Vertreterinnen und Vertretern der Sozialen Arbeit in Pionierarbeit das Community-Development entwickelt worden (2011, S.21). Weiter weist die Professorin darauf hin, dass die Transition Town Bewegung, um einen Wandel anzustossen, souveräne Bürgerorganisationen aufbaue, und damit die spezifische Methodik des Community Organizing in der Tradition von Saul Alinsky für sich adaptiere (S.98). Laut dem «Erfinder» von Transition Town, Rob Hopkins, verfügen wir über alle technischen Mittel eine Gesellschaft zu schaffen, die bei niedrigem Energieverbrauch die Lebens-qualität und Wohlbefinden sogar erhöhen könne. Fehlen würden aber die sozialen Bausteine, die Menschen veranlassen, diese Möglichkeit auch tatsächlich umzusetzen (2013, S.58). Im Rahmen eines fünfzehnminütigen Inputs beschreiben wir unsere Projekte und unser Vorgehen bei der Gründung des Ernährungsforum Zürich und weiteren Projekten.
Manuel Lehmann, Thinkpact Zukunft
Anhand unterschiedlicher Initiativen zur sozialen Teilhabe im städtischen Kontext soll in drei Beiträgen die Rolle der Sozialen Prozessen kritisch beleuchtet werden. Lokale Partizipationsprozesse verändern den Sozialraum, und zwar sowohl für diejenigen Personen im Quartier, welche aktiv partizipiert haben, als auch für jene, die nicht direkt involviert waren. Der erste Beitrag versucht anhand von Erfahrungen in Schweizer Städten die Nicht-Partizipierenden zu typisieren und zu reflektieren, inwieweit Partizipationsprozesse für manche Personen exkludierend wirken können sowie, welche Akteur*innen einen Partizipationsprozess neu auflegen können. Im zweiten Beitrag geht es um das Konzept der Compassionate Cities, Städte und Gemeinden, die sich für eine neue Sterbekultur einsetzen, in der Sterben, Tod und Trauer Teil des gesellschaftlichen Lebens sind. Die Compassionate City ist ein von Akteur*innen des Gesundheitswesens initiiertes Konzept zur sozialen Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Am Beispiel der Stadt Bern fragt der Beitrag, inwiefern Sozialplanung, Stadtentwicklung und Quartierarbeit daran anschliessen können. Der Beitrag fragt, inwiefern die angekündigte Vision realisiert werden konnte, und reflektiert Ideale und Wertvorstellungen hinter der Compassionate City. Der dritte Beitrag schliesslich stellt das Leitbild einer «Stadt für Alle» als sozialpolitisches Konzept und als konkretes Handlungsfeld für die Soziale Arbeit vor. Nach einer kurzen historischen Herleitung der Idee einer Stadt für Alle in der Geschichte der Sozialen Arbeit werden am Beispiel verschiedener städtischer und quartiersbezogener Entwicklungsprojekte in der Schweiz werden konkrete Anforderungen und Aufgaben der Sozialen Arbeit als (mögliche) Planungs- und Gestaltungsprofession vorgestellt und problematisiert. Ausblick ist die Frage, wie ein soziales, inklusives Prozessdesign zur Verstetigung beitragen kann.
Moderation: Simone Gretler Heusser, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Beiträge:
Lokale Partizipationsprozesse, beispielsweise in einem Quartierentwicklungsprozess, verändern die Stadt: die Partizipationsmöglichkeiten, die soziokulturelle Entwicklung, den Sozialraum. Vorher und Nachher unterscheiden sich, und zwar sowohl für diejenigen Personen im Quartier, welche aktiv partizipiert haben, als auch für jene, die nicht direkt in den Entwicklungsprozess involviert waren. Dieser Beitrag versucht anhand konkreter Erfahrungen in verschiedenen Schweizer Städten die Nicht-Partizipierenden zu typisieren. Was sind Gründe für eine Nicht-Partizipation? Wie werden die Partizipationsprozesse von jenen, die nicht durch eine direkte Teilnahme und Beteiligung involviert waren, beurteilt? Welche Unterschiede gibt es? Anschliessend will der Beitrag unter Rückgriff auf die Konzepte der «participatory city» (Beebeejaun 2016) und der «feminist city» (Kern 2020) die Frage erkunden, unter welchen Umständen lokale Partizipationsprozesse für Personen, die sich nicht daran beteiligen, exkludierend wirken können. Es soll überprüft werden, ob es zutrifft, dass manche gerade durch Partizipationsprozesse Ausschliessung erfahren, obwohl sie – aufgrund ihres Wohnorts, ihres Alters und ihres Quartierbezugs – zur Anspruchsgruppe ebendieser Prozesse gehören. Weiter will der Beitrag erkunden, inwieweit und durch welche Akteur*innen ein Partizipationsprozess neu aufgelegt, wieder aufgenommen oder fortgeführt werden kann, falls solche Exklusionsbewegungen beobachtet werden können. Welches sind in einem solchen Fall aus Sicht der Quartierarbeit gute Strategien, um den Partizipationsprozess zu erweitern? Wer kann mit welchen Vorgehensweisen und Ansätzen Türen öffnen und Brücken schlagen, wo Abschottung und Misstrauen Ausdruck fehlenden Zugehörigkeitsgefühls sind?
Simone Gretler Heusser, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Die meisten Menschen in der Schweiz möchten das Lebensende zuhause verbringen, für die wenigsten ist es möglich. Rund 80 Prozent sterben im Spital oder in einem Pflegeheim, nur 20 Prozent verbleiben in ihrer Wohnung. Um die Selbstbestimmung von Menschen in der letzten Lebensphase zu stärken, entstand die internationale Bewegung der Compassionate Cities. Es sind Städte und Gemeinden, die sich für eine neue Sterbekultur einsetzen, in der Sterben, Tod und Trauer nicht in spezialisierte Einrichtungen ausgelagert wird, sondern Teil des gesellschaftlichen Lebens ist. Dies erfordert ein Gesundheits-, Sozial- und Gemeinwesen, das Menschen in ihrem Sozialraum versorgt. Es braucht aber vor allem eine starke Zivilgesellschaft. Namentlich benötigen Angehörige, die Menschen in Krankheits- und Sterbeprozesse begleiten, in ihrem Umfeld tragende soziale Beziehungsnetze. Die Stadt Bern entschloss sich unter der Schirmherrschaft des Stadtpräsidenten, eine Compassionate City zu werden. Hierzu gründete sie das Netzwerk «Bärn treit», ein Zusammenschluss von Teilen der Stadtverwaltung, der Hochschulen, Organisationen der Palliative Care, Landeskirchen und freiwilligen Akteur*innen. Öffentliche Veranstaltungen, eine Charta für ein gemeinsam getragenes Lebensende und Arbeitsgruppen entstanden. Erste Schritte zur Umsetzung der Vision einer Stadt, die das Lebensende miteinschliesst, wurden damit gemacht. Die Compassionate City ist ein von Akteur*innen des Gesundheitswesens initiiertes Konzept zur sozialen Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Es fragt sich, inwiefern Sozialplanung, Stadtentwicklung und Quartierarbeit daran anschliessen können, um Unterstützungsnetzwerke sozialräumlich zu stärken. Inwiefern solche Anschlüsse in Bern erkennbar sind und somit ein Potenzial besteht, die angekündigte Vision Wirklichkeit werden zu lassen, ist ebenso Gegenstand des Referats, wie die Reflexion der Ideale und Wertvorstellungen hinter der Compassionate City.
Claudia Michel, Berner Fachhochschule; Marie-Hélène Greusing, Berner Fachhochschule; Sibylle Felber, Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital, Universitätsspital Bern; Barbara Affolter Baumberger, Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital, Universitätsspital Bern; Steffen Eychmüller, Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital, Universitätsspital Bern
Vorgestellt wird das Leitbild einer «Stadt für Alle» als sozialpolitisches Konzept und als konkretes Handlungsfeld für die Soziale Arbeit. Das Leitbild der Stadt für Alle zielt auf die räumliche und soziale Inklusion ab und möchte – gestützt auf menschenrechtliche Konventionen und internationale Nachhaltigkeitsziele – Teilhabechancen für alle Menschen fördern (vgl. UN-Behindertenrechtskonvention; SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden; sowie die jeweiligen Umsetzungen in Schweizer nationalen, kantonalen und kommunalen Gesetzen). Obwohl die Ziele dieses Ideals sowohl im inklusions- und demokratietheoretischen Diskurs wie auch als Leitbild einer partizipativen und am Gemeinwohl orientierten Stadtentwicklungspolitik von vielfältigen Akteur*innen ausformuliert sind, bleibt jedoch auf der Handlungs- und Prozessebene oftmals unklar, wer wann und mit welchen Entscheidungskompetenzen teilhaben darf. Und: Welche Rolle kommt dabei «der» Sozialen Arbeit als Disziplin und Profession in der Planung und Gestaltung inklusiver Prozesse zu? Nach einer kurzen historischen Herleitung der Idee einer Stadt für Alle in der Geschichte der Sozialen Arbeit wird die Frage thematisiert, welche konkrete Rolle die Sozialen Arbeit in aktuellen Planungs- und Gestaltungsprozessen einnimmt und wie ein soziales und inklusives Prozessdesign entworfen werden muss, um Partizipation zu fördern und Teilhabemöglichkeiten zu verstetigen. Am Beispiel verschiedener städtischer und quartiersbezogener Entwicklungsprojekte in der Schweiz werden konkrete Anforderungen und Aufgaben der Sozialen Arbeit als (mögliche) Planungs- und Gestaltungsprofession vorgestellt und problematisiert. Als Ausblick wird die Frage zur Diskussion gestellt, wie ein soziales und inklusives Prozessdesign zur Verstetigung, insbesondere von informellen Beteiligungsprozessen, beitragen und auf welche Grundlagen und Handlungsverständnisse sich eine planungsbezogene Arbeit stützen kann. Stephanie Weiss, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
In der urbanen Szenografie beschäftigen wir uns mit Theorien, Visionen und Gestaltung städtischer Zukunftswelten. Unter anderen werden Methoden der Raumforschung, mitwirkende Beobachtungen, sowie Storytelling angewandt, um sich mit Wechselwirkungen zwischen Stadträumen und Teilnehmenden auseinandersetzen und dies in temporäre Installationen, Interventionen und räumlich-verkörperlichten Erlebnissen umzusetzen und durch diese zu vermitteln.
Soziale Aushandlungen finden zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen statt, die an Vorstellungen sowie der Gestaltung von urbaner Zukunft und Zusammenleben beteiligt sind. Partizipative Raumentwicklung als soziale Aushandlung kennzeichnet sich hierbei durch Interaktion, Mitwirkung und Mitgestaltung, Multiautor*innenschaft und kritische (Selbst-)Reflexion der Beteiligten an Entwurfsprozessen. Die Auseinandersetzung mit Visionen von Zukunft ist stets mit Überlegungen zur Nachhaltigkeit (z.B. Post-wachstumsstadt), zu urbanen Ethiken (Kooperation, Partizipation, Inklusion) und Emanzipation (Urbaner Aktivismus, Aufbrechen intersektionaler Diskriminierung, etc) verbunden. Das Design von Zukünften erfordert ein partizipatives Vorgehen welches ungleiche Machtverhältnisse hinterfragt.
Wir sehen uns als Teil einer Community of Practice, in welcher sich verschiedene Wissensformen und Expertisen zu vielperspektivischen Sichtweisen auf urbane Zukunftswelten verweben. In einer solchen CoP sind wir sowohl Forschende und Lehrende also auch Lernende und Teilnehmende im Austausch mit diversen Raumschaffenden und -denkenden. Mit unseren Beiträgen adressieren wir Visionen verschiedener Akteur*innen und deren Rollenverständnisse, sowie verschiedene Perspektiven visionärer urbaner Entwicklung und Gestaltung urbanen Zusammenlebens.
Moderation: Aylin Tschoepe, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW Nader Taghavi, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW
Beiträge:
Im Projekt «Design for the Real World» wurden Abstufungen der Mitwirkung in die gestalterische Lehrpraxis der Innenarchitektur und Szenografie integriert um auf dem lokalen Kontext bezogen einen partizipativen Denk- und Designprozess zu starten und umzusetzen. Im Fokus eines spezifischen Quartiers in Basel erfuhr die Projektgruppe, was es bedeutet in konkrete Lebenslandschaften einzutauchen und mit hoher Sensibilität dem Ort, dessen Geschichte und aktuellen Qualitäten sowie den Bedürfnissen von Anwohner*innen zu begegnen. Nicht nur der physisch vorhandene Quartierraum wurde in den Betrachtungsfokus genommen, sondern insbesondere auch die unsichtbare soziale Topografie, deren Beschaffenheiten, Regeln und Zusammenhänge. In Mitwirkungsprozessen zwischen Studierenden und unterschiedlichen lokalen Akteur*innen wurden in kollektiver Autor:innenschaft aus der Perspektive der Quartierbedürfnisse Bilder und Visionen für den konkreten urbanen Kontext entwickelt. In Workshopformaten und gemeinschaftlichen Recherchen im Quartier war es uns ein Anliegen, einen Diskurs über die vorhandenen Lebenslandschaften anzustossen und weiter in ein kollektives Nachdenken über zukünftige Stadtbilder im Sinne der Gedanken und Bedürfnisse der Anwohnenden überzuführen. Um die Fragilität unseres Lebensraumes zu begreifen, beleuchteten wir unterschiedliche Positionen zu Symbiose und Koexistenzen während des Projekts «Down to earth». Dabei mäandrierten wir zwischen theoretischen Positionen und realen Erlebnissen, in der Hoffnung andere Perspektiven einzunehmen und menschen-zentrierte Denkweisen aufzubrechen. In kollaborativen Gestaltungsprozessen und experimentellen Lehrformaten traten wir in Kontakt mit der Materie und lokalen Akteur*innen, beförderten ein Bewusstsein für Lebewesen menschlicher und nichtmenschlicher Art und befragten, was unser gestalterischer Beitrag an zukunftsfähigen Transformationsprozessen sein könnte. Es galt, unsere Existenz auf und mit diesem Planeten als lebendiges System in einer hauchdünnen Schicht zu verstehen. Durch die entstandenen Projekte eröffnet sich ein Diskurs und Denkraum über ein zukünftiges Zusammenleben.
Eva Hauck, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW; Lea Kuhn, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW
Die Grundlage für die Integration von sozialen und ethischen Fragestellungen in der Lehrpraxis Innenarchitektur und Szenografie liegt in der Betrachtung des Innenraumes und seiner Nutzung und Gestaltung als Teil der Gestaltung des urbanen Raumes. Seit dem Spatial Turn und der Betrachtung des Raumes und seiner Gestaltung als menschliche Handlung, liegt es im Verantwortungsbereich von Gestalter*innen und Inszenierender von Innenräumen, solche Fragen in ihren Raumkonzeptionen mit einzubeziehen. Der öffentliche (Innen)raum als kollektiv genutzter Raum der zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation bedarf einer sozialen Aushandlung zwischen seinen Akteur*innen und Gestalter*innen. Diese Aushandlung bildet die Grundlage für die Konzeption und Entwicklung von Projekten zur Gestaltung von öffentlichen Räumen. Wir betrachten den Innenraum als elastisches Gebilde bzw. dehnbare Teile von Architekturen, deren soziale und urbane Bedeutung situativ und kontextabhängig, bzw. nach Bedarf angepasst und verändert werden kann. Durch die Veränderung des räumlichen und gestalterischen Narrativs kann ebenfalls das Narrativ des unmittelbaren urbanen Raumes verändert und neu definiert werden. Das Narrativ eines öffentlich genutzten Raumes der zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation kann nur in einer partizipativen Praxis definiert werden.
Nader Taghavi, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW
Von «konkreter Utopie» (Bloch 1967, Buckminster Fuller 1974) als realisierbarer gesellschaftlicher Veränderung ausgehend, entwickle ich das Konzept durch Überlegungen und Explorationen zu konkreten räumlichen Utopien weiter. Mit einem Design-Anthropologischen und Queer Studies Blick gehe ich auf gegenwärtige Transformationen ein, die nicht zuletzt mit Technologien, Medien, Kommunikation, Krisen und dem Wechsel von Denkmustern in der Gesellschaft und Selbstverständnis (Anthropozän, Post-Anthropozän) einhergehen. Konkrete räumliche Utopien sehe ich einerseits in Verwandtschaft zu «Anderen Räumen» (Foucault 1984), jedoch agieren sie im Raum der «urban commons» (Stavrides 2016) und sind Gegenstand – oftmals Inbegriff – der urbanen gemeinschaftlichen Räume. Urban commons sind sowohl Plattformen als auch Akteure sozialer Aushandlungen und Vermittlungen zwischen verschiedenen menschlichen (z.B. Communities, Stadtplanung, Architekt*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen) und nicht-menschlichen (zB. temporäre und permanente gebaute Umwelt, Stadtnaturen, weitere städtische Lebewesen und Organismen) Handlungsbemächtigten. Das kontinuierliche Verhandeln und Vermitteln von (multispezies, more-than-human) Visionen des urbanen Zusammenlebens kann als eine Form sozialer Arbeit verstanden werden. Konkrete räumliche Utopien und damit einhergehende Wandlungen des urbanen gemeinschaftlichen Raumes haften sich hierbei nicht an «Cruel Optimism» (Berlant 2011) verbunden mit unerfüllter Hoffnung und Wünschen, sondern entstehen im Kontext ästhetischer und affektiver Aktionen und Erlebnisse sowie sozialer Arbeit und Praktiken, die als «visionär pragmatisch» (Coles 2016) gesehen werden können.
Aylin Tschoepe, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW
Für die Planung einer Stadt mit Visionen, die teils gegensätzliche, gar konflikthafte Ansprüche umfassen, sind Beteiligungs- und Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Akteuren der Stadtentwicklung – insbesondere aber auch mit Betroffenen – für «sozialverträgliche» und lebensweltorientierte Lösungen unabdingbar. Dabei geht es um die Durchdringung von Planungsprozessen mit der sozialen Dimension, die Mitgestaltung als Prinzip postuliert. Die vier Panelbeiträge thematisieren konkurrierende Visionen und Machtverhältnisse, die schon das Recht zur «Mitgestaltung» zum Verhandlungsgegenstand werden lassen. Die Beteiligung möglichst vieler Akteure bei Stadterneuerungs- und Zentrumsentwicklungsvorhaben mit der Entwicklung einer partizipativen Planungskultur oder die Berücksichtigung der Kinder-Perspektive bei Mobilitätskonzepten so wie der Einbezug der von Lärm betroffenen Bewohnerschaft für die Entwicklung einer Lärmschutzpraxis wird als Potenzial für die Gestaltung des städtischen Wandels mit seinen Herausforderungen verstanden.
Moderation: Barbara Schürch, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Beiträge:
Die Transformation ehemals industriell geprägter Stadträume im Rahmen des wirtschaftlichen Strukturwan-dels verlangt einerseits nach zukunftsgerichteten Visionen, andererseits nach intensiven Aushandlungsprozessen. Wer den Wandel mitgestalten darf bzw. kann und wer nicht, wird zum Gegenstand städtischer sozialer und politischer Konflikte. An Dortmunds «neue[m] Szenequartier» (Giustolisi 2021), das in den nächsten Jahren in einem stillgelegten Teil des Industriehafens entsteht, entzünden sich seit der Bekanntmachung der Pläne Diskussionen über fehlende Beteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten der Bevölkerung des umliegenden Hafenquartiers, das zur Dortmunder Nordstadt, einem klassischen innerstädtischen Ankunftsquartier, gehört. Bisher bietet das Areal weitgehend unregulierte und nicht-kommerzielle öffentliche Räume, die Jugendlichen als Treffpunkt und Künstler*innen und Kreativen als Arbeits- und Ausstellungsorte dienen. Das neue Quartier, genannt «Digitalquartier Speicherstraße», soll Unternehmen der IT-, Medien- und Kreativbranche anziehen. Unter dem Leitbild «Arbeiten und Flanieren am Wasser» entstehen Arbeitsplätze für hochqualifizierte Arbeiter*innen und gastronomische Angebote in «industriellem Flair» (Stadt Dortmund 2020). Die Dortmunder Hafenentwicklung als aktuelles Großprojekt der Stadterneuerung und des Strukturwandels eignet sich hervorragend zur Untersuchung einer heutigen Vision der postindustriellen Stadt – die kreative und digitale Stadt, eine Fortsetzung der kreativen Stadt, die bereits seit der Jahrtausendwende von Charles Landry oder Richard Florida prominent beworben wird. Ziel dieses Beitrags ist eine erste Bestandsaufnahme des Dortmunder Stadterneuerungsprojekts hinsichtlich der begleitenden öffentlichen Diskurse und Konflikte. Dabei wird untersucht, welche Akteure welche städtischen Visionen einbringen, wie und mit wem diese diskutiert werden, welche Machtverhältnisse dabei bestehen sowie die sich daraus ergebenden Spannungsfelder und Interessenskonflikte identifiziert. In einem zweiten Schritt erfolgt eine Einbettung der Dortmunder Hafenquartiersentwicklung in aktuelle Debatten der Stadtentwicklungsforschung.
Verena Gerwinat, TU Dortmund
Politik und Planung entwerfen Visionen für eine wachsende Stadt mit hoher Lebensqualität. Das urbane Leben soll pulsieren und der Verkehr reduziert werden. Die Stadt soll aufregend und vielfältig sein, aber Lärm und Abfall nicht zu Konflikten führen. «Gute Steuerzahler» sollen in die Stadt ziehen, ohne dass weniger privilegierte Stadtbewohner*innen verdrängt werden. Die Stadt der Zukunft soll smart und dynamisch sowie grün und sozial sein. Derweil verschieben sich vor dem Hintergrund von Bevölkerungswachstum, Verdichtung, Aufwertung und Eventisierung die Konfliktlinien im urbanen Raum. Das gilt auch für Auseinandersetzungen um Lärm. Während lange Zeit die Vorstellung verbreitet war, dass lärmbelastete Gebiete Wohnraum für Personen mit bescheidenen Einkommen bieten, stellt sich heute die Frage, ob mit dem Lärm auch die benachteiligten Bevölkerungsgruppen aus der Stadt verdrängt werden. Das Bundesgerichtsurteil von 2016 gegen die «Lüftungsfensterpraxis» hat zu einer Verschärfung der Bewilligungspraxis bei Neu- und Umbauten verschärft. In einem gemeinsamen Projekt nahmen Forschende der Departemente Architektur und Soziale Arbeit der ZHAW dies zum Anlass, um sich vertieft mit dem Thema Lärm in der Stadt auseinanderzusetzen. Dabei wurden Bewohnende einer lärmbelasteten Strasse an zentraler Lage in Zürich befragt. Ebenso wurden Workshops durchgeführt, in denen die Befragten Präferenzen zu Wohnungsgrundrissen im Zusammenhang mit diversen Umwelteinflüssen äussern konnten. Die Ergebnisse der Interviews wurden nach dem Modell der Stressbewältigung von Lazarus ausgewertet. Die behördliche Lärmschutzpraxis geht von drei Prämissen aus: Erstens lässt sich Lärm eindeutig messen. Zweitens sollte Lärm auf ein Minimum reduziert werden. Drittens brauchen Betroffene nicht befragt zu werden, weil Expert*innen wissen, was zu tun ist. Die Ergebnisse des Projekts weisen darauf hin, dass diese drei Prämissen hinterfragt werden müssen, wenn der Umgang mit Lärm «sozialverträglich» gestaltet werden soll. Denn Konflikte um Lärm beruhen auf unterschiedlichen Visionen des Urbanen, die im städtischen Alltag aufeinanderprallen. Sie lassen sich nicht durch technische Vorgaben lösen.
Peter Streckeisen, ZHAW Soziale Arbeit; Anke Kaschlik, ZHAW Soziale Arbeit; Martial Jossi, ZHAW Soziale Arbeit; Elias Brandenberg, ZHAW Soziale Arbeit
Stadtzentren haben vielfältige Aufgaben: Sie sind Orte von Detailhandel, Gastronomie und Dienstleistungen, Wohnorte, Orte der Begegnung, Freizeit und Arbeit. An ihnen macht sich oftmals das Image der Stadt fest und sie sind ein wichtiger Identifikationspunkt für die Bevölkerung. Diesen vielfältigen Anforderungen können sie unter den aktuellen tiefgreifenden Veränderungen, hervorgerufen durch umfangreiches Bevölkerungswachstum, grosse Neubauprojekte, Veränderungen von Einkaufs- und Freizeitverhalten der Bevölkerung u.a.m., kaum mehr gerecht werden. Folge sind un- oder mindergenutzte Erdgeschosszonen in den zentralen Bereichen und eine mangelnde Aufenthaltsqualität, verstärkt noch durch stadtklimatische Veränderungen. In Anlehnung an Angelika Psenner gehen wir davon aus, dass es für die nachhaltige Entwicklung der Zentren unerlässlich ist, Erdgeschosse und angrenzende (öffentliche) Freiräume integriert zu betrachten, um dort durch ein vielfältiges Angebot an Nutzungen und Funktionen und eine hohe Aufenthaltsqualität zu erreichen. Unter Governance-Perspektive gilt es dabei die Vielzahl der Akteur*innen – als das zentrale Potenzial – einzubeziehen. Dafür gilt es unter Anerkennung von Traditionen, auch im Handeln der Akteur*innen oder für bestimmte Nutzungen, neu Wege zu beschreiten. Es geht also um Visionen für «neue» Nutzungen genauso wie um neue Formen der Zusammenarbeit und eine neue Planungskultur. Aus der intensiven Zusammenar-beit mit den Akteur*innen vor Ort möchten wir gern erste Erkenntnisse präsentieren und diskutieren. Grundlage des Beitrags ist das seit Frühjahr 2020 durch innosuisse gefördertes Praxisforschungsprojekt NIZA | Neue Ideen für Zentren in der Agglomeration. Praxispartner*innen im Projekt sind vier Städte der Agglomeration Zürich sowie drei Immobilienentwickler*innen.
Anke Kaschlik, ZHAW Soziale Arbeit Elias Brandenberg, ZHAW Soziale Arbeit Martial Jossi, ZHAW Soziale Arbeit Sonja Kubat, ZHAW Soziale Arbeit
Der Bypad-Prozess der Stadt Karlsruhe steht beispielhaft für die Umsetzung von Kinderrechten in der Stadtentwicklung und lädt dazu ein, über eine engere Verbindung zwischen Stadtentwicklung und dem «Sozialen» nachzudenken. Das soziale Angebot eignet sich vielfach vorhandene Räume an, und weiß diese zu gestalten. Zukünftig sollte soziale Arbeit noch stärker in die Planung von städtischen Strukturen einbezogen werden und nicht nur Platz gehalten werden für räumlich umgrenzte soziale Nutzungen (wie bspw. Spielplätze, Kindertageseinrichtungen und Pflegeheime). Für diesen Anspruch braucht es einen normativen Bezugsrahmen. Die UN-Kinderrechtskonvention bietet sich hierfür in besonderer Art und Weise an. Sind Städte für Menschen auch Städte für Kinder? Die Möglichkeiten der strukturierten Einbeziehung von Kinderinteressen und -rechten in der öffentlichen Debatte und in der konkreten Planung sind oftmals begrenzt. Gleichzeitig beeinflussen urbane Strukturen das Verhalten der Menschen und die Art, wie eine Stadt funktioniert, maßgeblich: Bauliche Einladung und ein lebendiges oder weniger lebendiges Nutzungsmuster hängen eng zusammen. Somit sind die Interessen von Kindern in städtebaulichen Entwicklungen dringend sichtbar zu machen.
Was lädt Kinder ein, sich auf den Straßen und Plätzen ihrer Stadt zu bewegen, zu spielen und zu verweilen? Eine Stadt dient bestenfalls als Raum für Begegnung und als gesellschaftliches Forum. Kinder sind, als Mitglieder unserer Gesellschaft und als Bevölkerungsgruppe mit eigenen Bedürfnissen, stärker im gesamten städtischen Raum mitzudenken und nicht nur als Nutzer*innen von ihnen zugewiesenen Flächen. Wie dies gelingen kann, hat der BYPAD-Prozess 2020/2021 der Stadt Karlsruhe gezeigt. BYPAD (Bicycle Policy Audit) ist ein qualitatives Instrument zur Evaluierung und Qualitätsverbesserung kommunaler Fuß- und Radverkehrsförderung. Die Umsetzung von Kinderrechten hatte dabei positiven Einfluss auf den Gesamtprozess und hat gezeigt, dass die Wahrnehmung von Kinderrechten keinen singulären Einfluss auf das Wohlbefinden von Kindern im städtischen Raum hat, sondern vielmehr die Anforderungen aller Menschen als Nutzer*innen urbaner Räume zum Ausdruck bringt. Eine kindbezogene und kinderfreundliche Stadtentwicklung ist damit Ausdruck einer menschbezogenen urbanen Entwicklung. Zur gleichen Zeit hat sich in Karlsruhe die beteiligungsorientierte Aktion «Karlsruhe spielt!» etabliert, die es ermöglicht, den städtischen Raum neu zu erleben und niedrigschwellig dauerhafte Änderungen in der Nutzung von öffentlichem Raum verwirklicht. In der nachhaltigen Weiterentwicklung städtischer Strukturen braucht es wechselseitige Prozesse zwischen Bürgerschaft und Verwaltung, sowie zwischen den Professionen der Stadtplanung und des Sozialen.
Jessica Schöllhorn, Stadt Karlsruhe Jonas Nees, Stadt Karlsruhe
So schnell sich die Gesellschaft wandelt, so schnell ändern sich die Ansprüche an ein Wohnumfeld. Waren es früher starr Preis und Lage, welche die Entscheidung für eine Siedlung oder ein Quartier beeinflussten, so sind es heute verstärkt emotionale Faktoren, die die Wahl mitbestimmen. Hinzu kommt, dass Partizipation und soziale Nachhaltigkeit, insbesondere in Kombination mit einer immer digitaleren Welt, einen immer grösser werdenden Platz in unserer Gesellschaft einnehmen. Wie aber gelingt soziale und gesellschaftliche Nachhaltigkeit in Siedlungen und was kann die soziale Arbeit und insbesondere die soziokulturelle Animation zu einem gelingenden Wohnumfeld beitragen? Im Rahmen dieses Panels wird anhand von Fachbeiträgen aus der Praxis den Themen Identitätsbildung in Siedlungen sowie interkulturelle Partizipationsförderung nachgegangen. Abgerundet wird das Panel mit einem Input zum Thema «digitaler Siedlungstreffpunkt». Gemeinsam wird aufgezeigt, dass nicht nur in einem genossenschaftlichen Umfeld, das Zusammenleben in Siedlungen aktiv gefördert und privatwirtschaftlich finanziert werden kann. (Weitere ergänzende Beiträge zum Thema «Nachhaltigkeit in Siedlungen» aus Sicht einer Nachhaltigekeitsverantwortlichen sowie zum Thema «die Siedlung der Zukunft» aus Sicht einer Immobilienentwicklung sind in Prüfung und werden nach erfolgreicher Annahme allenfalls definitiv ergänzt)
Moderation: Bastian Moser ITOBA GmbH
Beiträge:
Das Siedlungscoaching ist eine aktive und innovative Arbeitsweise im Immobilienmarkt, um auf gängige, mieterbezogene Herausforderungen zu reagieren. Mittels partizipativer Methoden werden die Interessen und Bedürfnisse der Mietenden an das Zusammenleben abgeholt und gemeinsam realisiert. Dabei wird den Mie-tenden eine kontrollierte Verantwortung über «ihre» Siedlung übertragen, was zu einer Gemeinschaftsbildung und damit zu einer stärkeren Bindung in der Siedlung führt. Liegenschaftseigentümer profitieren dabei von dauerhaften und qualitativ hochwertigen Mietverhältnissen. Als stolze Teile der Gemeinschaft werben die Mietenden von innen nach aussen für ihre Siedlung. Dies stärkt ein authentisches Marketing in einer vergleichbaren und verdichteten Immobilienwelt. Denn emotionale und nachhaltige Argumente sind mittlerweile ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Die ITOBA GmbH versteht sich als Schnittstelle im Siedlungsleben und setzt den Fokus darauf, gemeinsam mit den Mietenden eine eigene Identität für ihre Siedlung zu schaffen. Die Mietenden werden darin befähigt, ihre Bedürfnisse und Ideen in die Gemeinschaft einzubringen und Strukturen zu schaffen, die ein dauerhaftes Bestehen sicherstellen. Diese soziale Investition hat das Ziel, mieterbedingte Herausforderungen wie Fluktuation, Leerstand, Konflikte und Betriebskosten im Sinne des Eigentümers zu steuern. Als Partner von Verwaltungen und Liegenschaftseigentümern unterstützt die ITOBA GmbH Sanierungs- und Entwicklungsprozesse von Siedlungen mit soziokulturellen Methoden, setzt Partizipationsprozesse mit den Mietenden um, agiert im Siedlungscoaching in Grosssiedlungen oder als Ansprechpartner beim generationenverbindenden Wohnen.
Bastian Moser, ITOBA GmbH
Ursachen von Problemstellungen (z.B. Littering) im Zusammenleben sind in der Regel fehlende Identifikation mit dem Lebensraum, die wenig gepflegte Nachbarschaft und die damit einhergehende fehlende soziale Kontrolle. Anhand von konkreten Beispielen aus der Praxis werden Konzepte und Methoden der Partizipation vorgestellt, die einerseits präventiv wirken andererseits Problemstellungen entgegenwirken, indem sie zu Aneignungsprozessen und einer aktiven Nachbarschaft führen.
Nora Howald, Siedlungscoach Katharina Barandun, Siedlungscoach
Die Digitalisierung hat unser Leben nachhaltig geprägt. Neben vielen positiven Auswirkungen hat sie aber auch dazu geführt, dass die Menschen vor Ort weniger in Kontakt treten und immer stärker vereinsamen. Dabei sollte durch digitale Innovation das lokale Zusammenleben wieder stärker aktiviert werden – digital wie real. Denn das Gute liegt oft so nahe. Der Schlüssel eines aktiven Zusammenlebens vor Ort liegt dabei in der Kommunikation. Durch interaktive und dialog-orientierte Kommunikation kann das Vertrauen aufgebaut, Identifikation gestiftet und schlussendlich Solidarität unter den Bewohnenden erzeugt werden. Dies bringt die Bewohnenden wieder näher zusammen, es entwickelt sich ein Gemeinschaftsgefühl und der Zusammenhalt wird gestärkt. Die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft macht eine übersichtliche und einfache Kommunikation jedoch immer schwieriger. Die Menschen haben weniger Zeit, sind verwehrt digital und auf ganz unterschiedlichen Kanälen unterwegs. Gemeinschaften kämpfen damit, alle Mitglieder zu erreichen und so in ihre Kommunikation einzubinden. Zudem endet es mit den bestehenden Kanälen oft in einer Einweg-Kommunikation. Doch die Zeiten der einseitigen Information sind vorbei. Wer auch in Zukunft bestehen will, muss durch eine interaktive Kommunikation eine Einheit werden. Denn nur wenn alle in die Gemeinschaft mit einbezogen werden, kann daraus eine funktionierende Community entstehen. Es braucht also einen zentralen, digitalen Kommunikationskanal, über welchen alle Mitglieder erreicht werden können. Dieser muss einfach zugänglich sein, einen hohen Datenschutz gewährleisten und es möglich machen, Informationen schnell und einfach an die relevanten Personen zu senden. Zudem muss die Plattform eine interaktive Kommunikation zulassen, damit alle daran teilhaben und sich einbringen können – so kann der digitale Austausch ins reale Leben überschwappen.
Gabriel Riedo, beUnity AG