»›Also ist es wirklich wahr …!‹ – Dieser stumme Ausruf ist es, von dem ich wünschte, er möge sich auslösen (nicht nur im ›Kopf‹ – dem sein nickendes ›Richtig!‹ oder gar ›Genau!‹ genügt – sondern) im ›Herzen‹ eines jeden, der einmal etwas Absonderliches wirklich selber ›versteht‹. Nicht zu selten, und sogar in der Schule sollte ihm das erlaubt sein.«1
Tagungsidee
In Wagenscheins obenstehender Aussage zeigt sich: Wagenschein wünscht sich, dass Menschen erleben, wie das ist, eine Einsicht zu gewinnen, Verständnis aufzubauen, ein Stimmigkeitserlebnis zu haben. Solch ein Moment kann z.B. zustande kommen, wenn ein Mensch das, was er mit seinen eigenen Sinnen wahrnimmt, zur Deckung bringt mit dem, was ihm als aktuelle Theorie präsentiert wird. Aber Wagenschein scheint das nicht zu genügen – zum einen wünscht er sich, dass nicht nur der Kopf, also der Verstand, ein solches Stimmigkeitserlebnis »registriert«, sondern dass es sich beim Erlebnis um eines handelt, dass im Herzen ausgelöst wird. Er wünscht sich also ein Bildungserlebnis, dass den ganzen Menschen ergreift, einen »Herzensmoment«, ein »Verliebtsein« in das Verstehen, einschliesslich des Verstehenden (also: der eigenen Person) und des Verstandenen (des Phänomens oder Zusammenhangs oder der Deutung oder des ganzen Bildungsprozesses, der zum Verstehen führte). Zum anderen sagt Wagenschein, das Erlebnis bestehe darin, dass man »wirklich selber versteht«. Aus vielen Äusserungen Wagenscheins ist ableitbar, was er hiermit meint: Das wirklich Verstandene ist das, was man klären konnte, nicht das, was man nur dahersagt; das wirklich Verstandene muss man nicht auswendig lernen, sondern man kann es erinnern, weil man weiss, wie man es hergeleitet hat – man kennt den Weg vom Phänomen zur Deutung und von der Theorie zum Phänomen. Zentral ist das Wort »selber«: Wagenschein geht davon aus, dass es so manche Möglichkeit gibt, Verstehensprozesse zu unterstützen – sokratisch, exemplarisch und genetisch erdachte Möglichkeiten – aber dass trotzdem, am Ende, jeder nur selbst verstehen kann, jeder seine eigenen Worte, seine eigene Veranschaulichung, seine eigenen Analogien und seine eigenen aktivierten Erfahrungen in die Waagschale werfen muss und kann.
Für Martin Wagenschein (1896-1988), Physiker und Pädagoge, waren «Scheinwissen» und «geistige Fassadenkletterei» Syndrome einer erkrankten Schule. Ihm war die Durchdringung des Wesentlichen der Unterrichtsgegenstände, insb. in den Fächern Physik und Mathematik, zeitlebens ein zentrales Anliegen. Das auch heute noch oft anzutreffende «Wegerklären» bzw. «Scheinerklären» oberflächlich betrachteter Phänomene zeigt, dass dieses Anliegen nach wie vor aktuell ist. Untrennbar mit Wagenschein verbunden ist die Losung «Verstehen ist Menschenrecht», ebenso die Begriffe exemplarisches Lehren, genetischer Unterricht, sokratisches Gespräch.
Der Austausch über Möglichkeiten und Grenzen des Verstehens und die Frage, wie phänomenbasierte und ‑orientierte Bildungsprozesse in der heutigen Zeit an Schulen und Hochschulen unter Berücksichtigung aktueller fach- und allgemeindidaktischer empirischer Unterrichtsforschung initiiert werden können, sind Gründe für die Durchführung auch der kommenden Wagenscheintagung, der Wagenscheintagung 2025. Sie findet statt am
26. April 2025 als Online-Tagung via Zoom, von 9.00 – 16.00 Uhr.
Wiederum wird vorab auf der Wagenscheinwebsite, die laufend aktualisiert wird, (link: https://www.fhnw.ch/plattformen/wagenschein-tagung/) Material, das Gegenstand der Tagung wird, bereitgestellt und dort auch dauerhaft abrufbar sein. Auf diese Art und Weise kann die Tagung selbst bestmöglichst für den Austausch und das gegenseitige Kennenlernen genutzt werden.
Die Tagung richtet sich an Menschen, die in Praxis, Forschung und Lehre unterwegs sind, die den Austausch suchen und denen das Gestalten von sinn- und autonomiestiftender Bildung ein wichtiges Anliegen ist. Ausdrücklich einladen möchten wir Dozierende und Studierende, die im Rahmen eines Seminars die Gelegenheit nutzen und an der Wagenscheintagung 2025 teilnehmen möchten.
Tagungsinformationen
Wann: Samstag, 26. April 2025
Wo: Online via Zoom (Zoomlinks für Plenum und Panels werden den Teilnehmenden rechtzeitig bekanntgegeben)
Anmeldung
Anmeldungen zur Tagung können über das folgende Online-Anmeldeformular eingereicht werden:
https://forms.office.com/e/6pvjd4RUbe
Nach erfolgreicher Anmeldung erhalten Sie eine Bestätigung an Ihre angegebene E-Mailadresse. Sollten Sie die Bestätigungsmail nicht erhalten, melden Sie sich bitte bei alessandro.gregori@fhnw.ch.
Anmeldeschluss ist der 20.04.2025. Die Teilnahme an der Wagenscheintagung ist kostenfrei.
Beiträge
Beitragseinreichungen sind ab sofort bis 15.01.2025 per E-Mail an svantje.schumann@fhnw.ch möglich in Form eines Word-Files. Dieses muss den Titel des Beitrags enthalten, Name und Anschrift der Autor*innen und ein Abstract (max. 1800 Zeichen inkl. Leerzeichen).
Anregungen für Tagungsbeiträge:
Kontakt und Tagungsorganisation
Svantje Schumann (svantje.schumann@fhnw.ch)
Prof. Dr. rer. nat. habil; seit 2019 Leiterin der Professur Didaktik des Sachunterrichts, Institut Primarstufe, PH FHNW (CH), Habilitation November 2016 an der Universität Bremen (Vorsitz Prof. Dr. Lydia Murmann) «Interdisziplinäre Sachbildung mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften im Elementarbereich», 2013-2019 Dozentur an der PH FHNW, u.a. Projektleiterin des EduNaT-Projekts «Verbindungstechnik» und Projektleiterin der PgB MINT-Bildungsprojekte «Erklärvideos» sowie «Technische Ereignisse in unvertonten Filmsequenzen verstehen – eine Chance für Sachunterricht und Sprachförderung», 2011-2014 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biologie und im Studiengang «Frühe Bildung» der PH Freiburg i. Br., 2006-2011 Leitung des Science Centers «Science House» und des Science Festivals «Science Days für Kinder» Förderverein Science und Technologie e.V., Promotion 2001 am Institut für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg i. Br.; Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind u.a. Erschliessungsprozesse von Kindern, pädagogisches Arbeitsbündnis und Bedeutung von Interaktionen in Bildungsprozessen, dialogische Bildungsprozesse. Link: https://www.fhnw.ch/de/personen/svantje-schumann
Ueli Aeschlimann (ueli.aeschlimann@outlook.com)
Prof. Dr., emeritierter Professor für Physik und Fachdidaktik an der PH Bern und Luzern. Promotion in Experimentalphysik an der Universität Bern mit einer Arbeit zur Altersbestimmung des Mondes (1982, Prof. Dr. J. Geiss). Zweite Promotion in Erziehungswissenschaft an der Universität Marburg mit einer Arbeit zu Wagenschein und Lehrkunst (2001, Prof. Dr. H. C. Berg). Arbeitsschwerpunkte: Wagenschein-Didaktik, Wissenschaftsgeschichte im Unterricht.