Förderung des Textverstehens durch einen sprachbewussten Umgang mit naturwissenschaftlichen Lehrmitteltexten
Das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Forschungsprojekt «Textverstehen in den naturwissenschaftlichen Schulfächern», ein Kooperationsprojekt des Zentrums Lesen und der Professur für Deutschdidaktik an der PH FHNW1, widmet sich dem Thema, wie das Textverstehen im naturwissenschaftlichen Unterricht gefördert werden kann. Ziel des Projektes ist es, empirisch fundiertes Wissen darüber zu generieren, wie Biologielehrmitteltexte auf der Sekundarstufe I an die Verstehensmöglichkeiten gerade auch schwächerer Lesenden anzupassen sind.
von Miriam Dittmar und Eliane Gilg
In den Jahren 2013–2016 wurde an 18 Schulen der Kantone Aargau und Zürich eine Vergleichsstudie in siebten Klassen sowohl in der Sekundar- (Sek A) als auch in der Real- schule (Sek B) durchgeführt. In Lesebeobachtungen haben wir Verstehensschwierigkeiten von SchülerInnen mit Lehrmitteltexten untersucht. Dabei konnten wir sprachliche, textstrukturelle und durch Abbildungen verursachte Verstehensschwierigkeiten sehr genau in den Blick nehmen. Aufgrund dieser Analysen haben wir Prinzipien zur Gestaltung von Lehrmitteltexten entwickelt. Auf dieser Basis wurde dann ein Lehrmitteltext nach ebendiesen Prinzipien umgeschrieben, ohne jedoch auf die für naturwissenschaftliche Lehrmitteltexte relevanten fachsprachlichen Elemente zu verzichten. Didaktikerinnen aus den Naturwissenschaften haben die Texte diesbezüglich kritisch geprüft.
Prinzipien zur Gestaltung von Lehrmitteltexten
Zu den entwickelten Prinzipien zählen u. a., dass der Text eine klare Inhaltsstrukturierung aufweist, Themenwechsel sichtbar gemacht werden (z. B. durch Unterkapitel), ausdrücklich auf Abbildungen verwiesen wird oder dass Abbildungen so platziert werden, dass sie den Lesefluss nicht unterbrechen, sondern den Verstehensprozess unterstützen. Weiter soll die Informationsdichte reduziert werden, indem inhaltliche Informationen wiederholt und zentrale Begriffe wortwörtlich wiederaufgenommen wurden, anstatt Synonyme zu verwenden (siehe Bsp. 1).
Der Mensch atmet die Luft durch die Nase (1) oder den Mund (2) ein. Die Luft gelangt über den Rachen (3) zum Kehlkopf (4). Beim Kehlkopf trennen sich die Speiseröhre und die Luftröhre (5). Die Luft gelangt in die Luftröhre. Die Luftröhre teilt sich am unteren Ende in zwei ‹Äste›. Diese Äste nennt man Bronchien (6).
(Auszug aus dem überarbeiteten Lehrmitteltext)
Schliesslich haben wir in einer Vergleichsstudie mit 230 SchülerInnen aus 16 Klassen empirisch überprüft, ob Texte, welche nach diesen Prinzipien verfasst wurden, besser verstanden werden bzw. ob mit solchen Texten das naturwissenschaftliche Lernen gefördert wird. Dazu las eine Experimentalgruppe den überarbeiteten Text, eine Vergleichsgruppe den originalen Lehrmitteltext. Anschliessend wurde das Textverstehen beider Gruppen anhand von Wissensfragen überprüft.
Resultate der Studie
Es zeigte sich, dass die sprachlichen, textstrukturellen und an Abbildungen vorgenommenen Überarbeitungen zu einem erhöhten Wissenszuwachs führten, jedoch vor allem bei lese- und lernstärkeren Schülerinnen und Schülern. SchülerInnen der Realstufe konnten von den Überarbeitungen aber nur begrenzt profitieren.
Wie in den Lesebeobachtungen festgestellt werden konnte, liegt das nur begrenzte Textverstehen der schwächeren LeserInnen u.a. an ihren fehlenden Lesestrategien: So verschafften sich die wenigsten SchülerInnen einen Überblick über den Text noch verknüpften sie die einzelnen Textabschnitte miteinander. Weiter gelang den Lesenden auch kaum eine Gewichtung von wichtigen und unwichtigen Inhalten. Zudem fiel ihnen das Lesen und Interpretieren auch der überarbeiteten Abbildungen schwer.
Mittels lesedidaktischer Massnahmen – wie zum Beispiel der Steuerung des Leseprozesses oder der Vermittlung von fachspezifischen Lesestrategien durch die Fachlehrperson – sollten daher insbesondere schwächere LeserInnen unterstützt werden. So kann mit Leseanleitungen zum einen der Leseprozess gesteuert, zum anderen aber auch der fachspezifische Umgang mit Texten geübt werden. Wir planen nun im Anschluss an das vorgestellte Projekt ein weiteres Projekt, in welchem empirisch untersucht werden soll, welche lesedidaktischen Massnahmen das Verstehen von Lehrmitteltexten im Fach Geschichte unterstützen.
1Durchgeführt wurde das Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Hansjakob Schneider (aktuell PH Zürich) und Prof. Dr. Claudia Schmellentin (PH FHNW).