Besser lesen im Tandem – Leseflüssigkeit und -strategien trainieren

Das Programm «Peer-Assisted Learning Strategies» (Fuchs, Fuchs, Mathes & Simmons, 1997) – deutsch «Von Gleichaltrigen unterstützte Lernstrategien», kurz PALS – trainiert die Leseflüssigkeit sowie zwei Lesestrategien und wurde bei verschiedenen Altersgruppen und sogar bei sehr schwach lesenden Kindern und Jugendlichen nachweislich erfolgreich eingesetzt. Es gilt als eines der derzeit erfolgreichsten Programme zur Leseförderung.

von Maik Philipp

Was in der Schule gute von schwächeren Leserinnen und Lesern trennt, lässt sich anhand der Ergebnisse der ersten PISA-Studie demonstrieren. Für die deutschen Jugendlichen wurde geprüft, welche Merkmale der 15-Jährigen rechnerisch Unterschiede im Leseverstehen bedingen. Dabei wurden fünf potenzielle Merkmale identifiziert, und ihre Effekte auf das Textverstehen wurden ermittelt. Die nachstehende Abbildung gibt Auskunft über das Ergebnis:


Effekte von fünf personenbezogenen Merkmalen auf das Leseverstehen deutscher 15-Jähriger bei PISA 2000 (Quelle: Artelt, Schiefele, Schneider & Stanat, 2002, S. 20)

Die Abbildung zeigt die Effekte von fünf Variablen auf die Lesekompetenz. Diese fünf Variablen konnten fast drei Viertel der individuellen Leistungsdifferenzen statistisch erklären.Am wichtigsten war die Intelligenz bzw. kognitive Grundfähigkeit, die sich kaum lesedidaktisch fördern lässt. Die vier verbleibenden Merkmale haben weniger rechnerischen Einfluss, lassen sich aber tendenziell unterrichtlich besser steuern. Sie lassen sich einer eher kognitiven und eher motivationalen Komponente zuordnen. Zu den kognitiven Merkmalen zählen das Wissen über die Angemessenheit von Lesestrategien in verschiedenen Situationen und das Tempo beim Lesen. Diese beiden Merkmale sind weitaus wichtiger als die Überzeugung, gut lesen zu können, und die intrinsische Lesefreude. Damit erscheinen kognitive Merkmale als ein wichtiger Ansatzpunkt für die Leseförderung, nicht zuletzt von schwach lesenden Kindern und Jugendlichen. Dies nimmt ein seit vielen Jahren in den USA erfolgreiches Leseförderprogramm gezielt auf.

PALS – ein Programm für schwach lesende Kinder und Jugendliche

Das Programm «Peer-Assisted Learning Strategies» (Fuchs, Fuchs, Mathes & Simmons, 1997) – deutsch «Von Gleichaltrigen unterstützte Lernstrategien», kurz PALS – trainiert die Leseflüssigkeit sowie zwei Lesestrategien und wurde bei verschiedenen Altersgruppen und sogar bei sehr schwach lesenden Kindern und Jugendlichen nachweislich erfolgreich eingesetzt. Es gilt als eines der derzeit erfolgreichsten Programme zur Leseförderung.

Das Programm basiert auf drei stets wiederkehrenden Aktivitäten. Diese werden von Paaren von Schülern drei Mal pro Woche über einen Zeitraum von 12 bis 15 Wochen durchgeführt. Dieser vergleichsweise lange Zeitraum ist der Tatsache geschuldet, dass sich gerade bei schwachen Leserinnen und Lesern Erfolge erst durch ausreichende Übung einstellen.

Drei Prinzipien neben der schon erwähnten Routine von drei Aktivitäten kennzeichnen PALS: die Kombination von Wettbewerb und Kooperation, das Modellieren der Aktivität durch den ersten Leser bzw. die erste Leserin und die angepasste Textauswahl.

Das erste Prinzip, der Wettstreit (zwischen zwei Klassenteams) bei gleichzeitiger Zusammenarbeit (innerhalb der Lesepaare), schlägt sich in einem klassenweiten Wettbewerb von Tandems nieder. Diese Paare bestehen aus einer gut lesenden Person, die hier Martina heißen soll (erste Leserin) und einem schwächeren Leser (zweiter Leser), der hier den Namen Reto trägt. Die Paare werden gebildet, indem die Klassenmitglieder hinsichtlich ihrer Lesefähigkeit in eine Reihenfolge gebracht werden. Genau in der Mitte wird die Liste getrennt und dann der Erste auf der einen Liste mit dem Ersten auf der zweiten Liste kombiniert, die Zweitplatzierten bilden ein weiteres Paar usw. Die Idee dahinter ist, dass der Leistungsabstand zwischen beiden Tandemmitgliedern bei allen Paaren in etwa gleich gross ist. Die Paare werden danach einem von zwei ähnlich starken Klassenteams zugeordnet, die in einem Wettkampf zueinander stehen, in dem jede Woche das siegreiche Team gekürt wird. Der Wettkampf besteht darin, dass die Paare für ihr Team Punkte sammeln, indem sie die Routinen möglichst gut durchführen, und diese Punkte am Ende jeder Woche für jedes Team summiert werden. Um Verbesserungen einzelner SchülerInnen aufzunehmen, werden die Teams alle vier Wochen neu gebildet.

Ein zweites Prinzip bei PALS ist, dass die besser lesende Person stets eine Aktivität zuerst durchführt und damit das richtige Verhalten vormacht. Dadurch wird die schwächer lesende Person entlastet, denn sie hat zunächst die Gelegenheit, das richtige Verhalten zu beobachten.

Ein drittes Prinzip besteht darin, dass das Lesematerial den Fähigkeiten des schwächeren Lesers bzw. der schwächeren Leserin entsprechen soll, damit er oder sie nicht überfordert wird.

Die drei Aktivitäten von PALS

Was passiert nun konkret in einer PALS-Sitzung? Die einzelnen Aktivitäten passen in eine Schulstunde und sind im Einzelnen:

  • Aktivität 1 (12 Minuten): Lautlesen im Paar und Wiedergabe. Martina als gute Leserin liest fünf Minuten einen Text halblaut vor, denselben Text liest der schwache Leser Reto ebenfalls fünf Minuten lang, die jeweils nicht-lesende Person achtet auf Fehler und fordert bei Verlesungen eine Verbesserung. Für jeden richtig gelesenen Absatz gibt es einen Punkt (Spörer & Brunstein, 2009). Dann fragt Martina Reto zwei Minuten lang nach dem Inhalt. Reto kann hierbei Punkte sammeln. Die Richtigkeit bestimmen dabei die SchülerInnen selbst, hier ist also Martina gefragt. Beim Lautlesen vergibt die jeweils zuhörende Person die Punkte.
  • Aktivität 2 (10 Minuten): Absätze zusammenfassen. Wie zuvor beginnt Martina (an der Stelle, an der Reto mit dem lauten Lesen endete) und liest nun fünf Minuten absatzweise einenText halblaut.Am Ende eines Absatzes identifiziert sie die Hauptaussage und verdichtet sie auf maximal zehn Wörter. Erst dann geht sie zum nächsten Absatz über. Nach fünf Minuten ist der schwächere Leser Reto an der Reihe und liest an der Stelle weiter, an welcher Martina zuvor aufgehört hat. Er führt das Zusammenfassen nun bei jeweils neuen Absätzen aus. Beide erhalten Punkte für richtiges Zusammenfassen; für das laute Lesen gibt es keine Punkte.
  • Aktivität 3 (10 Minuten): Inhalte vorhersagen. Hier weitet sich die Textmenge aus, indem Martina zunächst eine Vermutung darüber anstellt, was auf der nächsten halben Seite passieren wird. Sie liest die halbe Seite halblaut vor, dann prüft sie, ob ihre Vermutung sich bewahrheitet hat. Es kommt dabei nicht darauf an, dass die Prognose richtig war, sondern auf deren angemessene Überprüfung, die dann bepunktet wird. Nach fünf Minuten erfolgt ein Tausch, und Reto übt sich im Prognostizieren und kann Punkte sammeln.

Die Implementierung von PALS in den Unterricht

PALS gehört zu den Verfahren des kooperativen Lernens, in denen den Lernenden selbst sehr viel Verantwortung übertragen wird. Das macht eine sorgfältige Implementierung zwingend notwendig. Bei PALS werden deshalb zunächst separat vor dem eigentlichen Programm in Einzelstunden die Schülerinnen und Schüler mit der jeweiligen Einzelaktivität vertraut gemacht, indem die Lehrkräfte sie demonstrieren und üben lassen. Eine zweite Schulstunde mit der Gelegenheit zum Üben rundet dies ab. Mit dem Bepunkten werden die Heranwachsenden ebenfalls separat vertraut gemacht. Erst wenn die Aktivitäten einzeln und im Gesamt ausreichend bekannt sind und geübt wurden, beginnen die drei bis vier Monate Laufzeit des Programms.

Ohne sorgfältige Einführung ist PALS – wie auch jede andere mittel- und längerfristige Lesefördermassnahme – also nicht sinnvoll umsetzbar. In einem geplanten Forschungsprojekt des Zentrums Lesen soll deshalb dieser Aspekt vertiefend untersucht und Lehrkräfte und ihre Schulklassen (sechster bis siebter Klassenstufen) begleitet werden.

 

Literatur

Artelt, C., Schiefele, U., Schneider, W. & Stanat, P. (2002). Leseleistungen deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich (PISA): Ergebnisse und Erklärungsansätze. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 5 (1), 6–27.

Fuchs, D., Fuchs, L. S., Mathes, P. G. & Simmons, D. C. (1997). Peer-Assisted Learning Strategies: Making Classrooms More Responsive to Diversity. American Educational Research Journal, 34 (1), 174–206.

Spörer, N. & Brunstein, J. C. (2009). Fostering the Reading Comprehension of Secondary School Students Through Peer-Assisted Learning: Effects on Strategy Knowledge, Strategy Use, and Task Performance. Contemporary Educational Psychology, 34 (4), 289–297.

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