Die Aufgabe als Brücke zur sprachlichen Leistung

Aufgaben können verstanden werden als Brücken, die Lernende zu bestimmten Leistungen führen. In der Aufgabenstellung kristallisieren sich also die wesentlichen Merkmale des Sprachlernprozesses. Deshalb hängt guter Deutschunterricht stark von der Qualität der Sprachlernaufgaben ab. Doch was sind gute Aufgaben für den Deutschunterricht? Im Folgenden soll am Beispiel von Schreibaufgaben diese Frage geklärt werden.

von Werner Senn, PH Luzern

Es ist sinnvoll, zuerst zu klären, in welchem Kontext und mit welcher Funktion eine Aufgabe eingesetzt werden soll. Jede Sprachlernaufgabe beispielsweise fokussiert einerseits einen bestimmten Sprachprozess und will ein entsprechendes Sprachprodukt herstellen, sie regt also z. B. den Schreibprozess an, der zu einer Abenteuergeschichte führt. Auf der andern Seite will die Aufgabe auch einen Lernprozess einleiten, wie beispielsweise den Aufbau von bestimmten Schreibstrategien zur Ideenfindung beim Schreiben. Soll die Aufgabe diese beiden Seiten gleichermassen beachten, handelt es sich um eine Lernaufgabe. Die Aufgabenstellung einer Lernaufgabe situiert das Lernen und den Sprachprozess, d. h. sie bettet die Sprachhandlung in einen «Sinn»-vollen Kontext ein, damit die Schülerinnen und Schüler beispielsweise wissen, warum sie schreiben, für wen sie schreiben und was mit ihren Abenteuergeschichten geschieht. Sie regt und leitet zudem einen Lernprozess an, indem sie aufzeigt, wie beispielsweise die Cluster-Methode zur Ideenfindung beim Schreiben eingesetzt werden kann. Konzentriert sich ein Teil der Aufgabe auf eine Fertigkeit des Schreibens, handelt es sich um eine Trainingsaufgabe. Diese muss dann konzis auf die zu übende Tätigkeit ausgerichtet sein undTrainingsfortschritte sichtbar machen. Soll also z. B. das Erstellen eines Ideennetzes wirkungsvoll trainiert werden, muss die Aufgabe so beschaffen sein, dass sie innerhalb von kurzer Zeit diese Methode mehrmals verlangt. Schreibwerkstattideen wie beispielsweise diejenigen von Schriftsteller Emil Zopfi sind dazu gut geeignet (vgl. Zopfi & Zopfi 2001).

Von diesen Aufgaben im Lernkontext sind die Aufgaben im Prüfkontext klar abzugrenzen. Wird eine Schreibaufgabe zur Lernkontrolle eingesetzt, also um eine Leistung zu überprüfen und den Lernstand sichtbar zu machen, verändert sich für den Schüler oder die Schülerin die Situation vollständig. Konnten im Lernkontext positive und negative Erfahrungen gesammelt und als Erkenntnismittel eingesetzt werden, ist dies im Prüfkontext nicht mehr so. Aus Fehlern kann in dieser Situation nicht mehr gelernt werden, denn jede Schülerin und jeder Schüler wird alles daran setzen, Fehler zu vermeiden, da diese beurteilungsrelevant werden. Mit Prüfaufgaben Lernentwicklungen anstossen zu wollen, ist daher nicht sinnvoll.
Zusammenfassend kann deshalb festgestellt werden, (1) dass gute Aufgaben die beiden Funktionen Prüfen und Lernen klar auseinanderhalten, (2) dass Aufgaben im Lernkontext die Sprachhandlung sinnvoll einbetten und (3) den Sprachlernprozess anregen, anleiten und unterstützen. Insofern stellt die Aufgabe die Brücke zur sprachlichen Leistung dar.
Mit dem dritten Punkt wird aber noch ein zusätzlicher Aspekt von guten Aufgaben angesprochen: Aufgaben haben auch eine motivationale Funktion. Sie müssen Schülerinnen und Schüler anregen, über diese Brücke zu gehen. Dies gilt insbesondere für Lernaufgaben.

Was sind nun aber anregende Aufgaben im Deutschunterricht, welche Merkmale hat, unter motivationalen Aspekten betrachtet, eine gute Aufgabenstellung?
Anregende Aufgaben stellen (1) eine angemessene Herausforderung dar und öffnen (2) einen Handlungsspielraum, in dem man selbstbestimmt, interessengeleitet und selbstwirksam handeln kann.
Am Beispiel einer Schreibwelt lässt sich dies gut illustrieren.


Abbildung 1: Schreibwelt «Die geheimnisvolle Schatzinsel» (Die Sprachstarken, Bd. 3, S. 38–39)

In dieser Schreibwelt begeben sich die Schülerinnen und Schüler auf Schatzsuche. Sie befinden sich in einem Feriencamp und finden eine Schatzkarte. Um den Schatz zu finden, wählen sie jeweils einen der eingezeichneten Wege und treffen sich jeden Abend am angegebenen Schlafplatz, um ihre Abenteuer auszutauschen. Sie ziehen für jeden Tag eine Ereigniskarte, die ein Erlebnis vorbestimmt. Nach dem dritten Tag sind sie beim Schatz angelangt. Die Schülerinnen und Schüler schreiben nun jeweils ihre Erlebnisse auf, damit sie einander ihre Abenteuergeschichten am Lagerfeuer vorlesen können.

Diese Aufgabenstellung situiert das Schreiben. Wenn die Schülerinnen und Schüler sich in die Fantasiewelt hineinbegeben, wird das Schreiben der Geschichten für sie sinnvoll, da diese am Lagerfeuer vorgelesen werden. Die Aufgabe stellt eine Mischung von Zufall (Ereigniskarten, die sie in ihre Geschichte einbauen müssen) und Selbstbestimmung (Wahl des Wegs) dar. Das Schreiben ist in klare Etappen aufgeteilt, die jeweils in einen Austausch münden, wodurch die kommunikative Ausrichtung der Geschichten für alle klar ist. Dadurch stellt die Schreibaufgabe für die Schreibenden eine überschaubare Herausforderung dar. Sie schreiben im Rahmen dieser Schreibwelt drei ähnliche und doch unterschiedliche Geschichten, können also dadurch ihre Erfahrungen jeweils beim nächsten Schreiben einfliessen lassen. Deshalb schaffen es die meisten Schülerinnen und Schüler in diesem Unterrichtsarrangement auch, von einem Text zum andern sichtbare Fortschritte zu erzielen: Ihre Geschichten werden meist länger und reichhaltiger. Auf die Aufgabe zugeschnittene Kriterienraster und Karteikarten (vgl. Abb. 2) helfen ihnen, die einzelnen Herausforderungen des Schreibens zu meistern.


Abbildung 2: Karteikarte Ideen-Netz (Die Sprachstarken 2–3, Karteikarte 1.1)

Schreibaufgaben, die auf diese Art konstruiert sind, regen an, interessegeleitet zu schreiben, sie unterstützen aber auch beim Schreiben, indem sie einzelne Schreibstrategien anleiten und aufzeigen, wie eine gute Abenteuergeschichte aufgebaut sein soll.
Wichtig ist nun, dass im Rahmen dieses Unterrichtsarrangements auch geklärt ist, ob und welche Texte von der Lehrperson beurteilt und benotet werden. Eine sinnvolle Vorgabe wäre beispielsweise: «Schreib mindestens drei Geschichten und lies sie den andern am Lagerfeuer vor. Wähl deine beste Geschichte aus, überarbeite sie anschliessend genau. Diese Geschichte wird nach den Kriterien des Beurteilungsrasters beurteilt und benotet.» Das Beurteilungsraster ist ebenfalls Teil der Schreibumgebung. Während die Schülerinnen und Schüler in der Schreibwelt arbeiten, werden sie mit dem Raster vertraut gemacht, sodass sie die Beurteilungskriterien kennen lernen.

Diese Klärung zeigt auf, welche Teile der Schreibwelt im Lernkontext und welche unter Prüfbedingungen stattfinden. So können die Schülerinnen und Schüler frei fabulieren und in die Schreibwelt versinken, sie können zudem einen Text selbstbestimmt auswählen. Sie haben Freiraum und trotzdem klare Bedingungen für die Beurteilungssituation.

 

Literatur
Zopfi, Christa und Zopfi, Emil (2001): Leichter im Text – ein Schreibtraining. Bern: Zytglogge.
Gysin-Ronner, Sonja; Leuthard, Sabine; Nänny, Stephan; Schmellentin, Claudia; Sturm, Afra und Wietlisbach, Mary (2009): Die Sprachstarken 3. Deutsch für die Primarschule. Sprachbuch. Zug: Klett und Balmer Verlag. Projektleitung: Thomas Lindauer und Werner Senn.
Gysin-Ronner, Sonja; Leuthard, Sabine; Nänny, Stephan und Wietlisbach, Mary (2010): Die Sprachstarken 2–3. Deutsch für die Primarschule. Karteikarten für den differenzierenden Unterricht. Zug: Klett und Balmer Verlag.
Projektleitung: Thomas Lindauer und Werner Senn.

Schreiben wirksam fördern. Lernarrangements und Unterrichtsentwicklung für alle Stufen

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