Buch des Monats März 2024
Kimberly Brubaker Bradley: Gras unter meinen Füssen.
Die Geschichte spielt in England um 1940.
Seit ihrer Geburt, und das ist jetzt neun Jahre her, ist Ada in einer heruntergekommenen Wohnung eingesperrt und blickt einzig auf graue Hinterhöfe. Ada hat einen verdrehten Fuss und ihre Mutter schämt sich deswegen so sehr, dass sie sich nie mit diesem missgebildeten Kind auf der Strasse blicken lässt. Die Mutter ist meist weg, nur der kleine Bruder Achim leistet ihr Gesellschaft. Aber Achim darf raus, kann mit anderen Kindern im Hof spielen. In diesem Jahr kommt der Krieg näher, Bombenangriffe drohen, deshalb werden die Kinder aus der Stadt aufs Land geschickt. Auch Achim soll mit, aber Ada, von deren Existenz kaum jemand weiss, soll in der Stadt bleiben. Trotzdem schleicht sie sich heimlich zum Bahnhof, Achim hilft ihr dabei. Als sie endlich im Zug sitzen, schickt Ada niemand weg, zu unübersichtlich ist die Lage. Schon die Fahrt im Zug ist für Ada ein einziger Traum und ein riesengrosses Erlebnis. Sie kennt weder Bäume noch hat sie je das Grün der Wiesen gesehen. Als sie schliesslich an einem kleinen Bahnhof aussteigen, werden die Kinder den wartenden Leuten zugeteilt. Ada und Achim kommen in die Obhut von Susan Smith. Susan wollte eigentlich keine Kinder bei sich aufnehmen und hat überhaupt keine Ahnung davon, was Kinder brauchen. Für sie ist das alles neu, genauso wie für die Kinder. Es ist vor allem Ada, die unheimlich viel dazulernen muss. Allein schon die vielen neuen Wörter und unbekannten Dinge! Noch nie hat sie Gras gesehen, geschweige unter ihren Füssen gespürt. In Susans Garten steht ein Pony, dem ist es egal, dass Ada nicht richtig laufen kann, zu ihm baut Ada Vertrauen auf. Und so bringt sich Ada mit viel Geduld und Willenskraft selbst das Reiten bei. Susan bringt die unterernährten Kinder zum Arzt und Ada bekommt Krücken. Jetzt kann sie sich sogar aufrecht fortbewegen. Susan beginnt zudem damit, Ada das Lesen beizubringen. Am meisten Mühe bereitet Ada aber, Vertrauen in andere Menschen aufzubauen, Liebe anzunehmen. Sie wusste bis dahin nicht, wie Umarmen geht oder dass man sich in ausgebreitete Arme fallen lassen kann. Bei Susan wiederum zerbröckeln die dicken Mauern, die sie nach einem schweren Schicksalsschlag um sich aufgebaut hat. Auch sie beginnt sich wieder zu öffnen und Liebe zuzulassen. Susan ist eine starke Frau, die es niemals zulassen wird, dass den Kindern etwas passiert, und sie wird sie heil durch diesen schrecklichen Krieg bringen.
In einer umsichtigen Sprache schreibt die Autorin über Willenskraft, den Mut zur Veränderung, über Liebe und was passieren kann, wenn Menschen ihr Vertrauen in andre nicht aufbauen konnten oder dieses verloren glaubten. Besonders eindrücklich und wunderschön zu Papier gebracht hat die Autorin Adas Entwicklung.
Sie lässt Ada selbst von ihrer grossen Angst erzählen, die sie vor diesen unbekannten Gefühlen wie Liebe, Verlässlichkeit und Vertrauen überfällt. Man spürt und versteht ihre Panik vor Nähe, wenn Susan sie überraschend in ihre Arme schliesst. Man erlebt aber auch mit, wie sich beide Hauptfiguren verändern, wie sie ihre Gefühle allmählich zulassen und sicherer werden in ihrem Tun. «Gras unter meinen Füssen» ist das erste auf Deutsch erschienene Buch der in Amerika bereits bekannten Autorin und ihr ist damit ein wunderschöner, spannender und berührender Roman geglückt, der viele Jugendliche wie Erwachsene begeistern wird. Das Buch gehört zu jenen Lektüren, die lange nachwirken. Für Lesende ab 12 Jahren. 230 Seiten.
Kimberly Brubaker Bradley: Gras unter meinen Füssen. DTV, 2024. ISBN: 978-3-423-64114-2
Rezension: Maria Riss