Weniger Haltestellen, mehr Fahrgäste: Wirkungsanalyse einer Ausdünnung des ÖV-Netzes in Basel
Wie wirkt sich eine Ausdünnung von Haltestellen und die daraus resultierende Beschleunigung im Basler Tram- und Busnetz aus? Dieser Fragestellung ging Tim Cotti im Rahmen seiner BSc-Arbeit im trinationalen Studiengang Bauingenieurwesen an der FHNW nach.
Die Wirkung von zwei möglichen Varianten der Streichung von Haltestellen entlang von drei ÖV-Linien wurde mit Gesamtverkehrsmodell der Region Basel (GVMB) berechnet. Die Resultate zeigen, dass die Streichung von Haltestellen im Liniennetz Basel und Umgebung den ÖV insgesamt attraktiver macht und zu einem Passagierwachstum führt.
Basels ÖV-Netz: dicht aber langsam
Die Region Basel hat ein dichtes Tram- und Bus-Netz, das seit 1895 ununterbrochen in Betrieb ist. Die hohe Haltestellendichte bietet zwar Vorteile für mobilitätseingeschränkte Personen, führt jedoch auch dazu, dass die durchschnittliche Verkehrsgeschwindigkeit im Stadtnetz mit 7.3 km/h deutlich tiefer liegt als in anderen Schweizer Städten.
Aufgrund eines parlamentarischen Vorstosses plante die Basler Regierung im gesamten Liniennetz sechs Haltestellen, respektive zusammenzulegen. Aufgrund des Widerstands von Anwohnenden harzt es aber bei der Umsetzung. So wurde beschlossen auf die Aufhebung der Haltestelle «Ensisheimerstrasse» zu verzichten, bezüglich des Wegfalls der Haltestelle Airolostrasse ist ein Rekursverfahren beim Bundesgericht hängig. Dennoch setzt der Regierungsrat den eingeschlagenen Kurs fort und prüft bei sämtlichen Projekten entlang von Tram- und Busachsen die Anzahl und Lage der Haltestellen.
Durch den geplanten Abbau einzelner Haltestellen könnten zwar Fahrzeiteinsparungen erzielt werden. Diese bleiben aber zu klein, als dass dadurch ein spürbarer Fahrzeitgewinn resultieren und aufgrund eines geringen Fahrzeugbedarfs zu geringeren Betriebskosten führen würde. Daher wurden im Rahmen des BSc-Arbeit zwei ambitioniertere Varianten zur Streichung von Haltestellen untersucht.
Zwei Varianten zur Ausdünnung von Haltstellen
In einem ersten Schritt wurden Haltestellen entlang der Linien 6, 8 und 34 identifiziert, deren Streichung einen möglichst kleinen Einfluss auf die ÖV-Abdeckung und die bestehenden Fahrgäste zu haben. Dazu wurden räumlich hochaufgelöste Daten zur Wohnbevölkerung und den Arbeitsplätzen im Einzugsgebiet aller Haltestellen dieser Linien ausgewertet. Darauf basierend wurden folgende zwei Varianten abgeleitet.
Variante A: Es werden so viele Haltestellen weggelassen, um pro Fahrrichtung knapp 4 Minuten Fahrzeit einzusparen. Somit könnte auf ein Fahrzeug verzichtet und die Linie trotzdem mit gleichbleibender Taktdichte bedient werden.
Folgende Haltestellen werden in Variante A nicht bedient:
Linie 6: Holbeinstrasse, Theater, Marktplatz, Rheingasse, Burgstrasse, Bettingerstrasse, Fondation Beyeler, Lörracherstrasse
Linie 8: Im langen Loh, Laupenring, Bundesplatz, Zoo Bachletten, Marktplatz, Rheingasse, Kaserne, Grenze
Linie 34: Spiegelfeld, Synagoge, Rheingasse, Rosengartenweg, Im Heimatland, Gotenstrasse, Tiefweg, Mühlestieg, Schmiedgasse
Variante B: Die Anzahl beibehaltener Haltestellen wird auf ein praktikables Minimum reduziert und gleichzeitig eine Taktverdichtung vom 7,5- auf einen 6-Minuten-Takt eingeführt. Die Reduktion der Haltestellen macht es möglich die Mehrkosten aufgrund der Taktverdichtung auf den kleinstmöglichen Wert zu bringen.
Folgende zusätzliche Haltestellen werden in Variante B nicht bedient:
Linie 6: Ziegelei, Merkurstrasse, Allschwilerplatz, Clarastrasse, Gewerbeschule, Eglisee
Linie 8: Bläsiring, Ciba, Riedlistrasse/Kesselhaus
Linie 34: Blauenstrasse, Hohle Gasse, Rütimeyerplatz
Die Prüfung der Aufhebung einzelner Haltestellen erfolgte für die drei Linien separat und voneinander unabhängig. Im Gebiet Bachletten, das von allen drei untersuchten Linien bedient wird, ist daher in beiden Varianten die minimal vorgegebene Haltestellenabdeckung für bestimmte Teilgebiete nicht gewährleistet. Bei der Interpretation ist diesem Umstand Rechnung zu tragen und die Methodik für weiteren Untersuchungen diesbezüglich zu verbessern.
Mehr Fahrgäste bei geringeren Betriebskosten
Die verkehrliche Wirkung der beiden Varianten wurde mit Gesamtverkehrsmodell der Region Basel (GVMB) berechnet. Das Verkehrsmodell berücksichtigt die Wirkung der wegfallenden Haltestellen sowohl hinsichtlich der verkürzten Fahrzeiten, aber auch der längeren Fusswege zu und von den Haltestellen in Bezug auf die Ziel-, Verkehrsmittel- und Routenwahl. Aus methodischen Gründen werden dabei die in den beiden Varianten gestrichenen Haltestellen jeweils auch von allen anderen Linien nicht mehr bedient. Im GVMB wird also z.B. bei der Haltestelle Rheingasse der Zu-/Ausstieg von Fahrgästen nicht nur für Linien 6,8 und 34, sondern für die Linien 14, 15, 16, 17 31, 33, 36 und 38 unterbunden.
In der unterstehenden Abbildung ist schön erkennbar, wie mit dem GVMB die Wirkung des Wegfalls der Haltestelle «Im langen Loh» sich auf die Fusswege von und zu den Haltestellen abgebildet wird. Entlang von blau eingefärbten Strassen nimmt der Fussverkehr ab, entlang von rot eingefärbten Strassen zu. Aufgrund der Fahrtzeitverkürzung der Linie 8 nimmt die über beide Richtungen summierte Fahrgastzahl in diesem Abschnitt trotz längerer Zu- und Abgangswege zu.
Die mit dem Verkehrsmodell berechneten Resultate zeigen, dass bei Variante A aufgrund der kürzeren Fahrzeiten pro Tag fast 2000 Autofahrten durch den ÖV ersetzt würden und der ÖV insgesamt mehr Fahrgäste bedienen könnte. Aufgrund der im Schnitt längeren Fusswege von und zu den ÖV-Haltstellen steigt der Anteil der zu Fuss zurückgelegten Reisezeit leicht an. Gleichzeitig können aufgrund des geringeren Fahrzeugbedarfs Betriebskosten eingespart werden.
Die Auswertung von Variante B zeigt, dass sich eine zu starke Ausdünnung der bedienten Haltestellen negativ auf die Attraktivität des ÖV auswirkt. Die Fahrgastnachfrage ist für Variante B etwa gleich hoch wie heute, gleichzeitig steigen durch die Takterhöhung die Betriebskosten an, was unter dem Strich zu einer negativen Bilanz führt.
Die Ergebnisse unterstützen bestehende Bemühungen, nahe beieinander liegende Haltestellen im Raum Basel im Zuge notwendiger Sanierungen zusammenzuführen oder einzelne Haltestellen zu streichen. Gleichzeitig zeigen sie, dass eine stärkere als vom Regierungsrat geplante Ausdünnung von Haltestellen zu zusätzlichen betrieblichen Einsparungen und einem Anstieg der Fahrgastzahlen führt.
Grenzen des Modellanwendung und weitere Untersuchungen
Methodenbedingt konnte mit dem Gesamtverkehrsmodell Basel die Wirkung der Haltestellenausdünnung auf den U-Abo-Besitz nicht untersucht werden. Ebenso wenig konnte mit dem Modell eine Differenzierung der Nachfragewirkung nach Altersklassen berücksichtigt werden.
Für weitere Untersuchungen wird empfohlen die Wirkung einer Ausdünnung der Haltestellen für alle Tram- und Buslinien zu untersuchen und bei der Auswahl der zu streichenden Haltestellen zusätzlich auch Zahlen der dort Ein- und Aussteigenden Passagiere zu verwenden. So kann auch die Wirkung auf den Freizeitverkehr besser abgeschätzt werden. Dabei ist auch eine Zusammenlegung und Verschiebung zweier benachbarter Haltestellen als zusätzlicher Ansatz zu berücksichtigen. Es wird erwartet, dass mit einem solchen breiter aufgestellten und flexibleren Ansatz weiteres Potenzial für ein Fahrgastwachstum bei gleichzeitiger Reduktion der Betriebskosten identifiziert werden kann.
Schlussbericht
Der vollständige Schlussbericht der BSc-Arbeit ist im Institutional Repository der FHNW hier öffentlich verfügbar.
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