Klassenlektüren
Das gemeinsame Lesen eines Buches im Klassenverband ist trotz unterschiedlicher Leseinteressen und Lesekompetenzen der einzelnen Schülerinnen und Schüler wichtig und gehört aus verschiedenen Gründen in den Lese- und Sprachunterricht: Die ganze Klasse ist über einen längeren Zeitraum in einer gemeinsamen Geschichtenwelt unterwegs und die Schülerinnen und Schüler lernen andere Sichtweisen und verschiedene Gedanken zum gleichen Buchinhalt kennen, wenn sie sich im Gruppen- oder Klassenverband über ihre Leseerfahrungen austauschen.
von Maria Riss
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Ein Projekt für die ganze Klasse
1. Welches Buch wird gelesen?
Die Motivation für das Lesen eines Buches im Klassenverband wird erhöht, wenn Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, bei der Wahl der Lektüre mitzubestimmen. Dabei soll in der Klasse zur Sprache kommen, dass nicht alle dasselbe gleich gern lesen, dass aber trotzdem eine Lektüre gefunden werden muss, für die sich u.a. sowohl Mädchen als auch Jungen interessieren können. Die Lehrperson kann dazu der Klasse ein paar Vorschläge unterbreiten und die Klasse stimmt darüber ab, welches Buch gelesen werden soll. Dieses Auswahlverfahren kann erweitert werden, indem beispielsweise die Schülerinnen und Schüler einzeln oder in Gruppen selbst Bücher suchen, die sie besonders gerne lesen würden. Hier kann das Online-Verzeichnis der Zentralstelle für Klassenlektüre (www.bibliomedia.ch) in Solothurn helfen, wo sich zu allen ausleihbaren Büchern kurze Inhaltsangaben finden lassen. anschliessend wird diskutiert und argumentiert, bis sich die Klasse auf ein Buch geeinigt hat.
2. Projektvereinbarung
Nachdem die Bücher eingetroffen sind, erhält die Klasse eine halbe stunde Zeit, damit sich jeder Schüler, jede Schülerin das Buch genauer ansehen kann. Jetzt geht es darum, dass sich die Schülerinnen und Schüler selber einschätzen. Dazu macht jeder Schüler, jede Schülerin einen eigenen Leseplan, beispielsweise mit den folgenden Fragen:
Leseplan
Wie möchte ich lesen?
– Alleine
– Tandem
– Gruppe
Wie viel Text traue ich mir zu?
– das ganze Buch
– die Hälfte des Buches
– ein bis zwei Kapitel
Wie viel Zeit werde ich dafür brauchen?
Schülerinnen und Schüler, die nicht alleine lesen wollen, können sich nun, in Absprache mit der Lehrperson, in Gruppen oder Lesetandems zusammentun. Gruppen mit eher leseschwachen Schülerinnen und Schülern müssen nur einen Teil des Buches selber lesen, sie lassen sich den restlichen Text vorlesen oder erhalten Zusammenfassungen. Gruppen mit eher guten Leserinnen und Lesern erhalten zusätzliche Aufträge.
3. Projektplanung
Nun gilt es, eine möglichst detaillierte Planung miteinander zu vereinbaren. Festgehalten werden darin die folgenden Punkte:
- Wer liest wie und evtl. mit wem? (einzeln, im Tandem oder in der Gruppe)
- Wer liest was und wie viel? (Leseportionen)
- Wer liest wann? (Lesezeiten)
- Meilensteine: Wann sind erste Produkte (Zusammenfassungen, Vorlesen einzelner wichtiger Passagen, zusätzliche Informationen zum Thema, Autor usw.) fertig?
- Plenumsstunden: Wann werden Ergebnisse und Produkte präsentiert und diskutiert?
Diese Projektplanung wird als Vereinbarung von allen Beteiligten unterzeichnet. so ist eine gewisse Verbindlichkeit gewährleistet.
4. Das Lesen des Buches
Einzellektüre: In jeder Klasse gibt es Schülerinnen und Schüler, die gerne und viel lesen. Sie dürfen das gewählte Buch auch gleich am ersten Tag zu Ende lesen. sie erhalten aber danach verschiedene Zusatzaufträge.
Das Lesen zu zweit oder in der Gruppe: Nachdem die Schülerinnen und Schüler in Tandems oder Gruppen eingeteilt wurden, lesen sie den im Projektauftrag vereinbarten Text und schreiben zu jeder Lesestunde ein Protokoll. Diese Eintragungen sollen einerseits den Lesevorgang an sich dokumentieren, andererseits enthalten sie auch Gedanken und Fragen zum Inhalt.
- Mögliche Fragen zum Lesevorgang: Hat jemand vorgelesen oder haben alle still für sich gelesen? Wer hat vorgelesen? Wie weit seid ihr gekommen?
- Mögliche Hinweise zum Inhalt: Was ist passiert? Welche Figur hat euch besonders beeindruckt und weshalb? Notiert eine Kernaussage. Ihr dürft auch ein, zwei Sätze abschreiben, die ihr besonders wichtig findet.
Die verschiedenen Einträge der Gruppen zum Inhalt werden in den Plenumsstunden diskutiert. auf diese Weise wird die Diskussion über das Gelesene vorbereitet, da die einzelnen Gruppen oft andere Sichtweisen und unterschiedliche Interpretationen notiert haben. Die Einträge über den Lesevorgang in der Gruppe geben den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre eigenen Leseprozesse zu reflektieren. Lehrpersonen erhalten mit diesen Protokollen die Gelegenheit, die Lesewege ihrer Schülerinnen und Schüler zu beobachten und zu begleiten.
5. Zusatzauftrag, die Lektüre erweitern
Den Schülerinnen und Schülern der Klasse stehen nebst der gemeinsamen Lektüre unterschiedliche Lern- und Leseangebote zum Themenbereich zur Verfügung. Je nach Interesse, je nach Lesetempo und je nach Lernvoraussetzungen bearbeiten sie zusätzlich verschiedene Aufgaben. Zum Beispiel
- liegt eine Auswahl an Sachbüchern aus der Schulbibliothek bereit, in denen nach Hintergrundinformatio- nen gesucht werden kann,
- erhalten die Schülerinnen und Schüler für ihre Recherchen eine Linkliste,
- bereiten stärkere Schülerinnen und Schüler auf der Sekundarstufe eine kommentierte Linkliste für die Klasse vor (welche Aspekte werden auf welcher Seite am besten dargestellt? Gibt es unterschiedliche Aussagen zum gleichen Geschehen? usw.)
- erarbeiten die Schülerinnen und Schüler Rätselfragen zum gelesenen Text, die dann der Klasse gestellt werden,
- lösen die Schülerinnen und Schüler individuell, falls vorhanden, das ZKL-Lesequiz (www.lesequiz.ch) zum Buch,
- gestalten die Schülerinnen und Schüler ein Poster zum gelesenen Buch,
- lesen Schülerinnen und Schüler weitere Bücher vom gleichen Autor oder der gleichen Autorin oder Kurzgeschichten zum gleichen Thema,
- lesen schnellere Leserinnen und Leser jenen Schülerinnen und Schülern, die nicht das ganze Buch lesen, einzelne Passagen oder Kapitel vor,
- fassen schnellere Leserinnen und Leser einzelne Kapitel für andere zusammen.
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre «Das Lesen anregen, fördern und begleiten auf der Sekundarstufe I». Diese Broschüre erscheint beim Schulverlag plus im Herbst 2010.