Wozu Grammatikunterricht? – Eine Frage so alt wie die Volksschule
Seit der Entstehung der obligatorischen Volksschule in der Schweiz im 19. Jahrhundert spielt die Vermittlung von grammatischem Wissen eine grosse Rolle im Deutschunterricht.
von Rebekka Nänny
Die Inhalte des Grammatikunterrichts bleiben dabei lange unverändert: Während sich im Deutschunterricht an anderen Stellen (z.B. im Schreibunterricht) grosse Veränderungen ereigneten, war der Grammatikunterricht im Vergleich dazu ausgesprochen stabil (erst ab den 1960er-Jahren beginnen sich didaktische und inhaltliche Veränderungen abzuzeichnen).
Eine ebenso lange Tradition wie der Grammatikunterricht selbst hat auch die Diskussion um seinen Stellenwert in der Volksschule. Immer wieder wurde sein Nutzen angezweifelt. So wurde u.a. kritisiert, dass der Grammatikunterricht zu theoretisch sei, die Schülerinnen und Schüler überfordere und nicht zu einer erhofften Verbesserung der Sprachfähigkeiten führe:
Das Leben verlange keine Bekanntschaft mit Wortarten, Satzglieder, alten und neuen Abwandlungen und was desgleichen mehr ist. Das Leben verlangt Gedanken, Kenntnisse und für den richtigen Begriff den zutreffenden Ausdruck. […] Die Grammatik helfe dazu wenig, sie lehre nicht das Wort und seinen Sinn, nicht den Styl und verhelfe nicht einmal zu größerer Geläufigkeit der Rede. (Anonym 1868: 358)
Auch das Argument der Befürworter, dass Grammatikkenntnisse wichtig seien, um eine Sprache richtig zu beherrschen, wurde immer wieder angezweifelt:
In der Schule sagte man mir: «Die Grammatik ist die Wissenschaft, die uns lehrt, unsere Muttersprache richtig zu schreiben und zu sprechen.» Mit nichten, ihr Herren Grammatiker! Ich spreche – und Tausende mit mir – meine Muttersprache ohne Hilfe der Frau Grammatika, während alle grammatischen Regeln der Welt mir – und wieder Tausenden mit mir – nicht dazu verholfen haben die paar erlernten Sprachen einwandfrei zu sprechen. (Gschwind 1924: 257)
Trotz diesen anhaltenden und teilweise hitzig geführten Diskussionen um die Funktion der Grammatik für den Sprachunterricht und für die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten war sie stets Bestandteil des Volksschulcurriculums:
Wie verhält sich die Schule zu solchen Äusserungen? Sie treibt Grammatik ruhig weiter, mehr oder weniger systematisch, mehr oder weniger anschaulich oder abstrakt, mehr oder weniger kurzweilig. Sie unterrichtet sie oft weniger aus Überzeugung, als vielmehr unter dem Druck höherer Stufen, die wegen des Fremdsprachenunterrichts Satzanalyse usw. verlangen. (Bächtold 1950: 90)
Abbildung 1: Wurst 1857: 6
Auch heutzutage wird über Sinn und Zweck des Grammatikunterrichts und seine Optimierung diskutiert (vgl. Bredel 2007, Lindauer/Sturm 2010). Den Grammatikunterricht berührt das kaum: Er ist in modernen Lehrplänen wie dem Lehrplan 21 und Lehrmitteln (wie z.B. «Die Sprachstarken» oder «Sprachland») nach wie vor fest verankert und noch immer werden dieselben Inhalte (Wortarten, Satzglieder) – in neuem Layout und z.T. mittels anderer didaktischer Konzepte und anderen Bezeichnungen – behandelt. Genauso werden wohl auch die Diskussionen um seinen Nutzen weiterhin Bestand haben – wir können gespannt sein.
Am Zentrum Lesen werden im Rahmen des SNF-Sinergia-Projekts «Transformation schulischen Wissens seit 1830» die Entwicklungen im Bereich des Schreib- und Grammatikunterrichts in ausgewählten Kanton im Längsschnitt untersucht. Dabei stehen die Inhalte sowie die damit verbundenen Legitimationsdiskurse im Fokus des Forschungsinteresses.
Literatur
Bredel, U. (2007): Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. Paderborn u.a.: Schöningh.
Lindauer, Th. & Sturm, A. (2010): Erweiterter Grammatikunterricht. In: ide (2). S. 33–42.
Lehrerzeitschriften
Anonym (1968): Stimme aus Glarus. Schweizerische Lehrerzeitung (45). S. 357– 359.
Bächtold, J. M. (1950): Diskussion über die Grammatik im Schulunterricht. In: Schweizerische Lehrerzeitung (5). S. 85–96.
Gschwind, F. H. (1924): Grammatik und andere Fetische im neusprachlichen Unter- richt. In: Schweizerische Lehrerzeitung (28). S. 257–258.