Benjamin Tienti: Wer schnappt Ronaldo? Kopfgeld für ein Chamäleon
Nivin lebt in Berlin und ist fast 12 Jahre alt. Bereits im ersten Satz wird deutlich, was ihr Problem ist: «Bei mir zuhause bist du allerhöchstens zum Kacken allein». In der kleinen 2-Zimmer Wohnung leben momentan acht Menschen! Damit ihr älterer Bruder mit Freundin und Baby endlich ausziehen kann, braucht er 4000 Euro Kaution und Geld ist absolute Mangelware. Ganz anders sieht es in der nahen Schrebergartensiedlung aus. Dort herrschen Ruhe, Ordnung, strenge Regeln und vor allem gibt es für alle genügend Platz. Nivin ist oft da, geniesst die Stille. Dort entdeckt eines morgens einen Aushang: Chamäleon verschwunden, Finderlohn 5000 Euro. Der Finderlohn ist so hoch, weil das seltene Tier von einer Wahrsagerin als Medium genutzt wird. Sie braucht das seltene Tier dringend für ihren Lebensunterhalt. Das ist die grosse Chance! Nivin muss das Tier finden und kassieren, damit es daheim endlich mehr Platz gibt. Leider ist sie nicht die Einzige, die sich für die Belohnung interessiert. Der gleichaltrige Linus ist ebenfalls mit der Suche beschäftigt. Zuerst sehen sich Nivin und Linus als Rivalen, dann merken sie aber, dass sie einander brauchen und überaus gut ergänzen: Linus ist strukturiert, durchorganisiert und sehr gut im Nachdenken und Planen, er leidet allerdings an einer Aufmerksamkeitsstörung und verliert deswegen in brenzligen Situationen sofort die Nerven und Übersicht. Nivin hat eine ziemlich derbe Ausdrucksweise, sie ist impulsiv, mutig und gut im Handeln, auch wenn sie sich der Konsequenzen nicht immer bewusst ist. Ziemlich unkonventionell sind die Suchmethoden der beiden. Immer wieder geraten sie in Schwierigkeiten, mit einer Kindergang beispielsweise oder einzelnen spiessigen Kleingärtner*innen. Vor allem, wenn sie nachts auf ihrer Chamäleonsuche in Gärten einbrechen. Wie das Buch endet? Das soll noch nicht verraten werden, zu kurzweilig ist es, diese verzwickte Geschichte selbst nachzulesen.
Benjamin Tienti hat ein grosses Talent, glaubhaft und authentisch zu schreiben. Er skizziert die unterschiedlichen Milieus genauso treffend wie die einzelnen Figuren. Gekonnt sind auch die Bilder zu diesen Figuren, Bea Davies hat Mimik und Haltung wunderbar eingefangen. Es geht im Buch um unterschiedlichen Lebenswelten und Sichtweisen, um Toleranz, Respekt und das Miteinander. Allesamt ernste Themen, die der Autor subtil, locker und so voller Humor zu Papier bringt, dass man immer wieder herzhaft lachen kann. Das Buch eignet sich hervorragend zum Vorlesen für Kinder ab etwa 9 Jahren. 173 Seiten.
Benjamin Tienti: Wer schnappt Ronaldo? Kopfgeld für ein Chamäleon. Dressler 2024. ISBN: 978-3-7513-0109-1

Rezension: Maria Riss