Verstehen ermöglichen – Von Geistesgegenwart und „Erwartsamkeit“

Wie verstehen wir eigentlich etwas, wie lernen wir? Wagenschein macht deutlich, dass sich der unsichtbare Lernvorgang nur in Bildern und Metaphern beschreiben lässt. Dies kann – so Wagenschein – nun aber auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Üblicherweise sprechen wir vom Lernvorgang in Begriffen aus der stofflich-mechanistischen Welt („wir bringen Stoff“, der dann „sitzt“, „wir füllen Lücken“ etc.). Diese Vorstellung hält Wagenschein für falsch und schädlich. Ein weitergehendes Verständnis des Lernens nutze Begriffe und Bilder aus dem Bereich der Biologie; schon besser. Eigentlich aber – so Wagenscheins Überzeugung – müssen wir beim Sprechen über das, was den Lernvorgang anbahnt, was dem Lernenden beim Lernen passiert und wie Lehrende den Lernvorgang unterstützen können, Begriffe und Bilder aus der Welt des Geistes benutzen.

Im ersten Teil meines Vortrags werde ich zunächst den Äußerungen Wagenscheins zu diesem anspruchsvollsten und tiefsten Verständnis des Lernvorgangs in mehreren seiner Aufsätze nachgehen. Dabei stößt man neben vielen Metaphern auch auf seinen Hinweis, dass in diesem Lernverständnis „viel östliche Weisheit“ enthalten sei. Außer der Geschichte von Mong Tse über den Bauer, der seinem Korn beim Wachsen helfen wollte, und einige Sätze aus Herrigels „Zen und die Kunst des Bogenschießens“ findet man diesbezüglich aber nichts Konkretes. Ich möchte nun Wagenscheins Andeutung aufgreifen und seinem Fingerzeig in Richtung Japan/China ein wenig folgen. Dabei zeigt sich: Der Blick durch die Brille „östlicher Denkweisen“ auf Wagenscheins Lernverständnis macht deutlich, wie viel östliche Weisheit sich tatsächlich in seinem Lernverständnis verbirgt und wie sehr sich seine Vision von Unterricht, weit über didaktische und methodische Aspekte hinaus, durch eine besondere Geisteshaltung aller(!) Beteiligter auszeichnet.

Im zweiten (deutlich kürzeren) Teil berichte ich von eigenen, mal mehr mal weniger erfolgreichen Versuchen, im Rahmen eines Pädagogikseminars für Lehramtsstudierende der Uni Marburg Lernsituationen zu schaffen, in denen durch gemeinsame Geistesgegenwart und „Erwartsamkeit“ Verstehen ermöglicht wird.

Dr. Daniel Ahrens

Präsentation zu Verstehen ermöglichen – Von Geistesgegenwart und „Erwartsamkeit“